Ursprünglich wollte
VinkoGlobokar ja
Peter Weiss'Ästhetik des Widerstands
vertonen. So sehr faszinierte ihn diese Menschheits-, Revolutions- und
Kunstgeschichte. Aber er fand niemanden, der ihm diese
tausend Seiten zu einem Libretto hätte verdichten können.
Heiner Müller, den er bat, winkte ab. EdoardoSanguinetihat ihm dann ein
Libretto geschrieben, das das Thema Widerstand aus einer
gegenläufigen Sicht behandelt in einem polyphon durchbrochenen, die
inneren Vorgänge verdeutlichenden Text. Etwas didaktisch wollte Sanguineti
das zuerst einen "Traktat über Harmonie" nennen. Man einigte sich schließlich auf den
paradoxen Titel L'armonia drammatica im Sinne eines Strebens
nach "einigender Übereinstimmung" (Sanguineti) , oder "Handeln, Gefahr im Verzug"
(Globokar).
Das 1986-90 entstandene Werk ist ein
Zwitter zwischen Oratorium und Oper. Uraufgeführt werden sollte
es als Auftragswerk von Radio France und der Pariser Oper ursprünglich
in Paris. Als Regisseur avisiert war Luca Ronconi. Die Umwidmung des
Palais Garnier als reine Ballett-Spielstätte verhinderte das dann.
Eine konzertante Uraufführung wurde realisiert mit Chor und Orchester
von Radio France unter Globokars Leitung bei der Musikbiennale Berlin 1995.
Halbszenisch und mit vielen Kompromissen, nachdem es Misshelligkeiten gab mit dem
vorgesehenen Regisseur, hat es Globokar dann selbst
eingerichtet und dirigiert
am Opernhaus in Ljubljana
im Rahmen des dortigen Europäischen Kulturmonats 1997
(eine Ergänzung zu den Veranstaltungen des
Europa-Kulturhauptstadt-Festivals von Thessaloniki) aufgeführt.
Dies jetzt ist die eigentliche szenische Uraufführung, zehn Jahre
danach. Wie hast Du das angelegt?
Aktuell ist das Thema immer, aber politisch "brennt" es derzeit nicht
lichterloh. Was heißt für Dich hier: Sich-Auflehnen, Widerstand?
Widerstehen
ist für mich eine ganz allgemein menschliche Metapher für Überleben
oder Leben bewältigen, Widerstand leisten gegen den Tod, gegen die
Schwerkraft, gegen Vermassung, gegen Depression, gegen Angst.
Es gibt in dem Stück neben Chor und Orchester sieben Solisten. Die
Form, in die ich das zu bringen versucht habe, ist zunächst linear.
Die sieben Solisten durchleben im ersten Teil individuelle Schicksale,
jeder unabhängig vom anderen, aber verbunden durch die Idee des
Widerstands - so gedacht von den Autoren. Das beginnt mit einer
Einengung aller einzelnen Personen,
Stimmen, Menschen in einer Art Zelle. Ob das ein inneres Gefängnis
ist, eine Zelle kann eine Familie sein, ein Staat, ein Gefängnis? Von
den Autoren sind innere Vorgänge gemeint.
Sie kommunizieren aus den Zellen heraus miteinander durch die Wände
hindurch, treten gedanklich aus den Zellen heraus, aber verabreden
sich als Bild gezeigt in persona. Eine von den Sieben hat Mäntel
besorgt. Die Mäntel stehen für Pass, Schutzmantel, Reise, sich auf
eine Wanderung begeben. Sie wollen heraus aus dieser Enge; das
Bühnenbild erzählt diese Wanderung mit. Sie treffen sich, ziehen die
Mäntel an, fliehen durch das Gebäude nach oben. Das Gebäude dreht
sich. Oben auf dem schmalen Grat des Sattels werden sie den Kosmos und
ihr eigenes Selbst befragen.
Auf der anderen Seite müssen sie runter auf einer schräg abfallenden,
gefährlichen, abschüssigen Bahn, wie auf einem Gletscher. Angekommen
unten, werden sie sich versammeln, als wären sie über eine Grenze
gegangen, ein Stück weiter. Ende des ersten Teils.
Bei Weiss in dem Buch sind historische
Reminiszenzen verarbeitet: die Französische Revolution und das
Ancien Régime mit der berühmten, von Géricault so eindrücklich
gemalten Geschichte vom
Floß der Medusa, die russische
Revolution und die dunkle Stalinzeit, die Zwanziger Jahre und die Nazi-Diktatur.
Es gibt auch Rückgriffe in mythologisch-antike Vorbilder wie
Herakles. Spielt das hier mit?
Der Text von Sanguineti ist so verrätselt, dass ich es als notwendig empfunden
habe, eine Linie zu finden, die den Zuschauern ermöglicht, diese
ganzen durch Musik und Text ausgelösten Assoziations-Explosionen
nachvollziehen zu können anhand eines Vorgangs. Ich habe das in einen
Gegensatz gebracht. Ich habe nicht das Mythische, Mystische, Surreale
des Textes versucht zu deuten oder zu entschlüsseln, sondern ich
behandele das als das Geheimnis, das uns wieder und wieder umtreibt.
Dass die antiken Stoffe immer wieder Konjunktur haben, hängt ja damit
zusammen, dass sie archetypische Lebensvorgänge in eine grundlegende
Form gebracht haben. Diese Lebensmotive: Aufstand gegen den Tod, Kampf
um die eigene Existenz, um die eigene Persönlichkeit, das eigene
Widerstehen durch unsere eigenen Gedanken wie Herakles. Bei
Heiner Müller in Herakles 2 oder
die Hydra geht es ja immer darum, dass er im Kampf
gegen die Hydra sich selbst kennen lernt und den Bauplan studiert,
nach dem er gebaut ist.
Wenn die Hydra ihn zerstört, studiert er jeden einzelnen Knochen und
jeden Muskel, er sieht das Blut und beschreibt diese extreme
Anstrengung, einen Schritt vorwärts zu kommen.
Es gibt in dem Stück, das die Autoren ja
parallel zueinander erarbeitet haben -
Globokar hat immer nur abschnittweise die Texte von Sanguineti
geliefert bekommen und musste mit vielen Unwägbarkeiten jonglieren -,
es gibt in L’armonia drammatica auch die mystische Ebene mit
den Tarock- oder
Tarot-Karten.
Wie werden die hier ausgespielt?
Diese Tarot*)-Karten sind die Verbindung zum
Ungeplanten, zum Zufall – von mir
hier verstanden als das, was unser Leben beeinflusst, ohne dass wir
wissen, warum es passiert, woher etwas kommt: Welt. Das Zufallsprinzip in
Gestalt der
Tarock-Karten ist ein Grundmotiv der Komposition. Reales
wird zerschnitten und so zusammensetzt, dass es seltsam verfremdet
wirkt. Assoziationen werden freigesetzt, das offene Herangehen an
einen inneren Vorgang, was ja ganz viel bedeuten kann, ermöglicht eine
Art Breitensicht: politisch, poetisch, metaphysisch - das ist schon
fast das Geheimnis des Lebens in einer Nussschale.
Das Stück ist formal bei allen
Zufälligkeiten sehr geradlinig aufgebaut. Vom Prolog in Teil eins
geht es zu Duetten, Trios, Quartetten, Quintetten, Sextetten, dem
Septett - wo alle Solisten erscheinen. Dann im Teil zwei bricht das
Ganze. Wie ist das szenisch umgesetzt? Es gibt ja auch ein gewisses
Raumkonzept.
Das Raumkonzept ist zuerst entstanden. Im ersten Teil sind
jedem Sänger ja einzelne Instrumente oder eine Orchestergruppe
zugeordnet, alle haben sie ihren eigenen Stil.
Die Streicher sind dem Sopran, das Schlagzeug dem Mezzo, die
Holzbläser dem Bariton, das Blech dem Bass, ein Saxophon dem Tenor,
zwei elektronisch verstärkte Bratschen dem Contra-Alt, die E-Gitarren dem Mädchen.
Der Tenor als Künstler ist seriell komponiert, der Mezzo im Stil von
Schönbergs Pierrot Lunaire, der Sopran als Getreue
siebentönig-modal, der Bass in einem kämpferischen Marschton.
Das
Mädchen ist etwas abgesetzt, sie
soll sich in einem zitierten Pop-Ton versuchen. Diese Instrumenten-Familien sind sichtbar
verteilt im Zuschauerraum.**) Der Chor sitzt im Rang, beobachtet,
kommentiert, mischt sich akustisch ein in das Geschehen.
Im zweiten Teil ist das Ganze umgedreht. Das Orchester sitzt im
Graben, ist nicht mehr mit den einzelnen Individuen verbunden. Der
Chor beherrscht die Bühne, die Individuen werden vom Chor sozusagen
"aufgesogen" - die andere Seite der Medaille: das Sterben des
Individuums. Und es geht ja ganz besonders um das Individuum in dem
Stück, um das Widerstehen. Es geht ums Zusammenleben der Individuen,
sprich Stimmen, sprich Orchestergruppen, um das einander Akzeptieren
und Ertragen im Zusammenklang.
Das Werk hat auch einen multimedialen Aspekt. Globokar hatte
vorgesehen, in der Pause zwischen beiden Teilen Informationsfilme zu
zeigen, heute ein etwas verbrauchtes Mittel. Wir integrieren den
Aspekt mit Live-Malerei in die Aufführung. Helge Leiberg, mit dem Du schon bei zwei kleineren Produktionen
zusammengearbeitet hast, wird jede Aufführung live übermalen. Das
heißt, es klingt nicht nur jedes Mal etwas anders sondern es sieht
auch jedes Mal etwas anders aus. Was ist verabredet?
Wir haben ein Konzept besprochen, bevor ich jetzt das Stück entworfen habe.
Helge Leiberg
als einer der schaffenden Künstler in unserem Quartett wird ausgehend
von der Musik, vom Text und meiner Interpretation des Stücks malen. Es
wird ein Prozess sein. Visuelles und Akustisches sollen so ineinander
greifen, dass dem Zuschauer eine ganze Palette sich öffnet, sich anregen,
sich beeinflussen, sich berühren zu lassen von ganz stark sinnlichen Komponenten.
Sprache wird von Globokar hier ja auch im Sinne Luigi Nonos als
Lautkomposition verstanden. Was man während der Aufführung inhaltlich
nicht versteht durch die Überlagerung der Stimmen, sollte in der
Konzeption Globokars mit den dokumentarischen Filmen nachgeliefert
werden. Globokar hat den Text zudem polyphonisch stark aufgespalten
und lässt ihn in vielen Sprachen singen: Italienisch, Deutsch,
Englisch, Französisch, Slowenisch - wobei es auch hier gewisse Zuordnungen
gibt. Lyrisches wird in Italienisch gesungen, Sprechgesang wegen des
Konsonantenreichtums meist in Deutsch. Wie kann der Zuschauer hier etwas
verstehen vom Text, hat er eine Chance?
Die Sprache hier ist nicht nur Musik. Ich denke, dass es unbedingt
notwendig ist, wichtige innere Vorgänge der einzelnen Sänger zu
benennen. Sie beschäftigen sich ja die ganze Zeit, jeder Einzelne mit
seinen Gefühlen, Ängsten. Und daraus setzt sich dieses Leben im Stück
zusammen: Jeder hat sein Schicksal, ist gepackt von seiner
Vergangenheit - der Mezzo zum Beispiel ist eine Gefolterte, das
Mädchen die Tochter eines Emigranten, der Bariton ein Gefangener, der
Bass ein Militär. Und trotzdem finden sie im Sich-Ertragen zueinander.
Das, glaube ich, ist auch wichtig für unsere globalisierte Welt heute: Dass
wir nicht sagen, es geht alles kaputt, sondern dass wir sagen, wir
müssen immer wieder neu lernen. Und die Malerei wird das ganz reale,
sehr erfrischende Moment von Kreativität im Leben und sich einander
Ertragen im Leben erzählen: Dass eben nichts fest geschrieben ist,
sondern dass wir immer wieder anders denken lernen; dass wir
verändern, dass es darauf ankommt, diesen Mut zu haben. Das ist das
Tolle an dem Stück, seine Sprengkraft.
Und um noch mal auf Peter Weiss zu kommen - das ist ja auch das
Faszinierende an der Antike für mich, dieses subjektive Moment: Dass
nicht die besonderen politischen Bedingungen eines Herakles so stark
zählen, sondern die einzelne Person, ihre Tat, ihre Kraft, ihre
Visionen. Mich ermutigt das, zu vertrauen den eigenen Gedanken,
Gefühlen, dem eigenen Handeln. Wir leben ja in einer Zeit, die einem
immer wieder das Wasser abgräbt. Wir sind Konsumenten, Nummern. Das
nimmt einem die Kraft, das, was man wirklich sucht und will, zu
suchen, zu wollen, sich aufzumachen auf diesen Weg.
Orpheus hat sich aufmacht ins Totenreich, weil er das wollte. Er hat
alle seine Fähigkeiten eingesetzt und hat was erreicht, was sonst
niemand geschafft hat, es war sein Wille. Das zu vertreten, da auch zu
scheitern und aus dem Scheitern wieder neu anzufangen, das finde ich
lebenswert, diese subjektive Sicht: Was kann ich jetzt anfangen mit
meinem Leben in dieser Zeit mit meinem Potenzial.
Arila Siegert für das Programmheft
Texte der Autoren zu ihrem Werk (1995)
Am Anfang hatte ich
eine vage Idee, das Thema "Widerstand" zu behandeln, ein musikalisches
Werk darüber zu komponieren. Ich wollte keinen bereits vorhandenen Text
benutzen, da das lineare Drama, das nach dem Spannungs- und
Entspannungsmodell aufgebaut ist und die psychologischen Konflikte der
Personen veranschaulicht, mir in diesem Fall nicht in Frage zu kommen
schien.
Durch Diskussionen mit Edoardo Sanguineti entstand der Plan zu
einem polyphonen Text auf italienisch, bei dem sieben Personen (Sopran,
Mezzosopran, Contraalt, Mädchenstimme, Tenor, Bariton, Bass) ihre
jeweilige Geschichte erzählen/singen, wobei sich die Diskurse mischen
und überlagern. Wenn mehrere Personen gleichzeitig sprechen/singen, ist
die Verständlichkeit stark beeinträchtigt. Die durch Vielstimmigkeit und Überlagerung gewollt undeutlichen und
unverständlichen Texte dienen als Leitschiene für die musikalische
Komposition und die Inszenierung...
Jeder Solist drückt sich in einem ihm eigenen Gesangsstil und einem
anderen harmonischen System aus. Wir erleben also die Konfrontation von
sieben harmonischen Ausdrucksweisen (darauf unter anderem spielt der
Titel des Werks an). Die von "ihrem" Solisten abhängige Orchestergruppe
unterstützt die vokale Aktion und führt sie weiter, entweder im Vorfeld
ankündigend oder im Nachhinein kommentierend. Der Chor hat im ersten
Teil eine statische und urteilende Funktion; am Verlauf der Aktion nimmt
er nicht unmittelbar teil.
Im zweiten Teil erleben wir eine totale Umkehrung der Rollen. Der
Contraalt wird zur Schlüsselfigur, auf dem Podium umgeben von zwei
elektroakustisch verstärkten Bratschen. Die sechs anderen Vokalisten
bilden nun ein Menschenbündel und teilen sich nur noch durch Schreie
mit. Der Chor teilt sind in sechs Kreise und verkörpert die
Exterminateure. Das Orchester als wieder geschlossenes sinfonisches
Gebilde hat die Funktion, bestimmte vokale Aktionen zu unterstützen,
eine dramatische Spannung zu erzeugen und schließlich hineinzuführen in
das Massaker, den Tod, das Ende. (Vinko Globokar)
*
Als Vinko Globokar mich darum bat, den Text
für sein Werk zu schreiben, sagte er mir, dass es um die Idee des
Widerstands gehen sollte, unter allen Aspekten - sozialen und
intellektuellen, ethischen und politischen. Ich habe sofort an eine
Struktur von zunehmender Komplexität des verbalen, szenischen und
musikalischen Diskurses gedacht.
In einem breit angelegten ersten Teil sollte jeder direkte Dialog
zischen den Protagonisten ausgeschlossen sein. Dieser Teil besteht
besteht aus sieben dramatischen Szenen, die nach dem Muster des - wie
ich es nennen würde - "allegorischen Realismus" aufgebaut sind:
Elemente der augenscheinlichen, unmittelbaren Alltäglichkeit treffen
auf bedeutungsträchtige oder entleerte Symbole - mit Anspielungen, die
Welten auftun, wo sich Antigone und Boëthius begegnen, ikonografische
Symbole des Mittelalters sich mit den Geheimnissen der Tarockkarten
kreuzen. Die verschiedenen Szenen (der Gefangene, der Kämpfer, der
Künstler, der Emigrant, die Gequälte, die Getreue, die Schwangere)
entwickeln sich selbständig und bilden jeweils den Ausgangspunkt
parallel laufender Geschichten. Doch das schließt kontinuierliches
Durchkreuzen ein, den ständigen Bezug einer Geschichte auf die andere,
Integration, wechselseitige Bereicherung in einer fortschreitenden
Konstruktion, die von der anfänglichen Form des Monologs zu der des
Duetts, des Terzetts, des Quartetts bis zur vokalen Aktion aller
sieben Personen führt, bis schließlich auch der Chor eingreift, dessen
Funktion eine dramatische und erklärende zugleich ist; tatsächlich
wirken die Interventionen des Chores wie Urteilssprüche der Macht.
Im Gegensatz zum ersten nimmt der zweite Teil - sehr dicht, unruhig
und bewegt - die Form einer gewaltigen Katastrophe an. Vor dem
Hintergrund der Tragödie des Todes zeichnet er in der Schlussszene der
Niederkunft die Tragödie der Geburt, die Tragödie des Lebens. Trotzdem
sind der erste und der zweite Teil nicht zwei getrennte Sätze. Sie
bilden vielmehr zwei Perspektiven, die selbst auf der Ebene des
Bühnengeschehens in Kontinuität und Opposition eng miteinander
verbunden sind. Und dies ist die immer präsente Form der dramatischen
Struktur... Wenn der Begriff des "allegorischen Realismus" heute als
Prinzip einer allgemeinen Poetik berechtigt sein kann, dann vor allem
deshalb, weil er danach strebt, auf der Ebene der Ideologie und auf
der des Ausdrucks eine absolut dialektische Sicht der Erfahrung wieder
zu finden. (Edoardo Sanguineti)
*) Im James-Bond-Film
Live And Let Die (Leben und sterben lassen) (1973) versteckt
sich ein Finsterling aus der Karibik hinter den
mit Voodoo-Kult drapierten Tarot-Karten, um ungestört Heroin zu kochen
für den Weltmarkt.
**) Im
Ergebnis der Aufführungs-Serie ist der Komponist dann doch wieder
abgekommen von dieser räumlichen Verteilung. Für künftige Produktionen
schlägt er eine Konzentration der Instrumentalisten im Orchestergraben
auch für den 1.Teil vor.
Br: Ein kleines Fenster öffnete sich plötzlich in der Wand. Eine Laterna
Magica. Ein starker Wind hüllte alles in Stille.
Danach öffnete sich daneben ein zweites Fenster. Wie ein Spiegel. Und
dort sieht man jene Frau meiner Vision. Mit einem kleinen Stab wie ein
großer Kochlöffel. Wie eine Königin sah sie aus, die gekommen war wohl
um mich zu erfreuen.
Und irgendwo waren Handpuppen auf einem Rad, die tanzten, von jener Frau
bewegt.
Und dann war noch ein letztes Fenster, eine weite Landschaft,
schachbrettartig, menschenleer. Die Frau zeigte mir, dass es irgendeinen
Zusammenhang gab zwischen diesen Bildern, der mir nicht klar wurde.
Die Frau meiner Vision dort im Spiegel war für mich eine Allegorie. Und
ich konnte sie nicht berühren, gebunden wie ich war in meiner Zelle.
Chor: Hoffe nichts und fürchte nichts.
II Duette
1
Mz: Als ich ihn sah im Sprechraum, habe ich geschrieen.
Br: wir diskutierten, aber es war eine sehr abstrakte Diskussion, nur über Ideen.
Mz: Sie sagten: „An deinem Schreien merkt man, dass Du in der Falle sitzt.
Br: Dann machte ich eine Bewegung, nur eine vage.
Mz: Er war nur verzückt und sagte: „wer bist Du?“
2
Mz: Er sagte mir nichts.
M: Sie wiederholen: "Wer bist
Du", wenn ich eine Bewegung mache. Deshalb mache ich schon lang keine
Bewegung mehr. Wenn ich rede, wer versteht, was ich rede?
3
Br: Danach wurde die ganze Wand hinter mir hell. Wie ein Bildschirm mit einem Lichtstrahl.
Dann war da ein feierlicher Mann mit herbem Gesicht. Der saß streng auf einem Thron.
M: Ich schließe mich langsam in mein Schweigen ein.
Br: Und es war eine sehr grausame Szene. Weil der feierliche Mann ein Tyrann ist.
Ich stelle mir eine Enthauptungsszene vor.
M: Ich schließe mich in meinen Körper ein.
4
S: Führst Du mich noch, Du liebes Sonnenauge? Verlassen von meinen Lieben,
sehe ich mich in der Totengruft.
T: Das Sonnenauge überwacht mich, verbrennt mich. Und Worte sprechen zu mir, die Formen
und Figuren sind.
S: Oh, ich werde verhöhnt.
T: Und ich sehe in der Finsternis eine Regel.
5
T: Geordnete Unordnung, wie Du mich einschließt!
B: Und jetzt hinunter! Hier im Graben. Beweg’ Dich nicht! Sprich nicht! Widerstehe und schweige!
T: Die Nacht zittert. Und der Tag zittert. Und die Zeit zittert.
B: Die Nacht ist lang. Langsam ist die Zeit.
6
B: Sie kommen näher. Sie sind schon da.
Mz: Sie sind schon hinter der Tür. Sie belauschen mich, spionieren mich aus.
B: Noch weiter hinunter!
Mz: Hörst Du sie? Sie atmen heftig. Und jetzt muss ich schweigen.
B: Hinunter! Weiter!
Chor: Aber nicht eine Freundeshand! Und wo die Hilfe holen?
Harte Nacht! Das getrocknete Blut raucht auf meinem Gesicht:
Dennoch, wir sind am Vorabend: und bei der Morgenröte,
Betreten wir, bewaffnet mit brennender Geduld, herrliche Städte.
III Terzette
Br: Dann ereignen sich andere schreckliche Dinge. Dort sind viele Leute, es
scheint, alle steigen herab von jener Wand. Und es gibt andere, die von
hinten her angreifen und sie alle in Stück reißen und jene Frau mit Blut
bespritzen, als ob sie uns heftig bespuckten.
M: Es ist so, dass ich Stadt für Stadt durchquert habe.
S: Das war also meine Klage.
Br: Die Wörter sind wie eine Art roter Schnüre, die sich um uns winden.
M: Das heißt, sie verstehen wenigstens, dass sie Dich nicht verstehen. Und dann verlierst Du Dich
dort in den Städten.
S: Ich bin hinunter gestiegen in den Keller, zitternd im Dunkeln.
M: Es ist wie wenn Du ertrinkst.
S: Und ich habe geschrieen wie zu den Toten.
T: Alles erlischt in meiner Finsternis.
B: Ich habe laut geschrieen: Feuer!
T: Die Sonne ist erloschen und dreht sich wie ein Rad.
Und ich verzehre mich in meiner Leere.
Mz: Aber ich schreie nicht, nicht mehr.
Chor: Wie ein schlechter Schauspieler auf der Bühne,
der mit seiner Angst seine Rolle verfehlt,
Oder ein Ungestüm mit zuviel Zorn erfüllt,
Dessen Übermaß an Stärke sein eigenes Herz schwächt:
So bin ich – O dass Du doch mit Augen hören könntest!
IV Quartette
A: Ich werde mich noch übergeben. Es ist ein zu ruhiger Abend, zu warm.
S: Ich habe eine Pause gemacht.
A: Ich streichelte mir mühsam meinen Bauch. Auch mein Nacken brennt. Ich habe Durst.
S: Und der Himmel waren Steine, waren Ziegel.
B: Es war die Hölle.
A: Mir ist schlecht.
A: Ich habe noch Durst. Du sollst mir die Lippen befeuchten.
B: Und dann gehen im Saal alle Lichter an. Und alle erheben sich. Und dann gehen sie langsam weg.
Br: Jetzt ist es, wie wenn wir Karten spielten, ich und jene Frau.
A: Mir zittert mein Kopf
B: Es sind alle dort um den Notausgang herum mit den Ortspolizisten, den Feuerwehrmännern.
Mz: Es ist alles ein Gefängnis, am Ende der Welt.
T: Ich höre ein Echo.
M: Bringe Deine Geschichte in meine Geschichte.
T: Es sind Stimmen, diese Geräusche. Die erzählen Geschichten über Geschichten.
Mz: Es ist besser, dass ich ruhig bin.
V Quintette
Br: Denn sie ist klar hochschwanger.
T: Es ist die Stimme einer Frau. Es ist auch meine Stimme.
B: Und in jenem Feuer ist ein Salamander, der aber eine Frau ist.
Mz: Es ist eine doppelte Stimme.
Br: Sie kommt heraus aus ihrem Rahmen. Und jetzt berührt sie mich.
B: Und dann bewegt sie sich. Und jetzt ist sie ganz voller Flecken.
Mz: Und zuerst denke ich, dass es ein Echo ist. Aber dann verstehe ich, dass
sie sich von allein verdoppelt. Sie ist wie eine andere Stimme. Denn es
gibt eine größere Stimme und eine kleinere Stimme.
VI Sextette
Br: Er wächst über mich wie ein Polyp.
T: Es ist wie ein Licht in einem anderen Licht.
B: An manchen Stellen ist sie wie verbrannt.
Mz: Manchmal scheint es mir, dass die kleinere Stimme ein wenig größer wird.
S: Diese andere ist offensichtlich auch schwanger.
B: Wie kann sie verbrannt sein, wenn sie ein Salamander ist? Und wenn sie doch eine Frau ist?
M: Und Du schreitest mit mir im Schweigen.
M/Chor: Du hast die Augen geöffnet über unsichtbaren Fenstern:
Du hast lange Gespräche mit dem weisen Schrecken geführt:
Dein Schweigen hatte seine Zeit und seine Zeit Dein Schrei:
Deine Verzweiflung hat noch eine Zeit in dieser langen Hoffnung,
Und es brach eine Welt in Stücke, und hat sich gespiegelt im Labyrinth
Deines Geistes.
In dieser großen Unordnung so vieler blinder Bilder.
Wenn Du die Treue kennst, musst Du Deine Strenge hart bezahlen.
Wenn Du Erbarmen übst, wo wirst Du Mitleid finden?
Wer nicht täuschen wollte, siehe, der war schnell getäuscht.
Hast Du der Verführung widerstanden?
Hast Du die Unschuld gekannt?
Aber Leben wächst im Leben, und Schmerz ist seine Nahrung:
Wie ist uns der Himmel gleichgültig.
Und wie langsam ist diese unsere Nacht.
VII Septette
T: Also jetzt ist es nicht mehr eine Stimme. Es sind Stimmen über Stimmen.
Es sind Visionen. Und es sind Bilder. Es sind Gestalten. Sind Körper.
Weil sie inzwischen auch Stimmen sind, sprechen die Körper, die Bilder.
Und ich sage, welche Stimmen, welche Körper es sind. Ich sage als: Das
ist Der Page, der hinter sich ein Gemälde hat mit vielen
Zeichnungen.
Br: Es gibt Kinder, die mich
beachten, und ich soll etwas machen. Ich muss sie erheitern auf eine
Art, die ich nicht kenne.
T: Und dies ist Die Kaiserin.
Mz: Plötzlich habe ich Den Mond gesehen. Ich habe mich so
hingestellt, dass ich alle meine Flügel schnell schwingen konnte.
T: Und das ist Der Papst.
M: Ich stelle mich so, dass ich heftig gestikuliere mit meiner rechten Hand,
über den Köpfen der Leute. „Aber es ist ein Kind“, sagen alle zu mir.
T: Und dies ist Fortuna.
S: Eine warme ruhige Hand schließt mir die Augen, sachte, jetzt.
Und ich sage: "Aber ich träume, jetzt, bald, schnell, sofort."
T: Und dies ist Der Gehängte.
B: Ich halte meine Beine über Kreuz, wie wenn ich einen Tanzschritt machen wollte,
aber alles verkehrt, der Fuß und das Knie und die Beine.
T: Und das ist Die Mäßigkeit.
A: Ich gieße etwas Wasser, das ein Wasser ist, das beinahe Eis ist, aus dieser Art
Flasche in eine andere Flasche, das mich doch brennt.
T: Und dies ist Der Turm, der ganz Feuer ist. Und dies ist
Der Mond.
Dies ist Das Gericht. Und das ist Der Verrückte. Und das ist
Die Päpstin… Und das ist Der Kaiser.
Das sind Die Liebenden. Das ist Die Gerechtigkeit.
Und das ist Der Eremit. Und das Die Kraft.
Und das ist Der Tod. Und das ist Der Teufel.
Und das sind Die Sterne.
Br: Und ich sage: "Ich muss jetzt widerstehen."
Mz: "Bestehe, widerstehe", sage ich.
M: "Nur standhalten ist wichtig", sage ich.
S: "Aber werde ich jetzt noch widerstehen?"
B: So habe ich widerstanden.
A: "Widerstehe ist dann alles".
T: Und das ist Die Welt.
Chor: Und das ist Die Welt.
Zweiter Teil
Soli & Chor: Jetzt sind alle da, und sie schreien. Töte! Hände
hoch! Ich werde gewürgt, ich ersticke, es ist Blut. Es reicht! Zurück!
Welch ein Durcheinander. Luft holen! Schwitzt Du? Sie ist tot. Es ist zu
Ende. Es ist das Ende!
A: Es ist eine schreckliche Stille. Jetzt musst Du Dein Kind machen. Nur
kräftig atmen und pressen. Es braucht nicht mehr viel. Ich bin hier in
meinem Schweigen. Ich kann schreien, aber es ist besser, leise zu
winseln.
Denke an nichts. Du musst den Kopf frei haben, hinunter mit dem Hals,
die Schenkel ganz offen. Und einen flachen Bogen mit dem Rücken. Du
siehst jetzt, wie es möglich ist, dass das Leben weiter gehe?
Bald spreche ich nicht mehr. Ich darf keinesfalls denken. Ich öffne die
Beine. Ich bin ganz offen. Sterben ist nichts. Weit schlimmer ist es,
dem Leben standzuhalten. Geboren zu werden ist ein Horror.
ENDE
(Dauer ohne Pause knapp 2 Stunden)
(Nach der Übersetzung aus dem Italienischen von Angelika Schweikhart
für die konzertante Aufführung zur 15.Musikbiennale Berlin, 1995)