Es ist, als ob man einen Stein ins Wasser wirft. Du berührst eine Stelle, und sofort schwingt der Raum. In dem Stück ist so viel geschichtet an Erfahrungen, Gefühlen, Gedanken. Es macht in jeder Hinsicht Erstaunen, es ist genial.
Das habe ich nie empfunden. Adam ist der Sündenfall Mensch, er ist das, wozu wir fähig sind in der ganzen Bandbreite vom schurkischen zum fantasievollen, sehr liebevollen Schwerenöter Mensch. Im Adam werden wir vorgeführt: wie wir unseren Bedürfnissen erliegen, den Gefühlen hinter her hecheln, Angst haben vorm Alter und darum an die Jugend uns ran machen – im Großen wie im Kleinen; wie wir mit allem Witz uns aus der Not heraus manövrieren, unsere Stellung ausnutzen, um mit dem Arsch an die Wand zu kommen. An Adam wird eigentlich auch Staat abgehandelt.
Es hat sich mir hergestellt beim Lesen von Kleist, der ja im Märkischen Sand sich getötet hat. Der Sand ist eine Metapher für Zeit, auf Sand gebaut, für das ewige, sich ständig verändernde aber nicht Fassbare, was wir Staat, Gesetze oder Gerechtigkeit nennen: Also ein fließender Übergang von Zeit, Raum und den Dingen, die da ablaufen. Es ist ein Bild dafür, dass wir immer wieder was bauen wollen in den Sand, und dann geht der Wind darüber, und alles ist verwischt.
Ich bin schon sehr erstaunt, wie sich in der Arbeit diese Oper erschließt als ganz trächtiges Material fürs Theater. Ich war am Anfang gar nicht begeistert und wollte auch den Intendanten und den GMD umstimmen, was anderes zu wählen. Aber ich bin sehr dankbar, dass sie sich nicht haben umstimmen lassen. Das Akustische im Theater ist was sehr Spezifisches, nicht vergleichbar mit Konzertmusik. Die Musik wirkt erst zusammen mit dem szenischen Vorgang und zeigt da ihre Qualitäten. Das war ein Prozess. Es ist eine sehr schöne Theatermusik.
Aufsatz, den sicheren Weg des Glücks zu finden, und ungestört, auch unter den größten Drangsalen des Lebens, ihn zu genießen!
So titelte der 21-Jährige Heinrich von Kleist (1777-1811) eine Schrift, die so etwas wie ein Grundsatzprogramm war. Die preußische Armee, in die er als 15-Jähriger gesteckt wurde, um die Familienkasse der armen landlosen Adelsfamilie zu entlasten, versuchte er schnellstens wieder zu verlassen. Er wollte studieren, den Reichtum der Bildung finden – ein wie zerrissener, ja schüchterner Mensch er auch war. Kleists Antwort auf die von ihm selbst gestellte Frage: Reichtum allein macht nicht glücklich. Das Glück wohnt eher in den Hütten der Armen. Und es erwächst aus einem Lebenswandel „auf dem Pfad der Tugend“.
Ist der Dorfrichter Adam, der nächtens in die Kammer der unbescholtenen Eve eindringt, ihr vorlügt, nur mit einem Attest von seiner Hand könne sie verhindern, dass ihr Liebster Ruprecht dem Wehrdienst in der fernen Kolonie Batavia und damit dem sicheren Tod entgeht, und der mit dieser Lüge ihr ein Stelldichein abringen will – ist er ein moralischer Mensch? Wohl kaum. Aber er ist auch kein Mensch, den der Autor Kleist vorverurteilt. Adam ist ein Gezeichneter. Er hat einen Bocksfuß wie Ödipus. Die Spuren, die er hinterlässt, sind deutlich. Wie ein Münchhausen weiß er zu jonglieren, immer fantastischer zu fabulieren, als er seine eigene Verfehlung aufklären soll. Und dass er von Eve und ihrer Reinheit fasziniert ist, dass er gerade sie besitzen will, wenigstens für eine Nacht – es adelt auch ihn.
Kleist schrieb den Zerbrochenen Krug in den Jahren 1802-1806. Eine Wette unter Freunden in der Schweiz brachte ihn auf das Thema: Der Kupferstich Le Juge ou la Cruche cassée (Der Richter oder der zerbrochene Krug) von Jean Jacques Le Veau. Die Freunde glaubten ihm nicht, dass er eine Komödie werde schreiben können. Und der Geheime Rat Goethe, der Anfang 1808 immerhin sich einließ, das Manuskript auf seinem Theater zu spielen, war davon vollkommen überzeugt. Ein „unsichtbares“ Theater nannte er dies blitzende Wortgefecht, in dem eine penetrant auf ihrem „Recht“ beharrende Alte (Marthe) gegen Alles wütet, was ihr in den Weg kommt – auch wenn’s die eigene Tochter ist. Die Weimarer Hofgesellschaft war pikiert über die Kritik an den staatlichen Organen, wie sie sich in dem nur scheinbar vorurteilslosen Gerichtsrat Walter und dem karrieregeilen Adam-Adlatus, dem Schreiber Licht, darstellten.
Den Großteil des Textes schrieb Kleist, als er nach vielen Irr- und Umwegen, das ersehnte Glück zu finden – Reisen ins gelobte Land der Revolution, Frankreich, dessen Hauptstadt Paris ihm dann eher wie ein abstoßender Moloch erschien; in die Schweiz, wo er mal einen Bauernhof kaufen will, um in der Nachfolge Rousseaus das einfache Leben zu genießen, mal als Barrikadenkämpfer sich versuchen will; dann wieder Frankreich, wo er in der Armee Bonapartes gegen England kämpfen möchte, um dann aber bald doch hinter die Kulissen des skrupellosen Diktators zu blicken –, den Großteil des Zerbrochenen Krugs schrieb Kleist in Königsberg. Klamm bei Kasse, peilte er ein Amt im preußischen Staatsdienst an. Auf Vorschlag der Reformer Stein und Hardenberg sollte er sich vorbereiten auf einen Job als eine Art Walter-Figur. Er sollte Ver-Waltungsrecht studieren, um in den fränkischen Provinzen Preußens (Bayreuth-Ansbach) den Gang der Landreform und damit die Entmachtung der Junker zu überwachen.
Doch rechtzeitig wurde Kleist „krank“. Den Dienst trat er nie an. Als Herausgeber einer Zeitschrift in Dresden und dann sogar einer Zeitung in Berlin versuchte er sich noch. Beide Unternehmungen endeten desaströs. Die Veröffentlichung des Zerbrochenen Krug in Buchform 1811 brachte noch etwas Geld. Den Schluss hatte Kleist leicht verkürzt. Das Zwielicht des Zweifels über dem Gerichtsrat Walter entschärfte der Autor etwas. Die Rehabilitation des Stücks gegen das Weimarer Verdikt besorgte vier Jahrzehnte später Friedrich Hebbel, der meinte, nur ein Publikum, nicht ein solcher Text könne hier durchfallen. Im November 1811 hat Kleist sein Leben beendet mit einer krebskranken Freundin, Henriette Vogel. Von ihrem Mann verstoßen, hatte sie ihn gebeten, ihr den Tod zu geben. In einer Erdkuhle am Wannsee erschoss er nach einer fröhlichen Nacht erst sie dann sich. Seiner Halbschwester Ulrike schrieb er zum Abschied: „…die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.“
Was hat den Komponisten Fritz Geißler gereizt an diesem Autor, an diesem Stück? Geißler (1921-1984) stammt aus einfachen Verhältnissen. Über die Stadtpfeiferei, erste Berufserfahrungen als Kaffeehausgeiger in Leipzig, wird er 1940 eingezogen zum Militär. Die militärische Karriere endet früh in englischer Gefangenschaft in Guernsey, wo er bei der Militärkapelle mitspielen darf. Nach dem Krieg 1948 kehrt er zurück nach Leipzig. Er beginnt noch mal zu studieren, bekommt zwei Jahre später eine Bratscherstelle in Gotha. Eine Handverletzung zwingt ihn erneut zu wechseln. Noch einmal studiert er: nun bei Boris Blacher in Berlin (West). Darmstadt, Donaueschingen – immer wieder versucht er sich bei Besuchen auch im Westen zu informieren, obwohl er selbst in einem musikalischen Idiom zwischen Hindemith und Bartók zu komponieren beginnt.
Der Zerbrochene Krug ist seine erste Oper, komponiert in den Jahren 1968/69. Drei Ballettmusiken gingen als Arbeiten für die Bühne voraus. Aus dem Jahre 1956 datiert eine Sinfonische Burleske Schwejk. Das Schwejkische ist eine Konstante in Geißlers Biografie. Brav komponiert er zu Partei- und Staatsfeiertagen Sinfonien und Oratorien. Aber er nimmt sich auch den zu jenen DDR-Zeiten durchaus nicht sehr gelittenen Heinrich von Kleist vor mit seiner Kritik am korrupten Staatsapparat, wo im Hause des Richters Adam Akten und Würste, Privates und Dienstliches wild durcheinander wirbeln und der Aufseher Walter Mühe hat, den Eklat zu vertuschen. Unvollendet hinterlassen ist von Geißler die Idee, das Doktor Faustus-Libretto von Hanns Eisler zu vertonen, jene Anti-Goethesche Faust-Version, die als Kritik am SED-Sozialismus der 50-iger Jahre verstanden und schon im Entstehungsprozess abgewürgt wurde und die erst jetzt von Geißlers Schüler Fritz Schenker auskomponiert wurde. Hoffnung auf bessere Himmel heißt Geißlers letztes vollendetes Werk, ein Oratorium.
Im Krug experimentiert Geißler mit einer dem Schönbergschen Sprechgesang angenäherten Methode, Aleatorik genannt (von "alea" = der Würfel). Weitgehend frei nach dem Duktus der Worte können die Sänger hier ihre Partien gestalten. Das 11-köpfige Orchester spannt darunter eine Art Klangband oder setzt gliedernde Akzente. Den Tonfall der Darsteller in der Krug-Verfilmung von Gustav Ucicky nach dem Drehbuch von Thea von Harbou mit Emil Jannings als Dorfrichter (1937) wollte Geißler imitieren. Am 28.August 1971 in Leipzig wurde der Krug uraufgeführt und blieb zehn Jahre im Programm des Kellertheaters. Es war Geißlers mit hundert Reprisen erfolgreichste Oper. Den Weg der Aleatorik beschritt er in seinen beiden folgenden Opern nicht weiter: Der verrückte Jourdain, eine schelmische Rossiniade nach Molière, war die eine (1973), Der Schatten nach Jewgenij Schwarz, eine politische Parabel gegen die Pinochet-Junta in Chile, war die andere (1974). In der Sinfonik seiner späten Jahre versuchte Geißler gar eine Rückkehr ins spätromantische Idiom, von der Kritik damals zwiespältig aufgenommen.
Für die Regie lässt Geißlers offene Form viel Freiraum. Die Inszenierung wird versuchen, einiges von dem, was zwischen den Zeilen steht, was an Text teils vom Komponisten, teils vom Autor selber gestrichen wurde, spielerisch zu vergegenwärtigen. Die zeitliche Ebene ist die eines Umbruchs. Der Untergrund schwankt. Kleist selbst hat es angedeutet mit dem von Marthe so ausführlich beschriebenen Bild auf dem Krug: Nicht nur der Krug, ein Weltbild zerbricht hier, das mittelalterliche Kaiser Karls V. Kleist zitiert es als Metapher auf seine Zeit, die der Französischen Revolution. Auch das Jahr 1971 markiert in der DDR einen Umschwung, das Ende der Ära Ulbricht. Die Frage, die sich immer stellt in solchen Situationen, auch heute: Was passiert mit den Menschen? Genügt es, wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sich ändern? Eve repräsentiert am ehesten den Willen zum Neuen. Kann sie durchhalten? Was passiert mit den beiden Liebenden nach Ruprechts Rückkehr? Wird Eve Walters Werben standhalten?