Mit notorisch mecklenburgischer Verspätung,
denn das Verdi-Jahr war das vorige Jahr, brachte das Volkstheater Verdis
Aida auf die Bühne. Aber was macht es, wenn es so geschieht, wie es
hier geschehen ist: in einer Aufführung von hoher künstlerischer
Eindruckskraft, voller dramatischer Spannung, fesselnd durch musikalischen
Glanz - das war nicht nur Oper, das war Musiktheater.
Arila Siegert, die hier schon vor anderthalb Jahren die exponierte
Inszenierung von Der Meister und Margarita geschaffen hatte, und
ihr Team, die Kostümbildnerin Marie-Luise Strandt und der
Bühnenbildner Hans-Dieter Schal, erzählen mit Verdis glücklicher
Mischung aus großer Ausstattungsoper und psychologischem Musikdrama eine
durchaus moderne, uns angehende Parabel.
Komplexheit: Poesie und Schönheit
Drei Menschen geraten in die gesellschaftliche
Maschine "Macht", zwei, Aida und Radames, kommen darin um, eine, Amneris,
wird zerstört. Das ist naheliegend, aber wie
Arila Siegert das in Szene setzt, das ist originell, ohne
modernistisches Mätzchen, mit klarer symbolischer Zeichenhaftigkeit, mit
visueller und rhythmischer Überzeugungskraft. Es gibt dabei Momente
von zündender Dramatik ebenso wie solche atemstockender Beklemmung oder
hingebungsvoller Zuwendung.
Arila Siegerts Kunstgriff: Sie setzt auf die Künstlichkeit der Oper die
Künstlichkeit des Tanztheaters. Und diese Verdoppellung erspart ihr die
Peinlichkeiten des Naturalismus und gewinnt ihr den Raum einer
ungezwungenen symbolischen Darstellung.
Dafür hat ihr der Bühnenbildner
nicht Kulissen, sondern farblich sorgfältig abgestimmte Funktionsräume
geschaffen, mit einer von oben hineinragenden Pyramide als beständig
gegenwärtiges Zeichen der Macht. In diesen Räumen bewegt sich die
plötzlich anregend gewordene Geschichte, als einmaliges
Individualgeschehen, als choreografisch organisiertes Kollektivgeschehen,
das nur die Projektionsfläche des Individuellen ist. Das hat Schönheit,
das hat Poesie, und ist von einer hier gar nicht beschreibbaren
Komplexität, die sich nicht zerfasert und doch geheimnisvoll und doch
fassbar bleibt. Natürlich gibt es kleine Eckigkeiten, aber die sind eher
der Enge der Rostocker Bühne (und des Etats) geschuldet.
Dabei ist die Maschinerie der Macht eigentlich gar nicht mehr sichtbar
(wie heute), sichtbar sind ihre Effekte, als marionettenhafte
Repräsentation ihrer selbst in medialen Schaukästen, als Uniformität ihrer
beflissenen Diener oder ihrer disziplinierten Opfer.
Lob für Opernchor und Singakademie. Das alles wäre
nichts, oder fast nichts, ohne den Gleichklang mit einer hervorragenden
musikalischen Gestaltung und dem szenischen Einsatz der Sängerdarsteller.
Und da sind ist zu aller erst der Opernchor und die Singakademie zu
nennen, die die anspruchsvollen musikalischen Aufgaben, vorbereitet durch
Ulrike Masopust, mit musikdramatischer Bravour meistern und zudem noch
Siegerts choreografisches Konzept intensiv und wirkungsvoll umsetzen.
Und dann die Aida der italienischen Gastsopranistin Gabriella Morigi - sie ist
darstellerisch und sängerisch für Rostock ein Ereignis. Sie zeigt eine
kleine Frau mit einer großen Leidenschaft und einer praktischen Vernunft,
schwach gegenüber der Macht, aber stark in der Treue zu sich selbst. Und
sie, selbst eine kleine Frau, singt dies mit einer großen Stimme, den
Belcanto nicht als bloßen Schöngesang, sondern als schönen Ausdruck, als
Ausdruck hingebungsvoller Liebe und der Vergeblichkeit des Widerstands.
Daneben Penka Christova, die in der ungewohnten Mezzolage der Amneris ihr
beeindruckendes sängerisches Können präsentiert; nur spielt sie mit
hochgerecktem Kinn und manchmal singt sie auch so, mit
kraftvoll-dramatischem Impuls, aber forciert, nicht immer mit dem
gefährlichen Glitzern der Macht. Dazu Seung Jin Choi als Radames, mit
Glanz und tenoraler Kraftentfaltung, aber nicht immer dem nötigen Schmelz.
Darstellerisch ist er leider ein Ausfall, da er permanent den Blick zum
Dirigenten und die breitbeinige Stütze braucht.
Komplettiert wird dies zu einem geschlossenen Gesamteindruck durch die
Leistungen von Olaf Lemme als Amonasro, Grzegorz Rózycki als Oberpriester
und Hans Werner Bramer als König.
Pavel Baleff dirigiert die Norddeutsche Philharmonie. Die spielt mit einer schwung- und gefühlvollen
Durchsichtigkeit, ohne falschen Pomp und ohne schiefe Sentimentalität,
aber vielleicht doch nicht mit jener Inspiriertheit, die das Ganze
ausstrahlt.
Diese Aida ist der Beweis, wirkliches Musiktheater hat in Rostock eine
Chance.
..Von Hans Dieter Schaal ließ sich
Arila Siegert einen Bühnenraum gestalten, der zwar nicht völlig auf
ägyptisches Kolorit verzichtete, der aber vor allem mit seiner
abstrahierenden Kälte unter Einbezug der Brandmauern die Versteinerung einer
Militär-Gesellschaft versinnbildlichte. Über den kulissenlosen, szenisch
stimmig ausgeleuchteten Spielräumen hing ständig eine auf dem Kopf stehende
Pyramide, die am Schluss zur Grabplatte wurde. In von Neonlicht erhellten
fahrbaren Vitrinen präsentierten sich der Pharao und seine Führungselite,
wurden im berühmten Triumphmarsch Siegestrophähen und Gefangene gezeigt.
Arila Siegert inszenierte assoziative Abläufe mit den Solisten und dem Chor.
Angeregt offenbar von Grabmalereien, hauchte sie ihnen mit Elementen des
Ausdruckstanzes Bühnenleben ein. Alle Bewegungen waren konzentriert, weil
ritualisiert. Arila Siegert bebilderte nicht, sondern ihre szenische
Aktionen korrespondierten mit Verdis Musik, vermieden einen naturalistischen
Gestus. Ihre assoziative Methode ließ den Gedanken und der Fantasie des
Publikums genügend Raum. Die der Aida und am Schluss auch Amneris
beigegebenen schwarz gekleideten Klageweiber sollten die inneren Zustände
verdeutlichen... Die Kostüme von Marie-Luise Strandt, wie Hans Dieter
Schaal langjährige Mitarbeiterin von Ruth Berghaus, kennzeichneten das
ägyptische Volk als graue uniformierte Masse... Nur wer in der Hierarchie
höher steht, durfte Farbe tragen...
In der Titelpartie war die junge Italienerin Gabriella Morigi zu
erleben. Sie gilt zu Recht als aufstrebende Sängerin, die bereist
erfolgreich in Turin, Florenz und Zürich auftrat. In Rostock gab sie ihr Partiendebüt als Aida. Mit ihrem
lyrischen, zum Dramatischen tendierenden Sopran, gestaltete sie die
Zerrissenheit zwischen Pflicht und Liebe. Höhensicher wurde sie sowohl den
dramatischen Ausbrüchen als auch den innigen Momenten gerecht. Seung Jin
Choi brillierte als Radames mit heldischem Glanz und makelloser Höhe. In
dynamischer Hinsicht hätte es noch einiger Nuancen mehr bedurft. Olaf
Lemme war mit seinem metallischen Bariton und seiner Körpersprache ein
fanatischer Kriegsherr Amonasro, aber kein liebender Vater Aidas. Penka
Christova überzeugte als Amneris stimmlich mit einem leidenschaftlichen
Mezzosopran, war darstellerisch eine liebende Furie, die aber begreift, dass
sie den geliebten Radames mit in den Tod getrieben hat. Ihr Aufbegehren
gegen die Priester und die Qualen, die sie bei der Gerichtsverhandlung litt,
vermochte sie berührend zu spielen... Der Chor des Volkstheaters und dir
Rostocker Singakademie, Einstudierung Ulrike Masopust, waren nicht
nur stimmgewaltig, sondern setzten Arila Siegerts szenische Visionen adäquat
um. Es entstanden ritualisierte, manchmal sogar ans Surreale grenzende
Abläufe, von denen die Totenwaschung im 3.Akt am nachhaltigsten wirkte.
Pavel Baleff und die Norddeutsche Philharmonie loteten Verdis
Musikdramatik in ihren zarten wie in ihren expressiven Passagen aus.
Intonationssicher und klangsinnlich wurden die Bühnenvorgänge begleitet,
kommentiert und vertieft...
Die Rostocker Aida ist ein Beispiel dafür, dass die
Lesart einer populären Oper stimmig ist, wenn sie die Aspekte freilegt, die
auch heute noch berühren.
Guiseppe Verdi hat das Problem seiner Aida wohl selbst erahnt. Einem
Kritiker der Uraufführung in Kairo gab er vorab zu verstehen, dass die
Festoper kein bloßes Reklamestück sei, sondern in ihrer sängerischen,
instrumentalen und szenischen Umsetzung vor allem subtile Intelligenz
fordere.
Mit Arila Siegerts Inszenierung, die am Samstag ihre umjubelte
Premiere im Rostocker Volkstheater erlebte, wäre der Meister demnach
zufrieden gewesen: Musikalisch famos umgesetzt, reduziert die Regie das Werk
nicht auf das Spektakel des Triumphzugs, sondern macht diesen zum Teil eines
intelligenten Konzepts. Zuvor schon war diese Inszenierung mit reichlich
Vorschusslorbeeren bedacht worden. Immerhin hat Arila Siegerts letzte Arbeit
am Volkstheater, das Expo-Projekt
Der
Meister und Margarita, vielfaches und einhelliges Lob gefunden. Das
darf man dieser Aida getrost ebenso zollen, selbst wenn das szenische
Vokabular nicht gleichermaßen frisch und unmittelbar wirkt, wie das noch
beim Expo-Projekt der Fall war. Vieles hat man sicher schon so ähnlich bei
anderen Aida-Inszenierungen gesehen. Doch in
behutsamer Abstraktion der Szene besticht die Inszenierung mit ihrer
Einsicht in die Vorgaben und die Grenzen von Verdis Musik.
Wo Verdi nämlich mit der Musik das Tableau
menschlicher Leidenschaft grandios ausbreitet, nimmt sich Arila Siegerts
weitgehend zurück, um desto deutlicher die
verhängnisvolle Verblendung von Amneris und ihrem Vater herauszuarbeiten. Dazu bedient sie sich auf
der ansonsten von Hans-Dieter Schaal karg ausgestatteten Bühne
beweglicher, von innen erleuchteter Steinquader, die zusammen mit einer
riesenhaften Steinwand das spätere Gefängnis von Aida und Radames
vorwegnehmen. Die wahren Gefangenen sind jedoch Amneris und der König,
ausgeliefert den Entscheidungen der Priester und der Führung des
Oberpriesters Ramphis. Regelrecht deplatziert wirkt das Happy End nach
Hollywood-Manier. Wenn Aida und Radames in einem weißen Boot bei
Vollmond der Erlösung im Liebestod entgegen treiben, ist das banal, wenn
nicht kitschig - da mag sich Amneris noch so sehr in ihrem gleichzeitigen
Schmerz winden.
Ein bis zur kleinen Rolle der Priesterin (Silke Willmann mit sehr
attraktiv dunkel timbrierter Stimme) exzellent besetztes Ensemble macht
diese Aida zu einem Hörfest. In ihrem Rollendebüt als Aida besticht
Gabriella Morigi mit einer großartigen Leistung: Eine warme und
geschmeidige Höhe paart sich nahezu ideal mit einer kraftvollen, etwas
kernigen Tiefe und sichert ihr ein großes Ausdruckspotenzial, das sie
geschickt einzusetzen weiß. Seung Jin Choi ist ihr als Radames ein
Partner, dessen Tenor über ein hohes Maß an lyrischer Wärme verfügt und auch
im piano noch zu strahlen vermag.
Penka Christova hat als Amneris
viele große Momente und knüpft nahtlos an die ausgezeichnete Leistung an,
die sie zuletzt in Puccinis Tosca zeigen konnte. Militärisch unterlegen,
stimmlich überlegen ist der König der Äthiopier: Olaf Lemme läuft als
Amonasro zu Hochform auf und findet zwischen verzweifelnder Wehmut und
wütender Aggression eine üppige Palette verschiedener Stimmungen, an die
Hans Werner Bramer als König der Ägypter nicht heranreicht - allerdings
ist seine Rolle auch deutlich monochromer komponiert. Grzegorz Rózicky
ist neben der Aida als zweiter Gast verpflichtet worden und rundet als
unangefochtener Oberpriester Ramphis mit profundem Bass das Ensemble ab.
Pavel Baleff leitet souverän die Norddeutsche Philharmonie.
...Das Ungewöhnlichste an dieser Aida waren Arila Siegerts Inszenierung und die Bühnenbilder und Kostüme von Hans Dieter Schaal und Marie-Luise Strandt. Nichts erinnerte an das tradierte Schwelgen im ägyptisch-veronesischen Opern-Barock mit Kriegs-Elefanten und marschierenden Komparsen-Kolonnen. Der Triumphmarsch - unsichtbar auf den Seitenbühnen und trotzdem mit Show-Effekt. Vier Herren im Frack bliesen die Trompeten auf den Seitenrängen. Der Nil - reflektierendes Licht. Das alte Ägypten - eine vom Himmel herabstürzende umgekehrte Pyramide. Tempel und pharaonische Thronsäle - hell ausgeleuchtete Lichtkästen, die den Blick geradezu filmisch auf eine einzige Figur fokussieren können. Die Kostüme - modern und doch berührt von den vieltausend Jahre alten Vorbildern. Die Regie zeigt nicht die Operngesten selbst verliebter Sänger, sondern die innere Zerrissenheit von Menschen. Die Dramaturgie kreist um Aidas Frage "Oh mein Vaterland, wie viel kostest Du mich!" Für ihr Vaterland muss Aida ihre Liebe aufgeben oder ihre Heimat...
...epische Ausbreitung atmosphärischer Zustände, die der Regisseurin "Rahmenbedingungen für eine gekonnt-strenge Ausdeutung" geben. Gelobt werden die "choreografierten Bewegungsabläufe", die "eigentlich die gesamte Aufführung tragen... Wenn dann vor dem Triumph-Finale und im Nil-Akt die Interessen der Charaktere zunächst nacheinander dann gebündelt miteinander zusammenstoßen, erreicht die Inszenierung eine packende Dichte und Konzentration. Bei diesem schier überbordenden Reservoir an Einfällen und Lösungen in der Regie geschieht auch gelegentlich des Guten zu viel, etwa wenn nach der unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlung die in ihrer Wut entfesselte Amneris den Priestern zuleibe rückt und sie von ihren Sitzen fegen muss... Insgesamt bleibt die Aida in Rostock eine Reise wert.