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Eine Art Küchenoper, Krimi, Moritat

Arila Siegert über die Händel-Telemann-Oper „Otto“

Premiere: 15.März 2014,
Theater Magdeburg,
zu den 22.Telemann-Festtagen
Mit Fotos der Live-Malerei von Helge Leiberg von der Generalprobe

Otto - der Kaiser

Die Oper spielt im Jahr 972. Otto II, Sohn Ottos I, soll in Rom die Byzantinische Prinzessin Theophanù – hier heißt sie italianisiert Theophane – heiraten und damit Ost- und West-Rom miteinander versöhnen. Es kommt zu einigen Komplikationen und Intrigen, weil es in Italien eine Herrscherfamilie gibt, die auch den Thron wieder gern für sich hätte. Die Geschichte ist eine Kette von Beinahe-Morden. Mehr unterhaltsamer Krimi oder Sittenbild einer Herrscherfamilie?

Es ist ein Sittenbild der Zeit von Händel/Telemann, dass sich die Erhebung des Adels über den einfachen Bürger ad absurdum geführt hat. Die Aufklärung schimmert schon kräftig durch. Die Adeligen werden sehr menschlich extrem aber auch sehr kritisch gezeichnet. Es ist eine Reflektion, die über das Satirische bis ins Tragische geht, über uns Menschen, wie wir unter dem Mantel der Macht pervertiert werden. Aber auch was es für eine Last ist, immer die Macht erhalten zu müssen. Und wie wir Menschen dabei in große seelische und Beziehungs-Probleme geraten. Die Beziehung von Menschen wird hier vorgeführt, wie kompliziert sie unter solchen Verhältnissen leben. Keiner kann wirklich zu sich selbst finden.

Opening

Die Entstehungsgeschichte der Oper „Otto“ zeigt drei Schichten. Zuerst war da eine Oper mit dem Titel „Teofane“ von Antonio Lotti, die zur Hochzeit des Sächsischen Kronprinzen Friedrich August mit der österreichischen Kaisertochter Maria Josepha in Dresden uraufgeführt wurde (1719). Dann gibt’s eine Oper „Ottone“ von Händel (1723 in London). Und dann die Telemann-Version 1726 für Hamburg, „Otto“. Die wird jetzt hier in Magdeburg zu den Telemann-Festtagen 2014 szenisch aufgeführt. Was ist das für ein Werk? Telemann hat das Stück ja sehr auf das Hamburger Publikum zugeschnitten.

Er ist zurückgegangen zu der Lotti-Fassung. Er hat die italienischen Rezitative von Stefano Pallavicino ins Deutsche übersetzen lassen und die Rolle des Isaurus wieder hereingenommen. Das ist die komische Figur, der Diener der Theophane, eigentlich auch ein Prinz, der aus einem unterjochten Volksstamm in Byzanz stammt. Alle unterdrücken sich gegenseitig: die Männer unterdrücken die Frauen, die Männer unterdrücken sich gegenseitig, die Frauen unterdrücken sich und kämpfen gegeneinander. Es ist ein einziges Schlachtfeld. Und Telemann hat schon eine Art Küchenoper daraus gemacht. Er hat das sehr deutlich als eine Art Moritat erzählt und auch ins Komische und Satirische gerückt. Was bei Händel alles im Poetischen, Philosophischen, Emotionalen bleibt mit einer genialen Musik, hat Telemann brauchbar als eine Art Krimi erzählt.


Auch die Stimmcharaktere hat Telemann für Hamburg verändert.

In Hamburg waren Kastraten auf der Bühne nicht mehr üblich und auch nicht mehr gewollt. So hat er die Rolle des Otto, der ein Kastrat war, als Bariton gesetzt, und den Adelbert als Tenor oktaviert. Adelbert ist der Sohn von Gismonda und von der Mutter angestiftet, Otto den Thron streitig zu machen, und er rivalisiert mit Otto auch um Theophane.


Beide Hauptfiguren, Otto und Theophane, werden in existenzielle Krisen getrieben. Und das ist hier auch sehr schön gezeigt. Ist das der Weg, um diese Herrscherfiguren menschlicher zu zeichnen?

Es kam Telemann gewiss darauf an, diesen Widerspruch zu zeigen zwischen dem überkommenen Adels-Gerangel und dem, was Menschen als Menschen denken, fühlen, wünschen, träumen.


Die „Bösewichte“, Gismonda und ihr Sohn Adelbert, die von diesem italienischen Herrschergeschlecht des Königs Berengarius stammen, sind auch nicht so böse gezeigt. Sie haben immerhin was verloren.

Sie kämpfen verzweifelt. Und dadurch dass Gismonda als Mutter wie die Agrippina in der gleichnamigen Händel-Oper eine ganz einsame, traurige, schon ins Hysterische gesteigerte Frau ist und ihr Sohn Adelbert die Theophane wirklich liebt, kommen da zwei Aspekte hinein, die diese Figuren sehr menschlich und auch tragisch machen.

Strum

Die Figur des Isaurus, die Händel gestrichen hatte und die Telemann wieder integriert hat, war für die Hamburger Fassung sehr wichtig. Was sollte damit gezeigt werden?

Er ist der Spaßmacher, Clown, der Kasper. Er sollte die Verbindung zum Volk herstellen. Er macht das, wo die Leute lachen können und verstehen, dass wir Menschen doch eine komische Spezies sind in allem Wirrwarr.


Es ist eine Oper mit schnell wechselnden Schauplätzen. In der Barockzeit hatte man dafür wohl diese speziellen Soffitten, Prospekte. Wie macht ihr das?

Wir haben einen Live-Maler, Helge Leiberg, im Spiel, der in die Bühne von Marie-Luise Strandt live hinein zeichnet und dadurch das gesamte szenische, räumliche Gefühl, die Farbigkeit und die Orte verändert mit einem Pinselstrich.


Otto verzweifelt

Mit Helge Leiberg hast du immer mal wieder gearbeitet. Hier ist er fast ein Mitgestalter der Szene.

Er interagiert diesmal mit den Sängern. Die reagieren aufeinander und sie nehmen Bezug auf ihn und seine Malerei.

Wie immer bei Barockopern: sie zeigen ein anderes Zeitgefühl, sind für unsere heutigen Sehgewohnheiten viel zu lang. Man musste kürzen. Nach welchen Kriterien habt ihr gekürzt? Du hast das gemeinsam mit dem Musikalischen Leiter, Stephan Schultz, gemacht, der auch sein Spezialisten-Ensemble „Le Concert Lorrain“ mitbringt und vom Cello aus leitet. Wie funktioniert das?

Das ist wunderbar. In den Proben begleitet nicht nur ein Klavier, sondern auch Cello und jetzt auch ein Cembalo als Continuo. Dadurch ist die musikalische Qualität in den Proben schon viel reicher. Die Kürzungen haben wir unter verschiedenen Aspekten eingerichtet. Ein Aspekt war, dass von Telemann so wenig als möglich gekürzt wird wegen der Telemann-Festtage. Und Stephan Schultz wollte wirklich die Arbeit von Telemann besonders hervorheben. Der zweite Aspekt ist der musikalische, der dritte der szenische: Wie laufen die Linien der einzelnen Figuren, worauf wollen wir hinaus, was ist uns wichtig? Und insofern ist das immer noch ein Prozess, bei dem ein Stück sich langsam aus den Bausteinen zusammensetzt.

Die beiden Frauen

Wobei Telemann nicht nur eigene Sachen eingefügt hat sondern auch Musiken anderer Komponisten.

Das ist diese Pasticcio-Form der Barockzeit, wo man sehr schnell produziert und alles genommen hat, was gerade passte. Zumal für den Isaurus. Und die Forschung hat das noch immer nicht alles entschlüsseln können.

Auch die Sänger sind Spezialisten. Wie war die Arbeit mit ihnen? Die Proben-Organisation war doch etwas schwierig.

Das sind alle sehr gute Sänger: Simon Robinson (Otto), Kirsten Blaise Theophane), Colin Balzer (Adelbert), Sophie Harmsen (Matilda), Ruby Hughes (Gismonda), Erik Stoklossa (Isaurus), David John Pike (Emirenus, der verschollene Bruder von Theophane). Das sind alles Freiberufler, in unterschiedlichen Engagements. Und insofern war das Puzzle ungeheuer schwierig, das Stück zusammen zu kriegen, weil immer jemand in der Probenarbeit fehlte. Aber es ist eine große Freude, mit so potenten und wirklich spezialisierten, kreativen Sängern zusammen zu arbeiten.

Aber der Kampf geht weiter

Bühne und Kostüme sind diesmal in einer Hand von Marie-Luise Strandt. Musste sie für die Live-Malerei spezielle Vorgaben erfüllen?

Das Bühnenbild muss eine Reflektion-Fläche bieten für die Malerei. Und die Kostüme müssen sich da zuordnen. Das versteht Marie-Luise Strandt ganz wunderbar und hat es optimal gelöst. Die Arbeit mit den Werkstätten hier ist auch exzellent. Wir sind des Lobes voll über dieses Theater.

Hochzeit endlich!

Das Stück endet mit dem für den Barock typischen „lieto fine“, dem fröhlichen Ende: endliche Hochzeit und Friede-Freude-Eierkuchen, wo sich vorher alle bis aufs Messer bekämpft und einander misstraut haben. Ist das glaubhaft für ein heutiges Publikum oder vielleicht sehr modern? Nimmt das vielleicht vorweg, was heute bei zumal territorialen Konflikten immer angestrebt wird: Verhandlungen statt Krieg? Du zeigst am Ende eine Art „Reise nach Jerusalem“(statt Rom)-Charade. Mal ist der eine oben, mal der andere – wie man das jüngst wieder mal in der Ukraine sehen konnte.

Das ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen. Aber dass das ein vorläufiges „lieto fine“ ist, das würde ich gerne deutlich zeigen. Und da will ich auch noch daran arbeiten, dass dieses Messer in der Tasche zum Zücken immer bereit liegt.

gfk, Magdeburg, 05.03.2014
fotos © gfk