Ritualisierungen, Versteinerungen
Zur Aida-Inszenierung von Arila Siegert
Nicht um exotischen Altertumskitsch ging es Verdi, als er seine Aida
komponierte, er wollte etwas aufzeigen: Wie junge Menschen in Kriegen
verheizt werden, Völker gegeneinander gehetzt, religiöse Propaganda
benutzt wird zur Gleichschaltung der Massen und zur Unterdrückung von
Nachbarvölkern.

Arila Siegert erzählt in ihrer
Inszenierung die Geschichte eines prominenten jungen Paares zwischen den Fronten. Ägyptisierendes
Kolorit braucht sie nicht, sie versucht hinter die Fassade zu blicken. Was
bedeuten Sonnenkult, Totenkult, Körperkult?

Die Kostüme von Marie-Luise
Strandt betonen das zeitlos Moderne dessen was vorgeht. Die Absicht
soll nicht verschwinden hinter einer
Ausstattungs-Kulisse. Die Erzählweise ist choreografisch: Mit Bildern, Bewegungen, Spannungen im
Raum, die selten naturalistisch "begründet" werden, jedoch dem
Handlungsablauf eigen-kompositorisch genau folgen.

Verdi komponiert,
obwohl
es zu seinen Zeiten noch keinen Film gab, im Sinne dieses Mediums: Mit
Totale, Fokussieren auf einzelne Figuren – als wäre die Kamera das Auge
des Zuschauers. Perspektivwechsel werden plastisch herausgearbeitet.
Das Bühnenbild von
Hans Dieter Schaal
schafft dafür, indem es die traumatische Atmosphäre einer militarisierten
Gesellschaft auf die Bühne stellt, einen abstrahierten poetischen Raum:
Versteinerungen, gegen die man umsonst anrennt, eine bedrohlich über allem
hängende, auf den Kopf gestellte "Pyramide", "Erscheinungsfenster", in
denen die Mächtigen sich ausstellen, ein bisschen Sand aus der Wüste – kein Ort für glückliche Familienplanung.

Kulissen sind hier nicht nötig. Wer belauert wen? Wann nehmen zwei einen dritten in die Zange? Es
wird unmittelbar deutlich. Chorische Bilder und ausgedehnte Massen-Choreografien im
Wechsel mit "Nahaufnahmen" sind die Architektur des Stücks. Sie beleuchten
einander.
Verdis Musik erzählt zwar oft in kurzen dramatischen
Passagen einen szenischen Vorgang, dazwischen aber lässt sie Raum für
Imaginationen. Sie lassen etwas aufscheinen vom Innenleben der Figuren, von ihren
Hoffnungen, Sehnsüchten und Verzweiflungen. An chorisch geführten Frauen,
die Aida
beigegeben
werden und ihre Seele spiegeln, wird solches sichtbar. Unantastbar, unbesiegbar
wird Aida durch ihre Liebe.

"Assoziativ" könnte man diese Methode nennen.
Sie korrespondiert mit der leitmotivischen Kompositionsweise Verdis. Eine weitere Ebene ist das
Rituelle, in der Szene oft surreal aufgelöst. Im politischen Gefüge spielen Rituale eine wichtige Rolle. Um
junge Männer kriegsgeil zu machen, wird das Kriegsritual erotisiert.
Rituale begleiten den Übergang vom Leben zum Tod, der nicht nur den
Nil-Akt sondern auch das letzte Finale dominiert.
Archaische Bilder wie
das Erwachen einer lagernden Armee, ein ins Surreale gesteigerter
Volks-Aufmarsch, Leichenwaschung sind assoziativ mit den Hauptfiguren verbunden. Sie sind die psychologische Folie der handelnden Figuren.
Eine Aufführung in magischen Bildern der Sehnsucht,
die die Opfer der Kriegsfanatisierung nicht
ausblendet.
Ein Stück von ungebrochener Aktualität.

Bettina Bartz / Arila Siegert im Dez. 2001
(Fotos ©: M. Steinfeldt, Berlin
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