Vernunft heißt Verantwortung für sich selbst und für den anderen außerhalb von Emotionen und Handlungen, die uns aus dem Gleichgewicht bringen: emotional, psychisch, körperlich. Vernunft heißt, durch alle Schwierigkeiten hindurch den besten Weg zu finden in der Liebe, Familie, Politik. Dass wir uns und unsere Welt nicht zerstören.
Es ist ein Experiment, eine Schule, ein Spiel der Liebenden. Spiel bedeutet
immer eine Distanz zu den Gefühlen, die das auslöst. Es ist vom Ansatz her
vernunft-gesteuert, auch wenn es existenziell wird. Die Paare wachsen daran. Die
Frauen emanzipieren sich.
Es waren die Frauen, die damals zur Bastille zogen, weil dort ihre Männer einsaßen. Das Verhältnis zwischen Frau und Mann ist seitdem im Umbruch. Aber nur minimal hat sich durch die Jahrtausende-lange Unterdrückung der Frau, die immer nur über den Mann definiert wurde, etwas verändert. Auch die #MeToo-Debatte spielt hier mit rein. Dass die Frau eine eigene Haltung hat zu ihrer Sexualität, dass sie selbstbestimmt ist, ist in dieser Oper angelegt. Die hier ausgebreitete Spanne zwischen Opfer und Täter ist atemberaubend modern. Alle wissen Bescheid: die Männer, die wetten, und die Frauen, die – in unserer Fassung – die Wette belauschen und bewusst in dieses Experiment, in dieses Lebens- und Liebesspiel hineingehen. Nur die Zofe Despina weiß nichts; sie wird von Don Alfonso gekauft. Alfonso allerdings weiß nicht, dass die Frauen es wissen. Und die Männer wissen nicht, dass die Frauen es wissen. Die Männer und Despina wissen also nicht, dass hier eine Wette läuft, in der die Frauen den Spieß umdrehen, ihrerseits die Männer verführen und so den Männern ihre Wette kaputt machen.
In unserer Fassung wissen die Frauen ja, dass die Männer ihre Identität getauscht haben. Und sie spielen mit.
Große Komödie und große Tragödie, weil man nicht unbeschadet im Leben bleibt durch das Erlebte. Die innere Haltung verändert sich, die inneren Werte brechen. Wenn man sagt „ich liebe dich“, ist das ein Fakt. Es wird ein existenzieller Prozess in Gang gesetzt. Insofern sind alle Figuren, auch Despina zum Schluss – weniger Alfonso – existenziell betroffen von dem Vorgang. Und es geht sehr tief bis ins Innerste: die Verletzungen, die Hoffnungen, die Nöte von uns Menschen, Himmel und Hölle, Liebesfreud und Liebesleid. Das ist das Stärkste, was wir haben.
Dass es ein Stegreif-Spiel, ad hoc improvisiert wird. Diese Wette entsteht ja als Experiment aus dem Gespräch der Männer, und dann muss alles sehr schnell gehen: die ganze Verkleidungs-Arie. Es ist nichts vorbereitet. Und alle Figuren springen ganz schnell in dieses Wechselspiel. Die augenzwinkernde Leichtigkeit und die Schönheit der Mozartschen Musik bedarf auch einer Leichtigkeit im Spiel. Das heißt nicht Oberflächlichkeit, sondern – Transzendenz eigentlich.
Die Sänger sollen lernen, dass, wenn man im Theater auf der Bühne steht, es keine großen und kleinen Rollen gibt, sondern dass jeder seine Rolle ausfüllen muss im Verhältnis zu dem anderen; und dass es ganz wichtig ist, dass wir uns gegenseitig einander dienen. Im Kontrast zum Starkult will ich dieses Ensembletheater: jeder ist verantwortlich für jeden. Dafür haben wir ein Wechselspiel zwischen Solisten-Sextett und Chor erfunden. Alle Rollen sind einmal Chor und einmal Solo. Die Soli gehen durchs Stück und die andere Besetzung ist der Chor. Und in der nächsten Aufführung umgekehrt. Der Chor sind die dienstbaren Geister. Sie wechseln die Rollen, spielen Soldaten, Lemuren, Wasser, Krieger.
Es war sehr schön zu sehen, wie sie sich gegenseitig in die jeweilige Szene eingeführt haben und das erarbeitete szenische Material einander weitergegeben haben.
Das ist ja alles in der Libido mit eingeschlossen. Männer können es eher trennen als Frauen. Im Stück geht es um den ständigen Wandel. Wenn wir uns eine Schablone anlegen und immer gleich sind, bedeutet das eher den Tod, als dass wir uns ständig verändern. Die Veränderung des anderen wahrzunehmen und zu akzeptieren – das ist die dauerhafte Liebe: Freundschaft, Sexualität, Achtung alles in einem. Heißt: ich stehe für den ständigen Wandel, aber in der Treue. Es geht immer um Treue, und gemeint ist zuallererst die Treue zu sich selbst.
Für mich ist Individualität grundlegend. Ich komme aus einer Schule, wo die Individualität hochgehalten wurde. Wir wurden in der Palucca Schule als Individuen geachtet von Kindheit an mit zehn. Wir hatten gelernt uns zu unterscheiden, selbst wahrzunehmen und als wichtig erachten, was wir denken. Die Individualität der Figuren ist mir äußerst wichtig. Und Mozart hat das fantastisch komponiert mit großer Liebe fürs Detail und die ganze Palette von Frau-Sein, Mann-Sein, Lüge, Verrat, Liebe, Erotik, Sexualität.
Extrem, mit Todesdrohungen. Die Frauen provozieren die Männer weiter und bestrafen sie auch dafür.
Wir beziehen die Natur in unsere Handlung mit ein. Das Bühnenbild von Moritz Nitsche ist eine Schräge, die in die Landschaft hinüberfließt, durch die Kolonaden hindurch zum See, zum Obelisken. Diese romantische Landschaft, der Sonnenuntergang, die Wolken sind ein überragendes Gleichnis von uns Menschen mit der ständig wechselnden, schönen und auch grausamen Natur, deren Teil wir sind. Insofern passt das, wenn es nicht regnet, sehr gut.
Um die Leichtigkeit auch der Musik nicht zu stören. Zugleich bekommen sie eine ganz andere Beziehung zum Boden. Man fühlt sich anders, sensibler. Wir haben alles weggelassen, was den improvisierten Charakter des Spiels zerstören könnte.
Auch aus inhaltlichen Gründen: welche Linie man legen will. Unsere Hauptlinie ist, dass es zwei mündige Frauen sind, die nicht Opfer, sondern Partner der Männer sind.
Das ist kein Vergleich zu der Naturkulisse, mit der wir spielen.
Wir hoffen, dass der Wettergott uns gnädig ist.