13 Jahre ist es her, dass die Händel-Oper "Otto" in der Bearbeitung von Georg Philipp Telemann in der Geburtsstadt des großen Magdeburger Komponisten erstmals zu hören war. Am Sonnabend war die Premiere einer der Höhepunkte der Telemann-Festtage und wurde zu einem grandiosen Erfolg.
Magdeburg. Die Oper "Otto" von Georg Friedrich Händel und Georg Philipp Telemann ist in vielerlei Hinsicht eine wahre Rarität. Nicht nur, weil sie einer der Höhepunkte der diesjährigen 22. Telemann-Festtage in Magdeburg ist, sondern weil mit ihr durch den wohl bedeutendsten Magdeburger Komponisten und Zeitgenossen von Händel und Bach mit der Adaption des Werkes für die deutsche Oper Musikgeschichte geschrieben wurde.
Ursprünglich als "Ottone" von Händel nach dem Libretto von Niccoló Francesco Haym 1722 komponiert, dauerte es fast ein halbes Jahr bis zur Uraufführung in London. Zahlreiche Befindlichkeiten von Sängern und Orchester zwangen den Komponisten zu Änderungen. Schon vor der Aufführung wurden zehn Arien gestrichen, zehn weitere neu geschrieben.
Die Telemann-Fassung der Oper "Otto" war 2001 das erste Mal in Magdeburg zu hören. Nun, 13 Jahre später, feierte sie in einer außergewöhnlichen Inszenierung von Arila Siegert erneut einen wahren Triumph.
Für Telemann als Magdeburger mag die von Otto dem Großen eingefädelte Hochzeit von Otto II. und der byzantinischen Prinzessin Theophane eine besondere Bedeutung gehabt haben. Historisch ging es um die Zusammenführung des west- und oströmischen Reiches, weshalb die an sich lapidare Geschichte um die Eheanbahnung mit all den Verwicklungen, Irrungen und Wirrungen in der Bedeutung doch weit über die den tatsächlichen Inhalt hinausgeht.
Die Inszenierung von Arila Siegert greift dann auch zu einem künstlerischen Mittel, um im wahren Sinn des Wortes darzustellen, wie sich die Protagonisten ein Bild voneinander machen, wie sie zweifeln, enttäuschen und getäuscht werden, um sich schließlich in einem großen Gemälde der Liebe, des Vertrauens und des Verzeihens glücklich zu vereinen.
Der Maler ist dabei der Künstler Helge Leiberg, der während der Vorstellung nicht nur das Bühnenbild, sondern auch die emotionalen Momente des musikalischen Ausdrucks mit sparsamen, fast minimalistischen, aber dafür umso ausdrucksstärkeren Strichen illustriert. Über Projektoren wird seine Kunst auf die Bühne und die Sänger übertragen, die damit praktisch "übermalt" werden. Damit öffnet sich eine beständig veränderte, zusätzliche visuelle Ebene der Wahrnehmung. Es entsteht ein Raum voller Leichtigkeit für Assoziationen, wie ihn Bühnen- und Kostümbildnerin Marie-Luise Strandt wohl beabsichtigt hat.
Dieses Experiment, das bei jeder Vorstellung völlig neu die künstlerische Aussage unterstützt, fand bei der Premiere viel Beifall. Wenn die byzantinische Prinzessin Theophane die berühmte Arie "Falsa Immagine", also "Falsches Bildnis" singt, dann werden hier Zweifel und Verunsicherung nicht nur durch den warmen Sopran exzessiv hörbar, sondern zusätzlich "verbildlicht".
..."Otto" ist in dieser Inszenierung eine Oper, die die Sinne zu ungewöhnlichen neuen Wahrnehmungen führt. Das fordert heraus, drängt zur Auseinandersetzung ... zweifellos ein Glanzpunkt.
...Die Titelgestalt der Oper „Otto“ ist der historische Otto II., Sohn Kaiser Ottos des Großen und die Braut ist die byzantinische Prinzessin Theophanu. In einem politisch genialen Schachzug besiegelten die mittelalterlichen Ottonen den Frieden zwischen dem ost- und dem weströmischen Kaiserreich im Hochzeitsbett. In der Oper heiratet ein Liebespaar, und es gibt auch keine historische Quelle, die für die Wirklichkeit das Gegenteil andeuten würde.
Die Barockoper verlangt das lieto fine, aber um dort anzukommen,
müssen die Helden Abgründe durchschreiten. Otto wird die Braut
geraubt, der jungen Prinzessin Theophane präsentiert sich mit dem
Römer Adelbert sogar ein falscher Bräutigam. Theophane, leicht und
zärtlich, sozusagen jungfräulich gesungen von Kirsten Blaise, ahnt
den Betrug. „Falsa imagine“ singt sie, „Falsches Gesicht“.br>
„Otto“ ist die große Opernproduktion zu den diesjährigen Magdeburger
Telemann-Festtagen. Regie führte Arila
Siegert und sie schuf ein
Zauberwerk, worin sich Schwere und Leichtigkeit, Tiefsinn und Komik,
Tragik und inniges Glück wundersam facettenreich ineinander
verschlingen.
Siegert, ursprünglich Tänzerin und Choreografin, deutet in körpersprachlichen Gesten und Haltungen, in Schritten und Drehungen die Seelen ihrer Figuren. Wenn nötig, bringt sie sie buchstäblich zum tanzen. Intimer kann man mit dem stilisierten Personal der Barockoper kaum arbeiten.
Um die Doppelbödigkeit und Vieldeutigkeit noch weiter zu treiben, arbeitet Arila Siegert mit dem Live-Maler Helge Leiberg zusammen. Mittels Tuschpinsel und Projektionsfolien schafft er die zeichenfederleichten Dekorationen, er kommentiert und er interagiert mit den Sängern. In der Verwirrung ringeln sich knotige Kringel über die Bühne, blauschwarze Tuschfarbe zum Streichorchester-Forte genügen für Gewitter und Sturm, ein lachendes Strichmännchen mit Riesenkrone, Szepter und Reichsapfel ist Ottos Triumph. Man darf grinsen. Man darf begeistert sein über diesen ganzen Operncoup.
Alle Gesangspartien sind mit erstklassigen Barock-Spezialisten besetzt, herausragend war immer, wer gerade die schönste Arie sang. Für Farben, Feuer und betörende Melodik im Graben sorgte das Originalinstrumenten-Ensemble „Le Concert Lorrain“ unter der Leitung des Barock-Cellisten Stephan Schultz.
Die Qualität des Werkes ist durch die Urheberschaft zweier Komponisten-Berühmtheiten ohnehin garantiert. Es basiert auf dem erfolgreichen „Ottone“ den Georg Friedrich Händel für seine Londoner Adelsoper komponierte, und den Georg Philipp Telemann für die bürgerliche Oper in Hamburg übernahm. Der Musikwissenschaftler und Telemann-Spezialist Carsten Lange über diskrete, aber bedeutsame Eingriffe.
TTelemann komponierte alle Rezitative neu, aber bei den Arien muss man achtgeben.
In der japanischen Musikzeitschrift Ongakugendai (Tokio) lobt Chihoko Nakata die Aufführung überschwänglich als die bislang beste Musiktheater-Produktion der Saison und in jeglicher Hinsicht großartig. Sie beschreibt die Entstehungsgeschichte der Barockoper "Otto" mit ihren Vätern Lotti - Händel - Telemann. Sie lobt besonders die "sehr differenzierte Personenregie von Arila Siegert: wunderbar". Und fasst zusammen: "Es war eine fantastische Barockoper mit einem Live-Maler, Helge Leiberg, der in die Bühne Marie-Luise Strandt live hinein zeichnet mit schnell wechselnden Schauplätzen."
…Die Choreographin und Regisseurin Arila Siegert lässt es sich nicht entgehen, aus der körperlichen Fitness von Eric Stoklossa (Isaurus) Slapstick-Funken zu schlagen. Auch sonst profitiert die Szene vom körperbetont choreographierten Spiel der Akteure, was den augenzwinkernd zitierenden Einsatz von barocken Gesten einschließt...
Der Reiz der Inszenierung liegt vor allem in ihrer ästhetischen Form. Ausstatterin Marie-Luise Strandt hat „nur“ einen wuchtigen, vielseitig bespielbaren Würfel-Rahmen beigesteuert. Er beherrscht die Bühne. Die fehlenden Wände werden gelegentlich durch wehende Tücher ersetzt, die sich zum Herumspuken genauso eignen wie zum Windmachen. Bei Bedarf wird eine Treppe mit Thron obendrauf reingefahren.
Die Atmosphäre steuert freilich (wie schon bei Siegerts Düsseldorfer Rameau-Inszenierung vor vier Jahren) der renommierte Maler Helge Leiberg bei.. Seine live verfertigten assoziativen und mit Form und Farbwitz kommentierenden Aquarelle machen nämlich via Overhead-Projektor das Bühnenbild in jeder Vorstellung zu einem mit leichter Hand komplettierten Originalkunstwerk...
...Für die Regisseurin und Choreografin Arila Siegert ist die Inszenierungszutat Projektionsmalerei - im Unterschied zu einem Großteil des Magdeburger Publikums - kein Neuland. Sie hat damit schon einmal einer Rameau-Oper in Düsseldorf zu einer ganz besonderen neobarocken Opulenz verholfen. Es macht einfach Spaß, mitzuerleben, wie dieser mit leichter Hand beigesteuerte Schuss Spontanität den Wechsel zwischen Arien und Rezitativen optisch aufmischt.
HHändels Oper »Ottone«, die in Magdeburg, zum zelebrierten historischen Selbstverständnis der Stadt passend, natürlich »Otto« heißt, verträgt das durchaus. Ja, sie verlangt danach, fließt die Musik doch eher ruhig und ohne mitreißende Arienhits dahin. Obwohl es um Macht geht. Und um Liebe. Wie halt in jeder Oper und besonders unübersichtlich in jedem barocken Exemplar...
...Regisseurin Arila Siegert und ihre Bühnenbildnerin Marie-Luise Strandt haben nun in Magdeburg auf Lokalkolorit verzichtet. Sie lassen die komplizierte Handlung vor und in einer hohen, kubusartigen Stellage spielen, die verschiedensten Szenen durchaus gerecht wird – ein paar Tücher und Vorhänge können da Wunder wirken. Atmosphäre aber entsteht durch die Live-Projektionsmalerei von Helge Leiberg, der die (manchmal sehr langen) Arien mit fantasievollen Bildern kommentiert. Wie er mit einigen wenigen Pinselstrichen Blumen und Vögel auf die Bühne zaubert oder einen Sturm auf der See höchst plastisch schildert, das ist stets faszinierend anzuschauen. Das Problem des in Barockopern üblichen, oftmals jedoch unglaubwürdigen „lieto fine“ (Happy End) löst Siegert dadurch, dass Gismonda und Adelbert, die beiden Fieslinge der Oper, mit einem Messer hantieren, wenn alle zusammen auf einer Treppe sitzen und den Frieden besingen: Die nächste böse Tat ist vorprogrammiert!..
Helge Leiberg sitzt im Parkett des Magdeburger Opernhauses an Overhead-Projektoren und malt. Was er auf die Folien wirft, wird live auf Leinwände und Personen projiziert, auch auf Marie-Luise Strandts weißen Kubus, der mittlerweile zu so etwas wie einem Markenzeichen der Inszenierungen von Arila Siegertt geworden ist...
Siegert greift zu Live-Übermalungen, um die häufigen Szenenwechsel der Barockbühne zeitgemäß zu umgehen. Es gibt aber auch einen dramatischen Grund: Teofanes „Falsa immagine“ ist eine Bildnis-Arie. Die byzantinische Prinzessin hat sich zu Hause in das Porträt des deutschen Kaisers verliebt, den sie heiraten soll, fällt jedoch im fernen Rom einem Usurpator zum Opfer, der sich als Otto ausgibt, aber natürlich nicht so aussieht. Also scheucht der Pinsel des Malers sie erst über die Bühne, ehe er sie mit Farben umzingelt und einmauert. Auch in den anderen Arien lässt Leiberg die innersten Ängste und Wünsche der Protagonisten aus der leeren Fläche herauswachsen...
Das Pfund, mit dem die Produktion wuchert, ist das Metzer Concert Lorrain. Stephan Schultz entlockte ihm einen farbenreichen, frühromantischen Klang, der mit Ruhe in den Klangwundern der Partitur schwelgt, ohne die Spannung einbrechen zu lassen.
Vorberichte: