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Verführung der Verführer

Flirrend und fragend: Mozarts „Così fan tutte“ feierte Premiere in Schloss Rheinsberg. Als Oper der Jugend mit jungen Sängerinnen und Sängern.

Isabel Herzfeld, in: Tagesspiegel / Potsdamer Neueste Nachrichten 22.07.2018 (Premiere 1)

...Regisseurin Arila Siegert lässt die sechs Protagonisten auf Moritz Nitzsches schräg zum See abfallender Bühne ein tänzerisch leichtes Bäumchen-wechsel-dich-Spiel veranstalten, ergänzt durch die Chorsolisten, die zugleich die Zweitbesetzung bilden, schon hier ein Bild des ewigen Wechsels, des Täuschungsmanövers. Siegert erwarb ihre frühen Meriten im Tanz, und so ist diese „Così“ auch ein Zusammenspiel geschmeidiger Bewegungen, ästhetischer Körperbilder, wie improvisiert verspielten Herumtändelns mit Schleiern, Blumenkränzen, Florett-Degen...

Gefühle muss man sich leisten können. Und das können Fiordiligi und Dorabella, zwei Tussis wie aus dem Modemagazin. Sie aalen sich am Strand, und wenn sie hohe Spitzentöne singen, halten sie sich die Nase zu und tauchen in ein Wellengewirr aus Schleiertüchern...

Zu all dieser sängerischen Beweglichkeit, Spritzigkeit passt das von Ivo Hentschel zu gut gelaunter Präzision angefeuerte Kammerorchester Potsdam aufs Beste, ist niemals um virtuoseste Klarinetten- oder Flötenläufe auf duftigem Streicherteppich verlegen und arbeitet doch deutlich die nachdenklichen, lyrischen, zärtlichen Klänge Mozarts heraus, die diese flirrende Leichtigkeit durchbrechen und hinterfragen.

...Doch passt die Doppelmoral von den Treue erprobenden Männern und den der Verführung erliegenden Frauen noch in unsere Zeit? So machen es eben alle, offen polygam die einen, hinterhältig treulos die anderen? Sollten da Fiordiligi und Dorabella nicht eher sagen „#MeToo“?

Arila Siegert hält nichts von Opferrollen, lässt die Frauen das Komplott hinter den Schlosskolonaden belauschen. Der Spieß wird fortan umgedreht, Verführung der Verführer betrieben. „Welchen willst du? Ich nehme den Braunen, du den Blonden“ ist da eine fast schon müßige Frage. „Wir werden mächtig Spaß haben“ dagegen keine, denn den haben zweifellos Sänger, Musiker und Publikum – und dazu gehört auch, dass hinterher nichts mehr so ist, wie es vorher war, auf dem Weg zur Aufrichtigkeit der Gefühle.


Ein Theaterspiel von Schein und Sein

Wolfgang Amadeus Mozarts »Così fan tutte« an der Kammeroper Schloss Rheinsberg

Irene Constantin, in: ND 24.07.2018 (Premiere 2)

...Der Sommer ist Opernzeit in Rheinsberg; gerade läuft »Così«, im August kommt der »Freischütz«. Für die Mozart-Oper hat die Leitung des Kammeropernfestivals mit dem musikalischen Leiter Ivo Hentschel, der Kammerakademie Potsdam und der Regisseurin Arila Siegert ein wahrlich luxuriöses Team für die Arbeit mit ihren jungen Sängern aufgeboten. Die gesamte Produktion sprühte vor Ideen, von der Regiekonzeption bis zum Bläsersatz im Orchester.

Mozarts Librettist Lorenzo da Ponte konstruierte ein Spiel mit sechs Personen in strenger Symmetrie - zwei Paare, die Frauen Schwestern, die Männer Freunde, dazu Hausfreund, Skeptiker und Philosoph, und energiegeladene Kammerzofe. Dazu hat ein kleiner Chor drei kurze Auftritte. In Rheinsberg ließ die Regisseurin zwölf Personen auf der Bühne agieren. Doppelte Besetzung; heute Abend steht die eine Sechsergruppe im Licht solistischen Ruhms, morgen Abend die andere. Die übrigen Sechs sind jeweils Chor.

Der hat aber weit mehr als drei kurze Gesangsnummern zu absolvieren. Siegert macht ihn zu dienstbaren Geistern, lässt ihn die See bewegen, ein Boot rudern, Seelen anfechten, Seelen spiegeln. Die Herkunft der Opernregisseurin aus Tanz und Choreografie ist unübersehbar. Tanzen lässt sie alle, das ganze Stück gerät alsbald ins Schwingen. So federleicht wie die Kleider und Schleier der Darsteller sind die Tücher und Türrahmen von Moritz Nitsche, welche die Säulenkolonaden im Rheinsberger Schlosshof als Bühnenbild ergänzen. Grob und schwer waren nur die Soldatenmäntel, kalkulierter Einbruch in die Sommerabendleichtigkeit.

Bekanntermaßen erproben die Männer in der Liebesgeometrie dieser Oper auf durchaus infame Weise die Treue ihrer Verlobten. Ob dies eine harmlose Verwechslungskomödie, eine nur wenig abgemilderte Variante der bösartigen »Gefährlichen Liebschaften« oder eine heitere jugendliche Amoure ist, weiß der Theatergott allein. Regisseure müssen sich entscheiden und auf Mozart hören. Allein, auch der lässt alles in ständigem Schwebezustand; über die Doppeldeutigkeit der Tenorarie »Un’aura amorosa« gibt es ganze Abhandlungen. Arila Siegert entschied sich, das doppelte Spiel einfach mitzuspielen. Mal ging Liebesleid unter die Haut, mal Ironie ans Zwerchfell. Spielmeister war immer der Komponist.

Am Ende erlebt das Publikum Transzendenz: Wir sind hier zwölf junge Sänger, wir spielen ein Theaterspiel von Schein und Sein, wir haben uns befreundet, vielleicht verliebt, keiner ist, was er spielt und was er heute spielt, ist morgen ein anderer. Ihr Zuschauer, denkt doch was ihr wollt. Wir singen und fliegen ein bisschen dabei. Geniale Idee von Arila Siegert: alle traten barfuß auf. Wie viel Freiheit ein paar nackte Füße vermittelten, ist unglaublich...




OPER!Das Magazin

Kurz-Kritik zur Aufführung 14.07.2018 auf facebook

Auch anderswo ist Festival: Auf zur Kammeroper Schloss Rheinsberg! Wir sehen Arila Siegerts duftig-leichte Version von "Così fan tutte" für die Kammeroper in harmonischem Bühnen- wie Amphitheater-Setting vor himmlischer Kulisse samt See-und Waldblick.

Ein jugendlich-frischer Cast mit gleich 12 Akteuren kommt bar- wie leichtfüssig daher. Gesanglich durchaus mit Stärken, gestützt durch Ivo Hentschels genussbringendes Dirigat der Kammerakademie Potsdam.

Lesen Sie mehr in der nächsten Ausgabe von Oper!

 

Rollenspiele
im Brandenburgischen

Unter neuer Leitung geht die Kammeroper Schloss Rheinsberg in eine noch ungewisse Zukunft. Doch vorher versprühte sie mit Così fan tutte noch mächtig jugendlichen Stimmencharme.

Von Beata Arnold / "Oper das Magazin", Sept.2018, S.55 
(Aufführung am 14.07.2018)

... Nach seinem vierten Festivalsommer scheidet (...) Matthus junior aus dem Amt. Mit Così fan tutte, Freischütz und A Bad Man`s Life sagt er Adieu als künstlerischer Kopf. Noch hat er aber die Zügel in der Hand und heute einen Sonnenschirm dazu: Denn die historischen Instrumente leiden! Die Abendsonne brennt in größter Sommerfreundlichkeit auf den mit Così fan tutte zu bespielenden Schlosshof.

Das Orchester sitzt sonnenbebrillt vor einem improvisierten Lichtschutzwall, die kostbaren Instrumente beschirmt von hinzu gestellten Schattenspendern. Moritz Nitzsche hat die Bühne inmitten der Schlosskolonnaden hochgezogen, mit freiem Blick vom Amphitheatersitz auf die Natur-Kulisse. Eingerahmt sind so Garten, See und Wald, der Zug der Himmelskörper samt fröhlich zwitschernder Schwalben. Helle mobile Requisiten und die weißen Säulen des Kolonnadengangs, die mal als Stolperfalle, Stütze oder gar Versteck dienen – diese Leichtigkeit passt zu Mozarts überirdischer Heiterkeit, die die Irrungen und Wirrungen der Menschenwege mit ihren kleinen Sünden und Genussfreuden musikalisch umkleidet.

Dank Ivo Hentschels feinsinnigem Dirigat erleben wir herrliche Bläser und subtilsten Strich der Kammerakademie Potsdam, der unsere eigenen Saiten nachhaltig in Schwingung versetzt. Beim zauberischen „Soave sia il vento“ fallen wir verzückt wie aus Raum und Zeit. Jugendliche Frische in naturverbundener Harmonie ist eine Vision der Regisseurin Arila Siegert. Vom Tanztheater kommend, lässt sie die Sänger bar- wie leichtfüßig in duftigen Kleidchen im Freiluft-Rokokoambiete lustwandeln, umweht von Schleiern, umgarnt von Blumenranken, die Häupter bekränzt, kokett mit Degen posierend. Aus zarten Stoffbahnen, floralen Girlanden, wogenden Menschenleibern erschafft sie etwa eine Gondel im Lebensfluss, die ob des Intrigenspiels zerbirst...


So war die Kammeroper-Premiere von
„Così fan tutte“

Gerald Felber, in: Märkische Allgemeine, 25.07.2018 (Premiere 1)

Rheinsberg. Mozarts „Cosi fan tutte“ ist die Freiluft-Oper schlechthin: Angesiedelt in Neapel unter wolkenlosem Himmel und mit einer Handlung, die zwischen Kaffeehaus-Terrassen, Gärten und Meeresufer kaum Innenräume braucht. Wenn dann, wie zur Rheinsberger Kammeropern-Premiere am Freitag, tatsächlich Gewölk über die Szene zieht, sind das beste Voraussetzungen, um mit wenig Aufwand viel Atmosphäre zu schaffen.

Moritz Nitsche, der die Ausstattung verantwortete, hat sich daran gehalten: sommerliche Kostüme, wenige weiße, leicht bewegliche Requisiten und als wichtigstes Element die Kolonnaden des Schlosshofs. Zwischen denen ist das Bühnenpodest hochgezogen worden: Manchmal dienen sie als Versteck, manchmal sind sie Stütze in Minuten der Verzweiflung – und immer einhegender Rahmen für Fernträume, die hinübergehen zum anderen Seeufer und weiter.

Auch in Arila Siegerts Inszenierung sind die besten Momente jene, wo die Regisseurin nicht am zusammengepuzzelten Detail klebt und klimmt. Sondern jene, wenn sie die Fantasie freilässt und die Tanzerfahrung ihres früheren Lebens nutzt, um die Sielräume mit Choreographien zu füllen, die federleicht und dennoch oft tief melancholisch sind – wie bei den „Fêtes galantes“ à la Watteau, die einst auch im Rheinsberger Schloss eine Heimstatt hatten. Der schönste Einfall dieser Art war vielleicht eine nur aus Menschenleibern, Blumenketten und Tüchern geformte Liebesbarke, die dann freilich hart auf Grund läuft und damit schon die seelischen Abstürze der folgenden Doppelverführung andeutet.

... Arila Siegert und ihr Team haben denn auch beherzt gekürzt, was einem nun wieder um jeden verlorenen Meistertakt leidtun könnte, aber in diesem Falle klar fokussiert war: Hin zur Aufwertung der beiden Schwestern, weg von der bloßen Opferrolle einer ebenso leichtsinnigen wie sexuell gefräßigen Männerwelt zur emanzipierten Mitgestaltung des erotischen Vierer-Experiments. Die Grundthese dafür ist, dass die Frauen von Anfang an sehr wohl wissen, wer hinter den exotischen Gästen steckt, die sich erbötig machen, ihnen die Zeit ohne ihre Verlobten angenehm abzukürzen: nämlich diese selbst...

Ivo Hentschel hielt die Potsdamer Kammerakademie und das lebhafte Bühnentreiben gut am Laufen, begegnete der dürren Freiluft-Akustik mit straffen Tempi und energischen rhythmischen Akzenten. Den Chor verkörperte die zweite Solistenbesetzung, was sich sehr gut machte; so wird es zu den nächsten Aufführungen sogar noch ein weiteres Partnerwechsel-Spiel geben.


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