Das ist ungewöhnlich: dass eine Inszenierung innerhalb des Theaters von einer Bühne auf eine andere versetzt wird, mit gänzlich anderen Dimensionen. Das geschah der Zauberoper „Alcina" von Händel am Mecklenburgischen Staatstheater, deren erste Fassung im vergangenen Herbst im E-Werk Premiere hatte. Nun, ein halbes Jahr später, hat die Regisseurin Arila Siegert ihre damalige Kammerfassung auf die technisch erneuerte Bühne im Großen Haus übertragen. Die Ästhetik ihrer Inszenierung hat sie beibehalten, und sie hat mit denselben Sängerdarstellern gearbeitet. Dennoch zeigte die neuerliche Premiere am Freitagabend, dass von der großen Bühne eine ganz andere Wirkung ausgeht. Man kommt nicht umhin, den Vergleich anzustellen...
Diese verworrene Geschichte erzählt die Regisseurin in einer ausgefeilten Kultur langsamer, ausdrucksstark choreografierter Bewegungen und in symbolträchtigen Bildern. Sie stellt den Kubus schief, denn mit dem ersten Blick auf die Bühne sind alle Dinge auf der Liebesinsel in Schieflage. So kann das Auge gar nicht mehr ausmachen, was wirklich aus dem Lot ist, die Menschen oder ihr Gehäuse. Aber die schiefe Position zeigt auch die erdrückende Last des ganz auf Liebesmacht ausgerichteten Reiches. Sie scheint Ruggiero zu zermalmen, als er sich vor Bradamante in dem schmalen Spalt unter dem Palastfundament versteckt. Und wie ein Schiff im Ozean versinkt der Palast am Schluss mit Alcina in den Tiefen der Bühnenmaschinerie, während das verlobte Paar sich bar jeden Ausdrucks von Glück in das Boot zurückzieht, mit dem Bradamante auf die Insel stieß...
...Während der Umbauphase des Theaters fanden die Premiere und einige Aufführungen der Inszenierung von ARILA SIEGERT auf der Studiobühne des E-Werks statt. Die Regisseurin präsentierte die Handlung hier als psychologisches Kammerspiel in einem lebendig stilisierten szenischen Rahmen mit wenigen Versatzstücken, wobei sie Geschmack und Stilgefühl bewies (Bühne: HANS DIETER SCHAAL). Der Stoff wurde so näher an das Publikum und ans Heute herangetragen. Eine sympathische, in ihrer unaffektierten Natürlichkeit stimmige Interpretation, in der die Figuren durch choreographierte Bewegung lebendig wurden und hier Rollenverwirklichungen gelangen, die so diskutabel wie theatralisch wirksam und ungemein zeitgenössisch, nicht museal wirkten...
Zu einem Ereignis hörens- und sehenswerten Musiktheaters wurde auch die überzeugende Verwirklichung der Wirrungen, Irrungen und Entwirrungen der Liebes-, Rache- und Erlösungshandlung in einer zweiten szenischen Fassung für die Bühne des Großen Hauses, die ebenfalls durch ästhetische Qualität beeindruckte.
Sehr engagiert und genau leitete MARTIN SCHELHAAS die Mecklenburgische Staatskapelle, wobei sein Gespür für kammermusikalische Finessen deutlich spürbar ist. Da beeindruckte unprätentiöser höchst lebendiger, eleganter Händel-Klang...
Zur Kammerfassung:
Das Drama auf einer Insel der Liebe inszenierte die Regisseurin Arila Siegert für die Bühne im E-Werk des Mecklenburgischen Staatstheaters als Kammerstück von berührender Nähe. Mochte es auch schwer fallen, sich das Werk in die Enge dieser Spielstätte versetzt vorzustellen, so wurde die Premiere am Freitagabend doch mit langem, begeistertem Applaus gefeiert...
...In Schwerin hat sich Arila Siegert an das Stück gewagt – gewagt, weil sie es gleich zweimal inszenieren muss. In der ersten Version für das kleine E-Werk, in der zweiten für das noch wegen Bauarbeiten geschlossene Große Haus. Da wird am 5.März Premiere sein. In der Kammerspiel-Variante konnte die Konzeption von Arila Siegert und ihrer Ausstatterin Marie-Luise Strandt absolut überzeugen...
Die Regie erzählt die Oper als logische Geschichte um Liebe, Lust und Schmerz. Die Königin Alcina (beeindruckend interpretiert und gesungen von Hyon Lee in der Balance von absoluter Herrscherin und verzweifelnd Liebender) lockt Männer auf ihre Insel. Sie macht sie zu Liebessklaven, um sie, wenn sie ihrer überdrüssig geworden ist, in Tiere zu verwandeln. Das sollte auch das Schicksal sein von Ruggiero (stimmlich und darstellerisch bravourös in dieser Hosenrolle die spanische Mezzosopranistin Itziar Lesaka). Die sonst so selbstsüchtig ihre Macht ausübende Alcina hat sich in Ruggiero verliebt, was sie hilflos und angreifbar macht...
Opernwelt, Ausgabe 04/2010
SCHWERIN: Alcina, 5. März 2010
Autor: R. Erkens
...Es war sicher ein Wagnis, Händels musikalisch so reiche und szenisch so aufwändig zu realisierende Partitur für eine räumlich beengte Spielstätte wie das E-Werk einzurichten und auf das Format einer Kammeroper zu stutzen; für die Übernahme ins Große Haus allerdings wäre eine Zurücknahme dieser Eingriffe wünschenswert gewesen...
Vorbericht: Karin Erichsen,
in:
NDR 1, Kulturjournal, 23.Okt.2009
Ein breites Bett mit Pelzen und Seidenstoffen steht inmitten von rostigen Eisentreppen, gefließten Wänden und den Stahlträgern der alten Industriehalle. Das ist das Inselreich der schönen Zauberin Alcina. Ein weißer Tüllschleier trennt den Zuschauerraum von der Bühne und Alcina von der realen Welt. Mit wenigen Mitteln hat Bühnenbildnerin Marie-Luise Strandt eine skurrile Kulisse geschaffen, die das Innere der Figuren wiederspiegeln soll.
STRANDT: Der entscheidende Punkt ist natürlich immer die Möglichkeit des Theaters, des Budgets. Das war hier verdammt klein. Ich habe pro Kostüm, pro Figur 120 Euro. Und da muss ich sehr genau überlegen, wie gehe ich damit um? Das Äußere ist ja eigentlich in diesem Stück gar nicht so wichtig. Es geht ja um den Zustand der Figuren. Die knallen alle aufeinander in großer Liebe, großer Verzweiflung und großem Schmerz.
Regisseurin Arila Siegert stellt in ihrer Inszenierung zwei Frauen in den Mittelpunkt, Alcina und deren Gegenspielerin Bradamante. Beide kämpfen mit ungleichen Waffen um die Liebe des Ritters Ruggiero.
SIEGERT: Die Alcina – ihr Wertesystem ist Lust, weibliche Schönheit, die verzaubert, weibliche Intelligenz, die nicht auf Logik basiert. Und das Wertesystem von Bradamante ist das männliche, die Ehre, man muss die Familienehre retten. Und deshalb muss man die anderen alle tot machen. Und das inszeniere ich.
Die männliche Hauptrolle, ebenfalls gespielt von einer Frau, von der baskischen Mezzosopranistin Itziar Lesaka, bleibt in dieser Inszenierung seltsam blass – obwohl der Ritter Ruggiero in Händels Oper eigentlich der strahlende Held ist, der das verwunschene Zauberreich der Alcina schließlich zerstört.
SIEGERT: Da er zwischen diesen beiden Welten hin und her schwankt, verliert er an Kontur, indem er erst zu Alcina steht und an ihr hängt, und dann sie verteufelt und in die andere Richtung auspendelt. Das ist doch auch das Problem von uns, wenn wir jung sind, dass wir noch nicht recht wissen, was ist eigentlich für mich wichtig.
Siegert sucht die Verbindung von der Barockzeit in die Gegenwart. Sie wirft mit ihrer Lesart der Oper die Frage auf: haben wir uns in den letzten dreihundert Jahren eigentlich in irgendeiner Weise fortentwickelt? Oder beginnt das gleiche Spiel immer wieder von vorn?
SIEGERT: Und insofern springen wir zum Schluss in unser Zeitalter hinein und fragen uns: und was machen wir jetzt mit unseren tollen Möglichkeiten?
Sichtbar am Bühnenrand spielt ein zwanzigköpfiges Ensemble der Mecklenburgischen Staatskapelle, unterstützt von Barockexperten an Theorbe und Cembalo. Die Leitung hat Kapellmeister Martin Schelhaas.
SCHELHAAS: Im Prinzip ist das ganze Orchester jetzt natürlich kein Spezialisten-Orchester für Barockmusik. Aber das ist nun schon in relativ kurzer Zeit die dritte Händel-Oper, die wir hier am Staatstheater machen. Wir spielen zwar nicht auf alten Instrumenten mit Darmsaiten und alten Barockbögen. Aber wir bemühen uns natürlich auch mit den modernen Instrumenten, die barocke Artikulation zu machen und lebendige Barockmusik zu spielen.
Tatsächlich wird die Erfahrung des Orchesters mit der historischen Musizierweise deutlich hörbar. Das Ensemble erzeugt einen erstaunlich satten und klaren Barockklang.