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Die Oper "Otto" von Händel und Telemann feiert im Opernhaus einen großen Triumph

Ein musikalisches Gemälde der Liebe

Rolf-Dietmar Schmid, in VOLKSSTIMME, Magdeburg, 17.03.2014

13 Jahre ist es her, dass die Händel-Oper "Otto" in der Bearbeitung von Georg Philipp Telemann in der Geburtsstadt des großen Magdeburger Komponisten erstmals zu hören war. Am Sonnabend war die Premiere einer der Höhepunkte der Telemann-Festtage und wurde zu einem grandiosen Erfolg.

Magdeburg. Die Oper "Otto" von Georg Friedrich Händel und Georg Philipp Telemann ist in vielerlei Hinsicht eine wahre Rarität. Nicht nur, weil sie einer der Höhepunkte der diesjährigen 22. Telemann-Festtage in Magdeburg ist, sondern weil mit ihr durch den wohl bedeutendsten Magdeburger Komponisten und Zeitgenossen von Händel und Bach mit der Adaption des Werkes für die deutsche Oper Musikgeschichte geschrieben wurde.

Ursprünglich als "Ottone" von Händel nach dem Libretto von Niccoló Francesco Haym 1722 komponiert, dauerte es fast ein halbes Jahr bis zur Uraufführung in London. Zahlreiche Befindlichkeiten von Sängern und Orchester zwangen den Komponisten zu Änderungen. Schon vor der Aufführung wurden zehn Arien gestrichen, zehn weitere neu geschrieben.

Die Telemann-Fassung der Oper "Otto" war 2001 das erste Mal in Magdeburg zu hören. Nun, 13 Jahre später, feierte sie in einer außergewöhnlichen Inszenierung von Arila Siegert erneut einen wahren Triumph.

Für Telemann als Magdeburger mag die von Otto dem Großen eingefädelte Hochzeit von Otto II. und der byzantinischen Prinzessin Theophane eine besondere Bedeutung gehabt haben. Historisch ging es um die Zusammenführung des west- und oströmischen Reiches, weshalb die an sich lapidare Geschichte um die Eheanbahnung mit all den Verwicklungen, Irrungen und Wirrungen in der Bedeutung doch weit über die den tatsächlichen Inhalt hinausgeht.

Die Inszenierung von Arila Siegert greift dann auch zu einem künstlerischen Mittel, um im wahren Sinn des Wortes darzustellen, wie sich die Protagonisten ein Bild voneinander machen, wie sie zweifeln, enttäuschen und getäuscht werden, um sich schließlich in einem großen Gemälde der Liebe, des Vertrauens und des Verzeihens glücklich zu vereinen.

Der Maler ist dabei der Künstler Helge Leiberg, der während der Vorstellung nicht nur das Bühnenbild, sondern auch die emotionalen Momente des musikalischen Ausdrucks mit sparsamen, fast minimalistischen, aber dafür umso ausdrucksstärkeren Strichen illustriert. Über Projektoren wird seine Kunst auf die Bühne und die Sänger übertragen, die damit praktisch "übermalt" werden. Damit öffnet sich eine beständig veränderte, zusätzliche visuelle Ebene der Wahrnehmung. Es entsteht ein Raum voller Leichtigkeit für Assoziationen, wie ihn Bühnen- und Kostümbildnerin Marie-Luise Strandt wohl beabsichtigt hat.

Dieses Experiment, das bei jeder Vorstellung völlig neu die künstlerische Aussage unterstützt, fand bei der Premiere viel Beifall. Wenn die byzantinische Prinzessin Theophane die berühmte Arie "Falsa Immagine", also "Falsches Bildnis" singt, dann werden hier Zweifel und Verunsicherung nicht nur durch den warmen Sopran exzessiv hörbar, sondern zusätzlich "verbildlicht".

Die Besetzung der Rollen liest sich wie das Who is Who internationaler Gesangsstars. Simon Robinson gilt als Spezialist für Alte Musik. Das stellte er auch in dieser Titelrolle gesanglich eindrucksvoll unter Beweis, blieb aber in der künstlerischen Ausstrahlung hinter seinen Möglichkeiten zurück. Das traf auch auf die in Amerika geborene und in Deutschland lebende Sopranistin Kirsten Blaise zu. Höchst meisterlicher und professioneller Gesang, besonders in den überaus ergreifenden Arien, aber kaum etwas von der geheimnisvollen Ausstrahlung der byzantinischen Prinzessin Theophane. Ganz anders, blutvoll und lebendig, präsentierten sich dagegen Sophie Harmsen als Matilda und Ruby Hughes als Gismonda.

"Otto" ist in dieser Inszenierung eine Oper, die die Sinne zu ungewöhnlichen neuen Wahrnehmungen führt. Das fordert heraus, drängt zur Auseinandersetzung.

"Le Concert Lorrain" ist so ein Kontrapunkt der Hörgewohnheiten. Die Musiker aus Metz spielen die barocke Musik auf historischen Instrumenten, ganz im Klangbild der Telemann-Zeit. Stephan Schultz, Cellist, leitet diese 18 Musiker von seinem Instrument aus - was zur Zeit des Entstehens des Werkes durchaus üblich war - setzt ganz auf Cello und Cembalo als musikalischen Rahmen, um dann mit viel Feingefühl den Musikern Freiheit in der Virtuosität zu gewähren. Stephan Schulz ist in Erfurt geboren, hat längere Zeit in Staßfurt gelebt und in der Magdeburgischen Philharmonie als Cellist gewirkt, bevor ihn die Liebe nach Frankreich verschlug.

Diese Inszenierung hätte den immer auf Wirkung bedachten Telemann vermutlich sehr gefreut. Und für die Festtage zu Ehren seines Namens ist sie zweifellos ein Glanzpunkt.


Ein Zauberwerk

Telemann-Festtage in Magdeburg der Oper „Otto“

Irene Constantin, in: DLF-Musikjournal, 18.03.2014

Spitze Zungen tuscheln Intrigen, Verliebte wiegen sich in falschen Hoffnungen, Todesschwüre werden getan, Jungfrauen entführt, Seeräuber durchfurchen das Meer, Stürme toben, Boote kentern, Schwerter werden geschwungen, Meuchelmesser wandern von Hand zu Hand – und am Ende singen alle Beteiligten in schönster Harmonie von Glück und Frieden. Die Haupt- und Staatsaktion, die Hochzeit Ottos mit Theophane kann stattfinden. Der Dolch ist heimlich noch immer im Spiel.

Die Titelgestalt der Oper „Otto“ ist der historische Otto II., Sohn Kaiser Ottos des Großen und die Braut ist die byzantinische Prinzessin Theophanu. In einem politisch genialen Schachzug besiegelten die mittelalterlichen Ottonen den Frieden zwischen dem ost- und dem weströmischen Kaiserreich im Hochzeitsbett. In der Oper heiratet ein Liebespaar, und es gibt auch keine historische Quelle, die für die Wirklichkeit das Gegenteil andeuten würde.

Die Barockoper verlangt das lieto fine, aber um dort anzukommen, müssen die Helden Abgründe durchschreiten. Otto wird die Braut geraubt, der jungen Prinzessin Theophane präsentiert sich mit dem Römer Adelbert sogar ein falscher Bräutigam. Theophane, leicht und zärtlich, sozusagen jungfräulich gesungen von Kirsten Blaise, ahnt den Betrug. „Falsa imagine“ singt sie, „Falsches Gesicht“.

„Otto“ ist die große Opernproduktion zu den diesjährigen Magdeburger Telemann-Festtagen. Regie führte Arila Siegert und sie schuf ein Zauberwerk, worin sich Schwere und Leichtigkeit, Tiefsinn und Komik, Tragik und inniges Glück wundersam facettenreich ineinander verschlingen.

A. S. Sehr spannend, weil es hat wirklich Krimi-Charakter, es hat was von Moritatengeschehnissen, von Staatsaktionen aber auch es reflektiert die Befindlichkeiten und die Zustände, die junge Menschen, die sie ja alle damals waren, erleiden, wenn sie in diese Machtsphären kommen und die Macht sie korrumpiert und die Liebe unmöglich macht.

Siegert, ursprünglich Tänzerin und Choreografin, deutet in körpersprachlichen Gesten und Haltungen, in Schritten und Drehungen die Seelen ihrer Figuren. Wenn nötig, bringt sie sie buchstäblich zum tanzen. Intimer kann man mit dem stilisierten Personal der Barockoper kaum arbeiten.

A. S. Das ist ja immer, dass diese sehr körperliche Musik die Bewegung und auch das Körpergefühl anheizt, wir sehen ja ganz deutlich, wenn jemand ärgerlich ist oder wenn jemand etwas gemeines vorhat, dann ändert sich die Aura, dann ändert sich die Körperhaltung, dann ändert sich die Beziehung im Raum wir haben da einen sehr guten Blick das zu orten, was eigentlich los ist.

Um die Doppelbödigkeit und Vieldeutigkeit noch weiter zu treiben, arbeitet Arila Siegert mit dem Live-Maler Helge Leiberg zusammen. Mittels Tuschpinsel und Projektionsfolien schafft er die zeichenfederleichten Dekorationen, er kommentiert und er interagiert mit den Sängern. In der Verwirrung ringeln sich knotige Kringel über die Bühne, blauschwarze Tuschfarbe zum Streichorchester-Forte genügen für Gewitter und Sturm, ein lachendes Strichmännchen mit Riesenkrone, Szepter und Reichsapfel ist Ottos Triumph. Man darf grinsen. Man darf begeistert sein über diesen ganzen Operncoup.

Alle Gesangspartien sind mit erstklassigen Barock-Spezialisten besetzt, herausragend war immer, wer gerade die schönste Arie sang. Für Farben, Feuer und betörende Melodik im Graben sorgte das Originalinstrumenten-Ensemble „Le Concert Lorrain“ unter der Leitung des Barock-Cellisten Stephan Schultz.

Die Qualität des Werkes ist durch die Urheberschaft zweier Komponisten-Berühmtheiten ohnehin garantiert. Es basiert auf dem erfolgreichen „Ottone“ den Georg Friedrich Händel für seine Londoner Adelsoper komponierte, und den Georg Philipp Telemann für die bürgerliche Oper in Hamburg übernahm. Der Musikwissenschaftler und Telemann-Spezialist Carsten Lange über diskrete, aber bedeutsame Eingriffe.

C. L. Telemann hat zwei Personen aus dem Kastratenbereich in die Baritonlage übernommen und er hat die Rezitative ins Deutsche übertragen lassen. Zudem übernahm er Arien aus Werken fremder Komponisten Er legte Hand an z. b. in der Arie Falsa immagine, aber immer dann, habe ich das Gefühl, wenn er aus dem neu gedichteten rezitativischen Umfeld das Material, was er durch die Händeloper erhielt, dramaturgisch anders angesetzt wissen wollte, so dass er seine Dramaturgie verwirklichen konnte.

Telemann komponierte alle Rezitative neu, aber bei den Arien muss man achtgeben.

C. L. Ich denke, dass da schon Hörunterschiede zu merken sind. Der große Gestus bei Händel in der italienischen Melodik und die bisweilen zu vernehmende Klangfarbendrastik bei Telemann. Das ist schon zu spüren.

Eröffnet wurden die Telemann-Festtage mit einer anderen Partnerschaft. Im Mittelpunkt der gesamten Konzertwoche steht die Beziehung zwischen Telemann und seinem Patensohn Carl Philipp Emanuel Bach. Wie sich aus ganz vorsichtigen Anfängen in den Werken des Älteren ein klassischer Duktus bei Bach herausentwickelt, zeigten Magdeburger Musiker gemeinsam mit dem barockerfahrenen Oboisten Burkhardt Glaetzner.

In einer Orchester-Sinfonie für 12 obligate Stimmen von Bach hört man die reinste Mannheimer Schule, ein Es-Dur-Oboenkonzert erinnerte an den frühen Haydn. Telemann begeisterte sich für die Jugend und ihre neuen Ideen – Kein Gedanke an „Generationenkonflikt“. Im Gegenteil, man baute aufeinander auf, die Festtagskonzerte werden es hörbar machen.


In jeglicher Hinsicht großartig

„Otto“ bei den 22.Telemann-Festtagen in Magdeburg

In der japanischen Musikzeitschrift Ongakugendai (Tokio) lobt Chihoko Nakata die Aufführung überschwänglich als die bislang beste Musiktheater-Produktion der Saison und in jeglicher Hinsicht großartig. Sie beschreibt die Entstehungsgeschichte der Barockoper "Otto" mit ihren Vätern Lotti - Händel - Telemann. Sie lobt besonders die "sehr differenzierte Personenregie von Arila Siegert: wunderbar". Und fasst zusammen: "Es war eine fantastische Barockoper mit einem Live-Maler, Helge Leiberg, der in die Bühne Marie-Luise Strandt live hinein zeichnet mit schnell wechselnden Schauplätzen."


Barocke Vorabendserie

Arila Siegert inszeniert Georg Friedrich Händels Singspiel „Otto“ in der Bearbeitung seines Freundes und Kollegen Georg Philipp Telemann

Joachim Lange, in: Mitteldeutsche Zeitung Halle, 18.03.2014

… Mit der Stringenz der Handlung und ihren jähen Wendungen, samt des mit der dramaturgischen Brechstange erzwungenen lieto fine (sprich: Happy Ends), landet der Plot, ganz gleich ob nun auf Italienisch oder auf Deutsch, höchstens im Umfeld heutiger Vorabendserien. So zwischen „Jeder-gegen-Jeden“ oder „Friede-Freude-Eierkuchen“.

Otto (markant: Simon Robinson) will Theophane (Kirsten Blaise) heiraten. Ihr wird aber zunächst von der ehrgeizig intrigierenden Gismonda (Ruby Hughes) ihr schmieriger Sohn Adelbert (geschmeidig: Colin Balzer) untergejubelt, auf den eigentlich Ottos Cousine Matilda scharf ist. Ein gefangener Pirat (David John Pike) entpuppt sich als Bruder Theophanes mit eigenem Thron-Anspruch. Zu den Hakenschlägen der Story trägt auch noch deren heimlicher Verehrer Isaurus seinen Teil bei.

Gesungen wird das solide, wobei der samtig satte Mezzo von Sophie Harmsen (Matilda) am überzeugendsten mit barocker Beweglichkeit glänzt. Die Choreographin und Regisseurin Arila Siegert lässt es sich nicht entgehen, aus der körperlichen Fitness von Eric Stoklossa (Isaurus) Slapstick-Funken zu schlagen. Auch sonst profitiert die Szene vom körperbetont choreographierten Spiel der Akteure, was den augenzwinkernd zitierenden Einsatz von barocken Gesten einschließt.

Einen Versuch, aus der Haupt- und Staatsaktion einen Politthriller zu machen, unternehmen sie gar nicht erst. Selbst wenn man aufmerksam zuhört, gehen einem die Exkurse über die dynastischen Hintergründe des „Wer?“ und „Warum?“ nur als Wortornamente am Ohr vorbei.

Der Reiz der Inszenierung liegt vor allem in ihrer ästhetischen Form. Ausstatterin Marie-Luise Strandt hat „nur“ einen wuchtigen, vielseitig bespielbaren Würfel-Rahmen beigesteuert. Er beherrscht die Bühne. Die fehlenden Wände werden gelegentlich durch wehende Tücher ersetzt, die sich zum Herumspuken genauso eignen wie zum Windmachen. Bei Bedarf wird eine Treppe mit Thron obendrauf reingefahren.

Die Atmosphäre steuert freilich (wie schon bei Siegerts Düsseldorfer Rameau-Inszenierung vor vier Jahren) der renommierte Maler Helge Leiberg bei. Seine live verfertigten assoziativen und mit Form und Farbwitz kommentierenden Aquarelle machen nämlich via Overhead-Projektor das Bühnenbild in jeder Vorstellung zu einem mit leichter Hand komplettierten Originalkunstwerk.

Zusammen mit den zwischen robusten und elegant changierenden, vor allem schönen Kostümen entsteht so eine Art neobarocke Opulenz. Was besonders in der Sturmmusik seinen Reiz entfaltet. Da kommt auch der samtige Orchesterklang, den Stephan Schultz vom Cello aus mit dem barockmusikversierten Ensemble Le Concert Lorrain beisteuert, suggestiv zur Geltung, wobei er sonst eher etwas zu sehr auf Zurückhaltung setzt.

Aber sei’s drum. Es geht ja vor allem um das Auffädeln einer der sprichwörtlichen Händelschen Arien-Perlenketten. Und auch wenn „Otto“ nicht unbedingt zu den Top-Ten aus der Opernwerkstatt des Barockmeisters gehört, und es an eingängigen echten bravourösen Hits mangelt, bietet sie allen sechs Protagonisten Raum, um sich melodisch einschmeichelnd ins rechte Licht zu setzen…


Ein Tusch für Händel

»Otto« in Magdeburg

Von Roberto Becker, in: ND Kultur Berlin, 19.03.2014

Zum Schlussbeifall nach dieser Opernpremiere aus Anlass der 22. Telemann-Festtage in Magdeburg reihte sich noch vor dem Dirigenten Stephan Schultz ein anderer Mitwirkender unter die Sänger ein, der auch nicht mitgesungen hatte. Es war der Maler Helge Leiberg. Ausstatterin Marie-Luise Strandt hatte zwar einen hellen Riesenwürfel ohne Wände auf die Bühne gestellt, mit ein paar wehenden Tüchern und einer Treppe samt Thron versehen, und die Akteure in so schlichte wie schöne Kostüme gesteckt. Doch erst Leiberg vollendet diesen Raum mit seiner Malerei.

Für die Regisseurin und Choreografin Arila Siegert ist die Inszenierungszutat Projektionsmalerei - im Unterschied zu einem Großteil des Magdeburger Publikums - kein Neuland. Sie hat damit schon einmal einer Rameau-Oper in Düsseldorf zu einer ganz besonderen neobarocken Opulenz verholfen. Es macht einfach Spaß, mitzuerleben, wie dieser mit leichter Hand beigesteuerte Schuss Spontanität den Wechsel zwischen Arien und Rezitativen optisch aufmischt.

Händels Oper »Ottone«, die in Magdeburg, zum zelebrierten historischen Selbstverständnis der Stadt passend, natürlich »Otto« heißt, verträgt das durchaus. Ja, sie verlangt danach, fließt die Musik doch eher ruhig und ohne mitreißende Arienhits dahin. Obwohl es um Macht geht. Und um Liebe. Wie halt in jeder Oper und besonders unübersichtlich in jedem barocken Exemplar.

Das Besondere an dieser Fassung ist die Gemeinschaftsarbeit der beiden Musikberühmtheiten ihrer Zeit, Georg Friedrich Händel (1685-1759) und Georg Philipp Telemann (1681-1767). Da hatten der aus Halle und der aus Magdeburg stammende Komponist offenbar keinerlei Berührungsängste. Die als italienische Version 1723 in London uraufgeführte Oper hat Telemann drei Jahre später für die Hamburger Gänsemarktoper in den Rezitativen eingedeutscht und so an den Geschmack seines Publikums angepasst.

Diese Kombination (plus Übertitel) ist für uns heute eigentlich recht zeitgemäß und funktioniert fabelhaft. Wir verfolgen (auch wenn sich nicht jede Wendung wirklich erschließt) im munteren Sprachenwechsel eine mit Arien gespickte Staatshochzeit mit Hindernissen. Ein solches ist etwa der Versuch der Intrigantin Gismonda (Ruby Hughes), der für Otto vorgesehenen Braut Theophane (Kirsten Blaise) ihren Sohnemann Adelbert (Colin Blazer) unterzujubeln. Dank des gattungsspezifischen lieto fines sind auch dieser Fiesling und seine Mutter am Ende unter den Gästen der dann doch stattfindenen Hochzeit. Er hat aber das Messer noch gezückt in der Hand auf seinem Rücken.

Ansonsten geht es eher mit offenem Visier hin und her. Ein stürmisches Orchesterzwischenspiel wird zu einer Steilvorlage für ein getuschtes Unwettervergnügen. Und das Duett von Gismonda und Matilda für deren Interpretin Sophie Harmsen zur Gelegenheit, sich den vokalen Lorbeer des Abends zu ersingen. Der Beifall am Ende galt auch dem barockversierten Ensemble Le Concert Lorrain, das im Graben souverän agierte und dabei die Ruhe weg hatte.


Magdeburger Telemann-Festtag: Otto

J. Gahre, in: Opernglas 05/2014

Die „Ottostadt Magdeburg“ eröffnete die diesjährigen Telemann-Festtage mit einer Neuinszenierung von »Otto«, einer 1726 uraufgeführten Oper von Georg Philipp Telemann, dem großen Sohn der Elbmetropole. Welcher Otto aber ist es, nach dem die Oper benannt wird? Ist es Otto der Große, der die Ungarn 955 auf dem Lechfeld schlug, 962 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde und im Dom zu Magdeburg seine letzte Ruhestätte fand? Nein, Telemanns Oper handelt von Otto II., dem Sohn des großen Otto. Die Librettisten Nicola Francesco Haym und Johann Georg Glauche aber haben es nicht so genau genommen mit der historischen Wahrheit, als sie dem 17-jährigen Otto II., dessen spektakuläre Hochzeit mit der jungen byzantinischen Prinzessin Theophanu sich bestens eignete als Opernsujet, einige Heldentaten seines Vaters angedichtet haben: die Eroberung des Königreiches Italien ebenso wie die Unterwerfung von König Berengar und dessen Sohn Adalbert.

Ähnlich komplex und auch verwirrend ist die Entstehungsgeschichte der Oper, handelt es sich doch um Telemanns Bearbeitung des 1723 in London uraufgeführten, sehr erfolgreichen »Ottone« von Georg Friedrich Händel. Ist es also eher eine Umarbeitung als eine fast neue Komposition? Telemann, der 1722 die künstlerische Leitung des Opernhauses am Gänsemarkt in Hamburg übernommen hatte, musste sich natürlich nach dem Geschmack der (reichen) Hamburger Bürger richten, und diese wollten verstehen, was auf der Bühne gesungen wurde. Sie lehnten das Italienische ab und mochten auch das effeminierte Gehabe der Kastraten nicht. Also wurden die die Handlung tragenden Rezitative in deutscher Sprache vertont, vier neue Arien geschrieben, einige Musikstücke von Leonardo Vinci, Johann Joseph Fux, Fortunato Kelleri und anderen hinzugefügt, die Kastratenrollen für Mezzosopran und Alt transponiert und sogar ein neuer, volksnaher Buffo-Charakter erfunden, mit dem sich besonders die unteren Schichten identifizieren konnten.

Herausgekommen ist ein hochinteressantes Pasticcio, zwar nur ein mehr oder weniger echter Telemann, aber einer, der es allemal verdient, im Rahmen der Festspiele aufgeführt zu werden. Dass die Arien in italienischer Sprache gesungen wurden, entsprach den damals in Deutschland vorherrschenden Gepflogenheiten – in Telemanns »Orpheus« wurde sogar in drei verschiedenen Sprachen gesungen. Regisseurin Arila Siegert und ihre Bühnenbildnerin Marie-Luise Strandt haben nun in Magdeburg auf Lokalkolorit verzichtet. Sie lassen die komplizierte Handlung vor und in einer hohen, kubusartigen Stellage spielen, die verschiedensten Szenen durchaus gerecht wird – ein paar Tücher und Vorhänge können da Wunder wirken. Atmosphäre aber entsteht durch die Live-Projektionsmalerei von Helge Leiberg, der die (manchmal sehr langen) Arien mit fantasievollen Bildern kommentiert. Wie er mit einigen wenigen Pinselstrichen Blumen und Vögel auf die Bühne zaubert oder einen Sturm auf der See höchst plastisch schildert, das ist stets faszinierend anzuschauen. Das Problem des in Barockopern üblichen, oftmals jedoch unglaubwürdigen „lieto fine“ (Happy End) löst Siegert dadurch, dass Gismonda und Adelbert, die beiden Fieslinge der Oper, mit einem Messer hantieren, wenn alle zusammen auf einer Treppe sitzen und den Frieden besingen: Die nächste böse Tat ist vorprogrammiert!

Simon Robinson verkörpert die Titelpartie auf geradezu ideale Weise: Sein Bass-Bariton ist viril und hat Durchschlagkraft; als königlich-autoritärer Herrscher tritt er ebenso souverän auf wie als Verliebter, der um seine junge Frau Theophane stets bereit ist zu kämpfen. Die amerikanische Sopranistin Kirsten Blaise tritt als Theophane, als von gleich mehreren Männern begehrte junge Frau, selbstbewusst auf. Und doch lässt sie keinen Zweifel daran, dass sie in Otto verliebt ist, trotz all der Intrigen. Mit makellos geführter Stimme gelingt ihr ein rundes, interessantes Charakterporträt. Ihre Gegenspielerin ist Gismonda, eine dominante Mutter, die ihren Sohn Adelbert um jeden Preis auf dem Thron sehen will. Ruby Hughes (Sopran) gestaltet diese von Rachegedanken geplagte Frau mit großer Intensität. Ihr zu widersprechen ist sinnlos, und so gibt sich Adelbert als Otto aus, um die byzantinische Prinzessin bei ihrer Ankunft in Italien zu heiraten.

Dass sich Adelbert dann wirklich in Theophane verliebt, macht die Situation nicht einfacher. Aber Colin Balzer (Tenor) gelingt der Spagat zwischen dem Liebhaber und dem machtbewussten Intriganten. Da muss die in Adelbert verliebte Matilda den Kürzeren ziehen – all ihr Manipulieren, Intrigieren, Spionieren nützt ihr nichts, noch nicht einmal ihr unbändiger Hass auf den einst Geliebten, wenn er sie abermals verraten hat. Sophie Harmsen bleibt dieser mehrschichtigen, leidenschaftlichen Figur nichts schuldig: Ihr volltönender Mezzosopran ist ideal für diese Partie. David John Pike (Bariton) kann der Rolle des Emirenus interessante Aspekte abgewinnen: Der von Otto gefangen genommene Anführer der Seeräuber entpuppt sich als der Bruder Theophanes. Der in die byzantinische Prinzessin vernarrte Isaurus ist trotz seiner unglücklichen Liebe der Spaßmacher in dieser Oper. Es ist eine köstliche Partie, die von dem Tenor Eric Stoklossa geradezu akrobatisch und stimmlich brillant gestaltet wird.

Für den Cellisten Stephan Schultz, der viele Jahre Mitglied des MDR-Sinfonieorchesters und der Magdeburgischen Philharmonie war, wurde der Auftritt als Dirigent und Künstlerischer Leiter von „Le Concert Lorrain“ im Rahmen der Telemann-Festspiele zu einem vom Publikum umjubelten Ereignis. Zu Recht, denn die souveräne Art, mit der er das auf französische und deutsche Barockmusik spezialisierte Orchester dirigiert, verdient große Anerkennung.


Übermalungen: Händel/Telemann, Otto

Boris Kehrmann, in: Opernwelt 5/2014

Helge Leiberg sitzt im Parkett des Magdeburger Opernhauses an Overhead-Projektoren und malt. Was er auf die Folien wirft, wird live auf Leinwände und Personen projiziert, auch auf Marie-Luise Strandts weißen Kubus, der mittlerweile zu so etwas wie einem Markenzeichen der Inszenierungen von Arila Siegert geworden ist. Wenn Titelheld Otto II. nach siegreicher Seeschlacht den Piraten Emirenus an Land bringt, zieht Leiberg einen gelben Strich für den Strand und einen blauen für das Meer. Wenn die Szene einen Garten darstellt, sprießen Blumen und Bäume. Und in der Sturmszene, die die Regisseurin im dritten Akt einfügt, weil Händel sie im Libretto voraussetzt, aber nicht komponiert hat, malt Leiberg eine Karavelle, die in einer Sintflut aus Wasserfarben eindrucksvoller versinkt als in Telemanns doch recht filigraner „Hamburger Ebb und Fluth“-Musik „Der stürmische Äolus“.

Siegert greift zu Live-Übermalungen, um die häufigen Szenenwechsel der Barockbühne zeitgemäß zu umgehen. Es gibt aber auch einen dramatischen Grund: Teofanes „Falsa immagine“ ist eine Bildnis-Arie. Die byzantinische Prinzessin hat sich zu Hause in das Porträt des deutschen Kaisers verliebt, den sie heiraten soll, fällt jedoch im fernen Rom einem Usurpator zum Opfer, der sich als Otto ausgibt, aber natürlich nicht so aussieht. Also scheucht der Pinsel des Malers sie erst über die Bühne, ehe er sie mit Farben umzingelt und einmauert. Auch in den anderen Arien lässt Leiberg die innersten Ängste und Wünsche der Protagonisten aus der leeren Fläche herauswachsen.

Natürlich spielen die Telemann-Festtage Händels „Ottone“ (1723) – allerdings in der Bearbeitung ihres Namenspatrons: Rund 20 Händel-Opern hat Telemann als Hamburger Stadtmusikdirektor an der Gänsemarkt-Oper aufgeführt, „Ottone“ war 1726 die erste. Dafür übersetzte Johann Georg Glauche die Rezitative ins Deutsche. Telemann hat sie neu vertont, eine Figur der Original-Quelle (Antonio Lottis „Teofane“), die Händel eliminierte, wieder eingefügt, die Kastraten-Partien für Bariotn transponiert und 10 Arien ersetzt. Vier davo – darunter „Falsa immagine“ – stammen von ihm. Hätten wir sie erkannt? Hand aufs Herz: nein. Die neuen Rezitative und die neue Figur mit ihrer Musik sind typisch Hamburger Stil. In den Arien aber hat sich Telemann perfekt angepasst. Qualitativ changieren die Nummern jedoch auch in der um knapp ein Viertel gekürzten Magdeburger Fassung sehr. Lag das an der Interpretation?

Die drei Frauen schneiden blendend ab. Kirsten Blaise kostet die nächtlich-romantische Garten-Arie „S’io dir potessi“ samt eindrucksvollem Accompagnato mit schmelzend-körperhaftem Sopran aus. Sophie Harmsen, ein Mezzo mit saftiger Tiefe und lupenreiner Höhe, spannt den Bogen glorios von lyrischer Verinnerlichung bis zu dramatischem Furor. Ihre erste Arie erinnert an Bachs „Es ist vollbracht“. In den Variationen ihrer peitschenden Bravour-Arie „Nell suo sangue“ springt sie in die obere Oktave. Im swingenden Duett „Notte cara“ mit der etwas spitzen Ruby Hughes brilliert sie als Komödiantin. Hughes macht ihrerseits durch Intensität der Gestaltung, flammende Allüre und großartige Phrasierung wett, was ihrem Sopran an Fond fehlt.

Dahinter stehen die Männer etwas zurück. Colin Balzer stößt die hochdramatischen Koloraturen mit schwerem Atem heraus, die Töne klingen farblos. Die lyrische Seite seiner Partie liegt ihm besser. Sehr engagiert aber wenig charakteristisch ist Simon Robinsons Otto. Die hinreißende Doppelkadenz im verliebt gurrenden Final-Duett bleibt in Erinnerung. David John Pikes dunkler Bariton bleibt den zwischen Furor und Hohn schillernden Arien des Piraten letzten Biss schuldig, während Eric Stoklossas pfiffiger Isaurus tolle Ansätze hören lässt. Das Pfund, mit dem die Produktion wuchert, ist das Metzer Concert Lorrain. Stephan Schultz entlockte ihm einen farbenreichen, frühromantischen Klang, der mit Ruhe in den Klangwundern der Partitur schwelgt, ohne die Spannung einbrechen zu lassen.


Vorberichte:

Vorbericht2_Int.Arila Siegert1

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Vorbericht2_Int.Arila Siegert2




Vorbericht VOLKSSTIMME 1

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Vorbericht VOLKSSTIMME 2