Es ist ein Sittenbild der Zeit von Händel/Telemann, dass sich die Erhebung des Adels über den einfachen Bürger ad absurdum geführt hat. Die Aufklärung schimmert schon kräftig durch. Die Adeligen werden sehr menschlich extrem aber auch sehr kritisch gezeichnet. Es ist eine Reflektion, die über das Satirische bis ins Tragische geht, über uns Menschen, wie wir unter dem Mantel der Macht pervertiert werden. Aber auch was es für eine Last ist, immer die Macht erhalten zu müssen. Und wie wir Menschen dabei in große seelische und Beziehungs-Probleme geraten. Die Beziehung von Menschen wird hier vorgeführt, wie kompliziert sie unter solchen Verhältnissen leben. Keiner kann wirklich zu sich selbst finden.
Er ist zurückgegangen zu der Lotti-Fassung. Er hat die italienischen Rezitative von Stefano Pallavicino ins Deutsche übersetzen lassen und die Rolle des Isaurus wieder hereingenommen. Das ist die komische Figur, der Diener der Theophane, eigentlich auch ein Prinz, der aus einem unterjochten Volksstamm in Byzanz stammt. Alle unterdrücken sich gegenseitig: die Männer unterdrücken die Frauen, die Männer unterdrücken sich gegenseitig, die Frauen unterdrücken sich und kämpfen gegeneinander. Es ist ein einziges Schlachtfeld. Und Telemann hat schon eine Art Küchenoper daraus gemacht. Er hat das sehr deutlich als eine Art Moritat erzählt und auch ins Komische und Satirische gerückt. Was bei Händel alles im Poetischen, Philosophischen, Emotionalen bleibt mit einer genialen Musik, hat Telemann brauchbar als eine Art Krimi erzählt.
In Hamburg waren Kastraten auf der Bühne nicht mehr üblich und auch nicht mehr gewollt. So hat er die Rolle des Otto, der ein Kastrat war, als Bariton gesetzt, und den Adelbert als Tenor oktaviert. Adelbert ist der Sohn von Gismonda und von der Mutter angestiftet, Otto den Thron streitig zu machen, und er rivalisiert mit Otto auch um Theophane.
Es kam Telemann gewiss darauf an, diesen Widerspruch zu zeigen zwischen dem überkommenen Adels-Gerangel und dem, was Menschen als Menschen denken, fühlen, wünschen, träumen.
Sie kämpfen verzweifelt. Und dadurch dass Gismonda als Mutter wie die Agrippina in der gleichnamigen Händel-Oper eine ganz einsame, traurige, schon ins Hysterische gesteigerte Frau ist und ihr Sohn Adelbert die Theophane wirklich liebt, kommen da zwei Aspekte hinein, die diese Figuren sehr menschlich und auch tragisch machen.
Er ist der Spaßmacher, Clown, der Kasper. Er sollte die Verbindung zum Volk herstellen. Er macht das, wo die Leute lachen können und verstehen, dass wir Menschen doch eine komische Spezies sind in allem Wirrwarr.
Wir haben einen Live-Maler, Helge Leiberg, im Spiel, der in die Bühne von Marie-Luise Strandt live hinein zeichnet und dadurch das gesamte szenische, räumliche Gefühl, die Farbigkeit und die Orte verändert mit einem Pinselstrich.
Er interagiert diesmal mit den Sängern. Die reagieren aufeinander und sie nehmen Bezug auf ihn und seine Malerei.
Das ist wunderbar. In den Proben begleitet nicht nur ein Klavier, sondern auch Cello und jetzt auch ein Cembalo als Continuo. Dadurch ist die musikalische Qualität in den Proben schon viel reicher. Die Kürzungen haben wir unter verschiedenen Aspekten eingerichtet. Ein Aspekt war, dass von Telemann so wenig als möglich gekürzt wird wegen der Telemann-Festtage. Und Stephan Schultz wollte wirklich die Arbeit von Telemann besonders hervorheben. Der zweite Aspekt ist der musikalische, der dritte der szenische: Wie laufen die Linien der einzelnen Figuren, worauf wollen wir hinaus, was ist uns wichtig? Und insofern ist das immer noch ein Prozess, bei dem ein Stück sich langsam aus den Bausteinen zusammensetzt.
Das ist diese Pasticcio-Form der Barockzeit, wo man sehr schnell produziert und alles genommen hat, was gerade passte. Zumal für den Isaurus. Und die Forschung hat das noch immer nicht alles entschlüsseln können.
Das sind alle sehr gute Sänger: Simon Robinson (Otto), Kirsten Blaise Theophane), Colin Balzer (Adelbert), Sophie Harmsen (Matilda), Ruby Hughes (Gismonda), Erik Stoklossa (Isaurus), David John Pike (Emirenus, der verschollene Bruder von Theophane). Das sind alles Freiberufler, in unterschiedlichen Engagements. Und insofern war das Puzzle ungeheuer schwierig, das Stück zusammen zu kriegen, weil immer jemand in der Probenarbeit fehlte. Aber es ist eine große Freude, mit so potenten und wirklich spezialisierten, kreativen Sängern zusammen zu arbeiten.
Das Bühnenbild muss eine Reflektion-Fläche bieten für die Malerei. Und die Kostüme müssen sich da zuordnen. Das versteht Marie-Luise Strandt ganz wunderbar und hat es optimal gelöst. Die Arbeit mit den Werkstätten hier ist auch exzellent. Wir sind des Lobes voll über dieses Theater.
Das ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen. Aber dass das ein vorläufiges „lieto fine“ ist, das würde ich gerne deutlich zeigen. Und da will ich auch noch daran arbeiten, dass dieses Messer in der Tasche zum Zücken immer bereit liegt.