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Zur Premiere bei der EXPO, 9.Juli 2000

Dramatisch expressiv und betörend schön

Der Meister und Margarita auf der Expo

Andreas Waczkat in der Ostsee-Zeitung, 11.Juli 2000

Mit der Produktion von Sergej Slonimskis Kammeroper Der Meister und Margarita hat das Rostocker Volkstheater eine äußerst beeindruckende künstlerische Visitenkarte auf der Expo abgegeben. Als eines von fünfzehn bundesdeutschen Theatern im Deutschen Pavillon porträtiert, brachte das Ensemble in einer Inszenierung von Arila Siegert das im kommunistischen Russland unterdrückte Werk zu seiner deutschsprachigen Erstaufführung: Nach öffentlicher Generalprobe am Samstag fand die mit Begeisterung aufgenommene Premiere am Sonntag Abend statt - trotz zeitgleicher prominent besetzter Konzerte des Ensemble Modern oder der Klarinettistin Sabine Meyer übrigens vor ausverkauften Rängen.

Ein vehementer Fürsprecher dieser Oper nach der gleichnamigen, seinerzeit ebenfalls auf der Zensurliste stehenden Romanvorlage von Michail Bulgakow, ist Rostocks ehemaliger Generalmusikdirektor Michail Jurowski. Dass Jurowski nach der Uraufführung vor rund zehn Jahren nun auch die musikalische Leitung dieser Inszenierung übernommen hat, darf man getrost als Glücksfall bezeichnen: Slonimskis Tonsprache, die mit geringen Mitteln eine gewaltige Palette von Stimmungen erzeugt, findet in Jurowski einen hoch sensiblen Sachwalter. Höchste dramatische Expressivität, skurriler Humor, auch einfach nur betörend schön klingende Passagen wechseln auf engstem Raum einander ab. In äußerst durchsichtiger Instrumentation erwartet die Musik damit von den zwanzig Orchestermusikern hohe Virtuosität ebenso wie bisweilen geduldiges Warten auf den nächsten Einsatz. Der Meister und Margarita ist ein tief religiöses Werk. In zwei parallelen Handlungssträngen erzählt es von dem Meister, der einen Roman über Pontius Pilatus geschrieben hat und sich dafür vehementer atheistischer Kritik ausgesetzt sieht. Der zweite Handlungsstrang gehört dem Aufgeschriebenen: Der Kreuzestod Jesu Christi, die Schuld des Pilatus und seine verspätete Reue. Bevor sich beide Stränge am Ende zu einer wahren Apotheose treffen, bewegt sich nur der Teufel in Gestalt des Magiers Voland zwischen ihnen, mit dem Margarita einen Pakt schließt. Sie wird zur Hexe und ermöglicht durch ihr (zeitweiliges) Opfer die Rettung des geliebten Meisters.

Arila Siegert inszeniert das surreale Nebeneinander ebenfalls in zwei Ebenen. Flankiert von der realen Welt des Meisters zur Linken und Margaritas zur Rechten, ereignet sich die ungleichzeitige Gegenwart in einem abstrakten Raum in der Bühnenmitte. Drei bewegliche Wände und ein Gazevorhang genügen hier, um eine Vielzahl verschiedener Situationen zuzulassen. Gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Marie-Luise Strandt gelingt der Regisseurin eine intensive und äußerst sinnfällige Umsetzung des dramatischen Konzepts. Unterstrichen wird dies noch durch die Live-Malerei von Helge Leiberg, der mit Wasserfarben auf projizierten Folien das Bühnenbild und seine Stimmung im Wortsinne ausmalt und damit für einen hohen sinnlichen Reiz sorgt. Neben der eindrücklichen Inszenierung hatte die musikalische Umsetzung maßgeblichen Anteil am Erfolg des Projekts. Neben den famosen Solisten des Orchesters bestachen die Sänger mit ausgezeichneten Leistungen. Aukse Bulkiene gab eine anrührende Margarita und ließ großes Potenzial erkennen: Großer Beifall war ihr nicht nur deswegen sicher, weil sie die einzige weibliche Rolle in dieser ansonsten ausschließlich männlich dominierten Oper hatte. Olaf Lemme als Meister, Tomas Möwes als Voland und besonders Thomas Oertel als Jeschua verdienten sich ebenso reichlichen Beifall in einem insgesamt auf sehr hohem Niveau ausgeglichenen Ensemble. In der Summe: ein sehr anspruchsvolles Theater-Porträt - die Expo macht's möglich.


Beklemmende Choreografie

S.Slonimskis Meister und Margarita im Deutschen Pavillon

Ludolf Baucke, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 11.07.2000

...Der Glücksfall einer aus musikalischer Überhöhung gespeisten Literaturoper wurde durch die szenische Präsentation so nachhaltig verstärkt, dass das hervorragend besuchte und viel bejubelte Gastspiel des Volkstheaters Rostock deutlich in Erinnerung haften bleiben wird...

ders. in Neue Musik Zeitung 9/2000

...Vom Bühnentanz kommend inszenierte Arila Siegert diese Kammeroper, die sich von schaler Veroperung löst und immer wieder auf extrem kammermusikalische Gestik sich beschränkt als beklemmende Choreografie von Raumdispositionen und Bewegungsabläufen...


Manuskripte brennen nicht

S.Slonimskis Bulgakow-Oper
Der Meister und Margarita
auf der Expo

Bernd Feuchtner in Opernwelt Heft 9/10 (Sept./Okt.2000)

So mühsam ... ein Besuch der Hannoveraner EXPO ... auch ist, immer wieder findet man dort durch Zufall doch Ereignisse der Sonderklasse.... Slonimski war ein Querkopf..., der mit der Zwölftonmusik experimentierte, als sie noch immer als westlich-dekadent verurteilt wurde.... Schostakowitsch hielt viel von dem jungen Kollegen, er lobte die Oper... Er hatte den verwandten Geist erkannt, einen spekulativen Musiker, der die russische wie die europäische Kultur philosophisch reflektierte. An "Der Meister und Amrgarita" begeisterte Slonimski vor allem die Verschränkung russischer und deutscher Literatur - Gogol und Dostojewski auf der einen Seite, Goethe und E.T.A.Hoffmann auf der anderen satnden Pate bei diesen wunderlichen Ereignissen in der schlimmen Zeit der Sowjetunion... Bemerkenswert die Schlichtheit der Mittel, denn eigentlich hat Slonimski eine Anti-Oper geschrieben, eine Kammeroper für kleines Ensemble, das zudem sehr selten seinen vollen Klang zeigt.

Der kleine Studiosaal gibt die Einfachheit der Szene vor. Marie-Luise Strandt hat einen Guckkasten ohne Deckel bauen lassen, dessen beide Seiten beweglich sind, und für die Akteure hat sie Kleidung entworfen, die dem heutigen Alltag nahe ist und vor allem ins Lehmfarbene spielt. Das erweist sich als nützlich für ein weiteres ungewöhnliches Element dieser Aufführung: Der Maler Helge Leiberg zeichnet während des Spiels spontan mit Aquarellpinsel auf eine Overhead-Folie und gibt damit zurückhaltende, bisweilen auch deutliche Kommentare zum Geschehen... Wie Leiberg die Inszenierung übermalt, so könnte man auch von einer Übermalung von Bulgakows Roman durch Slonimski sprechen. In jedem Fall ist es eine szenische Meditation über Motive des Romans... Michail Jurowski leitet das kleine Ensemble mit Klarheit und Nachdruck an. Zwei der Musiker dürfen als Trabanten Volands sogar mit auf die Bühne: Hans-Michael Westphal und Thomas Freiwald führen damit eine elegante ironische Brechnung ein. Die Choreografin Arila Siegert lässt dies alles mit der gleichen noblen Zurückhaltung spielen. Um so mehr wirken die dramatischen Gelenkpunkte, bei denen Thomas Oertel (Jeschua) und Bernd-Michael Krause (Judas) besonders berühren.... Carsten Sabrowski gestaltet Pilatus, vielleicht die interessanteste Figur der Oper, sehr souverän, er wird allenfalls von Thomas Möwes als undurchsichtigem Voland übertrumpft.

Olaf Lemme gestaltet die Leidensfigur des Meisrters gewiss mit Nachdruck, die stärkste Wirkung geht dennoch von Margarita aus, die Aukse Bulkiene mit stimmlicher Intensität und Sicherheit als reife, emanzipierte Frau darstellt, die vor keiner Exzentrizität zurückschreckt, wenn sie nur ihre Liebe rettet - die ewige, selige Liebe, an die sie unbedingt glaubt. Nun, am Ende... bekommt sie ja auch, was sie will. Der Meister erhält von Voland seinen Roman zurück... Und Margarita erhält ihren Meister, jauchzend in den höchsten Tönen... Dann können die beiden Bühnenflanken zugeklappt werden, der Meister und Margarita verschwinden im Schrein ihrer Privatheit.


Der Teufel kommt nach Moskau

Dt.EA von Sergej Slonimskis Oper Der Meister und Margarita bei der Expo in Hannover

Stefan Melle, in: Berliner Zeitung, 11.Juli 2000

Die umfangreiche Beteiligung ostdeutscher Bühnen beim Zyklus "Theaterporträt" im Deutschen Expo-Pavillon darf man als Wertschätzung verstehen. Freilich können all die Auftritte der Theater aus Cottbus, Meiningen oder nun letzten Sonntag das Volkstheater Rostock mit ihrem Erfolg auch darüber hinwegtäuschen, dass in den neuen Ländern immer mehr Bühnen geschlossen werden. Mecklenburg-Vorpommern hat von einst fünf Dreispartentheatern lediglich zwei erhalten, die Schweriner Philharmonie ist heute schon fast vergessen, und das leidlich verschonte Rostocker Ensemble wartet weiter auf sein dringend nötiges neues Haus. Das Rostocker Theater gilt als kreativ, die Norddeutsche Philharmonie hat unter Michail Jurowski, der inzwischen nach Leipzig gewechselt ist, einige Güte erlangt. Den Auftritt auf der Weltausstellung verdanken die Hansestädter zudem ihrem ungewöhnlichen, von Jurowski initiierten Projekt: Arila Siegert inszenierte die deutsche Erstaufführung einer Oper des russischen Komponisten Sergej Slonimski nach Michail Bulgakows faustischem Fantasieroman "Der Meister und Margarita". 1991 fand in Dresden zwar bereits eine Aufführung statt, doch nur "halb konzertant" (Slonimski) und ohne wesentlichen Nachhall.

Den Romanstoff für die Bühne zu bearbeiten ist heikel, weil seine Eigenart gerade in der vielgestaltigen Verzahnung verschiedener Ebenen besteht. Ungeachtet der Schwierigkeiten hat der Stoff mehrmals als Vorlage gedient, unter anderem stellten York Höller 1989 in Paris und Rainer Kunad 1986 in Karlsruhe Opernfassungen vor, letzterer in der Regie von Jurij Ljubimow, dessen Version am Moskauer Taganka-Theater den Roman mit berühmt gemacht hat. Slonimskis Oper war die früheste, schon 1972 vollendete er die Partitur. Anschließend freilich versenkte er sie bis 1989 in der Schublade, nachdem Leningrader Kulturfunktionäre heftig gegen das Werk polemisierten und ein Verbot anstand. Slonimski begriff die Vorwürfe immer als repressiv-kulturlos, aber er bekennt auch, dass sie weder ausbleiben konnten noch sollten: "Dass da einer aus dem Roman immer das Politischste, Kritischste, Satirischste herausnimmt, durfte nicht sein", meint er in Hannover. So wiederholte sich an Slonimskis Oper jener jahrzehntelange Verschluss des fertigen Werkes, den zuvor schon Bulgakows Romanvorlage erlitt. Eben in Slonimskis Bündelung des Politischen aber besteht auch die Schwäche seiner Kammeroper. Herausgefallen ist fast alles, was die Sinnlichkeit bei Bulgakow erst ausmacht. Bulgakow beschreibt den Einbruch des Teufels in das bolschewistische Moskau der 20er-Jahre als ein Fegefeuer der Buntheit, des Märchenhaften, der Lust und auch der Gewalt. In diesem Moskau lebt Bulgakows "Meister", ein Autor, der innerhalb des Romans seinerseits ein Buch schreibt, einen historischen Roman, in dem der stille Glaube Jeshuas an den guten Menschen zwar der irdischen Ratlosigkeit Pontius Pilatus und den Einflüsterungen des Hohepriesters unterliegt, aber doch das Stärkere scheint. Der Meister selbst verbrennt bei den ersten Anfeindungen der Literaturfunktionäre seinen Roman und landet wie sein opportunistischer Kollege Iwan Hauslos in der Irrenanstalt. Frei kommt er erst, als seine Geliebte Margarita sich beim Teufel als Hexe andient und beide all jene Bürokraten, Gauner, Kleinbürger bloßstellen, strafen, verlachen, die bisher auf fremde Kosten schleckten.

Slonimski sieht das als antik tragödisches Geschehen. Entsprechend stattet er in der Oper jede Figur mit einem instrumentalen Doppel aus - das Cello für den Meister, Geige und Harfe für Margarita, die Klarinette für den Statthalter und so fort -, die als Seelenspiegel der Personagen monodische Linien zu langen Dialogen spinnen. Von ferne erklingt dazu gelegentlich ein himmlischer Chor vom Band. Oft geht all das sehr gemessen, auch bei Konflikten eher erzählend voran. Erst spät wird der Tonsatz dichter und auch mal schroff, fast grell bei der Kreuzigung Jeshua und dem grotesken Höllenball, den Arila Siegert neben das Verrücktwerden des Meisters stellt. Aber es fehlt der Oper, obgleich die 18 Musiker unter Jurowski prägnant, mit Engagement und ideenreich spielen, an Zauber und Pracht. Denn Bulgakow schuf neben der inhaltlichen auch eine stilistische Mehrschichtigkeit, setzte neben die antikisierende Welt jene von Glamour und Fantasie - ein nicht minder politischer Gegenentwurf zum puritanischen Vulgäratheismus der Bolschewiki. Die Befreiung, die das auch für Bulgakow selbst bedeutete, gelingt Slonimski, bis heute ein leiser, fast schüchterner Mensch, offenbar nicht. Er bleibt in der Reflexion des repressiven Staates gefangen und kann oder will dabei nicht lachen. Arila Siegerts Inszenierung und die sparsame, zugleich intelligente Ausstattung von Marie-Luise Strandt mildern dieses Konzept einerseits ab, andererseits bedienen sie es. So ist Siegerts Teufel kein verschmutzter Stubenhocker wie bei Bulgakow, sondern nur einseitig adrett und aufrecht wie ein Rechtsprofessor. Dagegen zeichnet sie den "vernünftigen" Literaten Berlioz als primitiven Proleten. In Gestalt der zwei Musiker gewinnt Siegert immerhin die lakonischen Teufelsgeister Kater Behemot und Korowjew, von Slonimski nur instrumentiert, für die Bühne, doch wirkungsarm.

Für die antike Parallelerzählung stellt Strandt einen Dreieckskasten mit klappbaren Wänden ins Bühnenzentrum, die Gegenwart spielt auf den Über Projektoren leuchtet der Maler Helge Leiberg zudem live gemalte naive Zeichnungen auf die Bühnenflächen, die so symbolisch eingesetzte wechselnde Farben und einige zeichenhafte Striche erhalten, etwa ein Gitter, wenn den Pilatus wieder Kopfschmerz plagt. Das ist schlicht, aber für die Bewegung der Inszenierung gut, zumal alle außer der hellblau gekleideten Margarita blasse, weiße, graue oder grüne Kostüme tragen. An Kleinigkeiten zeigt Siegert, wie es in den Personen aussieht, wie sehr sich etwa auch die Höflinge beider Zeiten gleichen. Was die Inszenierung schließlich auszeichnet, sind etliche sehr gute Sänger und Darsteller, allen voran die junge Litauerin Aukse Bulkiene als naiv-laszive Margarita, Thomas Möwes als selbstgewisser, delikater Voland und Carsten Sabrowski als grüblerisch-jähzorniger Pilatus.


Die Frage nach Schuld, Verrat und Verzeihen

Meister und Margarita auf der Expo

dpa in Schweriner Volkszeitung, 11.07.2000

Das Bühnenbild wechselt ständig - und kommt doch fast ohne Requisiten aus. Die Schauspieler sind grau gekleidet und überzeugen durch ihre Stimmen... Die rund 300 Zuschauer belohnten die Inszenierung der Berliner Regisseurin Arila Siegert mit lang anhaltendem Applaus... Mit ihrer modernen Inszenierung will die Regisseurin zeigen, wie ein Mensch seine schöpferische Kraft entfaltet und in die Tat umsetzt.Die Handlung wird durch den sich ständig verändernden Bühnenhintergrund unterstützt. Der Maler Helge Leiberg entwickelt das Bild während der laufenden Aufführung mit einfachen Pinselstrichen, die mit einem Oberlichtprojektor auf die Wände geworfen werden.


Meister und Margarita

S.Mauß in Opernglas 10/2000

...dass großes Theater nicht unbedingt mit der Größe des Theaters korreliert, zeigte das Volkstheater Rostock mit der Deutschen Erstaufführung von Sergej Slonimskis Meister und Margarita... Rostocks ehemaliger GMD Michail Jurowski ... war maßgeblich an der deutschen Fassung der Oper beteiligt... Slonimski findet für den Stoff eine kongeniale Tonsprache... Ein...Glücksfall für das Werk ist seine szenische Umsetzung durch ... Arila Siegert. Ihre choreografische Personenführung ... verstärkt den Ausdruck von Text und Musik zusätzlich. Marie-Luise Strandts nach allen Seiten offene Bühnenbilder ließen noch Platz für eine weitere Sensation. Der Berliner Maler Helge Leiberg malte "live" während der Vorstellung Aquarelle auf Overhead-Projektoren, die auf diese Bühnenbilder projiziert wurden. Ein frappierender Effekt... Auch die Sänger ließen keine Wünsche offen... Insgesamt boten die Rostocker einen intensiven Theaterabend, der ohne Zweifel noch länger in den Köpfen der Besucher nachwirkte...


Zur Rostocker Premiere, 6.Oktober 2000

Volkstheater setzt noch Zeichen

Meister und Margarita erregend und anregend

Heinz-Jürgen Staszak in Schweriner Volkszeitung, 9.10.2000

Nun hat das Volkstheater doch noch ein deutliches Zeichen gesetzt, mit der es sich als Anstalt eingreifender und aufstörender Kunst kenntlich machen will... Der Meister und Margarita markiert auf irritierende Weise das dornige Feld der modernen Kunst in den politischen Auseinandersetzungen des 20.Jahrhunderts. Sein Name ist Verhinderung... Slonimskis Oper kondensiert das verwirrende Gewebe [des Romans] zu einem Kammerspiel... Sie "entsurrealisiert" gewissermaßen..., und diesen Weg geht auch die Musik... 13 Solisten der Norddeutschen Philharmonie musizieren sie unter der Leitung von Michail Jurowski ... in schöner Klarheit. Das Sängerensemble, verstärkt durch mehrere Gäste, singt mit hohem Engagement. Die Entdeckung des Abends ist die junge Aukse Bulkiene, die mit darstellerischer Begabung und hoher Musikalität der Margarita ein faszinierendes Profil gibt. Die Inszenierung von Arila Siegert ... vermeidet psychologischen Naturalismus ebenso wie eine Überschwemmung mit symbolisch-fantastischen Bildern... Und dann gewinnt die Szene doch noch eine surrealistische Dimension: der Maler Helge Leiberg überdeckt die szenische Darstellung mit gerade entstehenden Bildentwürfen: Skizzen, Ornamenten, Farbenspielen - man muss es gesehen haben, besonders den Beginn des zweiten Akts mit der Kreuzigung Jesu und dem anschließenden Teufelsbacchanal. Es ist vornehmlich dieser Kunstgriff, der der ganzen Oper schließlich doch das erregende und anregende Faszinosum und Geheimnis des Theatralischen gibt.


Theater im Kopf

Vom Buch auf die Bühne: Meister und Margarita in Rostock

Irene Thüngler im DLF-Musikjournal, 16.10.2000

...Die Orchestersolisten musizierten unter Michail Jurowskis Leitung sehr präzise und mit der für diese Musik unbedingt notwendigen Präsenz... Die himmelhoch getriebene Partie der Margarita wurde von Aukse Bulkiene mit messerscharfer Diktion gesungen... Arila Siegerts nie forcierende Inszenierung korrespondoierte mit der fein gesponnenen Musik und ließ den Sängern sehr viel Raum, ihre Figuren bis ins Detail zu formen...


Opernglas, Ausgabe 10/2000
EXPO – HANNOVER, Meister und Margarita
9. Juli 2000 • Deutscher Pavillon
Autor: S. Mauss

Dass der Deutsche Pavillon auf der Weltausstellung in Hannover doch deutlich mehr zu bieten hat als ein paar überdimensionale Gipsköpfe prominenter Deutscher in der Lobby, zeigt deutlich das Kulturprogramm im dortigen Theatersaal.

Und dass großes Theater nicht unbedingt mit der Größe des Theaters korreliert, zeigte das Volkstheater Rostock mit der Deutschen Erstaufführung von Sergej Slonimskis »Meister und Margarita«. Das schon 1972 entstandene Werk galt zu seiner Entstehungszeit als nicht unbedingt systemkonform in der damaligen UdSSR und wurde erst 17 Jahre später publiziert. Rostocks ehemaliger GMD Michail Jurowski, inzwischen musikalischer Leiter der Oper in Leipzig, setzt sich seit längerem als Freund Slonimskis für das Werk ein (er hatte es schon konzertant in Dresden aufgeführt) und war nun auch maßgeblich an der deutschen Fassung der Oper beteiligt.

Das Werk basiert auf Michail Bulgakows gleichnamigem „Kultroman“, der erst nach seinem Tod im Jahr 1967 veröffentlicht wurde und eine scharfe Satire auf die gesellschaftlichen Strukturen in der damaligen Sowjetunion darstellt.

Der Meister schreibt an einem Roman über Pontius Pilatus, der über die Schuld nicht hinwegkommt, Jesus entgegen seiner eigenen Überzeugung zum Tode verurteilt zu haben. Ein Gespräch zwischen Pilatus und Christus schließlich löst in dem Roman des Meisters diese Schuld. Während die Geliebte des Meisters, Margarita, die Veröffentlichung dieses Romans vorantreibt und sich dafür sogar mit dem Teufel (in der Person des Magiers Voland) einlässt, arbeiten die Kulturfunktionäre genau dagegen an. Zum skurrilen Schluss zaubert just der Teufel das vom Meister verbrannte Manuskript wieder herbei.

Slonimski findet für diesen faszinierenden Stoff eine kongeniale Tonsprache. In seinem Kammerorchester sind alle Instrumente nur einmal vorhanden, mit Ausnahme der doppelten Harfen, und werden somit zwangsweise solistisch behandelt. Mit frappierendem Effekt. Slonimski zwingt den Hörer jederzeit zum Hinhören und setzt Tutti-Effekte nur ausgesprochen sparsam ein. Das Ergebnis ist ein unerhört konzentriertes Klangbild, das virtuos mit den verschiedensten Klangstilen vom Volkslied bis zur Zwölftonreihe spielt. Die Leitmotivik wird durch die Zuordnung einzelner Instrumente zu den einzelnen Charakteren verstärkt. So erscheint diese Musik gleichsam zeitlos, ohne dabei antiquiert zu wirken, wie es die Hannoveraner jüngst bei Volker David Kirchners ungleich aufwändigerem EXPO-Projekt »Gilgamesh« vor Ohren geführt bekamen.

Ein weiterer Glücksfall für das Werk ist seine szenische Umsetzung durch die vom Tanz kommende Regisseurin Arila Siegert. Ihre choreografische Personenführung bekommt diesem Stück ausgesprochen gut und verstärkt den Ausdruck von Text und Musik zusätzlich. Marie-Luise Strandts nach allen Seiten offene Bühnenbilder ließen auch noch Platz für eine weitere Sensation. Der Berliner Maler Helge Leiberg malte „live“ während der Vorstellung Aquarelle auf Overhead-Projektoren, die auf diese Bühnenbilder projiziert wurden. Ein frappierender Effekt, den man in Hannover noch aus dem Vorjahr in bester Erinnerung hatte, als Leiberg bei den „Tagen der Neuen Musik“ Schönbergs »Pierrot Lunaire« auf die gleiche Art und Weise „illustrierte“. Wenn es beim Brand des Literaturhauses beispielsweise so aussieht, als würden die Sänger in roter Farbe ertrinken, sind das Effekte, denen sich kein Zuschauer entziehen kann. Mit einfachsten Mitteln gelingen hier Bilder, die lange im Gedächtnis bleiben.

Und auch musikalisch geriet dieser »Meister« meisterhaft. Michail Jurowski war am Pult der hervorragend disponierten Norddeutschen Philharmonie Rostock der musikalische Spiritus Rector des Unternehmens, und auch die Sänger ließen keine Wünsche offen. Die junge Sopranistin Aukse Bulkiene war stimmlich und darstellerisch eine sehr intensive Margarita, wenngleich eine gewisse Schärfe in der Höhe nicht zu überhören war. Olaf Lemmes introvertierter „Meister“ war ihr stimmlich wie szenisch ein hervorragendes Pendant. Und Tomas Möwes’ diabolischer Voland gewann dem Teufel auch einige menschliche Seiten ab. Auch Carsten Sabrowski als von Gewissensbissen gepeinigter Pilatus sowie Thomas Oertels geradliniger Jeschua boten fesselnde Rollenporträts.

Insgesamt boten die Rostocker einen intensiven Theaterabend, der ohne Zweifel noch länger in den Köpfen der Besucher nachwirkte - was man leider nicht von vielen „Events“ auf der Weltausstellung behaupten konnte.