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Arila Siegert über ihren „Idomeneo“ für die Oper Pilsen

Premiere: 09.März 2019, Oper Pilsen
Musik.Ltg.: Norbert Baxa
Insz.: Arila Siegert
Bühne: Hans Dieter Schaal
Kostüme: Marie-Luise Strandt
Licht: Daniel Tesař, Michal Hōr Horáček

Idomeneo 


Mozarts „Idomeneo“ inszenierst du zum dritten Mal; das Theater Pilsen hat dich dazu eingeladen. Du kennst das Werk jetzt fast auswendig, hast auch fast alle anderen großen Mozart-Opern inzwischen inszeniert; nur die „Entführung“ noch nicht. Und doch ist das jetzt wieder ein ganz neuer Zugang mit auch neuen Akzenten. Auch musikalisch mit dem Austausch von Cembalo gegen das viel passendere Hammerklavier für die Rezitative.

Man lebt immer wieder in gedanklich neuen Räumen, sich ändernden Zeiten. Man selbst wird älter. Die Flüchtlingskrise, die fortschreitende Entfremdung – das ist ein großes Thema. Das war vor einigen Jahren noch nicht so brisant. Man kann ein Werk ja auch von den verschiedensten Seiten betrachten, und es erschließt sich dann ganz neu. Ich mache das jetzt wieder mit meinem Dream-Team, Hans Dieter Schaal und Marie-Luise Strandt. Und ich finde es erstaunlich, dass man im selben Team und jeder einzeln immer wieder neue interessante Ansätze findet, die sich in der praktischen Arbeit als kreativ erweisen.

Idamante

Es gibt in den Mozart-Opern ja einige Konstanten. Hier im „Idomeneo“ sind sie schon sehr präsent. Und du hast sie auch deutlich herausgearbeitet: der Konflikt mit dem Vater und mit Frauen, die mit der Wirklichkeit nicht recht klarkommen.

Es zeichnet große Werke aus, dass sie archetypische menschliche Konflikte und Dramen zeigen, die immer wieder passieren in jeder Gesellschaftsordnung, in jeder Zeit. Und insofern reicht das Denken dann zurück bis in die antike, vorchristliche Welt – mit den Menschenopfern zum Beispiel – und in die jüngste Vergangenheit und in die Zukunft. Die Reflektionen in den Werken blättern ja immer alle Seiten des Lebens auf. Sie halten uns den Spiegel vor und zeigen uns, was und wie wir sind und was wir tun. Was daraus entsteht und was wir davon lernen können, das zeichnet die Werke aus. Deshalb werden wir sie immer wieder spielen.

Elektra

Eine Szene ist da ganz prägnant, wenn der aus dem Krieg heimgekehrte König Idomeneo wieder sein Amt übernehmen soll und dann – wie im Schluss von „Don Giovanni“ – sich einige ungebetene Gäste dazu mit an den Tisch setzen.

Die Einsamkeit und die Gedanken, die man ja auch Furien nennen könnte, die einen verfolgen und heimsuchen im Privatesten, Innersten – die Folgen unserer Handlungen müssen wir selbst tragen. Wir können das nicht delegieren an jemand anderen. Was wir tun, müssen wir tragen und ertragen, wir sind selbst verantwortlich für die Auswirkungen unseres Tuns. Das habe ich inszeniert, indem die Menschen, um die der Idomeneo kreist, die in dem engsten Konfliktfeld um ihn herum sind, sich zu ihm an den Küchentisch setzen. Aber er kann das Problem nicht lösen, er endet unterm Tisch und weiß nicht weiter. Er ist am Ende, und aus diesem Ende kann ein neuer Anfang erwachsen.

Poseidon-Idomeneo

Ein ganz besonderer Akzent liegt hier auf der Figur der Elektra. Sie ist ja aus Griechenland nach Kreta geflohen, hoffte den Idomeneo oder seinen Sohn Idamante heiraten zu können und hier sozusagen eine neue Heimat zu finden. Aber sie muss der Trojaner-Prinzessin Ilia, eigentlich eine Gefangene, den Vortritt lassen.

Die Machtfrage zwischen zwei ohnmächtigen Frauen wird da behandelt. Das ist schon ein sehr spannendes Thema: wie man umgeht mit seiner eigenen Ohnmacht. Dass man eigentlich nichts ändern kann. Dass man nicht in einer Position ist, wo man die Strippen ziehen kann. Sondern man ist ausgeliefert den Ereignissen, die einen überrollen. Und es wird gezeigt, wie unterschiedlich man damit umgehen kann und wie man sich selbst schädigen oder retten kann.

Arbace-Idomeneo

Im Blick auf Elektra gibt es auch praktisch einen neuen Schluss: ohne lieto fine, wie es für die barocke Opern-Kultur noch üblich war, zu der „Idomeneo“ noch etwas gehört. Was ist da jetzt anders bei diesem Schluss?

Die Schluss-Arie der Elektra ist ja zur Uraufführung in München 1781 gestrichen worden. Weil Mozart darin das Ereignisfeld der Psyche und der Tragweite, was einen Menschen zum Wahnsinn treibt, so ausufernd und toll komponiert hat, dass danach eigentlich nichts mehr stattfinden kann. Und es war damals ja noch Ballett angesagt. Was nach der Arie kommt, die Verkündigung der neuen Zeit und der Hochzeits-Jubelchor, fallen dann ab, und es entsteht kein sinnvoller Schluss. Deshalb versuchen wir das Stück mit dieser großen Arie zu enden, wo die Elektra sich psychisch in den Untergang singt. Sie steigert sich immer mehr ins Negative, ins Zerstörerische. Sie bringt sich in eine Situation, wo sie sich selbst und die ganze Welt so hasst, dass sie alles zerstören möchte und daran wahnsinnig wird. Parallel dazu inszeniere ich die Hochzeit des jungen Paars, Ilia und Idamante, die einen Hauch von Glück erleben, während die Elektra in ihrem Unglück ertrinkt.

Elektra

Die Oper hat ja eine merkwürdige Aktualität. Es geht um einen Herrscher, der aus selbstsüchtigen Gründen einen Fehler begangen hat. Und es muss ihm von außen klar gemacht werden, dass er Konsequenzen ziehen und abdanken muss. Heute nicht gerade eine Selbstverständlichkeit.

Wir lernen ja im besten Fall von der Reaktion der anderen. Wir sehen uns ja nicht. Wir sind nicht gewohnt, der inneren Stimme, die uns warnt, zu folgen. Diese innere Stimme ist ganz leise. Wir überhören sie, und besonders wenn man unter Druck, gejagt und beobachtet ist wie die Kings von heute. Aber jeder Mensch hat die Freiheit, auf dieses innere Bewusstsein und dies innere klare Gefühl zu achten. Ich kann dies oder jenes tun, ich habe die Wahl, auch wenn ich scheinbar gezwungen bin – jetzt den Brexit durchzusetzen. Aber ich habe genauso die Wahl, ich danke ab oder ich übergebe oder ich ändere mein Vorgehen oder ich lege das Gewicht auf ganz andere Dinge. Insofern ist es eine richtige Lehr-Oper, dieser „Idomeneo“.

Tschechien ist – nach Estland, Österreich, USA – das vierte Ausland, in dem du Oper inszenierst bzw. inszeniert hast. Was ist hier besonders?

Was die Sänger und den Chor anbelangt, lief es ganz erstaunlich gut. Sie sind auf europäischem Niveau, ganz bereit und offen. Es hat großen Spaß gemacht, mit den Künstlern zu arbeiten. Das ist, wie man’s sich wünscht, und dafür bin ich auch sehr dankbar. Die anderen Umstände im Theater sind sehr besonders und in keinem Haus, in dem wir bisher gearbeitet haben, so schwierig, unstrukturiert. Das erschwert die Arbeit. Trotzdem hat sich das Theater große Mühe gegeben, uns Möglichkeiten zu eröffnen, die hier sonst nicht möglich sind. Wir werden es schon schaffen.

Idomante-Idomeneo-Hohepriester

Fotos: © Martina Root; Interview: gfk, 22.02.2019