Zustände wie im alter Rom. Erst brennt das Kapitol, dann schwitzt das Volk im Dampfbad. Kaiser Tito hat den von Vitellia angezettelten und von deren Marionette Sesto angeführten Anschlag überlebt. Da darf er sich schon mal entspannen: in der antiken Badewanne, Traubenverzehrend. Tito, der dreimal eine andere Frau als Braut benennt und damit seinen Freundeskreis verwirrt, bleibt überhaupt locker. Er joggt gern und tanzt mit seinen Untertanen Faschingspolonaise.
Dabei leidet er an der Macht, weil sie kein Trost ist gegen fehlende Liebe. Er hat die Macht gewissermaßen satt - deshalb begnadigt er unentwegt. Kurzum: dieser Tito ist ein trauriger Operettenheld. Aber am Ende hat die Gast-Regisseurin Arila Siegert ein Einsehen mit ihm. Der Staatsdiener Publio knallt ihn ab. Das hatte zwar Mozart anders gemeint - aber schließlich musste er 1791 mit La clemenza di Tito auch eine repräsentative Unterhaltung für die Krönung von Leopold II zum König von Böhmen schreiben... Fehlende Werktreue aber wäre das Letzte, was man Arila Siegert vorwerfen darf. Dass sie dieser Opera seria misstraut, ist ihr gutes Recht. Ihre klare, heutige Botschaft also: Der brutale Staat duldet keinen milden Herrscher...
Zwei drehbare Kuben genügen Hans-Dieter Schaal, um ein Bühnenbild zu kreieren: Innerhalb weniger Takte verwandeln sich die Würfel vom Forum ins private Treppenhaus, vom römischen Bad in die kalte Imperatoren-Villa. In der ersten Szene schwebt davor ein Gazevorhang; der trennt den darbenden Sextus von der ehrgeizigen Vitellia. Siegert macht so gleich zu Beginn die dramaturgische Schwäche des Werkes, die Distanz der Figuren zueinander, sichtbar und findet zugleich ein schönes Bild für Sextus' Abhängigkeit von seiner hysterisch intriganten Geliebten. "Regola i motti miei" singt Sextus ("Bestimm du meine Gefühle") und hebt dazu hölzern die Arme, während Vitellia wie eine Puppenspielerin hinter ihm steht und an unsichtbaren Fäden zieht...
Die Leiden des Sextus müsste die Oper eigentlich in dieser Inszenierung heißen: Die Regisseurin konzentriert die Handlung ganz auf den gehetzten Liebenden und dessen Dilemma zwischen Freundestreu und Liebesschwur. Titus, der es ohnehin schwer hat, in seiner Milde nicht als schwächlicher Langweiler dazustehen, wird bei ihr zur marginalen Witzfigur. Vielleicht kann man in Zeiten, in denen Staatsmänner auf die Größe von Schmiergeld-Komödianten oder Wetten-dass-Komparsen zusammenschrumpfen, nicht mehr glaubhaft den tragischen Konflikt eines Kaisers zwischen kalter Staatsräson und privater Freundschaft inszenieren...
...Arila Siegert misstraut...von Anfang an dieser Geschichte und zieht auch mutig und provokant ihre ganz persönliche Konsequenz. Unter den Lobeshymnen des in die Vollen gehenden Chores lässt sie mit intuitivem Gespür für Realpolitik den mild-laschen Kaiser meucheln. Mit diesem finalen Todesschuss...setzt [sie] sich auch (selbst)bewusst über das vorgegebene Libretto von Caterino Mazzolà hinweg... Aus Mozarts aufklärerischem Titus (der Philosoph auf dem Herrscherthron!) [wird so] eine fast schon tagesaktuelle realistische Politstory...
...Ulm hat den Bogen zum Heute hervorragend heraus. Das Produktionsteam Arila Siegert (Inszenierung), Hans Dieter Schaal (Bühnenbild) und Marie-Luise Strandt (Kostüme) haben die Oper Titus musikalisch im Original belassen, sie aber in der Inszenierung rundum erneuert. Schaal, aus Neu-Ulm stammender, gefragter Bühnenkünstler zwischen Berlin und New York, der aus alter Anhänglichkeit immer "mal wieder in Ulm was macht", ist ein Verfechter des klaren modernen, farblich möglichst einheitlichen Stils. Monumentales liegt ihm, und so entwirft er zwei riesige Räume aus weißem Marmor, die (ineinander veschiebbar) Palast, Forum, Wohnstätte, Sauna werden. Auf Hauptspielebenen und Nebenplätzen meistern Sängerinnen und Sänger sowie Chor und Extrachor die schwierige Regie hervorragend - in Kostümen, die heutigem Stil entsprechen...
...Die Inszenierung ist etwas fürs Auge. Zwei Kuben, die sowohl Treppenaufgänge als auch Seelengehäuse sind, werden in den unterschiedlichsten Konstellationen gedreht, zueinander gestellt und attraktiv beleuchtet. So gelingen eindrucksvolle Massenszenen, unerwartete Durchblicke und auch intime Begegnungen. Das Ganze ist keineswegs frei von Ironie und schießt manchmal über das Ziel hinaus. Über den joggenden Kaiser und seinen Hofstaat lässt sich streiten. Eine schöne Idee ist der als Engel verkleidete Todesgedanke, anrührend getanzt und dargestellt von Adelheid B. Strelick. Ansonsten lebt die Oper, in der die Handlung nur in den deutsch gesungenen Rezitativen vorangetrieben wird, von der darstellerischen und vor allem sängerischen Qualität der Solisten... Ein Muss für Opern-Fans. Riesenbeifall am Ende.