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Kritiken - Vorbericht
Video-Trailer


Dieses kurze Aufflackern von Glück – oder:
Jahreszeiten der Gefühle

Arila Siegert im Gespräch über Mozarts „Der tolle Tage oder: Le nozze di Figaro”

Premiere, Theater Regensburg: 18. September 2021
Musikalische Leitung: GMD Chin-Chao Lin
Inszenierung und Choreografie: Arila Siegert
Bühne: Hans Dieter Schaal
Kostüme, Mitarbeit Bühne: Marie-Luise Strandt
Choreinstudierung: Alistair Lilley
Licht: Martin Stevens
Dramaturgie: Julia Anslik, Bettina Bartz

Figaro - Susanna

Das ursprüngliche Kern-Thema von „Figaro“ war im Umfeld der Französischen Revolution die Frage nach der Abschaffung des „jus primae noctis“, also des Rechts eines Adeligen, die Braut eines Untergebenen vor ihrer Heirat zu entjungfern. Der Graf hat darauf verzichtet, möchte es aber noch mal bei der Braut seines Dieners ausprobieren. Heute ist das kein Thema mehr, wohl aber die Diskussion um männliches Chauvi-Verhalten unterm Stichwort #MeToo. Wie gehst du damit um?

Dieses Stück hat viele verschiedene Schichten. Da ist auf der einen Seite die Erzählung des verrückten Tages, an dem der Graf, der sich in die Susanna verliebt hat, diese Hochzeit verhindern will. Es geht aber auch um Emanzipation dieses Standes der Untergebenen oder Diener gegenüber den Herrschenden, dem Grafen. Es geht um Emanzipation der Frauen in Gestalt der Susanna, die sich in einer Art Mutterwitz aber auch unverwüstlichem Naturell wehrt. Aber auch Rosina, die Contessa, die ihre Liebe schwinden sieht, die an die Liebe ihres Mannes nicht mehr glaubt, weil er dauernd anderen Frauen hinterhersteigt und sie nicht mehr richtig wahrnimmt. Wie kommt man menschlich gesehen aus so einer Klemme heraus? Und neben dem politischen Hintergrund, der überall durchscheint, versteckt, gibt es aber auch diesen ganz wichtigen Urgrund menschlicher Bindung überhaupt: wie wir uns zueinander verhalten, wie wir uns wahrnehmen, was wir uns antun, wie wir uns wehren, was Sinn macht, dass es weitergeht, oder wie die Konflikte, die ja immer wieder neu entstehen, so gelöst werden, dass beide Seiten damit leben und sich weiter entwickeln können. Es geht im Grunde um eine Entwicklung der eigenen Persönlichkeit gegenüber den ganzen Schwierigkeiten des Lebens. Und gefeiert wird am Ende das Verzeihen, die Liebe und das Leben, obwohl alle Figuren im Grunde geschlagen sind.

Susanna - Marcellina

Es ist Pandemie-Zeit. Wie inszeniert man da eine Oper, in der es neben Intrigen vor allem um Liebe geht, Verzeihen? Liebe will Berührung…

Das ist ein großes Thema und eine eigentlich unlösbare Aufgabe. Aber da es besser ist, trotzdem weiterzumachen auch in ganz schwierigen Umständen und aus dem, was man zur Verfügung hat, das zu machen, was möglich ist – und was unmöglich ist, es geht auch in der Kunst ums Überleben. Ich habe mich so eingestellt, dass ich die Regeln akzeptiere und das Beste daraus mache. Da kommt man an bestimmte Grenzen. Aber ich bin der Meinung, auch in den immer enger werdenden Grenzen kann man immer noch eine Freiheit finden. Das habe ich so weit wie möglich versucht auszureizen. Aber es ist noch kein Ende und die Hoffnung, dass die Regeln sich lockern und wir zur Premiere die für das Beziehungsleben im Stück wichtige Attraktion der Überschreitung der Aura des anderen und der Berührung erreichen können. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

Figaro - Cherubino

Die Bedingungen waren diesmal besonders erschwert: einmal durch die Abstandregeln in der Pandemie und auch weil das Angebot relativ kurzfristig kam und das Zeit-Budget sehr volatil war. Aber du hast „Figaro“ schon vor einigen Jahren mal gemacht, also das Material war erarbeitet. Aber es musste ganz neu geordnet werden. Was war der neue Impuls?

Ich habe mich ganz neu eingestellt, habe gar nicht mehr in die alten Aufzeichnungen geschaut, sondern mir alles ganz neu ausgedacht. Und es ist auch ganz anders geworden als beim ersten Mal. Mozart und die Oper – man kann das Stück in vielen Varianten immer wieder neu spiegeln. Ich finde es wie einen Kristall, der dir, wenn man ihn bewegt, immer wieder eine andere Farbe, eine andere Sicht schenkt. Die Mozart-Opern sind unendlich variationsfähig und so gehaltvoll, dass man immer wieder neu schöpfen kann.

Susanna

Der Hauptkonflikt ist ja: wie wird das junge Paar Figaro-Susanna sein Leben ohne Beeinflussung durch Ältere (zum einen die Eltern, zum anderen durch ihre Herrschaft) leben können. Also auch eine Art Generationen-Konflikt. Sehr aktuell auch im übertragenen Sinn. Und dann sind da auch noch zwei Jüngere, die kein Paar sind, aber die auch schon etliche Schmetterlinge im Bauch haben. Aber sie wissen nicht so recht, wohin die Schmetterlinge fliegen sollen.

Der Cherubino ist von dem Conte auch bei der Barbarina entdeckt worden. Es ist nicht so klar, ob sie nicht doch schon ein Paar sind. Vieles bleibt in dem Stück in der Schwebe. Und da ist eben ein ganz junges Paar, ein Paar, das sich gerade bindet, ein Paar, das den Zenit überschritten hat, und ein altes Paar, das eigentlich schon lange vorbei ist und sich wiederfindet, weil sie ihren Sohn, den Figaro, entdeckt und wiedergefunden haben. Das ist auch ein Teil des Stücks, dass es eben durch die Jahreszeiten der Gefühle geht, durch das Menschsein, die verschiedenen Generationen, die verschiedenen politischen Verhältnisse, die verschiedenen Stände, Aggregatzustände der Gefühle – es schaut mit einer großen Liebe auf die Menschen.

Graf - Susanna - Gräfin

Was für ein Mensch ist die Titelfigur, der Figaro? Warum ist er so aufmüpfig und kann hinter die Kulissen schauen?

Er ist eine Art Kasperle, Teufel, ein Mensch mit Abgründen, ein geraubtes Kind, das ohne viel Liebe und Bindung an ein Zuhause aufgewachsen ist – sehr modern. Figaro zeigt mir auch die Wut dieser Klasse, die in der Zeit der Französischen Revolution lebte, die dann die Guillotine so blutig wie möglich zu betätigen wusste. Figaro zeigt diese Brutalität in uns und auch die Kraft, dass man bestimmte Schwierigkeiten, Zustände, Kriege übersteht und doch irgendwie weitermacht, dabei noch einen Witz auf der Zunge hat und trotzdem draufhaut. Figaro ist eine schillernde, aber absolut ernst zu nehmende männliche Figur.

Gärtner-Szene

Und wie siehst du den Grafen, seinen Gegenspieler? Ist er ehrlich?

Er hat das Dandyhafte dieses Stands, die nicht arbeiten müssen. Er hat die starke Tendenz, sich nur über Frauen zu definieren und dass Frauen ihm das Glück bringen, und dass, wenn eine Frau da ist, eine Atmosphäre herrscht, in der er sich wohlfühlt. Er ist ein Frauen-Mann. Er zwingt die Susanna nicht, er will sie gewinnen. Das ist schon ein Zeichen des modernen Ehemanns, der sich zwar ausleben will – in diesem Fall auf Kosten seiner Frau Rosina, die sich nicht wehrt und er es deshalb kann. Rosina verbindet sich aber mit Susanna und Marcelline und erreicht durch ein Ihn-bloß-stellen vor der kleinen Grafschaft-Society, dass er erkennt, dass es so nicht geht.

Graf Gräfin

Wie siehst du die Frauen im Stück?

Die Frauen sind wesentlich kreativer als die Männer. Durch die Verbindung dieser drei Hauptfiguren Rosina, Susanna, Marcelline wächst im Laufe des Stücks eine Frauen-Power, die die Männer außen vorlässt bei der Intrige und sie im Grunde genommen vorführt. Die Gräfin schafft es nur, aus ihrer Isolation und ihrem Trauergefängnis herauszukommen – dass sie nicht geliebt ist, dass sie sich einsam fühlt, dass sie sterben will –, sie schafft das nur dadurch, dass Susanna ihr alles gesteht, was der Graf ihr vormacht. Unter anderem: sie soll in den Garten kommen, und er will sie dafür bezahlen. Alles das erzählt sie der Rosina. Und dadurch, dass die Frauen sich nicht gegenseitig bekriegen, sondern als Partnerinnen und Freundinnen sich gewinnen, dadurch werden sie stark. Und dasselbe passiert mit der Marcelline, die ja sich dann als Mutter von Figaro herausstellt. Sie hat diese Bindung zu Figaro, will ihn unbedingt heiraten und konkurriert eigentlich mit Susanna um Figaro. Noch am Tag der Hochzeit will sie immer noch diese Hochzeit verhindern. Als sie dann erkennt, warum sie diesen Figaro so liebt – es ist nicht die Liebe einer Frau, sondern die Liebe einer Mutter –, da schlägt sie sich sofort auf die Seite Susannas. So werden diese Frauen unbesiegbar, weil sie – sowohl die alte als auch die mittlere, die junge und die allerjüngste, die Barbarina – zusammenhalten. Das ist eine große Kraft, die sie in dieser fantasievollen Intrigenwelt ausspinnen und wo sie die Männer vor ihre eigene Wahrheit führen.

Susanna - Marcelline - Gräfin

In deiner Inszenierung zerfällt allmählich die äußere Struktur, während sich die Paare finden bzw. wiederfinden. Das Haus, in dem das spielt im Bühnenbild von Hans Dieter Schaal, wird immer mehr entkernt. Es braucht also neue Bedingungen für eine künftige Generation. Ist das damals wie heute ein Wunsch(-traum)?

Wir müssen immer wieder dekonstruieren, um neu zu konstruieren. Insofern finde ich die Bühne poetisch und spannend. Das Haus wird im Laufe des Stücks immer ruinöser. Türen und Fenster werden demontiert – was in dieser Zeit natürlich auch einen gesellschaftlichen Bezug hat, aber auch einen psychologischen. Sie suchen sich alle. Und wir wissen eigentlich nicht, wie wir’s anstellen, dass wir glücklich werden, dass der andere mit uns geht. Dieses Ausgeliefertsein in so einen ungeschützten Raum erzählt diese Bühne auch.

Fandango

Gibt's ein Happyend oder ist es nur Schein bzw. Theaterkonvention? Ist das versöhnliche Ende bei Mozart / da Ponte glaubwürdig? Nicht nur das Haus, in dem das spielt, auch die ganze Dramaturgie ist ja ziemlich labyrinthisch.

Stimmt. Ich denke, dass es ernst gemeint ist. Freude ist so wichtig und leider nicht so häufig. Die Hoffnung, die es macht, wenn man einen schönen Tag erlebt, lässt hoffen auf einen weiteren schönen Tag irgendwann, um so durch die Durststrecken des Lebens zu kommen. Wir brauchen einfach diese Hoffnung und dieses kurze Aufflackern von Glück und Lebensfreude. Auch wenn die Figuren am Ende alle verletzt sind, wie bei Mozart in fast allen Opern, ist das das Leben.

Geister

Unter anderem wegen Corona habt ihr die Oper gekürzt auf gut 2 ½ Stunden. Das verdichtet die Handlung. Amputiert es sie auch?

Das wird sich herausstellen, wieweit das, was wir an Material haben, so zusammenwirkt, dass es ein Stück wird. Es geht nicht um Länge oder Kürze. Es geht darum: entsteht eine wirkliche Geschichte, eine Welt oder nicht?

Gräfin - CHerubino

Es gab eine mehrwöchige Zeitspanne zwischen Abschluss der Proben und der Implementierung auf der Bühne. Haben sich da noch neue Ideen ergeben, die du umsetzen kannst und willst?

Natürlich gibt so ein Break die Möglichkeit das zu überarbeiten. Man hat einen Entwurf gemacht und untersucht den Entwurf in Ruhe allein auf Brauchbarkeit. Und das ermöglicht natürlich – das ist der Vorteil –, eine Schicht draufzusetzen, was, wenn das hintereinander wegginge, eine andere Dynamik hätte. Ohne diesen Abstand und das nochmal Reflektieren würde man das nicht können. Die Kehrseite ist, dass ein solcher Break die Dynamik einer Entwicklung verhindert und einen aus dem Fluss einer solchen Arbeit herauskatapultiert. Man muss sehen, wie es am Ende ausgeht. Es ist nie festgeschrieben, was gut ist, was schlecht. Am Ende zählt, ob es ein Stück wird, das eine Kraft entwickelt, die den Zuschauer in diese Traumwelt unseres Lebens hineinzieht.

Schlussbild - Susanna-Figaro und Hochzeitsgesellschaft


Interview: gfk, Berlin, 02.09.2021
Fotos GP: © Jochen Quast