home konzept




Drei in der Maschine "Macht"

Aida in Rostock - wirkliches Musiktheater hat eine Chance
Heinz-Jürgen Staszak in Schweriner Volkszeitung, 4. Februar 2002

Mit notorisch mecklenburgischer Verspätung, denn das Verdi-Jahr war das vorige Jahr, brachte das Volkstheater Verdis Aida auf die Bühne. Aber was macht es, wenn es so geschieht, wie es hier geschehen ist: in einer Aufführung von hoher künstlerischer Eindruckskraft, voller dramatischer Spannung, fesselnd durch musikalischen Glanz - das war nicht nur Oper, das war Musiktheater.
Arila Siegert, die hier schon vor anderthalb Jahren die exponierte Inszenierung von Der Meister und Margarita geschaffen hatte, und ihr Team, die Kostümbildnerin Marie-Luise Strandt und der Bühnenbildner Hans-Dieter Schal, erzählen mit Verdis glücklicher Mischung aus großer Ausstattungsoper und psychologischem Musikdrama eine durchaus moderne, uns angehende Parabel.

Komplexheit: Poesie und Schönheit

Drei Menschen geraten in die gesellschaftliche Maschine "Macht", zwei, Aida und Radames, kommen darin um, eine, Amneris, wird zerstört. Das ist naheliegend, aber wie Arila Siegert das in Szene setzt, das ist originell, ohne modernistisches Mätzchen, mit klarer symbolischer Zeichenhaftigkeit, mit visueller und rhythmischer Überzeugungskraft. Es gibt dabei Momente von zündender Dramatik ebenso wie solche atemstockender Beklemmung oder hingebungsvoller Zuwendung.
Arila Siegerts Kunstgriff: Sie setzt auf die Künstlichkeit der Oper die Künstlichkeit des Tanztheaters. Und diese Verdoppellung erspart ihr die Peinlichkeiten des Naturalismus und gewinnt ihr den Raum einer ungezwungenen symbolischen Darstellung.
Dafür hat ihr der Bühnenbildner nicht Kulissen, sondern farblich sorgfältig abgestimmte Funktionsräume geschaffen, mit einer von oben hineinragenden Pyramide als beständig gegenwärtiges Zeichen der Macht. In diesen Räumen bewegt sich die plötzlich anregend gewordene Geschichte, als einmaliges Individualgeschehen, als choreografisch organisiertes Kollektivgeschehen, das nur die Projektionsfläche des Individuellen ist. Das hat Schönheit, das hat Poesie, und ist von einer hier gar nicht beschreibbaren Komplexität, die sich nicht zerfasert und doch geheimnisvoll und doch fassbar bleibt. Natürlich gibt es kleine Eckigkeiten, aber die sind eher der Enge der Rostocker Bühne (und des Etats) geschuldet.
Dabei ist die Maschinerie der Macht eigentlich gar nicht mehr sichtbar (wie heute), sichtbar sind ihre Effekte, als marionettenhafte Repräsentation ihrer selbst in medialen Schaukästen, als Uniformität ihrer beflissenen Diener oder ihrer disziplinierten Opfer.
Lob für Opernchor und Singakademie. Das alles wäre nichts, oder fast nichts, ohne den Gleichklang mit einer hervorragenden musikalischen Gestaltung und dem szenischen Einsatz der Sängerdarsteller. Und da sind ist zu aller erst der Opernchor und die Singakademie zu nennen, die die anspruchsvollen musikalischen Aufgaben, vorbereitet durch Ulrike Masopust, mit musikdramatischer Bravour meistern und zudem noch Siegerts choreografisches Konzept intensiv und wirkungsvoll umsetzen.
Und dann die Aida der italienischen Gastsopranistin Gabriella Morigi - sie ist darstellerisch und sängerisch für Rostock ein Ereignis. Sie zeigt eine kleine Frau mit einer großen Leidenschaft und einer praktischen Vernunft, schwach gegenüber der Macht, aber stark in der Treue zu sich selbst. Und sie, selbst eine kleine Frau, singt dies mit einer großen Stimme, den Belcanto nicht als bloßen Schöngesang, sondern als schönen Ausdruck, als Ausdruck hingebungsvoller Liebe und der Vergeblichkeit des Widerstands.
Daneben Penka Christova, die in der ungewohnten Mezzolage der Amneris ihr beeindruckendes sängerisches Können präsentiert; nur spielt sie mit hochgerecktem Kinn und manchmal singt sie auch so, mit kraftvoll-dramatischem Impuls, aber forciert, nicht immer mit dem gefährlichen Glitzern der Macht. Dazu Seung Jin Choi als Radames, mit Glanz und tenoraler Kraftentfaltung, aber nicht immer dem nötigen Schmelz. Darstellerisch ist er leider ein Ausfall, da er permanent den Blick zum Dirigenten und die breitbeinige Stütze braucht.
Komplettiert wird dies zu einem geschlossenen Gesamteindruck durch die Leistungen von Olaf Lemme als Amonasro, Grzegorz Rózycki als Oberpriester und Hans Werner Bramer als König. Pavel Baleff dirigiert die Norddeutsche Philharmonie. Die spielt mit einer schwung- und gefühlvollen Durchsichtigkeit, ohne falschen Pomp und ohne schiefe Sentimentalität, aber vielleicht doch nicht mit jener Inspiriertheit, die das Ganze ausstrahlt.
Diese Aida ist der Beweis, wirkliches Musiktheater hat in Rostock eine Chance.


Surreale Totenwaschung

Dietmar Langberg in NDR-Radio 3 (NDR/ORB), 4.Februar 2002

..Von Hans Dieter Schaal ließ sich Arila Siegert einen Bühnenraum gestalten, der zwar nicht völlig auf ägyptisches Kolorit verzichtete, der aber vor allem mit seiner abstrahierenden Kälte unter Einbezug der Brandmauern die Versteinerung einer Militär-Gesellschaft versinnbildlichte. Über den kulissenlosen, szenisch stimmig ausgeleuchteten Spielräumen hing ständig eine auf dem Kopf stehende Pyramide, die am Schluss zur Grabplatte wurde. In von Neonlicht erhellten fahrbaren Vitrinen präsentierten sich der Pharao und seine Führungselite, wurden im berühmten Triumphmarsch Siegestrophähen und Gefangene gezeigt.
Arila Siegert inszenierte assoziative Abläufe mit den Solisten und dem Chor. Angeregt offenbar von Grabmalereien, hauchte sie ihnen mit Elementen des Ausdruckstanzes Bühnenleben ein. Alle Bewegungen waren konzentriert, weil ritualisiert. Arila Siegert bebilderte nicht, sondern ihre szenische Aktionen korrespondierten mit Verdis Musik, vermieden einen naturalistischen Gestus. Ihre assoziative Methode ließ den Gedanken und der Fantasie des Publikums genügend Raum. Die der Aida und am Schluss auch Amneris beigegebenen schwarz gekleideten Klageweiber sollten die inneren Zustände verdeutlichen... Die Kostüme von Marie-Luise Strandt, wie Hans Dieter Schaal langjährige Mitarbeiterin von Ruth Berghaus, kennzeichneten das ägyptische Volk als graue uniformierte Masse... Nur wer in der Hierarchie höher steht, durfte Farbe tragen...
In der Titelpartie war die junge Italienerin Gabriella Morigi zu erleben. Sie gilt zu Recht als aufstrebende Sängerin, die bereist erfolgreich in Turin, Florenz und Zürich auftrat. In Rostock gab sie ihr Partiendebüt als Aida. Mit ihrem lyrischen, zum Dramatischen tendierenden Sopran, gestaltete sie die Zerrissenheit zwischen Pflicht und Liebe. Höhensicher wurde sie sowohl den dramatischen Ausbrüchen als auch den innigen Momenten gerecht. Seung Jin Choi brillierte als Radames mit heldischem Glanz und makelloser Höhe. In dynamischer Hinsicht hätte es noch einiger Nuancen mehr bedurft. Olaf Lemme war mit seinem metallischen Bariton und seiner Körpersprache ein fanatischer Kriegsherr Amonasro, aber kein liebender Vater Aidas. Penka Christova überzeugte als Amneris stimmlich mit einem leidenschaftlichen Mezzosopran, war darstellerisch eine liebende Furie, die aber begreift, dass sie den geliebten Radames mit in den Tod getrieben hat. Ihr Aufbegehren gegen die Priester und die Qualen, die sie bei der Gerichtsverhandlung litt, vermochte sie berührend zu spielen... Der Chor des Volkstheaters und dir Rostocker Singakademie, Einstudierung Ulrike Masopust, waren nicht nur stimmgewaltig, sondern setzten Arila Siegerts szenische Visionen adäquat um. Es entstanden ritualisierte, manchmal sogar ans Surreale grenzende Abläufe, von denen die Totenwaschung im 3.Akt am nachhaltigsten wirkte. Pavel Baleff und die Norddeutsche Philharmonie loteten Verdis Musikdramatik in ihren zarten wie in ihren expressiven Passagen aus. Intonationssicher und klangsinnlich wurden die Bühnenvorgänge begleitet, kommentiert und vertieft...
Die Rostocker Aida ist ein Beispiel dafür, dass die Lesart einer populären Oper stimmig ist, wenn sie die Aspekte freilegt, die auch heute noch berühren.


Aida wurde zum Hörfest

Andreas Waczkat  in Ostsee-Zeitung, 4.Februar 2002

Guiseppe Verdi hat das Problem seiner Aida wohl selbst erahnt. Einem Kritiker der Uraufführung in Kairo gab er vorab zu verstehen, dass die Festoper kein bloßes Reklamestück sei, sondern in ihrer sängerischen, instrumentalen und szenischen Umsetzung vor allem subtile Intelligenz fordere.
Mit Arila Siegerts Inszenierung, die am Samstag ihre umjubelte Premiere im Rostocker Volkstheater erlebte, wäre der Meister demnach zufrieden gewesen: Musikalisch famos umgesetzt, reduziert die Regie das Werk nicht auf das Spektakel des Triumphzugs, sondern macht diesen zum Teil eines intelligenten Konzepts. Zuvor schon war diese Inszenierung mit reichlich Vorschusslorbeeren bedacht worden. Immerhin hat Arila Siegerts letzte Arbeit am Volkstheater, das Expo-Projekt Der Meister und Margarita, vielfaches und einhelliges Lob gefunden. Das darf man dieser Aida getrost ebenso zollen, selbst wenn das szenische Vokabular nicht gleichermaßen frisch und unmittelbar wirkt, wie das noch beim Expo-Projekt der Fall war. Vieles hat man sicher schon so ähnlich bei anderen Aida-Inszenierungen gesehen. Doch in behutsamer Abstraktion der Szene besticht die Inszenierung mit ihrer Einsicht in die Vorgaben und die Grenzen von Verdis Musik.
Wo Verdi nämlich mit der Musik das Tableau menschlicher Leidenschaft grandios ausbreitet, nimmt sich Arila Siegerts weitgehend zurück, um desto deutlicher die verhängnisvolle Verblendung von Amneris und ihrem Vater herauszuarbeiten. Dazu bedient sie sich auf der ansonsten von Hans-Dieter Schaal karg ausgestatteten Bühne beweglicher, von innen erleuchteter Steinquader, die zusammen mit einer riesenhaften Steinwand das spätere Gefängnis von Aida und Radames vorwegnehmen. Die wahren Gefangenen sind jedoch Amneris und der König, ausgeliefert den Entscheidungen der Priester und der Führung des Oberpriesters Ramphis. Regelrecht deplatziert wirkt das Happy End nach Hollywood-Manier. Wenn Aida und Radames in einem weißen Boot bei Vollmond der Erlösung im Liebestod entgegen treiben, ist das banal, wenn nicht kitschig - da mag sich Amneris noch so sehr in ihrem gleichzeitigen Schmerz winden.
Ein bis zur kleinen Rolle der Priesterin (Silke Willmann mit sehr attraktiv dunkel timbrierter Stimme) exzellent besetztes Ensemble macht diese Aida zu einem Hörfest. In ihrem Rollendebüt als Aida besticht Gabriella Morigi mit einer großartigen Leistung: Eine warme und geschmeidige Höhe paart sich nahezu ideal mit einer kraftvollen, etwas kernigen Tiefe und sichert ihr ein großes Ausdruckspotenzial, das sie geschickt einzusetzen weiß. Seung Jin Choi ist ihr als Radames ein Partner, dessen Tenor über ein hohes Maß an lyrischer Wärme verfügt und auch im piano noch zu strahlen vermag.
Penka Christova hat als Amneris viele große Momente und knüpft nahtlos an die ausgezeichnete Leistung an, die sie zuletzt in Puccinis Tosca zeigen konnte. Militärisch unterlegen, stimmlich überlegen ist der König der Äthiopier: Olaf Lemme läuft als Amonasro zu Hochform auf und findet zwischen verzweifelnder Wehmut und wütender Aggression eine üppige Palette verschiedener Stimmungen, an die Hans Werner Bramer als König der Ägypter nicht heranreicht - allerdings ist seine Rolle auch deutlich monochromer komponiert. Grzegorz Rózicky ist neben der Aida als zweiter Gast verpflichtet worden und rundet als unangefochtener Oberpriester Ramphis mit profundem Bass das Ensemble ab. Pavel Baleff leitet souverän die Norddeutsche Philharmonie.


In seiner Reihe Musikszene brachte der Deutschlandfunk am 17.Februar 2002 eine Reportage über die Proben und Aufführung mit Interviews von Irene Tüngler

...Das Ungewöhnlichste an dieser Aida waren Arila Siegerts Inszenierung und die Bühnenbilder und Kostüme von Hans Dieter Schaal und Marie-Luise Strandt. Nichts erinnerte an das tradierte Schwelgen im ägyptisch-veronesischen Opern-Barock mit Kriegs-Elefanten und marschierenden Komparsen-Kolonnen. Der Triumphmarsch - unsichtbar auf den Seitenbühnen und trotzdem mit Show-Effekt. Vier Herren im Frack bliesen die Trompeten auf den Seitenrängen. Der Nil - reflektierendes Licht. Das alte Ägypten - eine vom Himmel herabstürzende umgekehrte Pyramide. Tempel und pharaonische Thronsäle - hell ausgeleuchtete Lichtkästen, die den Blick geradezu filmisch auf eine einzige Figur fokussieren können. Die Kostüme - modern und doch berührt von den vieltausend Jahre alten Vorbildern. Die Regie zeigt nicht die Operngesten selbst verliebter Sänger, sondern die innere Zerrissenheit von Menschen. Die Dramaturgie kreist um Aidas Frage "Oh mein Vaterland, wie viel kostest Du mich!" Für ihr Vaterland muss Aida ihre Liebe aufgeben oder ihre Heimat...


Im Opernglas (4/2002) sieht D.Kroll die Aufführung gekennzeichnet durch eine

...epische Ausbreitung atmosphärischer Zustände, die der Regisseurin "Rahmenbedingungen für eine gekonnt-strenge Ausdeutung" geben. Gelobt werden die "choreografierten Bewegungsabläufe", die "eigentlich die gesamte Aufführung tragen... Wenn dann vor dem Triumph-Finale und im Nil-Akt die Interessen der Charaktere zunächst nacheinander dann gebündelt miteinander zusammenstoßen, erreicht die Inszenierung eine packende Dichte und Konzentration. Bei diesem schier überbordenden Reservoir an Einfällen und Lösungen in der Regie geschieht auch gelegentlich des Guten zu viel, etwa wenn nach der unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlung die in ihrer Wut entfesselte Amneris den Priestern zuleibe rückt und sie von ihren Sitzen fegen muss... Insgesamt bleibt die Aida in Rostock eine Reise wert.