Ihrer leuchtenden Kleider beraubte, nunmehr grau-mäusige
Gestalten, drei Männer und drei Frauen, laufen aufeinander zu und
verfehlen sich wieder und wieder; kein Mittelpunkt ist da. Dabei
besingen sie halbherzig erleichtert gängige Moral. Der treulose
Tunichtgut fand seine gerechte Strafe. Dieser aber, wie ein
Springteufel der Hölle entstiegen, grüßt mit dem Champagnerglas.
Dionysos, ewig jung und schön. Doch die Flasche ist leer. Am Ende
hält er sie wie eine erloschene Totenfackel nach unten.
In Arila Siegerts Inszenierung
des „Don Giovanni“ gibt es immer beides, die Tragödie und die Farce,
die Tanzshow und das Drama, die hehre Oper und das sinnliche Spiel.
Eine Banalität eigentlich, wenn man von Mozarts „Dramma giocoso“
spricht, aber in dieser Produktion ist die theatralische Ambivalenz
bis zur Gleichzeitigkeit eng ineinandergeknüpft.
Arila Siegert baut ihre Konzeption auf die Todesmusik der
Ouvertüre auf. Immer wieder ist der Tod gegenwärtig. Hinter jeder
Tür hält er sich verborgen, alle schreckt die schlanke Gestalt des
versteinerten Komturs: Elvira, wenn sie sich entfernen möchte,
Leporello, wenn er die verborgene Friedhofspforte sucht. Nur
Giovanni nimmt den Tod an. Er lacht über ihn, er lächelt ihm zu,
schließlich lädt er ihn zu sich ein. Nur einmal kommt er ihn bitter
an.
Wenn Don Giovanni vor dem Fenster von Elviras
Zofe seine Kanzonette singt, tut er dies am Boden zusammengekauert
als ein Abschiedslied ganz für sich selbst. Der schwarze Komtur
spielt dazu auf der schwarzen Mandoline – einer der berührendsten
Momente des Abends. Dieses „Deh Vieni“ ist aber nur eine von vielen
Überwältigungen dieser an fein ausgearbeiteten, immer wieder
frappierend sinnlichen und sinnerfüllten Überraschungen so reichen
Inszenierung.
Sie basieren auf dem scheinbar unerschöpflichen Bewegungsvokabular,
mit dem die Regisseurin Arila Siegert und ihre Protagonisten
erzählen. Siegert, die frühere Tänzerin und Choreografin, ist mit
dieser Arbeit für das Theater Plauen/Zwickau wieder sehr nah an
ihren ursprünglichen Beruf herangekommen.
„Là ci darem la mano”, das „Gänsehaut“-Stück in der “Oper der Opern” lässt sie fast tanzen. Durchgespannt die Körper Giovannis und Zerlinas, ausgestreckt die Hände bis zu den Fingerspitzen und doch berühren sie einander nicht. Reich mir die Hand – Soll ich oder soll ich nicht? – Schließlich ergreift er sie, wirbelt sie am langen Arm um sich herum, wechselt die Position, holt sie immer näher. Ausgeklügeltes Verführer-Handwerk, dem er schließlich, eigentliches Ziel der Übung, selbst wie sie, erliegt. Donna Elvira schaut durch die Latten der Jalousie zu. Jeder Moment des Abends ließe sich in dieser Art beschreiben. Arila Siegert dazu:
SIEGERT: Die Idee ist eigentlich der Körper. Dass wir in diesem Körper stecken und die ganzen Emotionen und Gefühle und Ahnungen uns treiben, die Affekte uns treiben und sehr wenig wir eigentlich über unseren Intellekt steuern können, was die Gefühle betrifft. Dass dieser Körper uns lenkt und dass 58 % unserer Sprache die Körpersprache ist, dass wir ungefähr 28% tonal uns also über das Hören verständigen und der Rest über den Intellekt. Und daran sieht man, was der Körper schon in der reinen Kommunikation mit uns Menschen macht. Dieser Körper ist ein Instrument um über das Leben zu meditieren, was in diesem Stück hier bis zur Vernichtung und dem Trotzdem-Weiterleben des Don Giovanni bis heute funktioniert. Er ist eben nicht totzukriegen, dieser Mann.
Arila Siegert hat es verstanden, alle lebenden Figuren und den Chor um Don Giovanni kreisen zu lassen. Nur der Komtur ist unabhängig von ihm. Das ist gedanklich-konzeptionell und gleichzeitig physisch gemeint.
SIEGERT: Ich forme eben die Körper sehr stark bei den Sängern und das gefällt ihnen eigentlich, weil sie sagen, sie kommen dann sehr stark mit Text und Körper und Raum - die Beziehungen helfen ihnen, das alles zu verdeutlichen, was in der jeweiligen Szene verlangt wird.
Hans Dieter Schaal hat für die Plauener Bühne einen hoch artifiziellen Raum geschaffen, der auf der Drehscheibe immer wieder andere Türen, Fenster, Veranden, Durchlässe öffnet, der zerfällt und strahlt, Verstecke und Freiräume bietet, Friedhof und Festsaal sein kann. Ebenso ausgefeilt die Kostüme von Marie-Luise Strandt; gegenwärtig zeitlos Signale setzend. Giovanni mit großem schwarzen Hut gibt bis in die sinnlich-fragile Körpersprache hinein eine aristokratisch veredelte Michael-Jackson-Figur während Leporello wollmütziges Rapperzeug anhat, Donna Anna trauert im hochedlen Schneiderkostüm, Zerlina bezaubert im weißen Tanzkleid des 18. Jahrhunderts, Masetto trägt Zimmermanns-Habit.
Das Inszenierungsteam kommt aus dem geistigen Umfeld Ruth
Berghaus’ und eine winzige Hommage an Berghaus’ legendären Berliner
„Giovanni“ war auch zu sehen.
Der von allen umkreiste Mittelpunkt, sehr
präsent und bewegungssensibel bis in die Fingerspitzen war
Shin Taniguchi in der Titelpartie. Er beherrscht das
gestische Singen, stellte seinen schönen volltönenden Bariton nicht
vordergründig aus, ließ sich Zeit, vermittelte auch die leisen und
gebrochenen Töne.
Katrin Kapplusch spielte sich als Donna Anna in
eine tragische Größe hinein, ließ sie aber an den Umständen immer
mehr zerbröckeln; stimmlich die reichste, leuchtendste in der
außerordentlich jungen Besetzung. Ihr auch stimmlich noch sehr
junger aber energischer Ottavio, Joshua Withener,
wird schon seine nächste Frau dominieren. Hinrich Horn gab
wohllautend beweglich den perfekten Leporello, fast symbiotisch mit
seinem Herrn verbunden.
Das gesamte Ensemble einschließlich des individuell geführten Chores
und der großartig kostümiert aufspielenden Bühnenmusiken bot eine so
unglaublich perfekte Ensembleleistung, dass sie von Lutz de
Veer und dem Orchester geradezu als Ganzes musikalisch
getragen werden konnte.