Die Inszenierung geriet schlackenlos und stringent, da sie sich weder darauf versteifte, Geheimnisse der dreigeteilten Frauenseele zu erforschen noch Hoffmanns Bindungsängste zu therapieren, nicht die Dämonie der Muse suchte oder die Spieß- und Spaßgesellschaft geißelte. Siegert suchte keinen Subtext, mit der Künstleroper erzählt sie von Künstlern.
Im Vorspiel auf dem Theater wird der Ausgangspunkt der Geschichte klar. Untermalt von der präludierenden Solo-Violine geraten Hoffmann und Sängerin Stella in einen Streit. Der um Verzeihung bittende Brief, mit dem die Oper beginnt, ist somit motiviert. Dass der Bote – des Teufels Diener und niemand anders als Klein Zack – ihn an den Rat Lindorf verkauft – den Teufel –, sorgt für den tragisch großen Schluss. Dieser Teufel, der große Verwandlungskünstler (ordentlich bassig: Thomas Mäthger) und sein dienstbarer Unterteufel (knatschig chraktertenoral: Jürgen Mutze), sind immer deutlich erkennbar präsent.
Die Regisseurin tut dem so geistesklaren „Gespensterhoffmann“ alle Ehre an. Als imaginiere man eine seiner Geschichten, gibt es Verdopplungen und Verwandlungen, lebende Spiegelbilder und Spiegel ohne Bilder, tote Seelen und solche, die nie lebten. Ihre schaurigste Erfindung ist ein höllisches Orchester, dazu verbannt, ewig zu spielen und keinen Ton hervorzubringen. Auch das lichte und praktikable Bühnenbild Johannes Conens hilft der Handlung. Drei transparente Wände mit Bogentoren, dazu Tische und Stühle ermöglichen rascheste Verwandlungen zwischen Lutters Weinstube und den Schauplätzen der Liebeshandlungen.
Fabrice Bollon am Pult der Robert Schumann-Philharmonie spielte tatsächlich Offenbach. Diese geniale Oper erschien endlich einmal nicht abgekoppelt vom blitzenden Glanz seiner Operetten. Die Tempi waren frisch, die Akzente schmissig, und wenn sattes Schwelgen verlangt war, ging Bollon mit seinen Musikern wirklich zur Sache. Jana Büchners Olympia war die puppenhafteste, die ich je erlebte. Stimme, Figur und Bewegungstalent der Sängerin und die Fantasie der Choreografin-Regisseurin trafen sich auf das Glücklichste. Stimmlich vorzüglich war auch Kerstin Randall als besessene Künstlerin Antonia, ebenso ohne Fehl und Tadel Valérie Suty als carmenmäßig sinnliche Giulietta. Ute Baum erfüllte die schwierige, „Neben“-Rolle der Muse mit musikalischer und darstellerischer Präsenz und leuchtenden Koloraturen.
In diesem Werk ist alles nichts, wenn man keinen Tenor hat. Selbst die Kollegen applaudierten Edward Randall, als er im großen Schlussapplaus zu Recht für seinen grandiosen Hoffmann gefeiert wurde.
Mit einem kleinen hinzuerfundenen Krach zwischen Hoffmann und Stella in der Garderobe lässt Arila Siegert ihre Inszenierung beginnen, bevor der frustrierte Dichter in Luthers Weinstube von „seinen“ drei Frauen erzählt. Aber es ist weniger gelebtes Leben, von dem da berichtet wird, als der Versuch mit gescheiterten Beziehungen fertig zu werden und sie in Kunst umzumünzen. Kunst kommt von Leben. Auch von nicht gelebtem, oder von unerfüllter Liebe.
Arila Siegert findet in drei transparenten und verschiebbaren Bühnenmauern, mit denen sich im Handumdrehen die Schauplätze wechseln lassen, den Rahmen für jene durchnüchterte Romantik, mit der sie die Geschichte souverän und konzentriert erzählt. Das teuflische Personal Thomas Mäthger mit solider Wandlungsfähigkeit und einer dunkel leuchtenden Spiegelarie als Krönung) und sein komödiantischer Gehilfe (Jürgen Mutze) werden dabei nicht allzu diabolisch überzeichnet.
Im Olympia-Alt singt Jana Büchner nicht nur glockenklar, sondern bewegt sich unter den wohlwollend gemütlichen Blicken ihres Schöpfers auch perfekt automatenhaft. Für das Düstere der sterbenden Antonia (hochpräsent: Kerstin Randall) versammelt sich ein gespenstisches Orchester auf der Bühne: zum Spielen verdammt, ohne dabei auch nur einen einzigen Ton hervorzubringen. Schließlich entfaltet Giulietta (mit carmenesker Präsenz: Valérie Suty) ihren handfesten Verführungsversuch im sparsam Atmosphärischen einer sanft imaginierten Stuhlkippel-Barcarole mit Wellenreflexionen und auf dem wankenden (Bühnen-)Boden Venedigs.
Bei Edward Randalls Hoffmann korrespondiert der mitunter angestrengte Eindruck durchaus mit seinen scheiternden szenischen Annäherungen an die Frauen. Da er stets mit vollem Einsatz singt, riskiert er auch, dass seine Grenzen in puncto Geschmeidigkeit in der Emphase deutlich werden. Fabrice Bollon setzt mit der Robert-Schumann-Philharmonie auf eine melancholische Ernsthaftigkeit, es klingt allerdings gelegentlich auch wie eine deutsche Übersetzung. Die wird bei den Sängern immerhin für wenige ariose Lichtblicke französisch unterbrochen.
Erstaunlich leidenschaftsloser Jubel zur Premiere Jacques Offenbachs einziger Oper Hoffmanns Erzählungen in einer Inszenierung von Arila Siegert am Sonnabend in Chemnitz.
Zu Unrecht. Arila Siegert hat die drei seltsamen Weibergeschichten des Dichters und Säufers Hoffmann (E.T.A. Hoffmann, Uraufführung vor 123 Jahren in Paris) neu gemischt und das männliche Hecheln nach der Traumfrau bißchen gespenstisch, meist spannend und wohltuend zeitlos in Szene gesetzt: Hoffmann erzählt in der Kneipe von Liebeserlebnissen mit einer seelenlosen Puppe, einer romantischen Künstlerin und einer lebenslustigen Venezianerin.
Keine Altertümelei, die Herrenrunde in passablen Modemarkt-Klamotten ist gespannt bei der Sache, wenn es um das Thema Nummer 1 geht. Die Bühne mit sparsamem Rundbogengemäuer: ein Wunderwerk aus Transparenz und Licht (Johannes Conen, Holger Reinke). Erfrischende Einfälle mit Spiegeln, Tretrad, Fleischwolf und verdrecktem Kammerorchester. Alles bewegt und alle bewegen sich, selbst die Bühne nebst Leutchen kommt (Venedig-Szene) schön ins Schwanken. Der Böse ist bei der Siegert ein schmierig-kluger Vertretertyp, der Gute eine selbstmordgefährdete tragische Figur. Zum Happyend Offenbachs fantastischer „Erzählungen“ vom Dichter, der Kunst und der wahren Liebe wickelt sich das überhaupt nicht glücklich scheinende Paar in einen übergroßen Mantel.
Das ist vor allem in der ersten Hälfte witzig gespielt, insgesamt toll gesungen von einem hervorragenden Ensemble mit Thomas Mäthger (der böse Lindorf), Jana Büchner (als Olympia ein Ereignis), Edward Randall (Schwerenöter Hoffmann), Ute Baum (souverän als Muse und Gefährte Niklas), Valérie Suty (Giulietta), Kerstin Randall (Stella, Antonia), Jürgen Mutze, Dietrich Greve, Piotr Bednarski, Chor und Robert-Schumann-Philharmonie mit Fabrice Bollon.
Es gibt freilich Momente, da ist die Siegert nicht wieder zu erkennen: Pathos und Rampensingerei im 3. Akt. Männern, die sich vor ihrer Angebeteten auf die Knie krachen, sollte ohnehin der Operntod gegönnt werden.
Er singt das alte Lied, nichts weiter. Hoffmanns Erzählungen sind Fantasien von Liebe. Und das Ende vom Lied? Der Mensch geht dran kaputt. Hoffmanns Erzählungen: drei Frauen – drei Dramen – drei Tote. Aber der gute Mann selbst ist ja ein Dichter, er bleibt übrig, denn der hat seine Muse, die wird ihn fortan küssen, die wahre Liebe des Künstlers ist treu.
Na also, es ist wiedermal so richtig Oper. Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ lassen sich seit Samstag in der Chemnitzer Oper hören und sehen. Neu ist, dass Regisseurin Arila Siegert alle drei Geliebten Hoffmanns zu Grabe trägt. Doch das ist konsequent. Sie greift in die Luft und drückt seiner dritten, der venezianischen Kurtisane Giulietta, einen Becher Gift in die Hand. Vor ihr ist schon Olympia, das automatisierte Technik-Monster, kaputt gegangen.
Und Antonia, die bedauernswert ehrgeizige Primadonna, sang erfolglos um ihr Leben. Giulietta hingegen hatte schon etwas vom künftigen Schluss in die Szene zu tragen. Sie gondelte mit einem Freier fröhlich über den Canale Grande aus Hoffmanns Blick- und Schmachtfeld, dazu das berühmteste Stück Opernmusik Offenbachs, die ohrenbetörende Barcarole. Auch das war logisch. Gleich darauf verschwindet im Schlussakt die Operndiva Stella ebenso, und zwar am Arm des einflussreichen Ratsherrn Lindorf. Und mit ihr nun ist Hoffmann all seine Fantasien endlich los.
Denn Stella ist die eigentliche Liebe des Dichters gewesen, in ihr vereinen sich Giulietta wie Olympia und Antonia, in ihr sammeln sich all diese peinvollen Liebesdramen, die Hoffmann erzählend dichtet, bei Wein und Bier, versteht sich. Und Gesang. Wein, Weib und so weiter. Banal etwa? Nein, die Oper ist genial. Das Fantastisch-Gespenstische dieses Budenzaubers in Lutters Weinkeller, der verknallten Obsessionen des Dichters, alles wird durch die Musik Offenbachs real, zupackend glaubwürdig. Hör- und sichtbare Dichtung.
Arila Siegert bringt gemeinsam mit dem Ausstatter Johannes Conen sinnliche Bilder in Szene, hier ist Klang zugleich optisch erlebbar. Offenbach charakterisiert das Detail, den Moment des genussreichen Erlebens, bei ihm geht es nicht um die große Linie oder gar um die durchgängige Konzeption von Motiven. Dämonisch tragische deutsche Romantik in einem Berliner Saufkeller, in dem der bunt schillernde E. T. A. Hoffmann wirklich soff und dichtete, ist französisch erleichtert und dadurch gehoben: Die Ballade vom Kleinzack am Hofe von „Eisenack“, die Hoffmann am Anfang singt, wird die Tragik des Ganzen.
Aus dem Dichter wird der „Gespenster-Hoffmann“, der Künstler ist eine Art Hofnarr, ein verunstalteter Gesellschafts-Clown. Die Studenten in Lutters Weinkeller warten begierig auf Hoffmanns Lieder und Erzählungen, sie sind nicht trinkfreudig allein, sie sind literatursüchtig, wenngleich sie den komplizierten Verstrickungen Hoffmanns in die drei Gestalten einer Frau nicht problemlos folgen können. Literatur ist eben nicht leicht zu durchschauen. Bei Goethe noch verarscht Mephisto gewaltig die törichten Studenten in Auerbachs Keller, bei Jacques Offenbach in Lutters Keller erwarten sie den Dichter wirklich.
Die Musik wird gut gespielt, Fabrice Bollon am Pult formt mit der Schumann-Philharmonie plastisch die Klangbilder, die die Szene initiieren. Gesungen wird gut, es gibt herausragende Leistungen wie die von Jana Büchner, Thomas Mäthgerund von Ute Baum als Muse. Ihre Rolle ist hier stark profiliert und eindringlich dargestellt, sie verkörpert das schöne poetische Violinsolo, das Hartmut Schill ihr spielt. Edward Randall als Hoffmann setzt Impulse mit der Stimme, von seinem unbeholfenen Spiel geht nichts aus. Es gibt Szenenbeifall, am Schluss wird reichlich geklatscht. Redlich verdient.
Wohl dem Manne, dem sich eine Muse zugesellt hat, die ihn nach unheilvoll-seeligen Irrfahrten im Zauber- und Hexenland der Liebe und Leidenschaft in ihren weiten Mantel hüllt. Die ihn hinweg trägt aus der garstigen Welt unerfüllter Sehnsucht in das Reich der Poesie, wo nur Freudenzähren fließen.
Solches Glück wird im Opernhaus von Chemnitz dem Säufer-Dichter Hoffmann zuteil, den seine Erzählungen dank der genialen Musik von Jacques Offenbach zum weltberühmten tragischen Tenorhelden befördert haben. Während im originalen Nachspiel aus des Komponisten Nachlass die Muse den vom Liebesleid Erschlafften zurücklässt, gibt ihm Arila Siegert eine Chance.
Überhaupt zeigt die hochsensible und fantasiebegabte Regisseurin erhebliche Sympathien für den Künstler und für „Offenbachs späte Spottgeburt aus Traum und Wirklichkeit, Kunst und Leben“ (Wolfgang Schreiber). Siegert inszeniert die Erzählungen als weinverhangenen Tagtraum eines Enttäuschten, was sie in dem von ihr ersonnenen Vorspiel begründet: Nach einem Streit mit der angebeteten Sängerin Stella (Olympia, Antonia und Giulietta in einer Person) fabuliert sich Hoffmann im Kreise der pokulierenden Studenten in ein dämonisches Reich, das ein Höllenfürst in vielfacher Gestalt regiert.
Arila Siegert beruft sich auf ein Gedicht von Charles Baudelaire aus den „Blumen des Bösen“, die tödliche Blüten treiben, Hoffmann letztlich jedoch nichts anhaben können, weil die Regisseurin ihrem Hoffmann die Flucht in eine Welt außerhalb des Materiellen gestattet. Er wendet sich bewusst von Stella ab und entscheidet sich für den „Geist des Schönen“, für die Muse als einzige wahre Liebe.
Im Verein mit dem vorzüglichen Ausstatter Johannes Conen und dem exzellenten Lichtgestalter Holger Reinke führt Siegert mit ironischen Brechungen in ein durchaus heutiges Universum, verschiebt den Schwerpunkt von der Realität auf die Fiktion, gibt in ihrer spannend-unwirklich-unheilvollen Szenografie genügend Raum für Humor, Tragik, Groteske sowie Absurdes und fasziniert mit der aktuellen Dämonie der Romantik. Und immer wieder verweist die Inszenierung auf den Vater des Textes, auf E. T. A. Hoffmann, dessen Schriften Heinrich Heine als einen „entsetzlichen Aufschrei in 20 Bänden“ deutet.
Diese beunruhigend-beglückende szenische Gespenstersonate lebt aus und vom Rhythmus und von der Einzigartigkeit der Offenbachschen Musik, die nach dem Urteil von Siegfried Krakauer „von der Panik des im Finstern verlorenen Kindes erfüllt ist“.
Unter dem beseelt-exakten Dirigat von Fabrice Bollon lässt die renommierte Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz Offenbachs Melodien in ihrer unwiderstehlichen Schönheit erklingen: flexibel in Tempo und Artikulation, homogen im Wohlklang, klar prägnant und durchsichtig. Der lyrische Ausdruck steht neben dramatischer Charakterisierung. Bis zum letzten Takt erlebt das Publikum die unbändig-gezügelte Kraft berauschenden Musizierens. Stets präsent und sicher auch der Chor (Leitung: Matthias Böhm).
Auf der Bühne erklingen durchweg gute Stimmen, zu denen sich oft auch darstellerischer Ausdruck fügt, wie bei der vorzüglichen Mezzosopranistin Ute Baum als deutlich aufgewertete Muse Niklas, bei der koloratursprühenden Jana Büchner als Automatenfrau Olympia, bei der seelenvoll formulierenden Kerstin Randall als melancholische Antonia, und bei der sinnlich-berechnenden Giulietta von Valérie Suty, deren Venedig-Akt auf einer bühnenbreiten Wippe stattfindet.
Ein Sonderlob verdient der makellose Bassbariton Thomas Mäthgers, weil er die enorme Herausforderung von vier Rollen (Lindorf, Coppelius, Mirakel und Dapertutto, denen er elegant-geschmeidige Gefährlichkeit gibt) mit Bravour bewältigt. Das kann man Edward Randall in der mörderischen Titelrolle nur eingeschränkt bestätigen, denn dem mitunter tenoralen Glanz und der klugen vokalen Ökonomie stand schauspielerische Unbeholfenheit gegenüber. Allerdings muss man jedem Hoffmann kleine Schwächephasen zugute halten, zumal er sich mit drei jeweils „frischen“ Sopranistinnen messen muss und fast ständig beschäftigt ist.
Dass der Antonia-Akt von einem dämonischen Orchester auf der Bühne begleitet und kommentiert wird, und dass die Regisseurin auch Giulietta mittels Gifttrank sterben lässt, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Doch nicht nur „Hoffmann“ sollte zu einer Reise nach Chemnitz reizen, dessen Opernhaus nach dem Zweiten Weltkrieg auferstanden aus Ruinen, dank mehrjähriger Rekonstruktion und kompliziertem Umbau heute zu den modernsten Bühnen Deutschlands gehört.
Chemnitz wird zu Recht das „sächsische Bayreuth“ genannt. Was das Haus damit unterstrichen hat, dass es während der Osterferien den kompletten „Ring“ von Michael Heinicke präsentierte und ihn im November erneut schmieden wird.
Es ist zwar eher ein Kriterium für Bildende Kunst als für die Bühne, aber man kann nicht umhin, es festzustellen: Arila Siegerts Inszenierungen passen in das Chemnitzer Opernhaus, als seien es Installationen für dessen Innenarchitektur. Es herrschen durchsichtige Helligkeit und klare Linien, nirgends spürt man lastende Schwere und immer wieder findet sich ein zärtlich verspieltes Detail.
Genau dies lässt sich für die neue Produktion von Hoffmanns Erzählungen in Chemnitz sagen. Arila Siegert hat das Stück schnörkellos stringent erzählt. Das grandiose Werk hat zahllose Aspekte, die man mit Gewinn in den Mittelpunkt stellen kann, es ist vom Scheitern des Träumers in der Pragmatikergesellschaft die Rede, von männlichen Bindungsängsten, vom gefährlichen Suchtmittel Kunst. Siegert inszenierte die Hauptgeschichte: Hoffmanns schmerzhaftes Durchleben scheiternder Liebe und die Sublimierung des Leids in künstlerische Werke. Dieses Leiden heißt Desillusionierung bei der Puppe Olympia, Feigheit vor der Künstlerin Antonia, Scham über schafsköpfig blindes Verlangen nach der Kurtisane Giulietta. Die Kunst, das sind Hoffmanns Erzählungen, zuerst live in Lutters Weinkeller, später wird die Novellenfassung im Arbeitszimmer folgen. „Groß wird man durch die Liebe, größer durch Tränen“, tröstet die Muse den Erzähler am Schluss.
Bis in die Personage seiner Erzählungen ist Arila Siegert ihrem Helden gefolgt. Die Bühne wimmelt von hoffmannesken Gestalten. Spiegelbilder werden lebendig, harmlose Hofräte verwandeln sich flugs in den Teufel in vierfacher Gestalt, Frauen schweben als schwarze Engel durch schwere Träume, ein stummes Seelenorchester spielt der besessenen Antonia auf. Johannes Conens Bühnenbild dient konsequent der Handlung. Drei transparente Wände mit Durchgängen lassen das in Rahmenhandlung und Rückblenden erzählte Stück filmschnittartig schnell am jeweils richtigen Ort sein, im Weinkeller oder bei den jeweiligen Damen.
Tempo, Klarheit und Durchsichtigkeit bestimmten auch Fabrice Bollons Musizieren mit der Robert-Schumann-Philharmonie. Dass die schwelgerisch romantische Oper tatsächlich von Jacques Offenbach, dem Komponisten der blitzenden Ironie, stammt, hört man selten, aber in Chemnitz. Vier vorzügliche Sängerinnen werden gebraucht, für die Muse und die drei Geliebten, dazu ein sonorer Bass als hintergründiger Bösewicht, ein Charaktertenor als Diener in viererlei Gestalt und ein grandioser lyrischer Tenor für die Titelpartie. Keine und kein einziger waren nicht gut. Ein bisschen besser waren nur Edward Randall in der Titelpartie, der alles bot, was verlangt wird: Leidenschaft, lyrisches Dahinschmelzen und Durchhaltevermögen bis zum Schluss der Riesenpartie. Jana Büchner sang und spielte die in automatenhafter Bewegung, puppenhafter Erscheinung und spieldosenmäßiger Gesangstechnik perfekteste aller Olympias, die ich je sah und hörte. Chemnitz jubelte nach der Premiere.
Ein wahrer Genuss erwartete die Premierengäste am vergangenen Samstag im Chemnitzer Opernhaus. Hoffmanns Erzählungen bildete eine fesselnde Einheit aus dynamischem Bühnenbild, überwiegend mitreißenden Akteuren und stimmungsvollen Melodien.
Unter der musikalischen Leitung von Fabrice Bollon und inszeniert von Arila Siegert versetzt das Ensemble die Zuschauer auf überzeugende Weise in eine romantische, mitunter phantastische Zeit, in der der junge Künstler Hoffmann (Edward Randall) in Lutters Weinkeller seine Geschichten erzählt. Dass sich hinter den drei erdachten Damen mit Namen Olympia (Jana Büchner), Antonia (Kerstin Randall) und Giulietta (Valérie Suty) einzig und allein die Sängerin Stella verbirgt, ist nur ein Teil der Geschichte. Spannend: die Rolle der Muse (Ute Baum) in Gestalt des Freundes Niklas. Er/Sie ist auf seiner „Erkenntnisreise“ stets an Hoffmanns Seite. Sie als Zuschauer dabei zu begleiten ist eine Freude. Die Melodien aus der Feder von Jacques Offenbach tragen mühelos von Akt zu Akt, einzig die Pause hätte zu einem späteren Zeitpunkt ihren Zweck besser erfüllt.
...Arila Siegerts Inszenierung am Chemnitzer Opernhaus ist interessant, weil sie im Verbund mit einer unaufwendigen, einfallsreichen Ausstattung von Johannes Conen schnell verwandelbare Bilder erstellt, die Wirklichkeit und Vision in der Handlung nahtlos ineinander übergehen lassen können. Damit erscheinen die drei Frauengestalten Olympia, Antonia und Giulietta, von denen Hoffmann den Studenten im Weinkeller erzählt, tatsächlich der angebeteten Sängerin Stella sehr nahe, ihr verwandt... An choreografisch-gestischen wie dekorativen Ideen mangelt es nicht. Sie sind recht originell wie die zwei schaukelnden Böden – Venedigs Gondeln und Wellen andeutend, die jedoch nur funktionieren, wenn einer ständig hin und her läuft. Oder die an kaum sichtbaren Fäden hängenden Gegenstände, in die Olympia zielgerichtet hineinfällt und die sie programmiert benutzt, was mit bewundernswerter Präzision erfolgt... Jana Büchner führt als Olympia nicht nur exakte Puppenbewegungen vor, sondern auch lupenreinen mechanischen Gesang, dessen überirdischer Schönheit man sich nicht entziehen kann...
Vorsicht Kunst! Auf der Bühne nur Phantasie, unglaubliche Begebenheiten, übernatürliche Kräfte. Immer wieder entführen die Erzählungen des Dichters Hoffmann in absurde Welten voller merkwürdiger Gestalten. Aber das Fabelhafte zieht gnadenlos an. Erst recht, wenn Arila Siegert inszeniert. Zusammen mit Ausstatter Johannes Conen gelingt ihr eine traumhafte Atmosphäre zwischen Leichtigkeit und Bedrückung. Fast glaubt man sich in einem farbenprächtigen Cinemascope-Film, wenn sich die Sauf-Kumpane um Hoffmann scharen und die wilden Geschichten seiner vermeintlichen Liebschaften hören: Von der entzückenden Olympia, die mit einzigartiger Stimme verzauberte und doch nur eine Puppe war. Von der leidenschaftlichen Antonia, die sich zu Tode sang. Und von der eiskalten Kurtisane Giulietta, die ihm das Spiegelbild und also sein kreatives Alter Ego raubte. Das ewige Spiel um Liebe und Verdruss schwingt sich zu wunderbaren Bildern auf: mit altbekannten Liedern und schönen Stimmen.Allen voran brilliert Jana Büchner als Olympia. Aber auch Ute Baum als Muse und Thomas Mäthger treiben die wunderlichen Ereignisse kraftvoll voran. Dagegen macht Edward Randall den Exzentriker und Künstler Hoffmann zuweilen nur recht vage erlebbar. Dennoch: ein Opernerlebnis von hinreißender Ästhetik.
Selten sah man eine so klar entwickelte, vollendet gestaltete Erzählungen Hoffmanns wie in der Chemnitzer Inszenierung der unvollendet hinterlassenen Oper Jacques Offenbachs durch Arila Siegert. Kurz und knapp gibt sie anfangs zu einem Violinsolo die Vorgeschichte. Es ist der Streit es Dichters mit der Geliebten Stella, die schon hier ihre drei Charaktere offenbart, und dem „Mephisto“ Lindorf, der durch den Kauf des Versöhnungsbriefes intrigiert, die Liebe des Paares zerstört. So stürzt er Hoffmann in trunken machende Verzweiflung, in zynische Verzerrungen des Bildes der Geliebten. Und die Muse führt ihn zu höheren Taten, leitet seinen Liebesschmerz (am Ende mit Hoffmann auch bildhaft vereint) zu dichterischer Aktvität.
Mit plastischer Bildkraft eines fantastisch sich variierenden Bühnenbildes von Johannes Conen samt geisterhafter Personage eines imaginären Orchesters bei Antonia und wie auf Meereswogen sich bewegenden Spielgrunds im Venedigbild setzt die Regisseurin sinnfällig ihre Vorstellungen im Geiste Offenbachs um. Das Chemnitzer Ensemble ohne erkaufte Stars ermöglichte ihr eine intensive Gestaltung, und sie bot jedem eine effektive Chance, hatte einen darstellenden Tenor wie Edward Randall als Hoffmann und einen bassigen Gegenspieler Thomas Mäthger als Lindorf. Beide trugen das Spiel. Mit Jana Büchner als in Koloratur und puppig faszinierendem Spiel hinreißender Olympia (so etwas sah man noch nie!) hatte Arila Siegert eine wendige Darstellerin und mit Jürgen Mutze einen Komödianten in den Dienerrollen, die Akzente setzten.
Insgesamt waren die Leistungen hervorragend und fanden in der schlackenlos durchgezogenen Inszenierung einen besten Platz. Das Publikum feierte die Aufführung begeistert, natürlich besonders auch das Orchester unter Fabrice Bollon, der das Ensemble zu Höchstleistungen inspirierte, operngemäß, wo nötig, operettenhaft, wenn gefordert, immer aber in treffender Einfühlung.
Wohl kaum eine andere Oper hat so viele Bearbeitungen über sich ergehen lassen müssen wie Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“. Bei der Generalprobe strich man den Giulietta-Akt, so dass bereits die erste Vorstellung Umstellungen mit sich brachte. Ich habe in den letzten Jahren kaum eine Fassung dieser Oper erlebt, die auch nur annähernd identisch mit den anderen war. Die Frage nach einer originalen Fassung wird wohl auch in Zukunft sekundär bleiben – wichtig ist, dass der Ideengehalt des Werkes gewahrt bleibt.
Eine interessante Lesart stellte unlängst Arila Siegert mit ihrer Chemnitzer Inszenierung des Stückes (Premiere war am 27.03.) vor. Die Regisseurin erzählt das, was sie an dem Stoff bewegt. Sie hat sich ein Vorspiel auf dem Theater ausgedacht, das als Initialzündung für die Erzählungen von Hoffmann fungiert. Die gefeierte Operndiva Stella und der Dichter-Komponist Hoffmann liegen wieder einmal im Clinch. Die Muse beschließt einzugreifen, um Hoffmann von dieser Frau zu lösen. Hoffmann, durch die Geister des Bieres und des Weines inspiriert, beginnt zu erzählen. Er erfindet Geschichten, um subjektiv Erlebtes zu begreifen und zu verarbeiten. Unbewältigtes wird so bewältigt. An der Seite seiner Muse wagt er einen neuen Anfang. Ein kurzweiliger Theaterabend! Vor allem auch deshalb, weil Frau Siegert den Zuschauer mit Bildern weder überfrachtet noch überfordert. Ihre Inszenierung ist transparent – und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Die von Johannes Conen entworfene Ausstattung markiert mit relativ sparsamen Mitteln Handlungsorte, ohne sich auf Konkretes festzulegen. Das schafft auch rasche Verwandlungen. Verblüffend ist für mich in diesem Zusammenhang auch immer wieder, was die Bühnentechnik des Opernhauses Chemnitz möglich macht. Man muss sie halt zu nutzen wissen! Die Geschichten seiner drei Geliebten erzählt Hoffmann in der Reihenfolge: Olympia – Antonia – Giulietta. Jana Büchner ist die puppenhafteste aller Olympia-Puppen, die ich bislang auf der Theaterbühne erlebt habe. Sehr diszipliniert trägt sie ihre Koloraturen vor. Die Partie der Antonia kommt der stimmlichen Entwicklung von Kerstin Randall sehr entgegen. Ihre Stimme ist voluminöser und ausdrucksstärker geworden. Das Wesen der ehrgeizigen Künstlerin vermag sie somit treffend zu gestalten. Als Giulietta erlebten wir Valérie Suty. Mit ausdrucksstarker Stimme und überzeugendem Spiel zeichnete sie das Bild der Liebe heuchelnden Kurtisane. Olympia – Antonia – Giulietta – sie alle müssen sterben, um Hoffmann den Weg an der Seite seiner Muse zu ebnen. Sich und Hoffmann einhüllend, verlassen die beiden in Eintracht die Bühne. Den Part, den Ute Baum als Muse bzw. Niklas zu erfüllen hat, ist beachtlich. Und noch beachtlicher ist, wie sie das gesanglich und darstellerisch realisiert. Eine tolle Leistung!
Dreh- und Angelpunkt der Oper ist natürlich der Hoffmann. Mit Edward Randall kann das Opernhaus Chemnitz diese Partie mustergültig besetzen. Sowohl vokal als auch szenisch bleibt er dieser Figur nichts schuldig! Gleiches trifft auch auf Thomas Mäthger zu, der in den Partien von Hoffmanns Widersachern zu erleben ist. Mit Jürgen Mutze besitzt das Opernhaus Chemnitz einen Charakterdarsteller par excellence. Die vier Dienerfiguren sind für ihn maßgeschneidert. Regine Köbler, Dietrich Greve, Christian Theodoridis, Roland Glass, die Damen und Herren des Opernchores haben alle ihren speziellen Anteil am Gelingen der Inszenierung. In der von mir besuchten Aufführung leitete Michael Korth die Robert-Schumann-Philharmonie. Die Tempi, die er anschlägt, sind recht rasant. Aber das tut der Inszenierung keinen Abbruch – ein gelungener Theaterabend!
Für die Kunst
Arila Siegert inszeniert ein Spiel der vergebenen Liebe, die bei Hoffmann in Tränen endet und ihm den letzten verzweifelten Weg in die Kunst lässt. Johannes Conen baut eine eher kühle Bühne als Kommunikationsraum der gebrochenen Gefühle. Michael Korth führt die äußerst flexible Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz zu differenziert-brillantem Offenbach-Klang.
Die Solisten überzeugen insgesamt mit engagiert-kompetentem Gesang: Edward Randalls drückt die Qualen des Künstlers eindrucksvoll aus; Jana Büchner, Kerstin Randall, Nancy Gibson sind typengerecht bei glänzender Stimme; Ute Baums Niklas ist geradezu hinreißend glitzernd; Thomas Mäthgers Lindorf und Coppelius verfügt über die erforderliche Dämonie; alle Rollen präsentieren sich in außergewöhnlicher stimmlicher Präsenz, singen das Regie-Konzept zu beeindruckendem Erfolg.
Das Chemnitzer Publikum ist zunächst verunsichert durch die ungewohnte szenische Perspektive, akzeptiert den analytisch-emotionalen Zugang aber und feiert schließlich sein wunderbares Theater!
...Inzwischen auch schon Garanten für Qualität ... Arila Siegert als Regisseurin von Hoffmanns Erzählungen in Chemnitz... (Irene Tüngler)
...Hoffmanns Erzählungen gewann durch die Inszenierung von Arila Siegert eine bisher ungeahnte Klarheit der Handlung... (Friedbert Streller)
...Jana Büchner in Hoffmanns Erzählungen zeigte eine
bemerkenswerte Olympia in dieser vorwiegend vom hauseigenen Ensemble
getragenen Aufführung... (Friedbert Streller)
...Die perfekt puppenhafteste Olympia, die man je sah und hörte, entstand
als Produkt von Stimme und Bewegungstalent der Sängerin Jana Büchner und der
choreografischen Fantasie Arila Siegerts in Chemnitz... (Irene Tüngler)
*
...Die in Chemnitz dominierende Handschrift von Michael Heinicke mag Geschmacksache sein. Doch ... mit dem wiederholten Engagement der offensichtlich bei der Opernregie "angekommenen" (und gut aufgehobenen!) Choreografin Arila Siegert, die in dieser Spielzeit Eugen Onegin und Hoffmanns Erzählungen beisteuerte, werden auch Regiehandschriften entwickelt und zugelassen, die dazu in einem interessanten Spannungsverhältnis stehen...