Mod.: …Wie hat Arila Siegert diese Dreiecksgeschichte inszeniert? Siegert ist Choreografin. Hat man eine choreografische Handschrift gesehen.
Friedrich: Absolut. Vor allen Dingen im Maskenball selbst, den ich selten so überzeugend und gleichzeitig so stilisiert inszeniert gesehen habe. Mittelpunkt dieses Balls, an dem der König Gustav ermordet wird, ist hier Ulrica. Sie steht unbeweglich in der Mitte, während der Chor um sie herumtanzt, eher schreitet in so abgezirkelten Bewegungen. Und manchmal verschwinden die Figuren des Maskenballs in dieser Menge. Man denkt sich, wo sind sie denn jetzt geblieben. Ich war wirklich einen Moment lang irritiert. Meistens weiß man: der König ist der bunte mit dem Verfolger-Spot, und die Verschwörer haben eine andere Farbe und sind gut ausgeleuchtet. Das ist hier nicht. Sie bewegt die Figuren im Raum. Das macht sie den ganzen Abend über. Sie erzählt die Geschichte eher abstrakt: ob das nun ein König ist, ob das Grafen sind oder Fürsten, ist ziemlich egal. Es geht um sozialen Druck in der Gruppe. Und es geht um männliche Ehr-Pusselei. Ob Amelia nun untreu geworden ist oder nicht, ist gar nicht so wichtig, sondern dass ihr Mann unglaublich Eifersucht verspürt, weil er angestachelt wird von seiner sozialen Gruppe.
Mod.: Beschreiben Sie doch noch ein bisschen genauer, wie das auf der Bühne ausgesehen hat…
Friedrich: Hans Dieter Schaal ist der bevorzugte Bühnenbildner von Arila Siegert. Er hat auch jetzt wieder große Betonräume entworfen, die sehr schön, sehr schnell verkleinert werden können. Ein großes Lob an die Chemnitzer Bühnentechnik. Es gibt weiße Bilderrahmen, in denen Traumszenen stattfinden, wo die Figuren der Vergangenheit wiederauftauchen, die handelnden Personen, Renato, den Gatten der Amelia heimsuchen. Sozusagen die Erinnerung an glücklichere Tage. Wenn Ulrica, die wichtige Wahrsagerin, die den Tod in diesem sehr todessüchtigen Stück prophezeit – wenn die auftauchen, dann erinnert das an die Hexen aus „Macbeth“ oder vielleicht auch an die Mägde, die zu Beginn von „Elektra“ phrenetisch den Hof scheuern von vergangenem Unrecht. Also Arila Siegert gibt immer wieder gemeinsam mit Hans Dieter Schaal und der Kostümbildnerin Marie-Luise Strandt Querverweise auf andere Mythen, auf andere Opern – wie sich das im 19. Und frühen 20.Jahrhundert alles gegenseitig befruchtet hat.
Mod.: Also szenisch ziemlich beeindruckend. Lassen Sie uns über die Musik sprechen. Chemnitz hat einen neuen GMD, den Spanier Guillermo Garcia Calvo. Hat Sie das musikalisch überzeugt?
Friedrich: Absolut. Calvo hat großes Gespür für dieses Stück. Zwischendurch nimmt er’s mal sehr lyrisch. Das könnte für meinen Geschmack ein bisschen knalliger sein. Aber dann wird’s auch wieder sehr rhythmisch. Er leitet die Sänger sehr geschickt durch den Abend. Ein durch die Bank sehr gutes Ensemble. Ho-Yoon Chung, der Gustavo III, hat für meinen Geschmack einen Tick zu viel Tenor-Turbo, dreht ein bisschen früh auf… Er ist sehr überzeugend den ganzen Abend. Ebenso gut Maraike Schröter als Amelia, die wirklich die Verzweiflung sowohl darstellen kann als auch die großen weitgespannten Linien singt und sich noch immer in den Ensembles auch gegen den Chor stimmlich durchsetzen kann. Ganz ganz toll. Alexandra Ionis war die Ulrica, Silvia Micu als koloratursicherer Oscar. Und auch die kleineren Rollen stehen dem überhaupt nicht nach. Das war wirklich sehr gut gesungen, sehr gut dirigiert – und eine Inszenierung, die in der Stilisierung die Künstlichkeit dieser Geschichte hervorhebt, und doch das Kunststück vollbringt, echte Persönlichkeiten auf die Bühne zu stellen.
Mod.: Großes Lob also für diese Aufführung…
Mod.: …Ist Guillermo Garcia Calvo auch als Operndirigent so richtig angekommen?
Volksdorf: Ist er. Ich konnte ihn von meinem Parkettplatz aus ganz gut beobachten können. Er hat diesen „Maskenball“ wirklich musikalisch sensibel, oft mit großen weichschwingenden Bewegungen dirigiert, war mental ganz nah an den Sängern, dem Chor und dem Bühnengeschehen dran, indem er auf das Situative dieser Musik gesetzt hat und zugleich großen Wert auf Präzision legt... Winzige musikalische Trübungen betrafen eher den ersten Teil, wo es punktuell mal zu Tempo-Unstimmigkeiten zwischen Graben und Bühne kam. Und ich hätte mir gelegentlich auch einen Hauch mehr an Italianità, an Dringlichkeit vorstellen können. Diese Verdi-Oper hat ein enormes dramatisches Potential. Insofern war der zweite Teil für mich musikalisch noch schlüssiger. Und das Publikum hat Calvo und die Robert-Schumann-Philharmonie mit Konzertmeisterin Heidrun Sandmann sowie das ganze Ensemble am Ende völlig zu Recht gefeiert.
Mod.: …Ist Calvo ein richtiger Sänger-Dirigent?
Volksdorf: Eindeutig ja. Einerseits hat er die zahlreichen Chor- und Ensembleszenen – und die sind ja ein Markenzeichen dieser Verdi-Oper – bis ins Detail ausgearbeitet. Und obwohl der Chor sehr viel zu tun hat in dieser Arila-Siegert-Produktion war das eine stimmige Gesamtleistung. Andererseits stellt Calvo sich wunderbar auf die Solisten ein. Er trägt sie förmlich, und man merkt, dass er bei der Schumann-Philharmonie in die großen Fußtapfen des Vorgängers Frank Beermann tritt. Dies Orchester weiß einfach, worauf es in der Oper ankommt.
Mod.: …Waren alle Sänger rollendeckend besetzt?
Volkmann: Auch das kann ich bejahen. Sowohl das Liebespaar Gustavo-Amelia, als auch der Page Oscar zum Beispiel, den Siliva Micu mit ihrem beweglichen, absolut höhensicheren Sopran sang, oder wenn ich an die Altistin Alexandra Ionis als Ulrica denke, die viel Tiefe und Höhe braucht für diese Partie – die haben wirklich überzeugenden Leistungen geboten. Bei Ho-Yoon Chung als König Gustav von Schweden gefiel mir zudem die schauspielerische Intensität und Agilität dieses Tenors, bei Maraike Schröter eher die lyrischen Qualitäten dieses Soprans. Und nicht zu vergessen Graf Renato Anckarström – der wurde von Paolo Rumetz gesungen. Er ist ja der Freund und Sekretär des Königs, zugleich Ehemann Amelias. Und er fühlt sich von beiden hintergangen. Denn Amelia und Gustavo haben ein Liebesverhältnis, wenngleich ein platonisches. Hier überzeugte mich vor allem die tief menschlich empfundene Figurengestaltung dieses älteren betrogenen Ehemannes. Und die Aufzählung ließe sich fortsetzen, denn auch in kleineren Partien überzeugten Ensemblemitglieder wie z.B. der junge Magnus Piontek … oder Edward Randall. Also eine Chemnitzer Verdi-Produktion, die sich wirklich hören lässt.
Mod.: …Wie hat Arila Siegert das auf die Chemnitzer Bühne gebracht?
Volksdorf: In einem sehr stimmigen, ästhetisch-stimmigen und auch beeindruckenden Ambiente. Hans Dieter Schaal hat ein multipel bespielbares Bühnenbild entworfen, das mit seinen klotzig hohen fahrbaren Mauern, mit begehbaren Türen und Galerien ganz unterschiedliche Spielorte geboten hat, zugleich einiges über eine Gesellschaft erzählt, in der Anzugträger zu mordlüsternen Verschwörern mutieren, eine Welt zudem, aus der es kein Entrinnen gibt und die im Grunde auch keinen Raum für Liebe bietet. Auf mich hat das alles sehr stimmig gewirkt in Bezug auf die Personenführung: wie präzise die Regisseurin Arila Siegert z.B. mit dem Chor gearbeitet hat – all das überzeugte. Allerdings belässt es das Regieteam auch ein bisschen im Ungefähren. Da mischen sich in den Kostümen und in der Ausstattung Stile, Zeiten und Anmutungen, sodass man nur bedingt etwas konkret verorten kann. In Summe bleibt als zentrales Moment der Dreiecks-Konflikt zwischen Amelia-Gustavo und Graf Anckarström. Das allerdings hat in dieser Produktion eine archaische Qualität, womit das Regieteam nahe an Verdi und seinem Librettisten ist. Denn die mussten sich damals aus politischen Gründen ebenfalls genau darauf konzentrieren.
Mod.: Also in der Gesamtheit eine Empfehlung.
Volksdorf: Absolut, absolut.
Es darf davon ausgegangen werden, dass die Gäste im gut gefüllten Chemnitzer Opernhaus am Samstag besonders gespannt auf die ersten Takte von Verdis "Ein Maskenball - Un Ballo in Maschera" warteten. Grund war nicht nur die beliebte Oper rund um die Liebe und den Tod des schwedischen Königs Gustav III., Grund war auch Guillermo García Calvo. Der neue Generalmusikdirektor der Theater Chemnitz und der Robert-Schumann-Philharmonie trat erstmals mit einer eigenen Opern-Produktion im neuen Wirkungsort auf. Und die Messlatte hing hoch. Hat doch sein Vorgänger Frank Beermann große Fußstapfen hinterlassen. Doch auch Calvos Auftakt lässt Großes ahnen.
Im "Maskenball" präsentierte er schon in den ersten Minuten seine ganz eigene Handschrift. Musikalisch setzte er auf Reduktion, auf ein sachtes Herantasten an den großen Stoff, auf die leisen Töne. Dabei platzierte er Pausen gekonnt und gab einzelnen Instrumenten Raum zur Präsentation. Verdis Melodien versetzte die Robert-Schumann-Philharmonie mit Leichtigkeit und setzte damit sowohl Kontraste als auch stimmige Ergänzungen zum tragischen Bühnengeschehen.
Auch in der Inszenierung von Arila Siegert war von dem Pomp und Prunk, die der Titel und der Opernstoff versprechen, nichts zu sehen. Das variable Bühnenbild des Architekten Hans Dieter Schaal fügte sich aus Betonwänden zusammen und schuf eine bedrohliche und gefängnisartige Kulisse. Ein geschickter Zug, denn so ließ sich das Geschehen nicht mehr allein in der Vergangenheit verorten, sondern hätte genauso gut in Nordkorea oder anderen heutigen autoritären Regimen stattfinden können, in denen sich Höflinge um einen Alleinherrscher scharen. Die Wahl, die Hauptrolle des Gustavo III. mit Ho-Yoon Chung, einem gebürtigen Koreaner, zu besetzen, verstärkt die Assoziationen. Ein Gewinn. Denn eine westlich geprägte Rolle an einen asiatischen Sänger zu geben, verleiht dem Stück eine globale Ebene.
Die Glanzlichter, die die Inszenierung zum großen Erlebnis machten, waren aber drei sehr starke Frauen. Allen voran Maraike Schröter, die als Amelia Angelpunkt eines Liebesdreiecks wird und mit glasklarer Stimme ihrer Rolle, die symptomatisch für die Frau an sich, für die Mutter, die Geliebte, aber auch für das Objekt der Sehnsucht steht, Tiefe verleiht, die unter die Haut geht. Auch Alexandra Ionis als teufelsanbetende Wahrsagerin Ulrica sorgt für Gänsehautmomente. Mit rauchig tiefer Stimme zeugt sie von der Macht der Frauen, erzählt vom Schicksal und weiß sich gegen die dekadente lärmende Höflingswelt mit düsterer Würde zu behaupten. Dritte Dame im Bunde ist Silvia Micu, die den Pagen Oscar spielt. Mit tänzelnder Leichtigkeit singt und spielt sie die Narrenfigur, die das Geschehen vorantreibt und dabei Goldstaub aufwirbelt.
Die Herren im Ensemble müssen sich mächtig anstrengen, um mit den Damen musikalisch Schritt halten zu können. Zumal der Chor im "Maskenball" geradezu zum Star avanciert. Inhaltlich bietet er den Hauptrollen einen Reflexionsrahmen, musikalisch ziehen die Damen und Herren sämtliche Register und zeigen sich auch in Spiel und Tanz mitreißend. Bei diesem starken Ensemble ist auch dem Hauptdarsteller Ho-Yoon Chung das leichte Straucheln am Anfang zu verzeihen. Während er sich zum Ende hin souverän durch sämtliche Bögen, Partituren und Duette sang, so zeigte er im ersten Akt einige Schwächen, geriet ins Falsett.
Und doch war der Applaus am Ende tosend. Die Inszenierung gefiel. Auch Guillermo García Calvo wurde gebührend honoriert. Denn ihm ist zu verdanken, dass die Chemnitzer Inszenierung von "Ein Maskenball" zu einem musikalischen Genuss geworden ist. Die Oper weckt die Neugier auf weitere musikalische, von Calvo interpretierte Klassiker.
Eigentlich ist es bei dieser Produktion egal, ob sich die Oper Chemnitz auf die „Stockholmer Fassung“ oder die nach absurden Kämpfen mit der neapolitanischen Zensur für Rom geringfügig entschärfte „Bostoner Fassung“ beruft. Der neue musikalische Chef Guillermo García Calvo liefert einen glänzenden Einstand im Musiktheater und veredelt den toppgenauen Zugriff des um Arila Siegert eingespielten Regieteams, das in Chemnitz für seine Inszenierungen von „Freischütz“, „Eugen Onegin“ und Faurés „Pénélope“ sehr geschätzt wird. Genau erarbeitetes „post-realistisches Musiktheater“ und ein in der Grundhaltung lyrisches Verdi-Verständnis ergänzen sich ideal.
Guillermo García Calvo bringt aus der Wiener Staatsoper nicht nur das von der Pieke auf gelernte Handwerk mit, sondern auch Gastsolisten und als „Residenzgäste“ junge talentierte Sänger, die sich in ausgewählten Fachpartien erste Sporen erwerben können. Zwei Kardinaltugenden springen bei dieser „Maskenball“-Premiere vom Dirigentenpult, der Bühne und aus dem Orchestergraben in das beglückte Publikum, das sich durch aus der österreichischen Donaumetropole angereiste Claque-Aspiranten nicht vom eigenen Applausgebaren abbringen lässt: Man dankt für musikalische Sensibilität und szenische Intelligenz.
Der Spanier liebt den weichen Klang der Robert-Schumann-Philharmonie, und er kann sehr gut mit Sängern arbeiten. Das heißt nicht, dass er autokratisch seinen Willen durchdrückt, sondern vor allem weiß er alle Stärken seines Ensembles zu mobilisieren. Trotz weniger offener Töne klingt Ho-Yoon Chung in der Paraderolle bis zum Tod des auf dem titelgebenden Maskenball ermordeten Gustavo III. von Schweden rundum gut. Für diese Rolle an der Bruchstelle zwischen der vom Belcanto beherrschten und der dramatischen Epoche des italienischen „melodramma“ hat er fast alles. Am erstaunlichsten ist aber die Metamorphose der vor allem im deutschen Fach verwurzelten Maraike Schröter als seine Geliebte und im Konflikt mit ihrem Gatten zerriebene Amelia. Sie kann am stilistischen Schliff für das große italienische Fach weiterarbeiten und darauf vertrauen, dass sie ihren persönlichen, sehr geraden Ton kultivieren darf.
García Calvos „Tricks“ sind einfach: Er hört seinen Musikern zu und modelliert alles, wie es bei Verdi steht. Er verzichtet auf lärmende Traditionen wie das oft allzu verbreiterte Forte im Orchesterausbruch des Liebesduetts am hier so kaltgrauen Galgenberg. Dafür denkt er alle Nebenstimmen mit, zum Besten des ganzen Abends. So verlebendigt Guillermo García Calvo Verdis Sehnsucht nach der Geschmeidigkeit französischer Opern und reißt die Grenzen zwischen Deklamation und Melodien ein. Dieses Kontinuum von Gesang und Klang kennt keine einzige Beiläufigkeit. García Calvo überlässt, wenn es passt, der Bühne die Führung: Da überreicht er zum Beispiel in beiden Quintetten das musikalische Zepter dem von Arila Siegert als tödlich tändelnde Spaßgranate dargestellten Pagen Oscar. Silvia Micu wird von einer Begleit- zur Glanzstimme. Das zeigt Vertrauen in das Potenzial junger Sänger wie der Ulrica von Alexandra Ionis, die der Wahrsagerin anstelle einer künstlich aufgepeppten Alt-Tiefe das Profil eines sehr gut entwickelten Mezzosoprans gibt. Diese den Abend tragende szenisch-musikalische Dialektik beseligt.
Möglicherweise treibt die Akribie des Regieteams die Kollegen zu dieser musikalischen Meisterleistung. Daran ist sicher nicht Schlechtes, denn Arila Siegert, Hans Dieter Schaal und Marie-Luise Strandt zeigen die heute fast schon altmodische Tugend der genauen Gedankenführung auf einer Linie, die sich den Brüchen und Vielschichtigkeiten der von ihnen erarbeiteten Werke mit gedanklicher Fülle stellt. Das erfordert von Zuschauern die volle Aufmerksamkeit für Details. Hier sucht vor kalten hohen Mauern und Gittern eine reglementierte Gesellschaft mit Jux, Tollerei und Verkleidung das gefährdende Amüsement. Nicht nur zum Maskenball am Ende, sondern bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Dieses Dahintänzeln in düsterer Zeitlosigkeit steigern die von Arila Siegert und von Stefan Bilz glänzend präparierten Chorgruppen zu eisiger Marionettenhaftigkeit. In fast jeder Bewegung steckt Amüsierwut.
Des Königs Lieblingsplatz ist die Platte eines Ehrengrabs, das in der nächsten Sekunde auch eine kleine Bühne sein kann: Hier posiert er zu Beginn wie ein Operettendiktator und Hamlet mit Yoricks vergoldetem Schädel in Personalunion. Gustavo gewinnt vor dem Tod persönliche Freiheit, legt am Ende seinen blutroten Schal ab und nimmt das ihn gemäß Ulricas Prophezeiung ereilende Ende fast als Erfüllung. Die Inszenierung setzt aber nicht auf Feudalismus-Kritik, sondern erzählt vor allem, ganz nah bei Verdi, vom Reifungsprozess Gustavos. Paolo Rumetz hat als hier wesentlich älterer Ehemann der großen Königsliebe Amelia das Nachsehen. Die Produktion ist zu stark für sein nicht ebenbürtig starkes Rollenprofil des enttäuschten Freundes, das sich im sehr stilsicher und kraftvoll bewältigten Verdi-Gesang zu genügen scheint. Die Gewichte verschieben sich dadurch. Magnus Piontek wertet als echter erster Bass seinen von Verdi etwas unterbelichteten Intriganten-Part gründlich auf. Die dunkel herumtastenden Verschwörer outen sich beim Maskenball als Krawattentäter.
Nur in einem Strang fällt die Inszenierung ab – im Hier und Jetzt wirkt die fast feindselig pointierte Verteilung der Geschlechterrollen zu stark überzeichnet: Deshalb energischer Widerspruch dazu, dass es nicht immer nur Frauen sind, die unsere Welt von dem durch Männer angerichteten Unheil reinigen müssen. Da kann man gerade von einem so klar denkenden Team etwas mehr Differenzierung auf Höhe aktueller Diskurse erwarten. Und trotzdem: Wenn sich König Gustav und die hier zum fast madonnenhaften Engel der Pflicht überzeichnete Amelia vor dem Sternenfirmament mit vokalen Streichel-Exzessen umwerben, ist die Opernwelt schwer in Ordnung. Mit Geist und allen Sinnen.
...Ho-Yoon Chung spielt Gustavo lebensfroh und unbekümmert, der die Machenschaften um sich herum nicht wahrhaben will. Maraike Schröter ist eine stimmgewaltige und alles überstrahlende Amelia. Silvia Micu sorgt als Oscar für viel Heiterkeit und bringt eine gewisse Leichtigkeit in das Stück. Komplettiert wird die Inszenierung von einer großartigen Leistung des Chors.
Die musikalische Leitung hat Guillermo Garcia Calvo inne, der die Philharmonie zu Höchstform bringt. Passend zum düsteren Thema der Oper sind Bühne (Hans Dieter Schaal) und Kostüme (Marie-Luise Strandt) überwiegend dunkel gehalten, nur wenige Farbtupfer hellen die Szenerie auf.
Die knapp dreistündige Inszenierung von Arila Siegert ist kurzweilig und hat trotz der Thematik zahlreiche heitere Momente. Das Publikum war begeistert und dankte es mit einem dutzend Vorhängen und vereinzelten Standig Ovations.
Premiere im Rückblick:
Guillermo García Calvo dirigiert zum ersten Mal als GMD im Graben -
Wiedersehen mit Arila Siegert -
Umjubelter „Maskenball“
Nachmittags auf der Pressekonferenz zum „Ring“ 2018 hatte er noch von diesem „großartigen“ Orchester geschwärmt, es als eines der „besten Wagner-Orchester“ hoch gelobt. Jetzt zeigte García Calvo bei seinem ersten Auftritt als GMD im Orchestergraben, dass die Robert-Schumann-Philharmonie auch Verdi und Italienità kann. Arila Siegert, die in Chemnitz vor Helmich bestechende Arbeiten abgeliefert hat (Freischütz, Eugen Onegin), inszenierte den „Maskenball“ als spannende Geschichte, perfekt bis ins letzte Detail, verliebt in alle (Gefühls-)Kontraste, die Verdi zum aufwühlenden Libretto von Antonio Somma komponiert hat. Ein sprechendes Bühnenbild, ein auch choreografisch geforderter Chor und beeindruckend gute Sänger – kein Wunder, dass das Publikum am Samstagabend im voll besetzten Opernhaus die Aufführung minutenlang bejubelte.
Arila Siegert kommt vom Tanz her. Sie hat bei Palucca gelernt. Später ließ sie sich als „berufene Expertin“ vom Bauhaus in Dessau prägen. Beide Erfahrungen prägen diesen „Maskenball“. Der Chor, dem Verdi in der Musik eine Hauptrolle zugedacht hat, wird schauspielerisch und vor allem in der Bewegung gefordert. Siegert reiht ihn längs, quer und diagonal. Sie ballt ihn drohend und lässt ihn fröhlich toben, sogar bei einer Schneeballschlacht. Einmal ist Offenbachs Can-Can ganz nah, dann dreht er sich in einer Spirale um Ulrica, die Zigeunerin, beim Totentanz.
Bei diesem Totentanz ist Ulrica in gleißendes Licht getaucht, während der Chor den Spiralen folgt, die gedimmtes Licht von oben auf den Boden zaubert. Siegert arbeitet gern mit kaltem Licht – selbst die Farben wirken neonfrostig. So heiter der Schein (nur einmal strahlt warmes Licht: vom Kronleuchter in der zunächst fröhlichen Ballszene), so hart die Drohung des blutigen Endes über allem. Im Spiel zwischen Traum und Wirklichkeit, Sehnsucht und Verzicht, Verzweiflung und Vergebung verwischen sich die gewollten Kontraste. Siegert verzichtet weitgehend auf die „Verfolger“, die Spots auf die Protagonisten, bindet sie ein in die Düsternis oder Helligkeit der Szene. Die Lichtgestaltung (Holger Reinke) trägt entscheidend zum Erfolg dieser Inszenierung bei.
Hans Dieter Schaal, der Bühnenbildner, spielte mit dem Bauhaus-Kubus. Und mit Quadraten, die Ordnung bedeuten, auch Gefängnis meinen können. Die glatten grauen Wände können sich gefährlich, Angst machen zuziehen. Und sie können sich öffnen, in Weite abendlich dräuenden oder am Morgen aufwachende Wolkenhimmel zeigen. Die Idee, aus der Gefangenschaft des furchtbaren, grotesken Ballgeschehens hinaus in eine veritable, natürliche Schneeballschlacht zu tollen, ist grandios. Aber auch die Los-Szene spricht Bände: die kubischen Sessel, die von Josef Hoffmann (1870-1976), dem berühmten Wiener Sessel-Designer stammen könnten, werden verschoben, solange noch alles offen ist und die Spannung steigt. Dann stehen sie ordentlich, aber nichts ist in Ordnung. Oder der Stein in der Ulrica-Höhle: schaurig natürlich im gerasterten Unheil-Umfeld. All das schafft Atmosphäre, lässt Anschein erwecken und gleichzeitig Schlimmes ahnen.
Ähnlich die Kostüme von Marie-Luise Strandt. Für die Aufrührer braucht es da keine superhypertollen Mega-Masken. Die farbigen Handschuhe zu den vorwiegend schwarz/weiß-wirkenden Kostümen der Ballgesellschaft und die von Siegert geführten, bis ins Einzelne geplanten Schritte und Bewegungsspäße von allen und einzelnen spannen Bögen der Erzählung bis zum Reißen.
Dieser Verdi ist ein Krimi, ganz nebenbei. Auch wenn er hier mal nicht auf seinen Krimi-Liebling Schiller zurückgegriffen hat wie bei den Räubern, der Jungfrau von Orléans oder den Räubern. Siegert führt nicht nur den Chor grandios. Sie lässt auch die Figuren „leben“, sodass jeder alles versteht, selbst wenn es keine Obertitel gäbe (die im Übrigen wieder hervorragend gekürzt sind. Und bei Ensembles auch die Namen hinzufügen. Klasse und Danke). Dramatik pur, in jeder Sekunde. Jeder will wissen, wie es weitergeht – auf der Bühne. Die Geschichte selbst kennen dabei die meisten…
Verdi hat sie in relativ hoher Stimmlage komponiert, die Arien dafür etwas tiefer. Wie leicht, oder wie glänzend kommt rüber, was doch so schwer zu singen ist. Und wie sehr bedarf es der Stimmkraft und des -Umfanges einer Alexandra Ionis, um als Ulrica auch die Tiefen auszuloten und trotzdem so schauerlich schön das Ende zu verkünden. Schön, dass sie in dieser Spielzeit als Residenzgast in Chemnitz engagiert ist, und wir sie auch in der Hochzeit des Figaro und im Rosenkavalier erleben können. Wenn wir schon bei den Residenzgästen sind: für viele die angenehmste Überraschung des Abends: Silvia Micu, dieser Irrwisch von Page Oscar. Verliebt in den Chef – den sie, Momentmädchen/-junge (Gustav soll „bi“ gewesen sein), der sie/er ist, ans Messer liefert. Schauspielerisch erfrischend und natürlich, und mit einer hellen Sopran-Stimme ausgezeichnet, die mühelos auch die trällerndsten Verdi-Passagen locker beherrscht, als plappere sie gerade einen Small-Talk.
Herausragend der Freund und Mörder Renato von Paolo Rumetz. Auch er ein großartiger Schauspieler mit einer großen Modellierungskraft in der Stimme. Die braucht diese Rolle – auf dem Weg von Liebe, Hass, Mord und Verzweiflung. Und schließlich zur Reue. Jedes Mal ein anderes Herz, scheint es, und jedes Mal eine andere Färbung des Timbres, scheint es ebenso. Groß.
Maraike Schröter (Amelia), seit 2013/14 Ensemble-Mitglied in Chemnitz, haben wir im Rosenkavalier und in Pique dame schätzen gelernt. Mit Amelia hat sie sich noch tiefer in die Herzen des Chemnitzer Publikums hineingewühlt. So zurückhaltend sie in ihren Bewegungen ist, so damenhaft sie sein kann, so variabel ist andererseits ihre musikalische Ausdruckskraft. Seit der „Wahnsinnsarie“ mit Valentina Farkas/Guibee Yang und Philipp Alexander Marguerre (Verrophon) vor zwei Jahren haben wir kein so herausragendes Duo (oder Duett?) zwischen Instrument und Stimme mehr gehört wie jetzt im 3 Akt Maraike Schröter auf der Bühne und Thomas Bruder (Cello) aus dem Graben.
Ho-Yoon Chung singt die extrem schwere Partie des Gustavo. Anfänglich noch mit etwas ausuferndem Vibrato in höchster Empathie, gewinnt er von Minute zu Minute an Profil. Kann den narreten König genauso schamuckeln wie den vergeblich Liebenden Herze zerreißen lassen. Und er stirbt den im „Maskenball“ relativ kurzen Verdi-Tod singend verseufzend so schön, dass so manchem im Publikum die Augen schwitzten. Klasse besetzt auch die anderen Rollen: Magnus Piontek stach hervor als Graf Horn, aber auch der Mitverschwörer Eric Ander (Ribbing) überzeugte. Wir erlebten Edward Randall wie er leibt und wir ihn kennen als Richter, Andreas Beinhauer als munteren Matrosen und Hubert Walawski, den anderen Lockeren (Amelias Diener) unter den Schwergewichten des Dramas.
Chor, Extrachor und Chorgäste waren von Stefan Bilz und Pietro Numico bestens einstudiert worden. Und (fast) immer auch in der steten Bewegung Herrn der Situation und eins mit dem Graben. Große Leistung. In fremder Sprache, schwierige Partien und höchste Konzentration nicht nur auf den Dirigenten, sondern auch auf den nächsten Schritt – Hochachtung.
Guillermo García Calvo beim Dirigieren zuzuschauen, etwa vom Rang aus, bannt den Blick. Er legt schon mal den Taktstock hin, dirigiert auch mit ganz kleinen Gesten, wenn er spürt, dass er nicht zeigen muss, wer der Chef ist wie manch andere seiner Kollegen. Mittags hatte er noch davon gesprochen, dass eines der hervorstechendsten Merkmale der Robert-Schumann-Philharmonie sei, dass sie eben nicht nur en Sinfonieorchester sei, sondern ein herrliches Opernorchester, das nicht nur hineinsieht in die Noten, sondern auch höre und intuitiv empfinde, was oben auf der Bühne geschieht. Das sind Profis, denen er gern auch mal folgt. Dann wieder spannt er zart (mit dem Handrücken, stand in der Besprechung des Sinfoniekonzerts) ganz große Bögen.
Sein Verdi ist kristallklar. Er trägt nicht nur die Sänger auf Händen, sondern auch die Orchestersolisten (Englischhorn, Flöte(n), Harfe – vom Cello haben wir schon gesprochen). Er spielt einen lockerleichten- humorigen Tanz, wenn Verdi es will (1. Akt), aber er poliert auch vollen Tutti-Glanz. Da klingen die Trompeten dann hell wie die Clairons von französischen oder italienischen Militärkapellen und nicht wie die Posaunen von Jericho. Er holt aus den Bässen bedrohliche Pizzicati heraus und formt genauso präzise die berühmten Akkord-Schläge. Das immer wieder in den Stimmgruppen geteilte Orchester macht auch bei schwierigen Passagen einfühlend mit. García Calvo dankte seinen Musikern mehrfach mit Applaus. Schien sogar gerührt, wie sehr seine Einschätzung, was die Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie zu leisten vermögen, an diesem Abend vielleicht noch übertroffen wurde.
Große Oper. Großer Abend. Großer Jubel. Zurecht.
Zwischen so massiven Wänden aus Beton, wie sie Hans Dieter
Schaal für die sich rasch wandelnden Raumkonstellationen in
Arila Siegerts Inszenierung der Oper „Ein Maskenball"
von Guiseppe Verdi auf die Bühne des Chemnitzer Opernhauses gebracht
hat, da muss man sich doch amüsieren, Masken tragen, Faxen machen,
tänzeln, witzeln oder sich aus dem Kaffeesatz lesen lassen, was die
Zukunft bringen wird oder auch nicht.
Ob diese Wände aus Beton,
zwischen denen ein Grab zur Bühne des Vergnügens und des Todes wird, nun
in Schweden eine Gesellschaft umschließen oder in Boston, ist letztlich
in dieser Inszenierung gar nicht so entscheidend. Das Schicksal des
vergnügungssüchtigen, bei einem Maskenball in der Stockholmer Oper
ermordeten Königs Gustav III. von Schweden, gab den Anlass für Verdis
Oper. Die damalige Zensur verbot den Königsmord auf offener Bühne. Verdi
und sein Librettist Antonio Somma schufen eine offene Handlung und
lösten in erstaunlicher Weitsichtigkeit die historischen Grenzen auf, um
sich viel stärker den tragischen Verstrickungen der Menschen zuzuwenden,
die hier von Verschwörern - heute müsste man wohl von Attentätern
sprechen - in aussichtsloser Lage ebenso umgeben sind wie von jenen
Mauem aus Beton.
Aber als gäbe es das alles nicht, als zähle nur
der Augenblick, tanzt und singt jener junge Mann,
den eigentlich nur noch das Programmheft als Gustavo III., König von
Schweden benennt, mit den Attitüden eines sich wandelnden Schauspielers
schon mal in der Pose eines Hamlet auf einer massiven Grabplatte,
umgeben von lüsternen Schlipsträgem, die ganz offensichtlich opernhafte,
spitze Dolche am Gürtel tragen.
Es ist ein Verdienst der Inszenierung, dass sie
gerade diesem Spaßvogel viel Empathie widmet, wenn sie immer stärker
herausarbeitet, dass hinter der Maske des Vergnügens auch die Zweifel,
auch die Verunsicherung an diesem jungen Zeitgenossen nagen, der an dem
existenziellen Zwiespalt zwischen der Liebe zu Amelia, der jungen Frau
seines älteren, hier fast väterlichen Freundes und Sekretärs Renato
Anckarström, zu zerbrechen droht und sich letztlich gegen seine
Liebe, für ihn entscheidet. Es ist zu spät, den Freund hat die
Eifersucht übermannt, die Verschwörer geben dem Mordkomplott politische
Rechtfertigung, da hilft keine Maske, der
Maskenball wird zum Totentanz, Renato ermordet Gustavo, der stirbt auf
jener Grabplatte zwischen den Mauern aus Beton, die längst nicht mehr
nur eine Gesellschaft der Maskenträger umgeben, sondern in ihren Köpfen
sind.
Immerhin, wir sind im Theater, wir sind in der Oper, in der
italienischen dazu, gleich einer madonnenhaften Gestalt der Hoffnung
dürfte der künftige Weg Amelias in eine Welt außerhalb der Mauern
führen. Und dazu kommt, dass ja auch der Bühnenhimmel gnädig ist
und sanften Schneefall sendet. Einen kleinen Sohn hat diese Madonna
Amelia ja auch, also: Fröhliche Weihnachten.
Verdi, so witzig, tragikomisch, stark
choreografisch von Arila Siegert inszeniert und dennoch in keiner Weise
diskreditiert, mit den Kostümen von Marie-Luise Strandt,
bei denen nicht nur die Zeiten, auch die Genres sich mischen. Formate
der Commedia dell'arte treffen auf tragische Konstellationen der
manchmal wie fremdbestimmt wirkenden Menschen. Der Chor übernimmt
zuweilen auch optisch kommentierende Funktionen antiker Dramatik, was
aber ästhetisch auch schon mal den Broadway nach Chemnitz bringt und
dann die ganz große Oper, wie man sie kennt, alle an die Rampe,
Pantomime wie im klassischen Ballett.
Und genau solche
Momente sind es dann auch, in denen die Musik sich über die Szene
erheben kann, denn in Chemnitz kann man mit Sängern
des Hauses und Gästen ein grandioses Ensemble erleben. Im Gesang fällt
jede Maske.
Der Tenor
Ho-Yoon Chung als Gustavo ist ein besonderes Erlebnis. Wann
gehen Spiel und Gesang so stimmig ineinander über? Wann bekommt die
Dynamik einer so widersprüchlichen Entwicklung so differenzierte
Facetten? Wann sind sogar exponierte Töne völlig frei von bloßen
Demonstrationen des Könnens, sondern fügen sich ganz im Sinne Verdis,
der hier noch Traditionen des Belcanto verpflichtet ist, in den
Gesamtklang der Interpretation? Das kann man in Chemnitz erleben.
Maraike Schröter als Amelia ist
ebenfalls mit ihrer Bewährung im großen, italienischen Fach eine
Überraschung, das ist kein Ausflug, das ist eine Entwicklung. Mit so
reifer wie charaktervoller Baritonstimme gibt Paolo Rumetz
in stimmiger Korrespondenz zur Gestaltung der Rolle den Renato
und in der besuchten Vorstellung erlebt man
Guibee Yang sehr spielfreudig aufgedreht mit hellem
Sopran als Pagen Oscar. Etwas zu eindimensional bleibt leider
Alexandra Ionis als Wahrsagerin Ulrica.
Trefflich besetzt in den kleineren, ganz und gar
nicht nebensächlichen Partien, Andreas Beinhauer als
junger Matrose Cristiano sowie Magnus Piontek und
Eric Ander als Feinde des Königs. Aufhorchen lässt bei
seinem kurzen Auftritt Edward Randall als Richter,
Amelias Diener ist Hubert Walawski.
Zunächst sind es vor allem die Herren des Opernchores,
verstärkt durch Gäste und Mitglieder des Extrachores, dann auch
gemeinsam mit den Damen, in der Einstudierung von
Stefan Bilz, die für wahrhaft große Momente dieses
musikalisch außergewöhnlichen Opernabends sorgen, bei dem
erstmals Guillermo Garcia Calvo
in seiner Funktion als neuer Generalmusikdirektor der Theater Chemnitz
am Pult der Robert-Schumann-Philharmonie zu erleben ist. Es
ist ein Erlebnis. Ein Anwalt der Sänger, der ihnen
stets ein so sicheres wie situationsgerechtes Klangfundament bereitet
und zudem die Vorzüge des Orchesters zu schätzen und herauszuarbieten
weiß. Hier wird nicht gelärmt, hier wird musiziert, hier wird die große
Oper zum Kammerspiel der Klänge, was selbst in den opulenten
Ensembleszenen nicht verloren geht.
...Den Bühnenauftakt seiner Chefzeit aber bestritt García Calvo mit Giuseppe Verdis „Maskenball“, den man, mit des Dirigenten euphorischen Wagner-Bekenntnissen im Ohr, gleich irgendwie anders zu hören geneigt war. Kann die Stockholmer Königsmord-Geschichte irgendwelche Analogien zum Bayreuther Musikmythen-Arbeiter offenbaren?
Aber ja doch. Die dunkle Glut besonders des Galgenberg-Bildes, überhaupt ein jede kurzatmige Perioden-Metrik à la Donizetti überspielender, ins metaphysisch Uferlose drängender, vom Chemnitzer Orchester mit großer Intensität umgesetzter Orchestersound: So fern waren sich da Wagner und Verdi, zumindest im Bewusstsein der Ausführenden, nicht. Was demgegenüber fast folgerichtig ein wenig kurz kam, waren die ironischen, gelegentlich gar zynischen und quasi operettenhaften Elemente der Partitur, ihr funkelnd leichtfertiger Esprit.
Das galt analog auch für Arila Siegerts schicksalhaft wuchtige, düster gestimmte und zum statisch-symmetrischen Arrangement tendierende Inszenierung – und war schließlich dennoch gut anzusehen und zu hören, weil auch die Sänger bestens ins Klang- und Regieprofil passten: Maraike Schröter eine schwerblütig leidenschaftliche Amelia, Paolo Rumetz als kantiger, heftig ausbrechender Renato. Beide haben tatsächlich auch schon erste Bühnenbekanntschaften mit Wagner geschlossen, was beim Chemnitzer Sänger des Gustavo, Ho-Yoon Chung, eher nicht ins Haus steht. Dennoch schlug auch der Koreaner deutlich ins durchdringend Heldische, wobei eine gewisse, ins Überpräsente drängende Eitelkeit sogar ins Bild des leichtsinnigen Schwedenkönigs passte. Etwas mehr Differenzierung und eine gelegentliche Zurücknahme ins Mezzoforte hätten dem unglücklichen Helden dennoch einige zusätzliche Sympathiepunkte bringen können.