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"Madama Butterfly" - Tragik ohne Kitsch

Es ist die Geschichte einer einseitigen Liebe, die tragisch endet. Als Butterfly erkennen muss, dass es ihr Ehemann nie ernst mit ihr meinte, begeht sie Selbstmord. In Würzburg feierte Puccinis Oper nun in einer bildstarken Inszenierung Premiere.
Von: Peter Jungblut / BR-Klassik, 29.09.2014

Was könnte romantischer sein, als nachts am Strand in einem alten Boot zu übernachten, den geliebten Partner neben und die Sterne über sich? Und was ist gleichzeitig trauriger als ein alter, löchriger Kahn, der allmählich im Sand versinkt - wehmütiges Symbol gescheiterter Hoffnungen und Sehnsüchte? Insofern hatte die Regisseurin Arila Siegert am Sonntagabend am Mainfrankentheater Würzburg eine sehr einleuchtende Bildidee bei ihrer Inszenierung der "Madama Butterfly".

Ausweglose Liebe

Ein unscheinbarer Kahn zog alle Blicke auf sich: In ihm küsst die titelgebende Madama Butterfly erstmals ihren Geliebten, in ihm wartet sie vergeblich auf seine Rückkehr, und in diesem Boot hausen all die düsteren Figuren, vor denen sie sich fürchtet. Drumherum baute Ausstatter Hans Dieter Schaal einen kühlen japanischen Pavillon mit verschiebbaren Papierwänden. Nach der Pause reckte sich ein Wald aus weißen Stangen in die Höhe, der die Ausweglosigkeit dieser Liebe versinnbildlichte. In dieser eher sterilen, stark reduzierten Umgebung wirkten die traditionellen japanischen Kimonos und Seidengewänder samt roter Laternen und Sonnenschirmen eher surreal als exotisch, eher befremdlich als folkloristisch.

In Puccinis "Butterfly" geht es schließlich nicht um süßlichen Asienkitsch, sondern um ein multikulturelles Missverständnis. Der schneidige amerikanische Offizier Pinkerton kommt weder auf die Idee, dass der Kauf einer Frau in Japan irgendwie unmoralisch sein könnte, noch kann er sich vorstellen, dass diese Butterfly, der minderjährige "Schmetterling" ihn wirklich liebt. Sie wissen in Wahrheit nichts übereinander, das galt vor 150 Jahren im Kolonial-Zeitalter, und wer würde behaupten, dass es heute zwischen fernen Kulturen grundlegend anders wäre?

Inszenierung ohne Rührseligkeit

Regisseurin Arila Siegert kommt ursprünglich vom Tanz, ist auch Choreographin, und das ist dieser so aufwühlenden wie bildstarken Inszenierung deutlich anzumerken. Punktgenau werden die Personen geführt, auch der Chor. Alle sonst oft weichgespülten und arg überzuckerten Konflikte in dieser Oper werden sofort und drastisch augenfällig: Etwa, wenn sich Butterfly vom Glauben ihrer Ahnen lossagt, ihrem Mann zuliebe. Es stimmt schon, wer Puccini-Opern mag, macht sich leicht verdächtig.

Und wer dann auch noch die "Butterfly" gut findet, gilt unter seriösen Musikliebhabern schnell als hoffnungsloser Fall, der in die Kitschfalle getappt ist. Doch am Mainfrankentheater in Würzburg war am Sonntagabend zu erleben, dass dieses Werk ganz ohne Rührseligkeit auskommt und dann plötzlich tief tragisch ist. Übrigens wurde die Urfassung gegeben, die in den USA lange als antiamerikanisch galt, tatsächlich aber nur in aller Deutlichkeit vorführt, wie sich Eroberer verhalten.

Glaubwürdige Butterfly

Zum Erfolg der Produktion trug auch der italienische Generalmusikdirektor Enrico Calesso bei, dem die Freude und die Begeisterung für Puccini jederzeit anzumerken war. Fast ausgelassen ließ er seinen Gefühlen freien Lauf.

Überzeugend war Karen Leiber in der Titelrolle vor allem deshalb, weil sie den Wandel vom naiven japanischen Mädchen zur hoffnungsfrohen und dann verzweifelten Ehefrau stimmlich und schauspielerisch gleichermaßen glaubwürdig verkörperte. Der portugiesische Tenor Bruno Ribeiro brachte wirklich alles mit für die Rolle des Leutnants Pinkerton: Unbekümmerte Manieren, blendendes Aussehen und eine helle, strahlende Stimme. Tränen sind in Puccinis "Butterfly" natürlich erlaubt, auch sentimentale Anwandlungen, doch in Würzburg kam viel mehr dazu: Die Trauer um eine Frau, die konsequent ihrem Stern folgt und dabei bitter enttäuscht wird. Die Sterne lügen bekanntlich nie, aber helfen können sie leider auch nicht – nur leuchten.


'Madama Butterfly' in Würzburg

Das war Spitze!

Midou Grossmann, auf Klassik.com, 29.09.2014

'Madama Butterfly' wurde von Giacomo Puccini als seine empfindungsreichste Oper, die er je geschrieben habe, bezeichnet. Er sollte Recht behalten, wenngleich die Uraufführung im Jahr 1904 in der Mailänder Scala ein Fiasko war. Nun ja, das Publikum konnte wohl damals mit dem exotischen Stoff nichts anfangen, wenngleich damals wie heute Zwangs-Verheiratungen oder der Verkauf von jungen Mädchen ein Thema waren und noch sind. Kurt Tucholsky ließ sich 1931 zu der oberflächlichen These herab: "Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Léhar ist dem kleinen Mann sein Puccini." Ziemlich arrogant.

Eine Mischfassung, die funktioniert

Das Mainfrankentheater Würzburg setzte mit seinem italienischen GMD Enrico Calesso auf Puccinis 'Madama Butterfly' als Saisonauftakt, und was dort zu erleben war, straft alle Vorurteile Lügen. Ja, die Oper ist in der Tat Puccinis empfindsamstes Werk, doch sollte man vielmehr sagen: Es ist auch seine farbenreichste Partitur, wenn ein Puccini-Kenner wie Calesso am Pult steht. Von 'Tosca‘ kennt man die strengen dynamischen Artikulationsanweisungen, die akribischen Bindebögen und die Phrasierungsvorschriften, doch 'Madama Butterfly', zumeist nur als sentimentale Liebesgeschichte interpretiert, überraschte an diesem Abend mit einer gänzlich unbekannten Klangsprache, die unter die Haut geht. An diesem Abend waren sie zu hören, die spannungsreichen Nuancierungen mit einer großartigen Bogenarchitektur, und das zudem noch hochvirtuos musiziert. Drama pur aus dem Orchestergraben, das gleichzeitig auf der Bühne sein Echo fand.

Musiziert wurde eine Fassung, die auf der Uraufführung von 1904 basiert: die gesamte Szene der Verwandten im ersten Akt sowie das Trinklied des Onkels Yakusidé. Alle originalen Übergänge kamen zu Gehör, ebenso die Ansage über die katholische Mission von Butterfly, die Arie 'Che tua madre' im zweiten Akt, das Blumenduett Butterfly und Suzuki sowie eine größere Szene der Kate Pinkerton; auch das Finale basiert auf der Fassung von 1904.

Drama pur

Arila Siegert hat mit einer stringenten Personenregie den tragischen Kern dieser bittersüßen Liebesgeschichte konsequent herausgearbeitet. So ist eine feine, psychologisch sehr berührende Handlung entstanden, die außerhalb von Zeit und Raum angesiedelt ist, wenngleich als Hauptrequisit ein japanischer Bungalow mit Schiebewänden fungiert (Bühne Hans Dieter Schaal), welche immer wieder neue Bilder zu kreieren vermögen. Zudem wird mit vielen japanischen Requisiten gearbeitet - Lampions, Kirschzweigen, bunte Schirme usw. Auch die wunderbar ästhetischen Kostüme (Götz Lanzelot Fischer) sind dem asiatischen Lebensraum angepasst. Eine beeindruckende und stimmungsvolle Lichtregie von Roger Vanoni steigert mit frappierenden Effekten die Wirkung dieser Bühnenbilder, die immer in der Mitte ein blaues Holzboot zeigen, das quasi als Raum für die Lebensreise der Butterfly fungiert.

Großartige Stimmen

Exzellente Sänger verliehen dieser Opernpremiere das Flair eines ganz großen Opernabends. Für Karen Leiber scheint die Partie der Cio-Cio-San perfekt in der Kehle zu liegen. Kannte man sie schon als herausragende Elsa in Wagners 'Lohengrin', so zeigt sie hier erneut gekonnten lyrischen Gesang mit innig gebundener Legato-Führung, der manchmal der Wirklichkeit entrückt scheint, dann wieder dramatische Höhepunkte setzen kann. Überhaupt kann Karen Leiber die Wandlung vom verliebt scheuen Teenager hin bis zur gebrochen Frau überzeugend darstellen.

Tenor Bruno Ribeiro ist eine ideale Besetzung für den Verführer Pinkerton, der dennoch nicht wirklich skrupellos dargestellt wird, sondern nur einfach unüberlegt männlich handelt. Auch Ribeiro singt mit schönem Legato, sehr ansprechender Stimmführung sowie schönen Piani. Sonja Koppelhuber (Suzuki) ist ganz mitfühlende Freundin und Dienerin, die gesanglich zudem eine beachtliche Leistung zeigt. Auch Daniel Fiolka (Sharpless) gehört zu den großen Gestaltern des Abends. Wie alle anderen, zeigt auch er sich den Anforderungen der ungewohnten Phrasierungsaufgaben gewachsen. Das gilt ebenso für die weiteren Protagonisten: Joshua Whitener (Goro, der Heiratsvermittler), Deuk-Young Lee (Fürst Yamadori) sowie Taiyu Uchiyama als Onkel Yakusidé. Heyong-Joon Ha meistert gleich drei Rollen sehr gut, Onkel Bonzo, ein Priester, Todesfigur. Barbara Schöller gibt der Kate Pinkerton sympathische Züge, anrührend auch Mila Michel als Kind Dolore.

Standing Ovation mit langem Applaus belohnen das Team dieser Premiere für einen bemerkenswerten Opernabend, der an deutschen Bühnen so nicht wirklich Alltag ist.


 

Stimmig und emotional mitreißend

Puccinis Oper „Madama Butterfly“ feierte am Mainfranken Theater Würzburg zum Auftakt der Musiktheater-Spielzeit Premiere

Fränkische Nachrichten, 30.09.2014

Puccinis Oper "Madama Butterfly" feierte am Mainfranken Theater Würzburg zum Auftakt der Musiktheater-Spielzeit in einer stimmigen, emotional mitreißenden Inszenierung Premiere. Die "japanische Tragödie", wie Giacomo Puccini seine Oper "Madama Butterfly" im Untertitel nennt, gehört weltweit noch heute zu den beliebtesten Stücken der Opernfreunde. Doch die letzte Inszenierung in Würzburg liegt immerhin 33 Jahre zurück; entsprechend groß ist das Interesse. Gesungen wird italienisch mit deutschen Übertiteln.

Während eines Japan-Aufenthaltes zu Beginn des 20. Jahrhunderts kauft sich der amerikanische Marine-Leutnant Pinkerton nicht nur ein Ferienhaus in den Bergen oberhalb der Hafenstadt Nagasaki, sondern vom Heiratsvermittler Goro gleich die 15-jährige Geisha Cio-Cio-San als Geliebte hinzu. Diese ist die verarmte Tochter eines Samurai, der Harakiri begangen hat. Fasziniert von der für ihn fremden Kultur geht Pinkerton zum Zeitvertreib mit der wegen ihrer Zartheit "Butterfly" genannten Schönheit eine "Ehe auf Zeit" ein. Doch die junge Frau nimmt die Beziehung sehr ernst, wird aber von ihrer Familie und der Verwandtschaft verstoßen, als sie den Übertritt zum Glauben ihres Mannes ankündigt. Den Konsul Sharpless lässt Pinkerton nicht im Unklaren darüber, dass Cio-Cio-San für ihn nur ein kurzes Liebesabenteuer ist. Doch für seine Geliebte wird diese Ehe zur großen Hoffnung ihres Lebens. Pinkerton kehrt mit seinem Kriegsschiff wieder nach Amerika zurück, ohne zu wissen, dass Cio-Cio-San von ihm ein Kind erwartet. Als Pinkerton schließlich nach drei Jahren mit seiner amerikanischen Ehefrau erscheint, um den Sohn abzuholen, nimmt die Tragödie ihren Lauf.

Bühnenbildner Hans Dieter Schaal hat ein lichtdurchflutetes, klar strukturiertes japanisches Teehaus mit zwei Schiebewänden, die mit durchschimmerndem Reispapier bespannt sind, niedrigen Sitzgruppen und einem Hausaltar nebst kleiner Buddhafigur bauen lassen. Im Hintergrund dient ein Holzkahn in leuchtendem Blau dem Paar als Liebesnest. Doch im zweiten und dritten Akt scheint für die alleingelassene Cio-Cio-San ihre kleine Welt aus den Fugen geraten zu sein. Der jetzt marode wirkende, schräg im Raum gestrandete Holzkahn wird von kreuz und quer die Decken abstützenden Streben flankiert. Das Boot steht sinnbildlich für das Schicksal von Butterfly, deren Sensibilität und Zartheit gegenüber männlichem Chauvinismus und Ignoranz auf verlorenem Posten stehen. Im Boot wartet sie mit ihrem Sohn geduldig, doch immer verzweifelter auf die Rückkehr des Leutnants und wählt am Ende mit dem Dolch ihres Vaters den Freitod.

Wie Dramaturg Christoph Blitt in seinem spannend zu lesenden Programmheft anschaulich schildert, hat die Würzburger Inszenierung die Chance genutzt, aus verschiedenen, inzwischen allesamt gedruckt vorliegenden Varianten des Werkes eine eigene Version zu entwickeln. Puccini selbst arbeitet seine Partitur mehrfach um, nachdem die Uraufführung am 17. Februar 1904 in der Mailänder Scala zu einem großen Fiasko wurde. In ihrer Würzburger Inszenierung orientiert sich Regisseurin Arila Siegert wieder stärker an die Urfassung und kann so viel stärker den Zusammenprall zweier so unterschiedlicher Kulturen thematisieren. Trotz aller Regieeinfälle und bildstarker Choreographien bleibt der zweite Akt nicht ohne Längen. Dennoch vermag Puccinis tiefgründiges und originelles Porträt einer Frau, die zwischen zwei unvereinbaren kulturellen Welten untergeht, dank des psychologischen und poetischen Potenzials nachhaltig zu beeindrucken.


Japanisch-italienischer Liebestod

Ganz ohne Kitsch:
Puccinis „Madama Butterfly“ in Würzburg

Monika Beer, in: Bayernkurier, 4.Okt. 2014

Es passiert täglich und überall, dass Frauen, die sich auf Besatzungssoldaten eingelassen haben, sitzen gelassen werden. Den authentischen Fall einer blutjungen Geisha des 19. Jahrhunderts hat Giacomo Puccini in seiner „Madama Butterfly“ vertont. Dass die Oper auch 110 Jahre nach der Uraufführung brandaktuell und exemplarisch sein kann, zeigt die Neuinszenierung am Mainfrankentheater: Das tragische Scheitern wird als Folge der Nichtachtung der fremden Kultur, des fremden Wertesystems dargestellt.

Die Choreographin und Regisseurin Arila Siegert ist nicht die erste, die in Puccinis japanischer Tragödie den „Clash of Cultures“ aufgespürt hat. Aber ihr und den Ausstattern ist überzeugend gelungen, alles Japanische ohne die sonst gern bemühte Bühnenexotik und -folklore aufzubereiten. Klar, es gibt Schiebewände und Schirme, Kimonos und Kirschblüten. Aber sie sind selbstverständliche Bestandteile einer intakten fremden Welt, die der ignorante US-Marineleutnant Pinkerton erst wahrzunehmen beginnt, als alles zu spät ist.

Während die Inszenierung - gespielt wird die kritische Neuausgabe mit wesentlichen Elementen der Urfassung - zunächst eher realistisch vorgeht, wird sie im stark und stimmig beleuchteten zweiten Akt zunehmend abstrakt. Das Boot, in das das frisch vermählte Paar gesunken ist, wird zum zentralen Bildmotiv der auf ihren Gatten wartenden Cio-Cio-San. Hier bündeln sich ihre Hoffnungen, Wünsche und Alpträume, hier spielt sie mit ihrem Sohn (der wie ein kleiner Bruder von Thomas Manns Tadzio wirkt) und wird heimgesucht von Onkel Bonzo, den die Regisseurin auch als Todesfigur einsetzt. Die stilisierten Bewegungsmuster der Figuren sorgen für Klarheit und emotionale Aufrichtigkeit: Im zweiten Teil des Abends vermeint man plötzlich zu sehen und zu hören, dass die „Butterfly“ so etwas ist wie Puccinis „Tristan“.

Das Publikum reagierte begeistert, mit Bravorrufen vor allem für die Titelprotagonistin. Karen Leiber, die in der letzten Saison schon beeindruckte, ist zweifellos am Zenit ihres Könnens. Und ein spontaner Szenenbeifall im richtigen Moment befeuerte die Sopranistin zu einer Sternstunde. Gasttenor Bruno Ribeiro als kraftvoller Pinkerton, Daniel Fiolka als mitfühlender Sharpless, Joshua Whitener als quirlig-gieriger Goro sowie die weiteren Solisten, Choristen und Instrumentalisten unter Generalmusikdirektor Enrico Calesso, ihnen allen gelang bei der Premiere am Sonntag genau das, was sich jeder Opernfreund wünscht: ein aufwühlender Abend.


Premierenpublikum bejubelt "Madama Butterfly"

Ralph Heringlehner, in: Main Post Würzburg, 30.09.2014

Wer aus „Madama Butterfly “ mehr machen möchte als eine tragische Liebesgeschichte, muss drastisch vorgehen: Das Sentimentale ist doch sehr dominant. Regisseurin Arila Siegert geht nicht drastisch vor. Und so bleibt die Inszenierung von Giacomo Puccinis Oper am Würzburger Mainfranken Theater im Rahmen – sehr zur Freude des Premierenpublikums im nahezu ausverkauften Großen Haus. Es jubelte, rief Bravo, applaudierte, in den Sitzreihen stehend, zehn Minuten lang.

Ansätze für eine – auch heute noch – scharfe Kritik an imperialem Imponiergehabe bietet die 1904 uraufgeführte Oper zur Genüge. Sie zeigt, wie eine vermeintliche Überlegenheit der eigenen Kultur zu Chaos und Zerstörung führt. Und wie religiöse Engstirnigkeit Menschen zerrüttet. Beides findet auch in der Welt des 21. Jahrhunderts noch statt. Nichts davon arbeitet die Würzburger „Butterfly“ plakativ heraus, zeigt es aber unter der Oberfläche der anrührenden Liebesgeschichte. Etwa dadurch, dass Leutnant Pinkerton unsympathischer gezeichnet wird als üblich. Der US-Amerikaner kauft sich in Japan eine junge Frau als „Spielzeug“. Seine Dienstboten nummeriert er mit „Fratze eins bis drei“, weil er sich die Namen nicht merken will.

Gastregisseurin Siegert hat Teile wieder eingefügt, die Puccini nach der – missglückten – Uraufführung gestrichen hatte. Dadurch war aus dem überheblichen Machtmenschen Pinkerton ein bloß leichtsinniger Lebemann geworden. Auch das Bühnenbild (Hans Dieter Schaal) transportiert die fatalen Folgen von fehlendem Verständnis für fremde Kulturen. Die putzigen Japan-Klischees im ersten Akt mit verschiebbaren Papierwänden und Kimonos (Kostüme Götz Lanzelot Fischer) weichen im zweiten einem beunruhigend schiefen Stangenwald. Die Welt ist in Unordnung geraten.

Ein kleines, schräg platziertes Boot steht für die Sehnsucht von Cio-Cio-San, genannt Butterfly, nach Amerika zum geliebten Pinkerton zu segeln. Denn sie nimmt die Heirat ernst. Hält an ihrer Liebe fest, obwohl Pinkerton sie längst verlassen hat. Das Boot wird zu ihrem Sarg, zum Sarg ihrer Hoffnungen. Und letztlich zum Sarg eines verständnisvollen Miteinanders zweier Welten.

Während die Inszenierung über zweidreiviertel Stunden die Spannung nicht halten kann, legen Orchester und Solisten die Latte gleich bei der ersten Opernproduktion der Saison sehr hoch. Zum einen, weil die drei Hauptrollen stark besetzt sind. Karen Leibers weites Ausdrucksspektrum formt Cio-Cio-San zur Figur, mit der der Zuschauer mitleiden kann. Sie ist groß im Leid und glaubwürdig auch in jungmädchenhafter Verliebtheit. Sanfte, sauber angesetzte Spitzentöne stehen neben stimmlicher Kraft.

Die braucht sie immer wieder in Duetten mit Bruno Ribeiro. Der argentinische [?] Gastsänger hat die passende Körpersprache für den selbstgefälligen Pinkerton (Hände in den Hosentaschen). Und er kann ebenso mühelos Schalldruck aufbauen wie inniges Gefühl zeigen, hat die Partie nicht nur emotional, sondern auch technisch im Griff.

Die stets präsente Sonja Koppelhuber komplettiert als Dienerin Suzuki das Trio. Daniel Fiolka erhält Applaus als amerikanischer Konsul Sharpless, Joshua Whitener ist der Heiratsvermittler Goro, Barbara Schöller hat kurze Auftritte als Pinkertons amerikanische Gattin Kate. Darüber hinaus ist quasi das gesamte Musiktheater-Ensemble im Einsatz, mitsamt Chor (Leitung Michael Clark).

Weil er sehr differenziert arbeitet, Kontraste betont und die richtigen Akzente setzt, dämpft Dirigent Enrico Calesso die bisweilen überbordende Süßlichkeit von Puccinis Partitur. Süffig und im besten Sinne schön klingt das noch immer. Doch dem Generalmusikdirektor und den reaktionsschnellen und feinfühligen Würzburger Philharmonikern gelingt es, aussagekräftig das Geschehen zu untermalen, bisweilen sogar mit Biss zu kommentieren.


Rezension: "Madama Butterfly" im Mainfranken Theater

Stefanie Ebert und Carina Peter, in "max und julius",
Unabh. Studentdenzeitschrift der Uni Würzburg, 07.10.2014

Einen sehr bewegenden Abend bescherte uns am Sonntag mal wieder das Mainfrankentheater Würzburg. Mit Giacomo Puccinis Oper „Madama Butterfly“ gelang dem Ensemble eine Inszenierung der ganz besonderen Art: Die Darstellung des Aufeinandertreffens zweier grundverschiedener Kulturen mit großen Emotionen und dennoch starker, politischer Wirklichkeitsnähe.

Die tragische Geschichte der jungen japanischen Geisha Cio-Cio-San, genannt Butterfly, die sich voller Hoffnungen in die zum Scheitern verurteilte Ehe mit dem strahlenden amerikanischen Marineoffizier Pinkerton stürzt, zeigt auf anschauliche Weise die menschlichen Abgründe einer ganzen Epoche. Stellvertretend für den Imperialismus der Vereinigten Staaten treibt Pinkerton als überheblicher, westlicher Draufgänger seine selbstlose Ehefrau genauso leidenschaftlich wie leichtfertig ins Verderben und beraubt sie obendrein ihrer kulturellen Identität. Gerade die Hervorhebung dieser Aspekte ist der Interpretation des Mainfrankentheaters durch Arila Siegert zu verdanken, die sich von der gängigen, eher unkritischen Darstellung unterscheidet und auf frühere, differenziertere Fassungen des oft geänderten Werkes zurückgreift.

Neben den Problemen der Weltgeschichte wurde auch eine traurige, aber dennoch schöne Liebesgeschichte gesungen, begleitet von den sehnsüchtig pathetischen Klängen des Orchesters unter der Leitung von Enrico Calesso. Trotz des italienischen Textes war nach und nach immer stärker die japanische Atmosphäre des Werkes zu spüren, was unter anderem an der für Würzburger Verhältnisse recht wirklichkeitsgetreuen Kostümierung und Bühnengestaltung lag. Nachdenklich und zufrieden sind wir an diesem Abend nach Hause gegangen und freuen uns auf weitere Vorstellungen in der vor uns liegenden Spielzeit unter dem Motto „Krieg und Frieden“.


Besinnung auf die Urfassung: MADAMA BUTTERFLY

Eindringliche Sozialstudie

Ludwig Steinbach, 29. 9. 2014, in: Der Opernfreund

Dreiunddreißig Jahre war sie am Mainfrankentheater nicht mehr zu erleben: Puccinis „Madama Butterfly“. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass sich die Theaterleitung jetzt wieder auf dieses Werk besonnen und als Eröffnungspremiere der aktuellen Spielzeit in einer gelungenen Neuinszenierung herausgebracht hat. Um es vorwegzunehmen: Es war in jeder Beziehung eine vollauf gelungene Premiere, die wieder einmal beredtes Zeugnis von dem hohem Niveau des Theaters Würzburg ablegte.

Die Rezeptionsgeschichte der Oper ist verwickelt. Dass von ihr mehrere Fassungen existieren, resultiert daraus, dass das Werk bei seiner Mailänder Uraufführung am 17. 02. 1904 aus bis heute nicht geklärten Gründen beim Publikum durchfiel und Puccini bei nachfolgenden Aufführungen einige Striche und Änderungen an der Partitur vornahm. Bereits am 28. 5. 1904 wurde sie in Brescia in einer überarbeiteten Form erneut herausgebracht und konnte nun einen vollen Erfolg für sich verbuchen. Den überlangen zweiten Aufzug hatte der Komponist nun in zwei Teile aufgespalten und Pinkerton im dritten Akt eine zusätzliche Arie „Addio fiorito asil“ geschrieben. Dabei blieb es aber nicht. Für die Londoner Produktion, die am 10. 7. 1905 zum ersten Mal über die Bühne ging, und die am 28. 12. 1906 erfolgte Pariser Erstaufführung an der dortigen Opéra comique nahm Puccini weitere Korrekturen vor. Die Pariser Fassung stieß auf die Zustimmung des Verlegers Ricordi, der sie dann auch als Vorlage für den Druck der Partitur verwendete. In dieser Form hat sie ihren Siegeszug um die Welt angetreten. Ihr Schöpfer hatte indes große Zweifel daran, ob die für Paris vorgenommenen Kürzungen gelungen waren, und machte bei folgenden Inszenierungen des Werkes einige Striche wieder rückhängig. Heutige Theater greifen häufig auf ältere Varianten von Puccinis Oper zurück, die inzwischen alle gedruckt sind. Die Situation ist derjenigen von Wagners „Tannhäuser“ vergleichbar, den der Bayreuther Meister ja ebenfalls immer wieder überarbeitete, um am Ende seines Lebens schließlich zu dem Fazit zu gelangen, dass er der Welt noch den Tannhäuser schuldig sei.

Die Urfassung ist hinsichtlich der Charakterisierung der Handlungsträger erheblich ergiebiger als die späteren Bearbeitungen. Dies hat Arila Siegert dazu veranlasst, diese als Grundlage für ihre Würzburger Inszenierung zu wählen. Ihre diesbezügliche Entscheidung ist sehr zu begrüßen. Hatte man bei Produktionen anderer Opernhäuser durchaus schon einige Ausschnitte aus der ursprünglichen Form des Stückes gehört, war man an diesem Abend doch sehr überrascht, wie anders doch insbesondere der erste Akt in der in Würzburg gespielten Fassung von 1904 - seine Arie im dritten Akt hat die Regisseurin Pinkerton indes gelassen - anmutete. Staunen konnte man in erster Linie über die ungeheure Aufwertung, die die Figur des Onkels Yakusidè, sonst eine absolute und oft sogar ganz gestrichene Wurzenrolle, erfuhr. Und auch die Äußerung Butterflys, dass sie sich durchaus nicht sofort mit der ihr von Goro angetragenen Heirat mit Pinkerton einverstanden erklärt, sondern sich erst bei der ersten Begegnung mit dem von ihr sofort geliebten Marine-Leutnant dazu bereit gefunden habe, überrascht. Die Titelfigur erscheint sehr viel differenzierter, als es sonst der Fall ist. Das gilt auch für die Figur der Kate, die in dieser Version erheblich mehr zu singen hat. Es sind schon einige Aspekte, die in einem ganz anderen Licht als gewöhnlich erschienen, was die Sache dann auch ungemein interessant machte.

Diese neuen Elemente werden von Frau Siegert gekonnt herausgearbeitet. Eine eindringliche Beleuchtung erfährt bei ihr an erster Stelle die Familie Cio-Cio-Sans, die unter den geänderten Voraussetzungen eine völlig neue Funktion erhält. Während andere Regieteams die Verwandten-Szene im ersten Akt oftmals dazu nutzen, allerlei überflüssige exotische Zutaten ins Spiel zu bringen, und dabei manchmal ins Kitschige abgleiten, bekommt dieses Bild in der Würzburger Produktion die Funktion, das soziale Umfeld zu beleuchten, in dem sich die Protagonistin bewegt. In ihrem von Götz Lanzelot Fischer entworfenen langen weißen Kleid hebt sie sich deutlich von ihren bewusst dunkler, streng und etwas skurril gekleideten Verwandten ab. Sie ist bereits jetzt eine Außenseiterin, die durch ihr Bekenntnis zum Christentum nicht mehr in der Tradition ihrer Heimat steht. Anpassung spielt noch in einer weiteren universellen Hinsicht eine Rolle. Von der politischen Warte aus präsentiert die Regisseurin verschiedene Möglichkeiten der Japaner, mit der Öffnung ihres Landes nach Westen umzugehen. Dieses Thema handelt sie gekonnt an den beiden Onkels Cio-Cio-Sans ab. Yakusidé hat sich unter dem Einfluss des von ihm nicht tolerierten amerikanischen Wertesystems in den Alkohol geflüchtet und darob die Züge einer regelrechten Witzfigur angenommen. Bonze dagegen ist zu einem ausgemachten Fanatiker geworden, der keine andere Ansicht als die seine zulässt und während des ganzen Stücks immer wieder als Vorbote des Todes seiner ausgestoßenen Nichte durch das Geschehen geistert.

In dem Maße, wie die Figur des Priesters ins Surreale abgleitet, wandelt sich auch der von Hans Dieter Schaal kreierte Bühnenraum, der im ersten Akt trotz einer gewissen Nüchternheit noch relativ traditionell erscheint. Ab dem zweiten Akt verliert er zunehmend seine Konturen und erfährt eine Stilisierung. Realismus weicht Abstraktheit. Das entspricht ganz Butterflys Seelenleben, die sich schließlich resigniert eingestehen muss, dass die ganze Episode mit dem amerikanischen Geliebten nichts weiter als ein schöner Traum war. Pinkerton erfährt insgesamt nicht gerade eine positive Zeichnung, obwohl Frau Siegert ihm auch einige positive Seiten zubilligt. Er zeigt sich zu Beginn als großer Zyniker, der seine eigene Mentalität und die seiner amerikanischen Heimat über alles stellt und nicht bereit ist, andere Kulturen zu akzeptieren. Sein gefahrvolles Leben auf einem Kriegesschiff versucht er bei Landgängen durch immer neue sexuelle Abenteuer zu kompensieren. Mit welcher Frau er dies tut, ist ihm letztlich gleichgültig. Die Protagonistin ist zuerst nur eine unter vielen. Zudem frönt er voll und ganz dem schnöden Mammon und denkt, mit Geld lasse sich alles regeln. Das wird insbesondere im dritten Akt deutlich, wenn er Sharpless einige Geldscheine für Butterfly in die Hand drückt, die Begegnung mit ihr aber meidet. Indes kann er auch zärtlich und sensibel sein und seiner Geisha-Frau Aufmerksamkeit schenken. Es sind schon sehr deutliche gesellschafskritische Elemente, die die Regisseurin in der Person des ausgemachten Herrenmenschen Pinkerton ins Feld führt. Bei ihr verkommt Puccinis Oper nicht zum sentimentalen Rührstück, sondern zu einem Plädoyer für Toleranz zwischen allen Kulturen. Nicht den anderen lediglich benutzen und anschließend wegwerfen, lautet ihre Devise, sondern ihn und seine Gefühle zu achten. In dieser Beziehung kommt Frau Siegerts Regiearbeit zeitlose Gültigkeit zu. Hier haben wir es demgemäß mit einer handwerklich trefflich umgesetzten Sozialstudie zu tun, die eine logische, flüssige Personenführung aufwies und die ihre Wirkung nicht verfehlte.

Ein Ereignis war wieder einmal GMD Enrico Calesso am Pult, der sich längst für die größten Häuser qualifiziert hat. Er und das brillant aufspielende Philharmonische Orchester Würzburg hatten Puccinis herrliche Musik total verinnerlicht und mit prachtvoller Italianita sowie hoher Emotionalität umgesetzt, ohne dabei jemals ins Kitschige abzugleiten. Diesem von Dirigent und Musikern erzeugten differenzierten, farben- und nuancenreichen Klangzauber, der sich zudem durch große Spannung und weit gesponnene Bögen auszeichnete, konnte man sich wahrlich nicht entziehen. Wie gebannt lauschte man auf das, was da so phänomenal aus dem Graben erklang.

Durchweg phantastisch waren auch die Sänger. Einmal mehr war zu konstatieren, über was für ein hervorragendes Ensemble das Mainfrankentheater doch verfügt, das sich hinter dem größerer Häuser in keinster Weise verstecken muss. Zuvorderst vermochte Karen Leiber in der Titelpartie nachhaltig für sich einzunehmen. Ihre Butterfly zeichnete sich durch enorme darstellerische Kraft, zahlreiche gestalterische Nuancen und einen in allen Lagen bestens fokussierten, intensiven und zur Höhe hin expansionsfähigen jugendlich-dramatischen Sopran aus. Das „Un bel di“ war der Höhepunkt des Abends! Neben ihr überzeugte Bruno Ribeiro schauspielerisch sowohl in den unsympathischen als auch in den liebevollen Momenten des Pinkerton, dem er mit seinem bis zu den fulminanten Höhen sicher und markant geführten Tenor auch vokal bestens entsprach. Einen schön timbrierten, weichen und eine hervorragende italienische Schulung aufweisenden lyrischen Bariton brachte Daniel Fiolka für den Sharpless mit. Eine rührend um ihre Herrin besorgte Suzuki war die mit vollem, rundem Mezzosopran singende Sonja Koppelhuber. Und dass ein Tenor den hier als Karikatur vorgeführten Goro so gut im Körper singt wie Joshua Whitener hat man sonst nur im nahen Coburg erlebt. Sogar an großen Häusern hört man in dieser Charakterpartie fast durchweg nur dünne, flache Stimmen. Ein solide Kate Pinkerton war Barbara Schöller. Mit mächtig sonorem Bassmaterial trumpfte der Onkel Bonze von Heyong-Joon Ha auf. Von Spiel her ziemlich aufgedreht und sehr clownesk und gesanglich ordentlich gab Taiyu Uchiyama den noch recht jugendlich wirkenden Onkel Yakusidé. Deuk-Young Lees Fürst Yamadori wies ordentliches Tenormaterial auf, war aber leider nicht gut zu hören. Diese Rolle ist von ihrer tiefen Tessitura her bei einem Bariton besser aufgehoben. Als Standesbeamte bewährte sich Ivan Dantschev. Den kaiserlichen Kommissär gab Chul Hawn Yun. Als nachvollziehbar von Frau Siegert Dolore - das bedeutet Schmerz - genannter Sohn Cio-Cio-Sans und Pinkertons gefiel Mila Michel. Gundula-Horn-Bayn (Mutter), Hiroe Ito (Tante), Ikuko Miyamoto (Cousine) und Bastian Bank (Neffe) rundeten das hochkarätige Ensemble ab. Ebenfalls ansprechend war der von Michael Clark einstudierte Chor.

Fazit: Eine in jeder Hinsicht gelungene Aufführung, deren Besuch dringend empfohlen wird!


Eindrucksvolles Theatererlebnis

Würzburg, 28. September: Madama Butterfly

G.Schunk, in: Opernglas 11/2014

Als am Premierenabend von „Madama Butterfly“ der Vorhang fiel, brandete frenetischer Beifall auf. Wie heute meist in aller Welt wurde Puccinis Bühnenwerk begeistert bejubelt. Ganz anders war es dagegen am Tag der Uraufführung am 17. Februar 1904 in der Mailänder Scala gewesen. Schon nach dem ersten Akt, als Puccini auf einen Stock gestützt – er hatte sich bei einem Autounfall eine schwere Beinverletzung zugezogen – auf die Bühne humpelte, schlug ihm neben zaghaftem Beifallklatschen feindseliges Zischen entgegen, welches sich zu wütendem Lärm steigerte. Zutiefst betroffen zog sich der Komponist entsetzt in die Kulissen zurück, wobei er ausgerufen haben soll: „Noch stärker, ihr Bestien! …Heult, schreit, verlacht mich… Aber Recht habe ich, ich!“

Nach diesem Fiasko flüchtete Puccini in sein ländliches Domizil in Torre del Lago, erstattete dem Theater die immens hohen Tantiemen von 20.000 Lire zurück und stürzte sich mit Feuereifer auf eine Umarbeitung. Den langen zweiten Akt trennte er in zwei Teile, die er durch ein orchestrales Zwischenspiel verband, fügte eine Kanzone für den Tenor hinzu und kürzte im ersten Bild die Episode des Onkels Bonze. In dieser neuen Fassung erlebte die Oper am 28. Mai 1904 im Teatro Grande in Brescia einen durchschlagenden Erfolg und trat von dort ihren Siegeszug um die ganze Welt an.

Für die Aufführung am Mainfranken Theater war eine eigene Version aus den verschiedenen Fassungen entwickelt worden, wie Dramaturg Christoph Blitt im Programmheft erläutert: „…dass gerade die Urfassung von »Madama Butterfly« mit nachgerade sezierender Schärfe den Zusammenstoß zweier extrem unterschiedlicher Kulturen thematisiert. Und so wurden in die Würzburger Inszenierung genau jene Szenen aus den früheren Versionen des Werks aufgenommen, die die angesprochene politische Komponente dieses Stoffes unterstreichen.“

Die sensible Cio-Cio-San zerbricht an der überheblichen Art des amerikanischen Marineleutnants Benjamin Franklin Pinkerton. Karen Leiber verstand durch anrührendes Spiel und mit ausdrucksstarker Stimme zu überzeugen. In ihrer Arie „Un bel dì“ und dem tief berührenden Abschied von ihrem Sohn wie auch in den Duetten mit Pinkerton, Konsul Sharpless und Suzuki war jeder Ton perfekt ausgearbeitet.

Bruno Riberio war nicht nur in seiner Erscheinung ein souverän auftretender, der Rolle entsprechend ein wenig arroganter amerikanischer Marineleutnant, sondern beeindruckte vor allem mit seiner kraftvollen, facettenreichen Stimme, die in allen Höhenregistern sicher glänzte. Konsul Sharpless (Daniel Fiolka) in elegantem, hellem Anzug war der ruhende Pol der Handlung, der mit seinem wohlklingenden Bariton versuchte, die emotionalen Wogen bei den Liebenden zu glätten. Als untertänige, subalterne Dienerseele belebte Joshua Whitener in der Rolle des Heiratsvermittlers Goro die Szene, wie auch Sonja Koppelhuber unauffällig, aber sicher als Dienerin Suzuki agierte. Alle Nebenpartien ergänzten trefflich das großartige Ensemble.

Zum eindrucksvollen Theatererlebnis trugen vor allem das stets sauber intonierende Philharmonische Orchester Würzburg unter der mitreißenden Leitung von Enrico Calesso bei. Der Dirigent verstand es, ergreifend Gefühle zu erwecken, ohne ins kitschig Schwülstige abzugleiten. Die dezente Regie von Arila Siegert wirkte ungezwungen natürlich, durch intensive Lichteffekte unterstrichen. Ein folkloristisches asiatische Flair wurde ebenso durch die in traditionelle Kimonos gekleideten Choristinnen, welche fröhliche rote Schirme schwenkten, suggeriert, wie auch durch ein typisch japanisches Häuschen mit den charakteristischen Schiebewänden. Den Mittelpunkt der Szene bildete ein offenes Boot als Symbol, damit der Enge Japans in die Freiheit nach Amerika entfliehen zu können.


Ernsthaft, kompromisslos, bezwingend

Madama Butterfly in Würzburg am 17.12.2014 (Repertoire-Vorstellung)

Werner Häußner, in Merker

 Dreiunddreißig Jahre war „Madama Butterfly“ am Mainfrankentheater Würzburg nicht zu sehen. Damals, 1980/81, hatte Regisseur Wolfram Dehmel die süßliche Tradition, das „kleine Fräulein Schmetterling“ als sentimentale Liebesschmonzette zu inszenieren, gründlich infrage gestellt und Puccinis Oper auf ihren Kern zurückgeführt: Mit der unvergesslich sensiblen Veronika Diefenbacher in der Titelrolle zeichnete er die Tragödie einer Frau nach, die sich in einer existenziellen Entscheidung von ihrer Familie, Kultur und Religion lossagt und katastrophal scheitert. Dehmel hatte damals viel vorweggenommen, was Harry Kupfers gerühmte Frankfurter Inszenierung bewegend ausarbeiten sollte. Nur: An einem kleinen Haus wie Würzburg wurde das damals überregional nicht registriert.

Jetzt hat es Arila Siegert in Würzburg geschafft, der wegweisenden Regiearbeit von damals eine ebenso ernsthafte und kompromisslose, dabei sorgfältig am Text der Oper orientierte Deutung an die Seite zu stellen. . Und wieder trägt mit Karen Leiber eine Darstellerin von Rang das Konzept entscheidend mit. Doch die neue Würzburger „Butterfly“ ist auch ein starkes Plädoyer für ein funktionierendes Ensembletheater: eine bedrohte Gattung, die von ignoranten Kulturpolitikern wie alert-anstelligen Theaterleuten – weil angeblich nicht mehr zeitgemäß oder nicht mehr finanzierbar – immer häufiger in Frage gestellt wird. Wuppertal ist das aktuelle Beispiel eines soeben verunglückenden Experiments in dieser Richtung.

Wenn sich in Würzburg die Szene belebt, blicken wir auf Hans Dieter Schaals nüchtern ästhetischen Raum, im Vordergrund elegant sachlich gehaltene Stufen und Kuben, im Hintergrund ein durch japanische Papierwände und –türen begrenzter Raum. Benjamin Franklin Pinkerton ist der einzige, der respektlos mit Schuhen in sein künftiges „Liebesnest“ stapft: ein erstes der vielen Zeichen, mit denen Arila Siegert ihre Personen kennzeichnet. Der Marineoffizier ist kein Brutalo, aber er hat kein Gespür für die Folgen seines Handelns. Er zeigt einen selbstverständlichen Kolonialismus, der sich gar nicht die Mühe macht, tiefer nachzudenken. Bruno Ribeiro als Gast gibt dem schlanken Amerikaner die Züge eines netten Jungen, der es genießt, seefahrend fremde Länder und exotische Erotik auszukosten. Sein Rassismus ist umso verstörender, weil er sich dem „Anderen“ freundlich zuwendet, dabei aber nur seine eigenen Interessen im Sinn hat.

Arila Siegert lässt uns die handelnden Personen auch durch die Augen Cio-Cio-Sans sehen, jener fünfzehnjährigen „Butterfly“, die pubertär radikal Pinkerton als die ganz große Alternative zu ihrem bisherigen Dasein verklärt. Für ihn setzt sie auf extremes Risiko: Sie schließt sich sogar seiner christlichen Religion an. Der Verachtung ihrer bisherigen Welt und ihrer Verwandten, die Pinkerton deutlich ausdrückt, setzt sie nichts entgegen – stellt sie sich doch innerlich im Grunde auf seine Seite. Siegert demonstriert das in der Führung der Personen. Und lässt folgerichtig die Japaner von Kostümbildner Götz Lanzelot Fischer in grelle Folklore kleiden, lässt sie nach schönster Klischeeart hereintrippeln, sich auf die Knie senken, sich püppchenhaft bewegen: eine Kultur aus der Sicht des Fremden und – im Falle Cio-Cio Sans – der fremd Gewordenen. Am Ende, nach der furchtbaren Enttäuschung, ist das traditionelle weiße Brautgewand, das Butterfly anlegt, ein Zeichen des Todes und eines der Rückkehr zu ihrer traditionellen Kultur.

In diesem Moment spielt eine andere szenische Chiffre eine bedeutende Rolle. Im Liebesduett am Ende des ersten Aktes entgrenzt sich die „japanische“ Welt: Die Wände heben sich und lassen ein Boot, getaucht in blaues Licht, erscheinen; eine Barke der Liebe, ein Zufluchtsort, enthoben der Realität. Das Boot markiert den innersten seelischen Bezirk, in dem Butterfly ganz ihr eigen ist. Suzuki und Cio-Cio-San schmücken es mit Blütenzweigen, als sie den zurückkehrenden Pinkerton erwarten. Aber zwischen den Planken nistet sich auch der Tod ein: Siegert lässt in dem Moment, in dem Sharpless erstmals andeutet, das es keine Rückkehr Pinkertons geben könnte, eine schwarze Gestalt im Hintergrund auftauchen, abgeleitet von dem düsteren Unheilspropheten des ersten Akts, dem Onkel Bonzo (Heyong-Joon Ha). Er wird der dunkle Begleiter Butterflys, zu ihm zieht sie sich zum Sterben in den Schatten des Bootskörpers zurück. Kein Harakiri also, sondern ein Verlöschen ihrer Existenz, für das Siegert ein bezwingendes Bild gefunden hat.

Karen Leiber kehrt in ihrer wunderbaren Verkörperung des japanischen Mädchens das Hoheitsvolle hervor, jenen jugendlichen Ernst, der sich zum Äußersten entschlossen an ein Ideal ausliefert. So zeigt sie, dass Butterflys tragischer Irrtum nicht aus den Grenzen kindliche Wahrnehmung entspringt, sondern aus der gesteigerten seelischen Sensibilität einer heranwachsenden, sich selbst überaus bewussten jungen Frau. Leiber agiert stimmlich mit erfülltem, leuchtendem Ton, jenseits möglicher technischer Einwände überzeugend mit der Entschlossenheit einer starken Seele. Ihr zur Seite ist Sonja Koppelhuber einmal keine ältliche Matrone, sondern eine junge Suzuki, eine Gefährtin Butterflys, die nicht mit dräuendem Alt, sondern mit warmem Mezzosopran die hilflose Verzweiflung der zu Passivität verurteilten Freundin ausdrückt. Barbara Schöller gibt als Kate Pinkerton erneut eine Kostprobe, wie sie selbst in wenigen Momenten eine Figur zum Leben zu wecken versteht.

Die Männer sind in dieser Oper schwach: Konsul Sharpless ist ein freundlich Anteil nehmender Mann, der mit diplomatischen Hinweisen versucht, die vorhersehbare Katastrophe abzuwenden, aber nicht den Mumm zum entscheidenden Schritt aufbringt. Daniel Fiolka zeichnet diese schwankende Person mit zuverlässigem, diesmal in der Höhe überfordert klingendem Bariton. Bruno Ribeiro als Pinkerton strahlt das anziehende Charisma des Fremden aus, entpuppt sich aber als profillose, sentimentale Figur. Stimmlich prunkt er mit dem Glanz einer gesunden Mittellage, weckt aber mit einer strapaziert klingenden, mit viel Krafteinsatz gebildeten Höhe Zweifel: Vor vier Jahren, als er den Icilio in Saverio Mercadantes „Virginia“ im irischen Wexford sang, wirkte sein Tenor noch ausgeglichener, gerundeter. Goro, von Joshua Whitener ohne charaktertenorale Verfärbungen gesungen, ist weniger der schmierige Händler mit Häusern und Geishas; eher kann er nicht nachvollziehen, was Butterfly bewegt, und will ihr nach seinen Maßstäben aus der Misere helfen.


Mit dem Philharmonischen Orchester erstritt sich GMD Enrico Calesso einen weiteren Triumph in seiner Laufbahn am Mainfrankentheater. Auch er nimmt Abschied von den bittersüßen, melodisch überzuckerten Interpretationen vergangener Kapellmeister-Generationen. Sein entschlacktes Dirigat lässt hören, wie viel Hartes in Puccinis Partitur notiert ist, wie unversöhnlich sich Klänge reiben können, selbst wenn sie harmonisch auf Konsonanz angelegt sind. Calesso demonstriert aber auch, mit welcher Meisterschaft es Puccini verstand, mit instrumentalen Details Stimmungen zu wecken, Gedanken und Gefühle zu unterstreichen.

Vor allem in den in Würzburg geöffneten Strichen, die auf die Mailänder Urfassung zurückgehen, wird das deutlich: Viel aufschlussreicher wirkt der familiäre Hintergrund der Japanerin; viel drastischer zeigen sich Arroganz und Ignoranz des Amerikaners. Was Calesso – für meine Begriffe zu forsch – ausmerzt, sind die groß angelegten emotionalen Höhepunkte. So subtil er im Lyrischen vorgeht, so verflachend fasst er Dramatisches auf. Doch nicht alles, was er einebnet, muss unter dem Stichwort traditionalistischer Schlamperei eingeordnet werden. Letztlich überzeugen Orchester und Dirigent durch den Ernst und das Engagement, mit dem sie sich Puccini widmen. Der enthusiastische Beifall im – wie stets – gut gefüllten Haus beweist, dass die ausgezeichnete Ensemble-Leistung und die durchdachte Regie beim Publikum auf viel Gegenliebe stoßen.