Man lebt immer wieder in gedanklich neuen Räumen, sich ändernden Zeiten. Man selbst wird älter. Die Flüchtlingskrise, die fortschreitende Entfremdung – das ist ein großes Thema. Das war vor einigen Jahren noch nicht so brisant. Man kann ein Werk ja auch von den verschiedensten Seiten betrachten, und es erschließt sich dann ganz neu. Ich mache das jetzt wieder mit meinem Dream-Team, Hans Dieter Schaal und Marie-Luise Strandt. Und ich finde es erstaunlich, dass man im selben Team und jeder einzeln immer wieder neue interessante Ansätze findet, die sich in der praktischen Arbeit als kreativ erweisen.
Es zeichnet große Werke aus, dass sie archetypische menschliche Konflikte und Dramen zeigen, die immer wieder passieren in jeder Gesellschaftsordnung, in jeder Zeit. Und insofern reicht das Denken dann zurück bis in die antike, vorchristliche Welt – mit den Menschenopfern zum Beispiel – und in die jüngste Vergangenheit und in die Zukunft. Die Reflektionen in den Werken blättern ja immer alle Seiten des Lebens auf. Sie halten uns den Spiegel vor und zeigen uns, was und wie wir sind und was wir tun. Was daraus entsteht und was wir davon lernen können, das zeichnet die Werke aus. Deshalb werden wir sie immer wieder spielen.
Die Einsamkeit und die Gedanken, die man ja auch Furien nennen könnte, die einen verfolgen und heimsuchen im Privatesten, Innersten – die Folgen unserer Handlungen müssen wir selbst tragen. Wir können das nicht delegieren an jemand anderen. Was wir tun, müssen wir tragen und ertragen, wir sind selbst verantwortlich für die Auswirkungen unseres Tuns. Das habe ich inszeniert, indem die Menschen, um die der Idomeneo kreist, die in dem engsten Konfliktfeld um ihn herum sind, sich zu ihm an den Küchentisch setzen. Aber er kann das Problem nicht lösen, er endet unterm Tisch und weiß nicht weiter. Er ist am Ende, und aus diesem Ende kann ein neuer Anfang erwachsen.
Die Machtfrage zwischen zwei ohnmächtigen Frauen wird da behandelt. Das ist schon ein sehr spannendes Thema: wie man umgeht mit seiner eigenen Ohnmacht. Dass man eigentlich nichts ändern kann. Dass man nicht in einer Position ist, wo man die Strippen ziehen kann. Sondern man ist ausgeliefert den Ereignissen, die einen überrollen. Und es wird gezeigt, wie unterschiedlich man damit umgehen kann und wie man sich selbst schädigen oder retten kann.
Die Schluss-Arie der Elektra ist ja zur Uraufführung in München 1781 gestrichen worden. Weil Mozart darin das Ereignisfeld der Psyche und der Tragweite, was einen Menschen zum Wahnsinn treibt, so ausufernd und toll komponiert hat, dass danach eigentlich nichts mehr stattfinden kann. Und es war damals ja noch Ballett angesagt. Was nach der Arie kommt, die Verkündigung der neuen Zeit und der Hochzeits-Jubelchor, fallen dann ab, und es entsteht kein sinnvoller Schluss. Deshalb versuchen wir das Stück mit dieser großen Arie zu enden, wo die Elektra sich psychisch in den Untergang singt. Sie steigert sich immer mehr ins Negative, ins Zerstörerische. Sie bringt sich in eine Situation, wo sie sich selbst und die ganze Welt so hasst, dass sie alles zerstören möchte und daran wahnsinnig wird. Parallel dazu inszeniere ich die Hochzeit des jungen Paars, Ilia und Idamante, die einen Hauch von Glück erleben, während die Elektra in ihrem Unglück ertrinkt.
Wir lernen ja im besten Fall von der Reaktion der anderen. Wir sehen uns ja nicht. Wir sind nicht gewohnt, der inneren Stimme, die uns warnt, zu folgen. Diese innere Stimme ist ganz leise. Wir überhören sie, und besonders wenn man unter Druck, gejagt und beobachtet ist wie die Kings von heute. Aber jeder Mensch hat die Freiheit, auf dieses innere Bewusstsein und dies innere klare Gefühl zu achten. Ich kann dies oder jenes tun, ich habe die Wahl, auch wenn ich scheinbar gezwungen bin – jetzt den Brexit durchzusetzen. Aber ich habe genauso die Wahl, ich danke ab oder ich übergebe oder ich ändere mein Vorgehen oder ich lege das Gewicht auf ganz andere Dinge. Insofern ist es eine richtige Lehr-Oper, dieser „Idomeneo“.
Was die Sänger und den Chor anbelangt, lief es ganz erstaunlich gut. Sie sind auf europäischem Niveau, ganz bereit und offen. Es hat großen Spaß gemacht, mit den Künstlern zu arbeiten. Das ist, wie man’s sich wünscht, und dafür bin ich auch sehr dankbar. Die anderen Umstände im Theater sind sehr besonders und in keinem Haus, in dem wir bisher gearbeitet haben, so schwierig, unstrukturiert. Das erschwert die Arbeit. Trotzdem hat sich das Theater große Mühe gegeben, uns Möglichkeiten zu eröffnen, die hier sonst nicht möglich sind. Wir werden es schon schaffen.