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Über die Liebe findet sie zu sich selbst

Regisseurin Arila Siegert bringt Verdis "La Traviata" am Theater Regensburg auf die Bühne.
Das Publikum jubelte bei der Premiere am Samstag.

Von Gerhard Heldt, MZ (Mittelbayerische Zeitung, Regensburg, 16.05.2011)

Verdis "La Traviata" (die vom rechten Weg Abgekommene) ist ein Pflichtstück im Repertoire eines Theaters mit der Leistungskraft, wie das Theater Regensburg sie in den vergangenen Jahren zeigte. Nach "Lohengrin" und "Die tote Stadt" eigentlich eine leichtere Übung, könnte man meinen. Aber Verdi verlangt die gleiche Aufmerksamkeit wie die beiden vorgenannten Werke. Für Regie und Ausstattung hatte man zwei prominente Gäste gewinnen können: die von Gret Paluccas Ausdruckstanz kommende Arila Siegert als Regisseurin und ihre europaweit gefragte Ausstatterin Marie-Luise Strandt. Beide hoben nun das Werk aus der Sicht einer Frau auf die Bühne, und es entwickelte sich im Verlauf des Abends, an dem alle zunehmend sicherer wurden, ein spannendes Drama um das Liebespaar Violetta Valéry und Alfredo Germont - sie eine in Paris auf höchster gesellschaftlicher Ebene agierende junge Kurtisane, er ein schwärmerischer, sein Idol bislang aus der Ferne verehrender junger Dichter, Sohn des ebenso wohlhabenden wie bigotten Giorgio Germont.

Marie-Luise Strandts Bühne ist in allen vier Bildern eine nach vorn offene halbrunde Arena, Kampfplatz für das Ausleben der Klischees der hüftwackelnden Pariser Schickimicki-Clique, aber auch für die widerstreitenden Gefühle der jungen Liebenden. Am Ende sind alle Verlierer, jeder auf seine Weise: Violetta, obwohl sie zu echtem Gefühl gefunden hat, das sie nicht kannte; Alfredo, indem er verliert, was er gerade glaubte gefunden zu haben. Vater Germont, der larmoyante Heuchler, der mit seinem Versuch, das Paar mit terzengeschwängerter Scheinheiligkeit auseinanderzubringen, letztlich scheitert, findet am Ende einen Scheinweg zu aufgesetzter Reue. Er ist und bleibt trotz seiner vermeintlich schönen, in Wirklichkeit aber zynischen Arie "Di provenza il mar" unsympathisch. Auch seine Versöhnung mit Violetta vermag diesen Eindruck nicht mehr zu ändern.

Den Sängern des Abends gebührt - neben dem fabelhaft aufgelegten Philharmonischen Orchester unter dem umsichtig-souverän leitenden Philip van Buren und dem exzellent singenden Chor das erste Lob. Chor und der Extrachor setzten darüber hinaus souverän eine Choreographie um, die das stereotype Verhalten der Männergesellschaft verdeutlicht. Die sängerische Spitzenleistung des Abends lieferte Theodora Varga in der Titelpartie. Sie war Violetta, durchlebte stimmlich wie gestalterisch intensiv das Schicksal der jungen Pariser Lebedame, die über die Liebe zu Alfredo zu sich selbst findet. Hierzu bot sie betörende Pianissimo-Spitzentöne wie auch strahlende Forte-Passagen und wunderbar leichte Koloraturen, steigerte sich von Akt zu Akt. Enrico Lee stemmte seine Partie als ihr Geliebter mit anfangs zu viel Kraft, später auch mit lyrischem Schmelz. Adam Kruzel ging seinen Vater-Part als "Bösewicht" zunächst mit forcierten Jago-Tönen an, besann sich aber bald auf seine lyrischen Qualitäten.

Vielleicht hätte die Regie zwei wichtige Momente etwas mehr ausleuchten können: Wenn Violetta Alfredo eine Kamelienblüte überreicht, er fragt, wann er wiederkommen darf und sie ihm antwortet: "Wenn sie verblüht ist". Seine Reaktion "Oh ciel! domani" (O Himmel, morgen) ist der Beginn einer großen Liebe, was durch Violettas Arie "È strano" (Es ist seltsam) unterstrichen wird. Der zweite große Moment dieser Liebe wird evident, als Alfredo sie als käuflich vor der ganzen Gesellschaft brüskiert und sie ihm als Antwort ihre unverbrüchlich treue Liebe gesteht; auch dieser Moment hätte noch klarer gezeichnet sein können. Dass sich Violetta nach ihrem Tod erhebt und aus der Szene schreitet, meint wohl ein Bild für ihren Übergang in ein anderes Leben, das eigens zu zeigen es nicht bedurft hätte. Doch sind das in der klaren Grundhaltung, die das Produktionsteam vorstellt, Marginalien.

Den finalen Jubel löste insbesondere die geschlossene Gesamtleistung aus, in die sich die singenden Darsteller kleinerer Partien einfügten: Misaki Ono (Flora), Ruth Müller (Annina), Cameron Becker (Gaston), Matthias Degen (Douphol), Ruben Gerson (`d'Obigny), Sung-Heon Ha (Doktor Grenvil) sowie Christian Schossig, Tobias Hänschke und Sang-Sun Lee als Diener bzw. als Bote. Gewinnerin war am Ende aber Theodora Varga als junge Frau, die nicht vom Weg abkommt, sondern ihn durch die Wirrnisse einer verzweifelnden Liebe mühsam findet, und sich, als sie ihn endlich im Tod gefunden hat, nicht mehr von ihm abbringen lässt. Noch ein ganz großer Abend in dieser Spielzeit!


Raschelndes Kleid auf nacktem Beton

Max Auberger, 17.Mai 2011 (www.regensburg-digital.de)

La Traviata, die große Oper von Guiseppe Verdi, stellt die Doppelzüngigkeit der männlich dominierten Gesellschaft im 19. Jahrhundert aus. „Die vom Wege Abgekommene“ ist nämlich eigentlich keine: Mätresse ist damals in der Tat eine der wenigen – wenn auch nur halbwegs geduldeten – Möglichkeiten für Frauen, dem Fluch einer reichen Heirat oder der sonst zwingend folgenden Armut zu entkommen. Wenn schon ökonomische Abhängigkeiten, so die Logik von La Traviata, dann doch bitte mild gedämpft durch rauschende Partys der Pariser Elite und ordentlich viel zu trinken. Der Preis, der dafür zu zahlen ist, ist selbstverständlich alles andere als gering: Gefühle haben in dem Leben einer käuflichen Dame nichts zu suchen.

Umso pikanter ist es denn, dass sich Violetta Valéry (gesungen von Theodora Varga) vom jungen Adligen Alfredo (Enrico Lee) umgarnen lässt, der sie wider allen besseren Wissens zur Liebe verleitet. Sehenden Auges rennt Violetta in ihr privates Liebesglück, das gleichzeitig ihren finanziellen Ruin bedeutet: Ohne die finanzielle Unterstützung ihrer Gönner gehen die Geldvorräte zusehends zur Neige. So muss sie ihren Hausrat verhökern, während ihr privilegierter Lover auf Wolken geht und erst von der Haushälterin (Ruth Müller) darauf hingewiesen werden muss, dass er vielleicht auch mal etwas zum Familieneinkommen beitragen könnte.

Die Bühne, entworfen von Marie-Luise Strandt, kann getrost als in Beton gegossene Verbildlichung der allgemeinen grauen Wirklichkeit gelesen werden, gegen die die Partygänger vergeblich versuchen, Stimmung zu machen. Vergeblich raschelt auch Violettas Kleid gegen die unnachgiebigen Stufen und Kanten an, dessen blutroter Stoff sie in der farblosen Masse von Anzugträgern und vor der Mauer wie ein Makel herausstechen lässt. Die Frau ist hier das Andere, untergeordnet der von Männern gemachten und dominierten Gesellschaft, der sie sich bitteschön zu unterwerfen hat – aber mit Stil. Die ungleichmäßige Verteilung von Geld und Macht und die damit verbundenen Freiheiten und Abhängigkeiten sind dann auch zentrale bildliche Motive der von Arila Siegert inszenierten Oper, die am Theater Regensburg noch bis zum 21. Juli zu sehen ist.

Violetta hat eigentlich gar keine andere Wahl, als stetig und beständig die Opferrolle anzunehmen, weil sie ohne die Männer und deren Geld nicht überleben kann. So abhängig ist sie, dass sie ihre Motive gar nicht mehr hinterfragt, sondern geduldig die Zerstörung ihres Lebens als gegebene Konsequenz und als eigentlich irgendwie ihre Schuld hinnimmt. Wieder und wieder beugt sie sich ihrem vermeintlichen Schicksal, erst in Gestalt von Alfredos Vater (Adam Kruzel), der die Verbindung der beiden Liebenden unterbinden will, und dann in Form des eifersüchtigen Alfredo, der sie öffentlich schasst und ihr das Geld, das sie liebend für ihn aufgewandt hat, als Bezahlung für ihre angebliche Dienstleistung um die Ohren pfeffert.

Natürlich besinnen sich die Herrschaften kurz vor dem Tode Violettas noch eben rasch auf ihre gute Erziehung und eilen an das Krankenbett. Violetta kann Alfredo noch selbstlos an die nächste Braut empfehlen, bevor sie – endlich und verdient – sterben darf. Denn erst im Tod, das macht das letzte kraftvolle Bild in dieser Inszenierung klar, ist Violetta wirklich frei: Hier gibt es keine Abhängigkeiten, kein Geld und keine sozialen Doppeldeutigkeiten. Während die Männer sich jammernd auf ihre sterblichen Überreste werfen und beteuern, wie sehr sie sie dann doch lieben und brauchen, steht sie auf und geht davon – alleine, ohne Bedauern und ohne sich noch einmal nach den Menschen umzudrehen, die ihr das Leben zur Hölle gemacht haben. Sie braucht sie jetzt nicht mehr.


Giuseppe Verdis „La Traviata” am Theater Regensburg

Kein Mitleid mit Anita Ekberg

Uwe Mitsching, in: Bayerische Staatszeitung, 20.05.2011

Was man in einer „La Traviata“ heute sowieso nicht mehr erwartet, sind Pomp und Plüsch der Bonbonnieren-Belle Epoche; eher schon herbstlichen Laubwald wie in Venedig, einen vergammelten Gemeindesaal wie in Paris, oder man lässt die Kameliendame gleich über die Bahnhofsgleise irren wie kürzlich in Zürich.

Null Stimmung erwartete man nach den ersten Fotos von der Regensburger Neuinszenierung: Verdi in einer Beton-Arena. Aber es kam ganz anders: Das variable graue Rund der Bühnenbildnerin Marie-Luise Strandt wurde durch Martin Stevens' Lichteinfälle und die einfallsreiche Regie von Arila Siegert zu einer zwar stimmungsvollen, manchmal vor Erregung berstenden, aber kaum kitschigen Kulisse für das Schicksal der Violetta Valery: ein kahler Ballsaal, durch den die Großstadtgesellschaft tobt, ein kühler Loft mit Sonnenschirm hoch über den Dächern, ein düsteres Sterbezimmer der Kurtisane.

Dort nimmt die packende Inszenierung der routinierten Regisseurin, die eigentlich vom Tanztheater her kommt, auch ihren Ausgang: Schon währen der Ouvertüre sitzt Violetta in ihrem Ballkleid auf dem Fußboden, tödlich erkrankt. Das war eine klare Absage Siegerts an plüschige Atmosphäre – kein Wunder bei einer früheren Ruth-Berghaus-Mitarbeiterin. Sie machte die Regensburger Bühne am Bismarckplatz durchaus zu einer Art Arena für die Treibjagd der lüsternen Männergesellschaft auf das erotische Angebot.

Auf Kommando fahren die Zylinderköpfe der gierigen Herren über die Betonumrandung nach oben, die gierigen Hände, die Geld und Juwelen in die Dekolletés stopfen, dazu Schampus in Strömen: In diesem „Traviata“-Penthouse (gefühlt mehr über den Dächern von Berlusconis Rom als über denen von Verdis Paris) geht's hoch her: Die wenigen Farben haben Signalcharakter – ein bisschen wie in der letzten Salzburger „Traviata“ von Willi Decker. Austauschbar sind die Kavaliere, schwarzer Frack, weißer Schal.

Violetta wiederum ist kein zerbrechliches Wesen aus dem Deuxième Empire, eher ein blondes Playmate, das an Anita Ekberg erinnert. Ihr Alfredo weiß offenbar auch nicht recht, wie ihm geschieht: Soll das wirklich die große Liebe sein mit dieser Edelnutte? So gespreizt wie sie im ersten Akt noch ihre Spitzenkoloraturen singt? Vielleicht bleibt er deshalb der gehorsame Sohn, der sich von Vater Germont in die Knie zwingen lässt.

Mit dem vorhandenen Sängerpotenzial hat Arila Siegert geschickt gearbeitet: Die kühl-gutturale Koloraturen-Kurtisane von Theodora Varga wird in der Landhausszene zur innig und samten singenden Geliebten, Enrico Lee bleibt der unsicher wirkende, aber stets vokal auftrumpfende Kavalier, der sich die Hörner abstoßen will. Adam Kruzel ist in einer seiner Paraderollen als Père Germont der bitterböse Vater, der wegen seiner Familienräson und seiner Pleite Liebe zerstört und zu spät bereut.

Philip van Buren lässt es in dieser Spaßgesellschaft mit dem Philharmonischen Orchester Regensburg gehörig krachen, findet dann auch zu ätherischer Lyrik. Nur mit der zu lauten Bühnenmusik hat man Pech: Alfredos Stimme aus dem Park hört sich an wie aus dem Radio. Aber das hat man bis zum Schluss vergessen, bei dem sich die tote Violetta unter vielen Männerhänden hervorwindet und in eine einsame Ewigkeit davonschreitet. Alles in allem: Zum Saisonschluss ein Saisonhöhepunkt in Regensburg.


Seltener Glücksfall

Juan Martin Koch, Donaukurier, 29.05.2011

Opernregie ist eigentlich ganz einfach: Man muss Sängern nur plausible, Text und Musik gleichermaßen berücksichtigende Dinge zu tun geben. Mit darstellerischer Präzision und gesanglicher Intensität umgesetzt, ergibt das veritables Musiktheater.

Auf diese naive Idee kann man kommen, wenn man das bewundert, was Regisseurin Arila Siegert vor allem im zweiten Akt der Regensburger "Traviata"-Produktion gelungen ist: eine genaue, sinnlich stets erfahrbare Umsetzung jeder Nuance des gesungenen Wortes. Vielleicht muss man vom Tanz herkommen, um Sängern ein solches Gefühl für ihre Position im Raum und zueinander zu geben, um mit ihnen eine Begegnung wie die von Violetta und Vater Germont mit solch klarer und glaubwürdiger Ausdruckskraft zu gestalten. Auf der Betonrotunde – von Marie-Luise Strandt als wandelbares Bühnenbild gebaut, von Martin Stevens mit betörenden Lichtwechseln immer neu eingefärbt – hat Violetta es sich, so gut es ging, gemütlich gemacht, hat die verführerische Abend-Dienstkleidung gegen einen Hosenanzug eingetauscht, als der Alte auftaucht. Aalglatt berechnend – bei ihrem angedeuteten Suizid-Versuch darf er sich gar als Retter aufspielen – ringt er ihr den Verzicht auf seinen Sohn Alfredo ab, kopfüber an seiner Hand hängend ergibt sie sich ihrem Schicksal.

Was Seymur Karimov – er alterniert mit Adam Kruzel – und Theodora Varga in dieser Szene vokal und darstellerisch leisten, gehört zum Packendsten, was im Regensburger Theater in den letzten Jahren zu erleben war. Karimov lässt seinen üppigen Bariton fein abgestuft ausschwingen, Theodora Varga durchmisst eine ganze Palette vokaler Zustände, bis hin zu förmlich in sich hinein gesungenen Passagen voll desolater Schönheit. Auch ihr "E strano" im ersten Akt und ihren einsamen, von der gespenstisch vorbeitanzenden Karnevalsgesellschaft bitter kommentierten Tod gestaltet sie anrührend, von Arila Siegert mit seismografischer Genauigkeit choreografiert. Enrico Lee als Alfredo kann da mit leichten Intonationsproblemen nicht ganz Schritt halten, doch wie er zu des Vaters verlogener "Di Provenza"-Arie dessen Griff zu entkommen sucht, aber wie in einem Albtraum nur in Zeitlupe voran kommt, ist noch so eine Bild, das man so schnell nicht vergisst.

Am Ende vereint er sich mit Violetta – das Trinklied des ersten Aktes war noch dezent verkrampft – zu einem schaurig-schönen "Parigi, o cara". Auch für die Gruppenkonstellationen des ersten und dritten Aktes entwickelt die Regisseurin klare Bewegungs- und Konfrontationsmuster. Der Philharmonische Chor füllt, exzellent singend, die mal ins Individuelle sich aufsplitternde, meist jedoch die gesellschaftlichen Fliehkräfte generell verkörpernde Kollektivrolle mit großer Bühnenpräsenz aus. Nachdem auch das Philharmonische Orchester unter Kapellmeister Philip van Buren bis auf kleine Nachlässigkeiten und rhythmische Halbheiten hellwach und auf Augenhöhe mit dem Bühnengeschehen agiert, kann man diese szenisch ausgefeilte Produktion mit einer überragenden Protagonistin getrost als eine der besten der mit der kommenden Spielzeit zu Ende gehenden Intendanz Ernö Weils feiern.


Ein Gesamtkunstwerk mit Frauenpower

Das ist die Inszenierung der Oper „La Traviata“
im Theater

Julika Haneker, in: Rundschau Regensburg, 01.Juni 2011

In dieser Produktion trifft sich ein Team von hochkarätigen Künstlern, das dem Regensburger Theaterpublikum eine Produktion bescherte, die Weltniveau hat. An Perfektion nicht zu übertreffen ist die fantasievolle Inszenierung von Arila Siegert. Dass sie vom Ausdruckstanz kommt und mit Ruth Berghaus zusammen gearbeitet hat, spürt man wohltuend an der Regiearbeit.

Ebenfalls zu Ruth Berghaus lässt sich die Nähe der Ausstatterin Marie-Luise Strandt erkennen. Sie schuf Bühne und Kostüme in einer subtilen und extravaganten Weise, die Raum lassen und jeden Protagonisten individuell begleiten. Philip van Buren leitet das Philharmonische Orchester in einer Brillanz zum Hinschmelzen. Nicht zu vergessen der wunderbare Chor, der choreografiert überraschte. Die Einstudierung übernahm natürlich Christoph Hell.

Doch nun zum Ensemble. Die Besetzung ist perfekt in Auftritt und Stimme. An der Spitze die großartige Theodora Varga als Violetta Valery. Sie besticht in der gesamten Bandbreite, von der Kurtisane bis zur jugendlichen Liebenden. Ihre Stimme ist einfach hinreißend und bis zur letzten Sekunde exzellent. Ausgezeichnet meistert Enrico Lee den Alfredo Germont. Ob als hingebungsvoll Verliebter, als beleidigt Gehässiger und schließlich als Verzweifelter – als es zu spät ist. Entzückend Misaki Ono als Flora Bervoix und als gemeiner Intrigant Alfredos Vater Giorgio, Adam KruzeI. An der perfekten Produktion unbedingt beteiligt sind Ruth MüIIer, Cameron Becker, Matthias Degen, Ruben Gerson, Sung-Heon Ha, Christian Schossig, Tobias Hänschke und Sang-Sun Lee.

Als Giuseppe Verdi 1853 die Oper komponierte. war das ein Skandal und folglich fiel sie beim Publikum durch. Eine Kurtisane im Mittelpunkt, das ging zu weit! In einer überarbeiteten Fassung aber wurde „La Traviata" zu einer der erfolgreichsten Opern der Musikgeschichte. Die Tragödie nach dem Roman „Die Kameliendame" ist schnell erzählt: Die Kurtisane Violetta und Alfredo Germont lieben einander und Violetta möchte mit ihm ein neues Leben beginnen. Doch Alfredo kommt aus gutem Hause und sein Vater überzeugt sie davon, dass diese Beziehung die Familie kompromittiere und vor der Gesellschaft ächte.

Violetta beugt sich dem Willen des Vaters und täuscht Alfredo vor, ihn nicht mehr zu lieben und kehrt in ihr altes Leben zurück. Als der verzweifelte Alfredo seine Geliebte sucht, findet er sie mit einem Nebenbuhler, es kommt zum Duell. Violetta indes ist verarmt und todkrank. Am Sterbebett finden die Liebenden wieder zusammen und Alfredos Vater bittet sie um Verzeihung, bevor sie stirbt. In der Regensburger Inszenierung verlässt Violetta aufrecht die Bühne und lässt nur die Kleiderhülle zurück. Toll!


LA TRAVIATA – Regensburg, Theater

Oliver Hohlbach, EINGESTELLT VON ZENNER AM 16 - MAY - 2011,
besuchte Aufführung: 14. Mai 2011 (Premiere)

Kurzinhalt
Auf einem Fest lernen sich die Kurtisane Violetta Valéry und Alfredo Germont kennen. Der Verehrer erhält von der Angebeteten eine Kamelie, mit der Einladung, sie am nächsten Tag zu besuchen. Beide verlieben sich und ziehen hinaus aufs Land. Da erscheint Alfredos Vater. Ohne Alfredos Wissen drängt er Violetta dazu, seinen Sohn zu verlassen, um dessen Familie nicht in Verruf zu bringen. Violetta willigt ein und verläßt Alfredo mittels eines Abschiedsbriefes. Auf dem Fest von Violettas Freundin Flora begegnen sich Alfredo und Violetta, die wieder zu Baron Douphol zurückgekehrt ist. Alfredo beleidigt Violetta und wirft ihr ein Geldbündel vor die Füße. Später eilt Alfredo zur an der Schwindsucht erkrankten Geliebten, da ihm sein Vater den Grund ihrer scheinbaren Abwendung erklärte. Doch beiden bleiben nur wenige Momente bevor sie stirbt.

Aufführung
Der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick frei auf eine graue halbhohe Trennwand. Der Hintergrund ist mit grauen Platten abgehängt. Je nach Stellung der Drehbühne ist diese Trennwand einmal Sitzgelegenheit oder ein großer Spieltisch oder einfach nur ein Raumteiler, über den die Akteure einen Blick ins Publikum werfen können. Ein Sofa und viele verstreute weiße und rote Kamelien dominieren das erste Bild. Das gleiche Sofa mit einem weißen Sonnenschirm auf einem Podium dient als Reminiszenz einer Gartenlaube. Der dritte Akt kehrt wieder zum ersten Bild zurück. Violetta stirbt, auf Kamelien gebettet, in den Alfredos Armen. Bei den Herren dominiert der zeitlose klassische schwarze Anzug oder Frack, nur Alfredo trägt im zweiten Akt ein farbiges Hemd. Die Damen hingegen zeitlos klassische Abendgarderobe, Violetta trägt am Schluss einen roten Hausanzug.

Sänger und Orchester
Musikalisch bleibt die Erkenntnis, dass auch ein relativ kleines, aber feines Orchester (der Orchestergraben in Regensburg ist relativ klein) den breiten Klangteppich einer Verdi-Oper nicht nur ausbreiten, sondern auch zum Schweben bringen kann. Philip van Buren ist der Mann der Stunde für die vielen filigranen Verästelungen des italienischen Klanges, für die La Traviata so geschätzt wird.
Überragende Sängerdarstellerin des Abends ist Theodora Varga in der Titelpartie der Violetta. Ihr klarer, heller Sopran hat auch eine sehr große Durchschlagskraft im Forte, auch wenn das manchmal sehr eng geführt klingt und damit Schärfen hat. Jedoch ist das verhaltene Piano sehr klangstabil und weckt vor allem in der Sterbeszene Emotionen.
Da kann ihr geliebter Alfredo Enrico Lee fast nicht mithalten: Ein italienischer Tenor mit strahlender Höhe und großer Zukunft, aber im Duett mit Violetta zu leise: ein wenig mehr Strahlkraft wird sicherlich noch kommen. Sein Trinklied ist ein Beleg dafür. Über Kraft in der Stimme mit viel Pathos verfügt hingegen Adam Kruzel (Giorgio Germont) mehr als reichlich. Die große Arie "Di Provenza il mar" war wahrlich ein großer Höhepunkt. Ein solides Ensemble komplettiert die Besetzung. Allen voran zu erwähnen Misaki Ono (Flora), Cameron Becker (Gaston) und Sung-Heon Ha (Doktor Grenvil). Auch dem Chor gelingt es die hohen Anforderungen an Bewegung (Stierkampf der Zigeuner) und Gesang zu vereinen.

Fazit
Im Prinzip ist diese Inszenierung ein weiterer Beleg dafür, dass das Tanztheater mehr Impulse der Oper zur Weiterentwicklung geben kann als Regietheatereinfälle des Schauspiels. Arila Siegert kommt vom Tanztheater, sie choreographiert die Beziehungen zwischen den einzelnen Personen durch ihre Haltung zueinander – mit den Mitteln des klassischen Ausdruckstanzes. Da diese Oper kaum äußere Handlung hat, sondern von den inneren Spannungen der Personen untereinander lebt, ist dies ein richtiger Ansatz. Sicherlich wird manchmal den Akteuren sehr viel zugemutet, nämlich akrobatische Einlagen während diese singen müssen – jedoch ist es faszinierend mitzuerleben, wie Giorgio Germont schon im Laufe des zweiten Aktes verzweifelt erkennen muss, wie schrecklich seine Forderungen an Violetta sind. Das Bühnenbild stellt den Brückenschlag zu aktuellen Inszenierungen her, wie z.B. der letzten Salzburger Produktion. Lang anhaltender und lauthals geäußerter Jubel für alle Akteure ist der Dank des Publikums.


Vorbericht:

Die großen Fragen der Menschheit

Regisseurin Arila Siegert inszeniert in Regensburg Verdis „La Traviata“.

Von Thomas Göttinger, MZ (Mittelbayerische Zeitung, 10.05.2011)

REGENSBURG. Sie kommt vom Tanz, aus der Schule von Gret Palucca, um genau zu sein, und kann beispielsweise auf die Zusammenarbeit mit Ruth Berghaus zurückblicken. In den letzten Jahren freilich hat Arila Siegert vor allem als Opernregisseurin für Aufsehen gesorgt. Ihr „Freischütz“ in Chemnitz etwa wurde nachgerade hymnisch gefeiert. Und für die Inszenierung von Wagners „Der fliegende Holländer“ in Neustrelitz bekam sie eine Nominierung als „Opernregisseurin des Jahres“ durch die „Opernwelt“. Zu überaus starken Bildern sei sie fähig, heißt es allenthalben, aber eben auch zu stimmigen, subtilen Gesten.

Gut möglich, dass es diese Kombination war, die Intendant Ernö Weil dazu bewogen hat, Siegert nach Regensburg einzuladen. Vielleicht aber auch, weil sie als eine Regisseurin gilt, die nicht „aufgesetzt“ inszeniert, den Stücken nicht auf Biegen und Brechen etwas aufpfropft, was gar nicht in ihnen steckt, sondern mit Akribie nach deren Kern sucht. Da trifft es sich gut, dass sie hier am Theater am Samstag mit Verdis „La Traviata“ an den Start geht.

Als „großes Menschendrama“ begreift sie die Geschichte der Violetta Valery. „Ein Drama ist ja immer dann groß, wenn der Mensch, der darin leidet, nichts dafür kann“, sagt Siegert und lässt keinen Zweifel daran, dass Violetta, na ja: unschuldig ist an ihrem Los. Details zu ihrer Inszenierung sind ihr dabei nicht zu entlocken. Immerhin verrät sie, dass aus ihrer Sicht das Sterben Violettas schon am Anfang beginnt. Und fragt man Siegert, wie sie ihre Arbeit allgemein beschreiben würde, dann spricht sie von einem „Nachdenken in einer poetischen Art und Weise“. Es ist ein Nachdenken über die großen Menschheitsfragen, die nach Leben und Tod und dem Sinn des Daseins, wie man annehmen darf. Und natürlich die Suche nach den passenden szenischen Metaphern dafür.

Die Regisseurin ist freilich nicht alleine ans Regensburger Theater gekommen. Mit Marie-Luise Strandt hat sie eine Bühnen- und Kostümbildnerin mitgebracht, mit der sie seit langem eine intensive „künstlerische Partnerschaft“ verbindet, wie sie sagt. Allerdings ist Siegert auch voll des Lobes über das Ensemble vor Ort. Es sei eine wahre Freude mit Theodora Varga, die die Violetta singen wird, zusammenarbeiten zu können. Und Enrico Lee ist „ein wunderbarer Alfredo“. Von Dirigent Philipp van Buren ganz zu schweigen.