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Ein Schlachtfeld der Gedanken und Gefühle

Arila Siegert über ihre Inszenierung
von Händels „Agrippina

Premiere, 10.November 2012, Oper Kiel

Der Kaiser ist tot, es lebe der Kaiser

Die Welt des römischen Reichs, wie sie hier geschildert wird, scheint sehr fern und doch auch sehr nah: Gieren nach Macht mit Hauen und Stechen. Die Messer bleiben heute meistens in der Tasche, aber das Intrigieren kommt einem schon sehr bekannt vor.

Es ist der ewige Kampf um den Platz an der Sonne. Wir alle sind diesen Eitelkeiten und dem Streben nach Anerkennung und Macht ausgeliefert. Nur einige wenige können sich davon befreien. Hier sind wir im Sünden-Babel der Affekte.

Von Anfang wird in deiner „Agrippina“-Inszenierung klar, wer die Fäden zieht. Agrippina hält sich ihren Sohn Nero als Schoßhündchen. Sie will ihn auf den Kaiser-Thron hieven. Und sie nutzt die erst beste Gelegenheit, die sich ihr bietet. Aber da hat sie erst mal Pech.

Sie findet in Poppea, die sie in ihre Intrige einspannt, eine ebenbürtige und gelehrige Partnerin, und wird von ihr fast noch übertroffen. Aber Agrippina ist doch schnellere und wendigere Kämpferin. Ihr Sieg ist freilich nur ein vermeintlicher.

Claudius, der eigentlich noch amtierende Kaiser, scheint ein ziemlich bedauernswerter Mann. Er wurde schon tot gesagt. Und als er doch wohlbehalten nachhause kommt, sucht er nicht die Nähe zu seiner Frau Agrippina sondern zu der jungen Poppea. Er will ihr imponieren mit einem kleinen Spielzeug-Schiffchen auf Rädern, das er an der Leine zieht. Aber er hat nur ein Spielzeugschiffchen, nicht den ganzen Hofstaat an der Leine wie Agrippina.

Claudius hatte wohl Angst vor seiner Frau. Er hat sich ihr unterlegen und hilflos gefühlt; das ist von Händel auch komponiert. Die Poppea war eine Perle dieser Society. Ihr macht es Spaß, alle in sich verliebt zu machen und an der Nase herum zu führen – ohne sich selbst zu entscheiden. Sie hat ganz frei improvisiert, das war ihre Hauptbeschäftigung – nicht ganz unähnlich manchen Frauen heute.

Ist der Claudius eine eher lächerliche oder tragische Figur? Er ist ja physisch behindert – und Händel betont es auch musikalisch immer wieder mit einem Hinke-Fuß-Rhythmus. Er galt auch geistig als nicht der schnellste. Die Kaiser-Familie von Augustus wollte ihn aus der Thronfolge ganz raushalten. Er hat sich als Geschichtsschreiber einen Namen zu machen versucht. Und als er dann Kaiser wurde, war er nicht der ganz so schlimme Gewaltherrscher wie seine Vorgänger Tiberius oder Caligula, der Bruder Agrippinas. Aber dass Töten zum Geschäft gehört, wird spätestens im Schlussbild ganz deutlich. Und um seinen schlechten Ruf als Feldherr aufzumöbeln, zettelt Claudius einen Krieg gegen Britannien an, kommt bei der Rückkehr in einem Sturm fast ums Leben. Und Agrippina spielt ihm eine ganz üble Komödie vor. Ist er nicht ihr Spielball?

Es ist ja immer beides: Er ist ein Mensch mit Gefühlen und Empfindungen. In der Familie wurde er laut den Quellen ziemlich schlecht behandelt. Sie empfanden ihn als einen Schandfleck. Ein Mensch mit solch einer Kindheit, der nie öffentlich auftreten darf, der bei Spielen hinter einem Vorhang sich versteckt halten muss und wenn er mal zuschauen durfte, fiel er vor Schreck in Ohnmacht und schon wieder unangenehm auf – er war dadurch gebrandmarkt in seiner Psyche. Aber ich empfinde ihn auch als einen „normaleren“ Menschen mit normaleren Empfindungen als seine Vorgänger. Er hat nur nicht verstanden, Politik zu machen. Er war unbeholfen, menschenfreundlich, hat sich eher gemein gemacht mit jedem, aber war unfähig in diesem Machtspiel die Fäden in der Hand zu behalten. Er hat sich eher zum Diener gemacht als zum Herrn.

Claudius fordert Respekt

Mit Narciso und Palante hat er zwei freigelassene Sklaven als Vertraute an sich gebunden, was auch eher suspekt war.

Er hat eher aus menschlichem Instinkt gehandelt denn aus Kalkül. Ihm waren die ganzen Regeln des politischen Geschäfts zwar vertraut, aber er konnte damit nichts anfangen. Ein bisschen wie Kraut und Rüben muss das gewesen sein bei ihm.

Im Mittelpunkt der Händel-Oper steht die Titelfigur Agrippina. Sie ist Tochter des Germanicus, der nach der Niederlage der römischen Truppen im Teutoburger Wald die Provinz Germanien wieder unterwerfen sollte, der sich dabei als unbestechlicher Heerführer zeigte und später deswegen wohl ermordet wurde. Agrippina hätte selbst das Zeug zu einer Kaiserin. Aber Frauen durften nicht regieren, also versucht sie es mit ihren Waffen: Intrigieren. Wie ja auch im Rom der katholischen Kirche Frauen außerhalb der Hierarchie standen. Und man hat ja immer gemunkelt, das Libretto sei die Satire eines Insiders auf die Zustände im Vatikan. Es soll von Kardinal Vincenzo Grimani stammen, dem Vizekönig von Neapel. Sicher weiß man das nicht; aber auch bei diversen Vatikan-Reports heute kennt man die Autoren ja nicht. Wie gehst du generell um mit dem Satirischen? Man sieht ja doch manche ironische Wendung auf der Bühne. Agrippina z.B. nimmt sich jeden zur Brust.

Es ist ein echtes Theaterstück, wo Tragisches und Komisches sich verzahnen, wo große Bögen gespannt und kleine Slapstick-Nummern vielgliedrig aneinander gebaut werden. Es ist wie ein Kaleidoskop. Die zwei Frauen sitzen wie Spinnen im Netz und funktionieren die Männer ein. Es ergibt sich natürlich auch aus der Autorität der Männer, dass die Frauen nicht richtig zum Zuge kamen und ihnen nichts anderes übrig blieb als Intrige. Die junge Agrippina hat viel Schlimmes erlebt: den Tod ihres Vaters, die Verbannung und den Tod ihrer Mutter, Mord und Todschlag rundum. Sie ist gebrandmarkt als eine enttäuschte und sich verzehrende Frau. Und sie will dann auf Biegen und Brechen über den Sohn ihr Ziel erreichen mit einer Art von Selbstaufgabe. Es ist das Bild einer Mutter, die sich auch an ihrem Sohn vergeht, die mit tödlichem Drang etwas erreichen will, von dem sie glaubt, dass es ihr zusteht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Kaiser-Familie des Augustus.

Poppea und Lustknaben

Händels Oper – und es ist eine ganz frühe Oper von ihm – war ein Riesenerfolg 1709 im damaligen Opern-Mekka Venedig. Und er hat zumal für die Titelfigur eine sehr gestische Musik erfunden, die Agrippinas seelische Höhen und Tiefen sehr deutlich nachvollziehen lässt. Jedenfalls zeichnet Händel nicht schwarz-weiß.

Diese Technik, dass er die Szenen aufeinander prallen lässt, wie in einer Art Filmschnitt-Technik ist sehr modern. Wie er in dieser Partitur mit der vielschichtigen Behandlung der Figuren und ihrer Beziehungen untereinander historische und für Händel zeitgenössische Verhältnisse spiegelt – die ja heute genauso funktionieren –, ist genial. Es ist eine abwechslungsreiche Partitur, die das psychologische Reagieren von uns Menschen auffächert und mit einer historischen Begebenheit auch ein Leiden an der Zeit erzählt.

Was ist mit Nero? Er will ja eigentlich gar nicht auf den Thron, ist noch verspielt und gibt sich auch als sozialer, fürsorglicher Mensch, als die Mutter ihm sagt, er soll Kaiser werden. Alles nur Mache?

Wie wir wissen, war der historische Nero sehr künstlerisch veranlagt. Und ich glaube, wenn man als Künstler die sein Interesse an der Kunst nicht ausüben darf und in eine solche machtpolitische Sphäre gedrängt wird, dann wird das Regieren zu einer Art Schauspielerei. Ich denke, dass er immer eine Rolle spielt und sich selbst dabei immer mehr verliert. Er verliert seine eigene Identität, auch weil die Mutter ihn besetzt hält und nicht richtig zu sich kommen lässt. Das ist ein gefährliches Spiel, weil er irgendwann keine Grenzen mehr sieht.

Poppea und ihre Liebhaber

Auch Poppea hat ja eigentlich ganz andere Pläne. Sie liebt Otho, will gar nicht Neros Frau werden. Nero versucht, sie seinem Freund Ottone, auszuspannen. Poppea lernt aber von Agrippina, wie man mit Menschen und mit Männern „spielt“. Sie hält sich alle Chancen offen, wird immer gerissener und letztlich wird ihr Interesse der Thron und nicht ein Partner sein.

Agrippina zerstört Poppeas Vertrauen in die Liebesbeziehung mit Ottone. Sie suggeriert ihr, dass Ottone sie vermeintlich an den Kaiser verkuppelt hätte, um auf den Thron zu kommen. Ihr Liebhaber hätte sie sozusagen als Pfand weiter gereicht. Und ich glaube, ihre Liebe zerbricht in diesem Moment, das Vertrauen geht verloren. In dem Stück kitten sie das wieder. Aber wir wissen ja, sie wird den Otho dann fallen lassen und an Neros Seite wechseln, weil sie vom Charakter her Nero sehr ähnlich ist. Sie ist eine hochintelligente Spielerin und verrückte Frau, die ihre Erotik knallhart einsetzt. Und Nero war ja auch ein Erotik-Besessener. Zu ihm passte sie besser als zu Otho, der eher ein dienender Charakter war.

Otho ist hier als die positivste Figur gezeichnet, was er in Wirklichkeit auch nicht war. Von Claudius wird er als sein möglicher Nachfolger protegiert. Aber Agrippina weiß ihn auszubooten. Und Nero macht da munter mit.

Händel wusste ganz genau, dass ein Stück nur funktioniert, wenn es ein Herz hat. Es musste die Fallhöhe dieses uns am Leben haltenden Affekts der Liebe zu einem anderen Menschen geben. Und Händel hat Otho als einen der Liebe folgenden Menschen gezeichnet und Poppea als eine, die Irrwege geht aber zu dieser Liebe wieder zurückfindet. Die Liebe ist das Herz des Stücks. Otho ist der wärmere, verlässlichere Mensch und Gegenspieler zu Agrippina, die allem und allen misstraut und nur noch das eine Ziel verfolgt, ihren Sohn und damit sich an die Macht zu bringen, um damit dieses Familien-Trauma zu beenden.

Händel-Opern dauern normalerweise ohne Pause weit über drei Stunden. Auch diese. Man muss kürzen für ein Publikum heute, auch wenn Händel-Freaks das schmerzt. Was waren die Kriterien beim Kürzen?

Man hat dieses weitgefächerte Material. Beim Studieren legt man dann die Hauptlinien fest, worauf man hinaus will. In diese Richtung arbeitet man dann – was mir persönlich sehr viel Spaß macht. Diese individuelle Sicht, die man bei den Barock-Opern haben kann, bringt es mit sich, dass so eine Oper jedes Mal ganz anders ist. Agrippina wird in jeder Inszenierung ein bisschen eine ganz anders sein. Diese alten Werke sind auch musikalisch so konzipiert, dass die Musiker und die Sänger immer noch hinzu erfinden. Und insofern ist das ein kreativer Raum, wo man sich selbst und seine Ideen mit einbringen kann: Musiker, Sänger, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner und Dramaturg. Und dadurch wird das auch so lebendig und immer moderner. Händels Musik ist eine, die durch die Szene noch gesteigert wird in ihrer Wirkung.

Die Bühne von Hans Dieter Schaal setzt auch gewisse Akzente und zeigt Bezugspunkte zu heute.

Agrippinas Pläne geraten ins Wanken

Es ist eine bauhausartige Konstruktion, ein Konzentrat von Räumen und Bildern. Wie von einem Magneten zusammengezogen sind da Wände, Balkone, Treppen, Plakatwände. Es ist ein von Hans Dieter Schaal komponierter Bilderturm, der uns ermöglicht, die ganzen Ecken und Kanten zu zeigen, die Lauscher, die schnellen Wechsel zwischen den Szenen, das Oben und Unten in der Hierarchie, den Kampf um die Macht und das Jagen nach ihr, die Höhlen, wohin die Jäger sich zurückziehen – das ist alles in diesem Bild zusammen gedacht. Und der Bühnenarchitekt und Poet Hans Dieter Schaal hat da einen Entwurf geliefert, der alles ineinander kippen und die Bilder ineinander stürzen lässt.

Es ist dein zweiter Händel. Aber du hast auch schon andere Barock-Werke inszeniert: Monteverdi, Purcell, Alessandro Scarlatti. Was ist für dich das Besondere bei Händel? Zumal bei dieser frühen „Agrippina“, auch im Vergleich zur späten „Alcina“? Das „Agrippina“-Libretto hat ja doch auch Schwächen, zumal mit dem Rezitativ-Stau am Ende.

Es ist ein wirklich tolles Libretto. Aber so was wie heutige Dramaturgie gab’s da wohl nicht. Man hat Oper damals ja ganz anders rezipiert. Und insofern staut es sich am Ende etwas, um die Handlungsfäden sinnvoll aufzulösen. Es gibt wenig Arien und sehr viele Rezitative am Schluss. Das Libretto ist sehr darauf aus, dieses Konfliktfeld aufzuzeigen, in dem diese Upper-Class-Menschen leben – und sie sind um keinen Deut besser als andere Menschen, im Gegenteil: die Kontraste und Affekte verstärken sich, je mehr Geld im Spiel ist, je mehr Macht sich um die Figuren rankt –, und deshalb musste Händel das auch Stück für Stück auflösen. Deshalb die Ballung von Rezitativen am Schluss. Insofern ist es auch ein Schauspiel, eine Mischung. Und das ist doch das Interessante: ein Schlachtfeld der Gedanken und Gefühle.

gfk, Kiel, 04.11.2012