Es ist ein großer Anspruch, weil die Handlung in großen Höhen angesiedelt ist. Man muss sich dahinein denken, sich fragen: Was passiert mit einem jungen Menschen, der, von der Mutter gepuscht, als 16-Jähriger mit der 13-jährigen Kaiser-Tochter Octavia verheiratet wird? Was geht in seiner Seele vor? Menschen in diesen Positionen sind auch geprägt von menschlichen Schwächen, Irrtümern, Träumen, Liebe, Hass, der Unfähigkeit zu kommunizieren.
Jede Form von Macht, sei es Geld oder schnelle Autos, ist eine große Verführung. Poppea ist eine junge Frau aus hohen Kreisen, eine Frau der haute volée. Sie will ganz nach oben, die erste sein: ehrgeizig, sehr gebildet, überaus schön und klug. Und solche Frauen haben heute überall im Leben so verführerisch gute Chancen.
Das war in der Zeit normal, die Sexualität hatte in der vorchristlichen Zeit einen anderen Stellenwert. Seine sexuellen Wünsche auszuleben bis zum Exzess, gehörte zur römischen Lebensart. Bei diesem noch jungen Mann Nero war das auch eine Art Selbstversuch am eigenen Körper.
Octavia ist in dem Stück das glatte Gegenteil zu Poppea. Sie ist sehr unbeweglich, beharrt auf ihrer Würde, sie ist krank vor Liebe zu Nero und eifersüchtig auf Poppea. Sie hadert mit ihrem Schicksal. Aber es gibt für sie keine Alternative. Sie beauftragt sogar Poppeas früheren Geliebten Otho, dass er Poppea ermordet, und macht sich damit selbst schuldig. Seneca als Stoiker versucht Nero zu leiten. Aber Poppea hat mehr Macht über ihn. Neros Handeln ist sehr bestimmt von Sexualität und Erotik. Und wenn man an Strauss-Kahn, Berlusconi und die ganzen Affären heute denkt, sieht man, das Handeln der Politiker ist durchaus libidinös bestimmt: was macht mir Spaß? Was will ich jetzt nicht wissen, obwohl ich weiß, es wäre besser, auf dies oder jenes zu verzichten? Die Gegensätze Vernunft-Emotion werden hier sehr stark ausgeführt in dem Stück. Octavia steht wie eine versteinerte Figur dazwischen, schreiend, weinend, antikisch und unbeweglich.
Das ist das subversive Element der Oper. Monteverdi hält der herrschenden Klasse den Spiegel vor. Unter der Kulinarik brodelt der Hexenkessel der Machtkämpfe. Es gibt eine einzige kritische Szene zu Seneca. Da reißt der Page Valetto ihm die Maske vom Gesicht und schimpft, dass Seneca immer nur schwätzt, aber nicht eingreift, weil er sich nicht in Gefahr bringen will. Im weiteren Verlauf wird das dann relativiert: Weil Seneca sich positiv zu Octavia stellt, sieht Poppea sich veranlasst, von Nero Senecas Tod zu fordern.
Das ist ein sehr langwieriger Prozess. Man muss eine eigene Fassung herstellen, in der man auch die Figuren gewichtet. Wir haben wunderbar zusammen gearbeitet. Wir wussten, dass die Arbeit mit der Inszenierung noch mal neu losgeht, dass wir sehen müssen, was funktioniert, was nicht. Jetzt kommen auch die Musiker dazu, und da wird es richtig spannend.
Wir sollten die Oper auf ein heute übliches Maß von maximal zweieinhalb Stunden kürzen. Und wir haben uns entschieden gegen diese barocken Zierelemente. Wir wollten uns konzentrieren auf die interessanteren „Tatort“-Elemente.
In einem solch schweren Stück darf die Leichtigkeit nicht zu kurz kommen. Man braucht die Abwechslung.
Diese Produktion ist ein Studienprojekt für junge Sänger. Wir wollten, dass sie sich ausliefern in einer Art Durchgangsraum. Wir wollten keine Rückzugsmöglichkeit, keine Guckkastenbühne. Drei Musikergruppen umranden die Bühne. Wir nutzen auch die Wege im Zuschauerraum und die Galerie. Das Spiel soll den ganzen Raum umgreifen als geballte Ladung mit Instrumenten und Stimmen, aber auch mit sehr fernen distanzierten Strecken, oben und unten, akustisch wie dramatisch. Das bringt immer neue Eindrücke. Die Sänger sollten die Möglichkeit haben, die Figuren aus ihrer Körpersprache zu gestalten.
Das ist sehr gut gelaufen bis jetzt. Wir haben ein wunderbares Team. Alle kämpfen um die Qualität. Es ist keiner in der Gruppe, der nicht sein Bestes gibt.
Drei Tage habe ich mit Peter Jarchow am Klavier versucht zu üben, wie man den Geist in den Körper bringt, wie man über die Art, mit dem Körper zu arbeiten, die Information an den Zuschauer leitet. Die Sänger sollten sensibilisiert werden für die Sprache des Körpers, damit sie den Körper bewusster einsetzen. Bei uns gibt es fast kein Bühnenbild, nur zwei Throntreppen, ein Netz und einen Schleier. Alles andere müssen die Sänger erspielen, über Körper, Raum, Dynamik.
Die Stimmen umkreisen sich in diesem Duett, berühren sich fast, und trotzdem schweben sie wie zwei Sterne im All – ein sehr interessantes Zeugnis von Nähe und Ferne. Es ist doch häufig so: Wenn man ein Haus gebaut hat, trennt man sich. Ein Paar wird zusammen geschweißt, wenn es um etwas kämpft. Aber wenn man hat, wofür man kämpfte, verliert es plötzlich an Reiz. Die zwei jungen Leute werden scheitern. Das suggeriert dieser Gesang, bei dem die Phrasen ineinander greifen, als ob nur einer singen würde.