...Die Regie von Arila Siegert vermeidet das historische Spektakel. Da Siegert, früher Ballerina der Semperoper, von der Tanzschule der Gret Palucca geprägt ist, setzt sie auf skulpturhafte Körpersprache und überlässt die Bewegungsenergien dem Gesang. Auf schmaler Vorbühne ziehen die bedrohten Juden in Zeitlupe vorbei. Sparsam wird aktualisiert, wenn der Marsch der Juden in die Gefangenschaft mit dem Stempel im Pass einsetzt. Hans Dieter Schaal baut einen Raum aus orientalischen Gewölben mit Durchblicken und Explosionsloch... Ovationen für die entlegene Neuentdeckung.
Ein rundum empfehlenswertes Theatererlebnis ist die Mainzer „La Giuditta“. Inszeniert von der Tänzerin Arila Siegert, lebt Alessandro Scarlattis szenisches Oratorium hier durch ausdrucksstarke Choreographien ebenso wie durch die Musik, für die alle Beteiligten ein großes Lob verdienen...
Der Schluss zeigt den Menschen, nicht mehr die alttestamentarische Heldin. Abseits der feierenden Israeliten sitzt Judith mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes. Zärtlich singt sie diesem Kopf ein Wiegenlied, hüllt ihn ein in ihren Schleier. Stockholm-Syndrom, Verbrüderung mit dem Peiniger? Oder nur Menschlichkeit einem Mann gegenüber, mit dem sie eine halbe Nacht verbrachte?
Alessandro Scarlatti ließ 1693 sein Oratorium „La Giuditta“ natürlich nicht so offen, so offenherzig enden. Das „Schlafe, schlafe“-Lied stammt aus einer späteren Überarbeitung des Werkes, hier singt es die Amme für den noch lebenden Tyrannen. Regisseurin Arila Siegert aber wollte für ihre Inszenierung für das Mainzer Staatstheater zum einen nicht auf dieses wunderbare Detail verzichten. Zum anderen gab das Schlaf-Lied ihr die Möglichkeit, eine neue Farbe in die biblische Schwarz-Weiß-Geschichte zu bekommen. Eine Farbe der Nachdenklichkeit...
Das Herz schlägt Judith hörbar bis zum Hals. Sie liegt neben dem schlafenden Holofernes. Schon tastet sie nach seinem Schwert um ihn zu töten. Doch der Feldherr wacht immer wieder auf. Noch zweimal wird Judith den Tyrannen in den Schlaf wiegen müssen, bevor er endgültig ermattet – im wahrsten Sinne der Musik. In langsamer chromatischer Abwärtsbewegung lässt Alessandro Scarlatti den starken Feldherren sanft entschlafen. Judith spricht ihr letztes feierliches Gebet und schlägt ihm den Kopf ab.
Unkonventionell packend ton-malt Alessandro Scarlatti den biblischen Tyrannenmord in seinem Oratorium „La Giuditta“, entwickelt in schnellen Wechseln aus Arien, Duetten und Rezitativen eine stringente Geschichte mit runden Charakteren. Das Oratorium wird zur Oper sozusagen im geistlichen Talar. Gerade so wurde die Gattung Oratorium auch allgemein verstanden, als „Giuditta“ 1694 nach einem Libretto des Kardinals Pietro Ottoboni in Rom uraufgeführt wurde. Es macht also durchaus Sinn, Scarlattis geistliche Oper in Szene zu setzen.
Im Staatstheater Mainz ist es die Tänzerin Arila Siegert, die „Giuditta“ dabei sozusagen choreografiert, spürbar inspiriert von ihrer früheren Lehrerin, der Ausdruckstänzerin Gret Palucca. Die anfangs noch ängstlich kauernde Judith zieht sich selbst an ihrem langen Haarschopf hoch, um die Initiative zu ergreifen, während ihre schwarz gewandeten Leidensgenossen gestenreich aber tatenlos in Zeitlupe über die Bühne prozessieren oder gleich ganz in ihrem Bewegungsdrang erstarren.
Als sei Oper Film, wird Holofernes im Hintergrund dazu geblendet. Hinter einem durchsichtigen Vorhang, der die Bühne in Vorder- und Hinter-Raum unterteilt nimmt er die besetzte Stadt in Beschlag – bei Bühnenbildner Hans Dieter Schaal eine Art Bunkerraum aus hellem Beton mit zerstörter Rückwand...
Wenn die siegreiche Judith ihrem Fürsten schließlich den Kopf des Holofernes bringt, lässt Ozia sie zunächst großzügig auf seinem Thron sitzen, während die Israeliten hinter ihrem Rücken bereits munkeln und dabei im festlichen Abschlusschor sozusagen „in die Fugen“ geraten. Dann schieben sie sich gegenseitig den Kopf des Holofernes zu, bis er wieder in Judiths Schoß landet. Ein bezeichnendes Bild: alle haben zwar von dem Tyrannenmord profitiert, doch mit verantworten wollen sie ihn dann lieber nicht.
So entsteht unter Arila Siegerts Regie eine sehenswerte, manchmal etwas bilder-überladene Inszenierung mit überraschendem Ende. Denn hinter den Schlusschor stellt sie noch eine melancholische Arie aus Scarlattis zweiter Oratorien-Fassung. Judith hockt einsam am Bühnenrand, den Kopf des Holofernes im Schoß. Und in der Ferne dräuen bereits die Kanonenfeuer eines neuen Machtkampfes.
Was bei Scarlatti im Freudentaumel untergeht, denkt Arila Siegert intelligent zu Ende. Mit dem Tyrannenmord sind die politischen Probleme längst noch nicht gelöst. Für die integere Judith aber war der Mord letztlich eine Gewissenstat – und vielleicht hat sie sogar ein wenig ihr Herz verloren an Holofernes, wenn sie mehrdeutig singt „Schlafe, du strahlender Held des Krieges“.
Eine aus mehreren Gründen außergewöhnliche Opernproduktion feierte am Wochenende in Mainz Premiere: Zum einen führt Alessandro Scarlattis „La Giuditta“ die Serie von szenischen Aufführungen von Oratorien fort, die am Staatstheater vor sechs Jahren mit Händels „Saul“ begann. Zum Zweiten erwies sich das Werk selbst als veritable Wiederentdeckung. Und nicht zuletzt ist „La Giuditta“ die bisher wohl anspruchsvollste Produktion des Mainzer Staatstheaters, die mehrheitlich Mitglieder des Jungen Ensembles in den Mittelpunkt stellt.
...Arila Siegert erzählt die Geschichte der Judith als ewig-gültige Leidensgeschichte des jüdischen Volkes. Das alles mit deutlichem Fingerzeig (das entwürdigende Stempeln der Pässe der scheinbar Unterlegenen), aber ohne moralischen Zeigefinger: Eine schwierige Gratwanderung, die der Regisseurin im Team mit Bühnenbildner Hans Dieter Schaal und Kostümbildnerin Susanne Meier-Staufen beeindruckend gelingt...
Selten gespielte Stücke sind eine feine Möglichkeit für Nachwuchssänger, Bühnenerfahrung zu sammeln. Die Bilder im Kopf des Publikums sind weniger präsent, die Erwartungen schlanker und die Räume für Interpretation offener, Alessandro Scarlattis Oratorium „La Giuditta“ ist ein solches Werk; im 18. Jahrhundert äußerst behebt, wird es heute kaum mehr gespielt. Seit Samstag ist es im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz zu sehen, erarbeitet in Kooperation mit der Hochschule für Musik der Johannes Gutenberg-Universität.
Fünf Sänger der Hochschule und des Jungen Ensembles am Staatstheater singen das von Arila Siegert inszenierte Oratorium, das den Auftakt zu einer Trilogie über drei Spielzeiten hinweg bildet. Das Theater wird unter dem Motto „Gottes starke Töchter“ unbekannte Werke des Barock, der Frühklassik und eine Uraufführung zeigen. „La Giuditta“ gehen die Sänger mit Ehrgeiz, Schwung und musikalischer Tiefe an - Zuhören und Zuschauen macht Lust auf mehr...
...Der Regisseurin Arila Siegert ist in Mainz eine sehr kühne und gleichzeitig feinsinnige Inszenierung gelungen, die reich an starken Momenten ist...
...Die Inszenierung von Arila Siegert zeigt sich als überaus konzentriert und besticht durch eine klare Personenführung, die mitunter etwas schablonenhaft wirkt, gerade dadurch jedoch an Reiz gewinnt. Außerdem setzt sie auf Symbolkraft...
Ein Überraschungserfolg am Kleinen Haus des Staatstheaters: „Ausverkauft!“ hieß es zur zweiten Vorstellung der Produktion „La Giuditta“ nach dem Oratorium von Alessandro Scarlatti – durchaus nicht selbstverständlich für ein dermaßen selten zu hörendes Werk...
…Stilisiert und körperbetont agieren die jungen Mainzer Sänger. Abgesehen von wenigen Momenten gelingen der Regisseurin und gelernten Tänzerin Arila Siegert prägnante szenische Bilder. Die Kampfhandlungen beginnen in Zeitlupe und erstarren vor der schwarz-weißen Bunkerarchitektur (Bühnenbild: Hans Dieter Schaal). Eine wehende Tüllgardine trennt den Tempelbereich der Juden vom Befehlsstand der Besatzer. Die gläubige Judith kämpft für Gott und ihr Vaterland. Um den feindlichen Feldherrn zu erobern, legt sie die Witwentracht ab, erstrahlt in bräutlichem Weiß und schmückt sich mit goldenen Ketten (Kostüme: Susanne Maier-Staufen)...
…Wer sich von Scarlatti als Opernkomponist einen ersten Eindruck verschaffen will, dem bietet das Mainzer Staatstheater dazu beste Gelegenheit: Die Tänzerin und Choreographin Arila Siegert setzte das vergessene Oratorium „La Giuditta“ in Szene. Die längst fälligen, sensationelle „Ausgrabung“ erweist sich als kostbare Perle...