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Ein Stegreifspiel, luftig, leicht –
existenziell

Arila Siegert über Mozarts „Così fan tutte“

Premiere: 20.Juli 2018, Kammeroper Schloss Rheinsberg, Schlosshof
Dirigent: Ivo Hentschel
Ausstattung: Moritz Nitsche

Spieldauer: 2 h 15' plus 45' Pause

Schloss Rheinsberg

 

„Così fan tutte“ endet mit einem Lobgesang auf die Vernunft. Vernunft ist heute in Zeiten von Trumpelstilzchen & Co nicht gerade in Mode. Was heißt Vernunft hier? Was heißt es für dich?

Vernunft heißt Verantwortung für sich selbst und für den anderen außerhalb von Emotionen und Handlungen, die uns aus dem Gleichgewicht bringen: emotional, psychisch, körperlich. Vernunft heißt, durch alle Schwierigkeiten hindurch den besten Weg zu finden in der Liebe, Familie, Politik. Dass wir uns und unsere Welt nicht zerstören.

Und was bedeutet das für die Paare hier?

Es ist ein Experiment, eine Schule, ein Spiel der Liebenden. Spiel bedeutet immer eine Distanz zu den Gefühlen, die das auslöst. Es ist vom Ansatz her vernunft-gesteuert, auch wenn es existenziell wird. Die Paare wachsen daran. Die Frauen emanzipieren sich.

„Così fan tutte“ ist die dritte Oper Mozarts mit seinem Librettisten Lorenzo da Ponte und seine dritt-letzte. Anfang 1790 uraufgeführt in Wien, ein halbes Jahr nach der Französischen Revolution, atmet sie Umbruch. Der Umbruch im Äußeren wird hier gleichsam vorgeführt als möglicher Umbruch im Inneren, in den Beziehungen der Geschlechter.

Es waren die Frauen, die damals zur Bastille zogen, weil dort ihre Männer einsaßen. Das Verhältnis zwischen Frau und Mann ist seitdem im Umbruch. Aber nur minimal hat sich durch die Jahrtausende-lange Unterdrückung der Frau, die immer nur über den Mann definiert wurde, etwas verändert. Auch die #MeToo-Debatte spielt hier mit rein. Dass die Frau eine eigene Haltung hat zu ihrer Sexualität, dass sie selbstbestimmt ist, ist in dieser Oper angelegt. Die hier ausgebreitete Spanne zwischen Opfer und Täter ist atemberaubend modern. Alle wissen Bescheid: die Männer, die wetten, und die Frauen, die – in unserer Fassung – die Wette belauschen und bewusst in dieses Experiment, in dieses Lebens- und Liebesspiel hineingehen. Nur die Zofe Despina weiß nichts; sie wird von Don Alfonso gekauft. Alfonso allerdings weiß nicht, dass die Frauen es wissen. Und die Männer wissen nicht, dass die Frauen es wissen. Die Männer und Despina wissen also nicht, dass hier eine Wette läuft, in der die Frauen den Spieß umdrehen, ihrerseits die Männer verführen und so den Männern ihre Wette kaputt machen.

 

Im Sinne von #MeToo ist das dennoch nicht unbedingt ein emanzipatorischer Akt, sondern patriarchalisch, weil eben dieser sogenannte Philosoph Alfonso das alles anstiftet. Die Frauen sollen ihre angeblich in den Krieg gezogenen Verlobten nicht wiedererkennen, wenn sie verkleidet zurückkommen. Wie kann man das heute so inszenieren, dass es glaubwürdig wirkt und nicht albern?

In unserer Fassung wissen die Frauen ja, dass die Männer ihre Identität getauscht haben. Und sie spielen mit.

Du zeigst das als eine große Komödie.

Große Komödie und große Tragödie, weil man nicht unbeschadet im Leben bleibt durch das Erlebte. Die innere Haltung verändert sich, die inneren Werte brechen. Wenn man sagt „ich liebe dich“, ist das ein Fakt. Es wird ein existenzieller Prozess in Gang gesetzt. Insofern sind alle Figuren, auch Despina zum Schluss – weniger Alfonso – existenziell betroffen von dem Vorgang. Und es geht sehr tief bis ins Innerste: die Verletzungen, die Hoffnungen, die Nöte von uns Menschen, Himmel und Hölle, Liebesfreud und Liebesleid. Das ist das Stärkste, was wir haben.

Du arbeitest mit bestimmten Zeichen, die variantenreich wiederkehren: Tücher, Strand, Liebes-Nachen, Gesichtsschleier oder Degen, die nicht unbedingt zum Fechten benutzt werden. Was war die Idee dabei?

Dass es ein Stegreif-Spiel, ad hoc improvisiert wird. Diese Wette entsteht ja als Experiment aus dem Gespräch der Männer, und dann muss alles sehr schnell gehen: die ganze Verkleidungs-Arie. Es ist nichts vorbereitet. Und alle Figuren springen ganz schnell in dieses Wechselspiel. Die augenzwinkernde Leichtigkeit und die Schönheit der Mozartschen Musik bedarf auch einer Leichtigkeit im Spiel. Das heißt nicht Oberflächlichkeit, sondern – Transzendenz eigentlich.

 

Vorgabe war doppelte Besetzung aller Rollen. Und kein Chor. Der aber wird benötigt. Du setzt die Solisten auch chorisch ein und machst gleichsam den Rollen-Tausch zum Prinzip der ganzen Inszenierung.

Die Sänger sollen lernen, dass, wenn man im Theater auf der Bühne steht, es keine großen und kleinen Rollen gibt, sondern dass jeder seine Rolle ausfüllen muss im Verhältnis zu dem anderen; und dass es ganz wichtig ist, dass wir uns gegenseitig einander dienen. Im Kontrast zum Starkult will ich dieses Ensembletheater: jeder ist verantwortlich für jeden. Dafür haben wir ein Wechselspiel zwischen Solisten-Sextett und Chor erfunden. Alle Rollen sind einmal Chor und einmal Solo. Die Soli gehen durchs Stück und die andere Besetzung ist der Chor. Und in der nächsten Aufführung umgekehrt. Der Chor sind die dienstbaren Geister. Sie wechseln die Rollen, spielen Soldaten, Lemuren, Wasser, Krieger.

Dadurch entstand eine besondere Enge im Team.

Es war sehr schön zu sehen, wie sie sich gegenseitig in die jeweilige Szene eingeführt haben und das erarbeitete szenische Material einander weitergegeben haben.

Es gibt im Libretto da Pontes manche Anknüpfungspunkte an die beiden früheren Arbeiten mit Mozart, insbesondere den „Figaro“, wo der Graf in der Schlussszene sagt, er habe seine Frau wieder lieben gelernt in ihrer Verkleidung als Zofe Susanna. Drückt das eine Sehnsucht aus, den geliebten Menschen in einer Verwandlung neu zu entdecken? Wie ist das mit den Paaren hier? Despina, die Zofe, die du eher karikierst und am Ende gleichsam mumifizierst, ist ja ganz illusionslos, was Männer betrifft: Männer wollen vor allem das Eine. Geht’s also um Sex oder um Liebe?

Das ist ja alles in der Libido mit eingeschlossen. Männer können es eher trennen als Frauen. Im Stück geht es um den ständigen Wandel. Wenn wir uns eine Schablone anlegen und immer gleich sind, bedeutet das eher den Tod, als dass wir uns ständig verändern. Die Veränderung des anderen wahrzunehmen und zu akzeptieren – das ist die dauerhafte Liebe: Freundschaft, Sexualität, Achtung alles in einem. Heißt: ich stehe für den ständigen Wandel, aber in der Treue. Es geht immer um Treue, und gemeint ist zuallererst die Treue zu sich selbst.

Die beiden Frauen werden von da Ponte und Mozart differenziert reagierend auf die Avancen der verkleideten Männer gezeigt.

Für mich ist Individualität grundlegend. Ich komme aus einer Schule, wo die Individualität hochgehalten wurde. Wir wurden in der Palucca Schule als Individuen geachtet von Kindheit an mit zehn. Wir hatten gelernt uns zu unterscheiden, selbst wahrzunehmen und als wichtig erachten, was wir denken. Die Individualität der Figuren ist mir äußerst wichtig. Und Mozart hat das fantastisch komponiert mit großer Liebe fürs Detail und die ganze Palette von Frau-Sein, Mann-Sein, Lüge, Verrat, Liebe, Erotik, Sexualität.

Wie reagieren die Männer auf die vermeintliche oder tatsächliche Untreue ihrer Verlobten?

Extrem, mit Todesdrohungen. Die Frauen provozieren die Männer weiter und bestrafen sie auch dafür.

Du inszeniert das hier in Rheinsberg in einer historisch angenäherten, aber szenisch schwierigen Kulisse des Schlosshofs.

Wir beziehen die Natur in unsere Handlung mit ein. Das Bühnenbild von Moritz Nitsche ist eine Schräge, die in die Landschaft hinüberfließt, durch die Kolonaden hindurch zum See, zum Obelisken. Diese romantische Landschaft, der Sonnenuntergang, die Wolken sind ein überragendes Gleichnis von uns Menschen mit der ständig wechselnden, schönen und auch grausamen Natur, deren Teil wir sind. Insofern passt das, wenn es nicht regnet, sehr gut.

Du lässt das barfuß spielen.

Um die Leichtigkeit auch der Musik nicht zu stören. Zugleich bekommen sie eine ganz andere Beziehung zum Boden. Man fühlt sich anders, sensibler. Wir haben alles weggelassen, was den improvisierten Charakter des Spiels zerstören könnte.

Ihr habt kräftig gekürzt. Nicht nur im Blick auf die Freiluft-Aufführung.

Auch aus inhaltlichen Gründen: welche Linie man legen will. Unsere Hauptlinie ist, dass es zwei mündige Frauen sind, die nicht Opfer, sondern Partner der Männer sind.

Eine deiner Stärken, eine differenzierte Lichtregie, ist im Schlosshof nur bedingt möglich. Aber es gibt auch das Ausweichquartier, wenn der Wettergott weint.

Das ist kein Vergleich zu der Naturkulisse, mit der wir spielen. Wir hoffen, dass der Wettergott uns gnädig ist.

Int.: G.-F. Kühn, 13.07.2013
Fotos: GP 18.07.18, © gfk