Sich dieser Liebe zu widersetzen – am Anfang mag es dem Zuschauer noch gelingen. So wie es Nero und Poppea in den ersten Minuten auf der Bühne treiben, wächst das Unbehagen gegen den doppelten Ehebruch. Man will den Ammen in ihrem Zweifeln zustimmen; man möchte Seneca beipflichten. Aber am Ende? Am Ende siegt die Liebe.
Claudio Monteverdis Oper „Die Krönung der Poppea“ ist kein Stück, das die Folgen des Treuebruchs vor Augen führen will. Es ist eine Oper, die die Liebe verherrlicht – zum Tränen vergießen schön in der Version, wie sie jetzt Arila Siegert (Regie) und Raphael Alpermann (musikalische Leitung) für die Rheinsberger Kammeroper vorgelegt haben. Die Premiere am Freitag wurde vom Publikum leidenschaftlich umjubelt. Insgesamt rund 600 Zuschauer sahen die ersten beiden Aufführungen am Wochenende im Schlosstheater.
Großartige Stimmen (auch in den Nebenrollen), Regisseure mit außergewöhnlichem Gespür und fantastische Kostüm- und Bühnenausstatter trafen in Rheinsberg schon oft zusammen. Aber selten hatte man das Gefühl, dass alles so perfekt passt wie dieses Mal. Arila Siegert und Raphael Alpermann haben für ihre Fassung Hierarchien verlassen, die man von der Oper gewohnt ist. Zum Teil mussten sie das, gibt es für „Poppea“ – wie bei allen überlieferten Opern Monteverdis – doch keine ausgeschriebene Partitur.
Gemeint ist aber noch mehr: Das Publikum sitzt zu beiden Seiten der Bühne, es gibt keinen Dirigenten. Alpermann, selbst an Cembalo und Truhenorgel beschäftigt, gibt seinem Ensemble „Concerto plus 14“ nur die Einsätze, die es braucht – nicht weil die famose Musikerschaft sie selbst nicht finden würde, sondern weil das Spielen an verteilten Orten die Verständigung schwierig macht.
Das historische Instrumentarium ist optisch und akustisch ein neuer Reiz: Sei es der Zink, ein altes Blasinstrument, das dem Zuhörer eine Ahnung vermittelt von alten Stimmungssystemen. Sei es das Regal, ein kleines Orgelinstrument, das wie ein gedämpfter Dudelsack klingt. Schon rein technisch kann also dieses Ensemble die Sänger nicht zukleistern. Der „dicke Pinsel“ kommt in der Romantik – das Durchsichtige ist das Glück der Musik der Monteverdi-Zeit.
So bleiben dem Zuhörer die Ohren frei für das Sehnsüchtige, Zweifelnde, Klagende, Wütende, Begehrende dieser römischen Ränke. Poppea und Nero verlangen einander innigst, dafür kratzt der Rest am Rande des Wahnsinns. Seneca, politischer Berater des Kaisers, wird der Selbstmord befohlen. Denn der Philosoph hatte nicht geglaubt, dass Poppea mit Nero glücklich werden könnte: „Große Männer ehren dich, bis sie genug haben, dann lassen sie Rauch statt Ruhm zurück.“ Ein barfüßiger Theorbenspieler begleitet Seneca ins Grab.
Und? Poppea wird glücklich. Nach drei Stunden besteigt sie den Thron. Ein inniges Duett mit Nero beendet die Oper, vor der man sich verneigen will wie die Untertanen es vor dem Kaiserpaar tun. Der letzte Rat: Unbedingt ansehen.
Junge Stimmen und eine alte Oper - diese Kombination war am Freitag wieder in der Kammeroper Schloss Rheinsberg zu hören: Auf dem Programm des sommerlichen Opernfestivals stand mit der 369 Jahre alten L'incoronazione di Poppea (Die Krönung der Poppaea) von Claudio Monteverdi eine der ältesten Opern des Musiktheaterrepertoires auf dem Programm.
Formale Experimente
Ganzen zwölf Finalisten des Opernwettbewerbs der Kammeroper bietet
das Stück in der Fassung von Raphael Alpermann und
Arila Siegert Raum zur Selbstdarstellung.
Inhaltlich geht es um einen legendären Skandal im Alten Rom: Kaiser
Nero verstößt seine Gemahlin Ottavia, heiratet stattdessen die
Kurtisane Poppea und schafft dabei alle seine Widersacher aus dem
Weg - eingeschlossen seinen moralisierenden Lehrer Seneca, der sich
auf kaiserlichen Befehl die Pulsadern aufschlitzen muss.
Die ebenso spannend wie hintergründig erzählte Geschichte folgt
einem für die frühe Barockoper typischen, flexiblen Form mit einer
Vielzahl von Zwischenstufen zwischen Sprechgesang, Liedern, Arien
und Tänzen - und diese flexible Form bietet viel Raum für durchaus
neue Experimente.
Ästhetisierte Körpersprache
Eines dieser Experimente besteht darin, dass
die Regisseurin Arila Siegert, die vom
Ausdruckstanz zur Oper fand, die vor Sinnlichkeit strotzende
Geschichte ganz aus dem Körperlichen entwickelt - ohne die
Verbindung von Francesco Busenellos Libretto und Monteverdis Musik
zu beeinträchtigen. Barfuß und in stilisierten Kostümen
(Ausstattung: Marie-Luise Strandt) bewegen sich die
Sängerdarsteller auf einer fast dekorationslosen Spielfläche, wozu
bisweilen noch die Musiker des Concerto 14plus hinzutreten die in
mehreren, reizvolle Raumklangeffekte produzierenden Gruppen um die
Spielfläche positioniert sind.
Arila Siegerts gelingt es zusammen mit den Sängern und im Einklang mit Musik und Text eine stilisierte Körpersprache zu schaffen, die trotz aller Ästhetisierung nicht künstlich wirkt. Ob Julia Kirchner die vergeblichen Versuche der verstoßenen Kaiserin Ottavia zeigt, sich aus ihrer höfischen Haltung zu befreien oder ob die Aurélie Franck den jungen Nero als pubertären Schlacks porträtiert, der von Senecas reifem Stoizismus aufgereizt und gleichzeitig verunsichert wird: jeder Moment der musikalischen Erzählung findet seinen Ausdruck in präzise geformter körperlicher Beredsamkeit. Einzig die zweite Ebene des Stücks, in der Busenello die frivole Liebeshandlung des Stücks als irdischen Spiegel einer idealen, göttlichen Liebe deutet und Senecas Opfertod in die Nähe der Passion Christi rückt, kommt in Siegerts Deutung zu kurz.
Erfreuliche Stimmen und wache Instrumentalisten
Das sängerische Niveau ist bis in die Nebenrollen hinein erfreulich,
wobei weniger einzelne Talente herausragen, sondern die Fülle
verschiedenster individueller Stärken beeindruckt: So lassen die
sonoren Stimmen der Altistin Siv Iren Misund und des Basses
Jérémie Brocard ebenso aufhorchen wie die intelligente Deklamation der
Südkoreanerin Jin-Hee Lee oder die sängerdarstellerische
Gesamtleistung von Aurélie Franck und Anna Gütter als Duo
Nero-Poppea.
Dass sich sämtliche Sänger musikalisch auf die Besonderheiten der sprachorientieren frühbarocken Musik einlassen, ist dabei auch ein Verdienst des musikalischen Leiters Raphael Alpermann. Als Continuo-Spieler und Gründungsmitglied der Akademie für Alte Musik wohlbekannt, ist Alpermann auch als Dirigent und Mentor eine echte Neuentdeckung. Es ist eine Freude zu sehen, wie wach und selbstständig das erst letztes Jahr aus einem Hochschulworkshop hervorgegangene Concerto plus14 musiziert, wie souverän es die heiklen Raumklangeffekte meistert und wie sich die Emotionen des Dirigenten dabei bisweilen sogar in den Gesichtern des ganzen Ensembles spiegeln.
Der Spaß an der Produktion teilt sich zum Schluss in einem improvisierten Tanz zu rhythmischem Klatschen des Publikums mit - sodass der Festivalleiter Siegfried Matthus Schwierigkeiten hat, die Blumen zu überreichen.
Der Grienericksee schäumt, Regen peitscht um das Rheinsberger Schlosstheater, Premierengäste schmiegen sich unter sein Portal. Verlassen liegt die städtische Badeanstalt mit ihren weißen Holzkabinen unter fliehenden Wolkenfetzen. Durch den Sommer zieht der Atem des Herbstes, während drinnen auf der Bühne der internationale Sängernachwuchs dem großen Ahnherrn der Oper begegnet. Claudio Monteverdis „Die Krönung der Poppea“ ist der alle moralischen Werte auf den Kopf stellende Abschied des Komponisten von der Bühne dieser Welt. Er füllte sie mit seinem deklamatorischen Gesang, der einst den Geist des antiken Theaters beschwörend die Oper schuf. Nach und nach sickerten immer mehr Arien hinein, wie das süße Gift von Liebesschwüren, narzisstische Inseln im grimmen Meer des Lebens. Und die Sehnsucht nach einem Stillstehen des Stundenglases.
Eine „Poppea“ aufzuführen, ist eine Reise mit ungewissem Ausgang. Wenig nur besagen die überlieferten Handschriften über Instrumentierung, Stimmung und Stimmlage der Musik aus. Neben dem Wissen um historische Aufführungstechniken wird die Phantasie zum wichtigsten Reisebegleiter der jungen Sänger. Mit Raphael Alpermann, dem Cembalisten der Akademie für Alte Musik Berlin, steht ihnen ein ebenso kundiger wie feinfühliger Lotse zur Seite. Sein studentisches Ensemble Concerto plus 14 teilt Alpermann in drei Continuo-Gruppen auf, die die zentrale Spielfläche rahmen. Nah und individuell sollen sie die Sänger tragen, denn zusammen gibt es für das Orchester gerade mal zehn Minuten Musik zu spielen. Etwa wenn ein Tanz die Figuren aus ihrer Isolation reißt und das Leben ewig weiter strömen will, ungehindert von Bindungen und Besitz. Alpermann bevorzugt die Milde, wo man auch ätzende musikalische Charakterisierungen herauslesen könnte. Er öffnet seinen Sängern Möglichkeiten, sich wohl zu fühlen mit ihrer Stimme, egal wie erbarmungslos die zwischen Liebestollheit und Terror schwankende Handlung an den Figuren zerrt.
Die Regisseurin Arila Siegert kommt vom Ausdruckstanz. „Die Krönung der Poppea“ hat sie weitgehend ihrer göttlichen Verweise entkleidet. Fortuna, Tugend und Amor statuieren bei ihr kein Exempel dafür, wer im Himmel wie auf Erden wirklich das Sagen hat. Allein mit einem Netz, einer Grube und einem Vorhang gerüstet, wagt sie sich in einen Liebeskampf, den Monteverdi grausam ausleuchtet, bis verbannt oder tot ist, wer sich Poppeas Aufstieg auf den Kaiserthron noch widersetzen könnte, und Nero seine vormalige Gattin zu den Fischen schickt. „Ich bin dein, dein bin ich, meine Hoffnung, sag es, sage, dass du mein Abgott bist. Ja, mein Lieb, mein Herz, mein Leben, ja.“ So singen Nero und Poppea am Ende, aufleuchtend wie eine Sternschnuppe, untrennbar aufeinander gebannt wie Spiegel und Bild.
Obwohl nicht alle ihre Bewegungsangebote verfangen, gelingt es auch der Regisseurin, das Sängerensemble in ein poetisches Licht zu rücken. Wo soll man anfangen zu schwärmen? Aurélie Francks Porträt des Nero als erotischer Stadtneurotiker ist eine verblüffend reife Leistung, während Anna Gütters Poppea sich an die Grenzen der Schamlosigkeit heransingt. Julia Kirchner als verschmähte Ottavia beherrscht klassisches Pathos, Jérémie Brocard fühlt sich als Seneca mit seiner beweglichen Bassstimme hörbar wohl. Rupert Enticknap singt einen zart schmelzenden Ottone mit beweglichen Liebeszielen, Jin-Hee Lee dessen stets herztonhelle Drusilla. Bis in die kleinste Rolle gilt: Hier steht keiner im Regen. Und der Sommer ist noch lang.
„Drei Tage lang haben wir vormittags keinen Ton gesungen, auf dem Programm stand ausschließlich Bewegungstraining“, berichtet die Regisseurin Arila Siegert über den Probebeginn mit den jungen Sängerinnen und Sängern in Rheinsberg. Obwohl die szenische Ausbildung in den letzten Jahren unvergleichlich viel besser sei als in früheren Jahrzehnten, fehle es an der Fähigkeit, sich über den ganzen Körper auszudrücken.
In den Opernregie-Arbeiten der Choreografin und Tänzerin müssen die Sänger sehr komplexe Emotionen und Handlungsantriebe mit dem Körper darstellen. Triumphieren und Resignieren, Mut und Feigheit, Aufsteigen und Niedersinken, Begehren und Ablehnen, sogar das richtige Hinfallen wurde trainiert. Arila Siegert dazu:
„Wir bestehen zu 58% aus dem körperlichen Sich-Mitteilen, 32% aus dem Tonalen und der Rest ist der Geist.“
In der Rheinsberger „Poppea“-Produktion war das körperbetonte Spiel essenziell für das Funktionieren der Inszenierung. Durch einen breiten Steg war der variable Theaterraum quergeteilt. Rechts und links an den Stirnseiten dieser Spielfläche saßen die in drei Continuo-Gruppen aufgeteilten Musiker. Dazwischen mussten sich die Sänger alle Räume selbst erspielen. Zwei thronartige Stufen-Podien, ein Schleier und ein großes Netz waren die einzigen Bühnenbild-Elemente.
Vieles an dieser Produktion war Neuland für die Rheinsberger Darsteller. Singtechnische Elemente wie das Parlando der frühen Barockoper oder die tonwiederholenden Bockstriller am Ende einer ariosen Phrase waren nur die eine Hürde. Die andere lag in der ständigen Präsenz auf einer Bühne, die kaum Schutz und Rückzugs-Räume bot. Trotzdem, Ablehnung war in der gesamten Probenphase nirgends spürbar.
„Sie reagieren anders herum. Sie sagen, dann lerne ich endlich mal, wie ich meine Stimme hinkriege, wenn ich rückwärts mit den Beinen auf einer Treppe mit dem Kopf nach unten singen muss. So ist die Haltung. Und damit kann man gut umgehen. Ich bin da sehr kreativ auch im Finden anderer Möglichkeiten, wenn sie sagen, damit komme ich nicht so richtig klar. Dann überlegen wir warum, und wenn’s lösbar ist, dann lösen wir’s, oder wir finden was anderes.“
Jede Aufführung von Claudio Monteverdis „Krönung der Poppea“ verlangt die musikalische Fantasie des Dirigenten. Bis auf die vierstimmig notierte Ouvertüre ist das Werk nur in der Hauptstimme mit beziffertem Generalbass überliefert. Die Besetzung des Continuos, die Auswahl melodietragender Instrumente, der Einsatz von Ritornellen oder instrumentalen Einlagen, ja selbst die Stimmbesetzung der Solisten – alles wird jedes Mal neu erfunden.
In Rheinsberg leitete Raphael Alpermann, Cembalist und Gründungsmitglied der Berliner Akademie für Alte Musik, sein sehr junges Orchester „+14“. Es besteht aus Anwärtern und Studierenden seiner Klasse für Alte Musik an der Berliner Musikhochschule Hanns Eisler und einigen Gästen. Jeder einzelne Spieler in diesem jungen Ensemble musizierte erstaunlich virtuos. Und wo immer es sich anbot, mischten sie sich sogar unter die Darsteller, um einen Tanz zu befeuern, ein Liebespaar zu verlocken oder auch, um dem sterbenden Seneca beizustehen.
Raphael Alpermann hat sich die Arbeit damit natürlich zusätzlich erschwert, jedoch überwog der szenische Zugewinn dieses buchstäblich lebendigen Musizierens die wenigen spürbaren Koordinations-Mühen deutlich. Alpermann und Siegert haben auf das mythologische Personal und die entsprechende Rahmenhandlung der Oper verzichtet. Der Gewinn war eine frappierende Gegenwärtigkeit der erotischen Intrigen im inneren Zirkel der Schönen und Mächtigen.
Poppea wechselt unangefochten aus dem Bett des erfolgreichen Militärs in das des Kaisers und verdrängt die bisherige Kaiserin. General Ottone wiederum nutzt seine kleine Geliebte Drusilla, um in deren Kleidung unerkannt einen Mord zu versuchen. Die Anstifterin ist die verstoßene Kaiserin Ottavia. Alle in diesem bösen Spiel aufbrechenden Triebe und Taten wurden mit großer Intensität gespielt und gesungen. Ein wenig zu kurz kam allenfalls das humoristische Element, wenn Monteverdi einmal die unteren Chargen zu Wort kommen lässt.
Der französische Bass Jérémie Brocard war als Seneca der überragende Sänger des Abends. Weiterhin hervorzuheben aus dem sehr guten Ensemble: Anna Gütter als zukünftige und Julia Kirchner als verstoßene Nero-Gattinnen, Poppea und Ottavia. Den Kaiser selbst gab die androgyn-bezaubernde Aurélie Franck. In der glanzvollen Überhöhung dieser drei lebte Marie-Luise Strandt ausgiebig ihre Kostümfantasie in Blau, Gold und Weiß aus.
Das berühmte Schlussduett, „dich zu sehen, dich zu spüren“, ließ am Ende jedoch keinen Zweifel: so schmelzend sich die Stimmen verschlingen, mit Nero und Poppea wird es kein gutes Ende nehmen. Die Körper aller anderen Sänger formten einen Fries der Toten und Erniedrigten, der die beiden Egomanen auf ihrem Thron immer weiter voneinander trennte. Großer Jubel nach der Anspannung dieser eindrucksvollen Opernproduktion.
Gelobt wird die „beredsame, rührende Körpersprache“ der Inszenierungvon Arila Siegert und die hervorragende musikalische Ausführung unter der Leitung von Raphael Alpermann. Von den Sängern hebt die Kritikerin besonders die „große Hoffnungen“ machenden Leistungen von Jérémie Brocard (Seneca) und Anna Gütter (Poppea) hervor.
Die Redaktion hat den Beitrag neben den Bericht über Bayreuth ins Blatt gehoben.
Kurt Tucholsky verewigt Rheinsberg in seinem kurzen Roman. Das Museum in Schloss erinnert an den großen Autor: Friedrich der II verbringt dort seine Jugend, für seinen homosexuellen Bruder Heinrich wird das idyllische Anwesen zum Zentrum für Kunst, Kultur, der Garten seiner Lüste.
Für junge Sänger sind die Festspiele seit 21 Jahren Sprungbrett auf dem Weg nach oben, z.B. Annette Dasch oder Marco Jentzsch. Als Finalisten des Wettbewerbs bekommen sie die Chance, oft zum ersten Mal in einem hochkarätigen Event aufzutreten.
Im Zentrum steht heuer eine aktuelle wie spannende Inszenierung von Claudio Monteverdis „L'incoronazione di Poppea“. Arila Siegert (Regie) und Raphael Alpermann (Dirigent) entlocken ihren Debütanten grandiose musikalisch szenische Präsenz. Mit einfachen Mitteln entsteht dramatische Intensität, wie etwa in Szene, in der Seneca (un)freiwillig in den Tod geht. Wunderbare, wenn auch noch unfertige Stimmen zeigen neue Wege in Technik und Stimmkultur auf.
Gerade Countertenöre (Ottone, Arnalta) demonstrieren heute männliches Auftreten und Timbre auch in hohen Lagen. Souverän und selbstbewusst in Stimmführung und Bewegungen: Jin-Hee Lee (Drusilla), Julia Kirchner (Ottavia), Anna Gütter (Poppea), Aurélie Franck (Nerone): Die Mitwirkenden schaffen mühelos den Seiltanz zwischen Ensemble und Soli, hervorragenden Musiker auf historischen Instrumenten werden in das Spiel auf der Bühne integriert.
In dieser antiken Chronique Scandaleuse verzichtet die Regie auf Allegorien (Fortuna, Tugend, Amor): Kaiser Nero verstößt seine Gemahlin Ottavia, heiratet die Kurtisane Poppea, zwingt seinen Lehrer Seneca zum Selbstmord. Choreografie, Körpersprache, Gesang, Deklamation und Bewegung stehen in Harmonie zu Musik und Text. Ein aktuelles Stück mit Zutaten wie Mord, Liebe, Eifersucht: Ein empfindlicher Machtmensch verliert alle Skrupel.
Monteverdi setzt ein weites Spektrum von Emotionen in Musik um: Sehnsucht, Verzweiflung, Klagen, Wut, Begehren… Wo bleiben Liebe, Glück, Erfüllung? Wird Poppeas Ehrgeiz befriedigt, wenn sie den Thron besteigt? Nero hat ohne Schuldgefühle auch Sex mit Männern: Wer sich der Befriedigung seiner Lüste in den Weg stellt, wird teuer bezahlen. Das verdrängt Poppea noch. Solange sie die Macht über ihn hat, bleibt er ihre Marionette. Viele Parallelen zur Gegenwart drängen sich auf.
Es ist das musikalische Ereignis jedes Jahr im Schloss Rheinsberg – die Kammeroper. Das Open-Air-Festival lockt tausende Besucher nach Rheinsberg. Einer der Höhepunkte ist die erste große Premiere: „L'incoronazione di Poppea“ (Die Krönung der Poppea) im Schlosstheater. Die fast 500 Jahre alte Oper von Claudio Monteverdi (1567–1643) ist eine große Herausforderung für die Jungdarsteller.
Wie in allen großen Geschichten auf der Bühne geht es um Macht und Liebe. Gier korrumpiert die menschlichen Verhältnisse – einst und heute; sie verführt Nero, Poppea und die anderen zu Verrat und Mord. Und dennoch zwischen all den Intrigen flackert die wahre Liebe auf. Mit Anmut holen die Rheinsberger Macher das Meisterwerk der frühen venezianischen Schule in die heutige Zeit.
Das Publikum sitzt im Saal und auf der Bühne, die Sänger spielen auf dem Orchestergraben und bewegen sich durch den Saal. Hier ein Cembalo, dort ein paar Streicher, das ergibt Oper rundum. Barocke Musik und Gesang verdichten sich auf engstem Raum. Die Regisseurin Arila Siegert ist eine berühmte ehemalige Tänzerin und hat das Ganze choreografiert.
Man müsse von Berlin nach Rheinsberg fahren, um großes Theater zu erleben – so die spontane Reaktion eines Besuchers nach der Premiere von „L'incoronazione di Poppea“ am Freitag. „Die Krönung der Poppea“, Claudio Monteverdis letzte Oper, entstand Mitte des 17. Jahrhunderts. Die Handlung geht noch weiter zurück, bis ins antike Rom.
Ein barockes Fest: „Die Krönung der Poppea“ von Claudio Monteverdi. Aber die Aufführung im Rheinsberger Schlosstheater ist jung, spritzig, heutig. Eine große Entdeckung des 2011er Kammeropern-Jahrgangs ist Jérémie Brocard aus Frankreich. Mit kernigem, edlem und nuancenreichen Bass zeichnet er einen würdevollen und verletzlichen Philosophen Seneca.
Unterschiedlicher können zwei Ammen nicht sein, wie die von Siv Iren Misund mit durchschlagendem Mezzosopran gesungene Nutrice und die Arnalta von Countertenor Sergej Zipiljew. Anrührend sein Schlaflied für Poppea. Ebenfalls mit einem Counter besetzt ist Ottone. Rupert Enticknap zeichnet eindrucksvoll die Gefühlswechsel dieses Mannes – von der tiefen Enttäuschung über die Untreue seiner Gattin, die umschlägt in Hass und bis zum Bekenntnis zu Drusilla, der einstigen Geliebten.
Jin-Hee Lee singt die Drusilla mit schönem beweglichen Sopran. Julia Kirchner gestaltet die betrogene und letztlich verstoßene Ottavia stimmlich überzeugend. Vor allem ihr „Addio Roma“ bleibt lange im Gedächtnis. Anna Gütter (Poppea) und Aurélie Franck (Nerone) singen souverän die beiden Hauptpartien. Vortrefflich mischen sich beider gut geführter Stimmen, besonders im Schlussduett. Aber: Während sie ihre Liebe besingen, liebkosen sie schon das Schwert, der Thron teilt sich und fährt auseinander. Macht besiegt Liebe? Die Zeit wird es zeigen.
Meneka Senn, Andreas Preuß, Manuel König und Lars Eggen tragen sowohl solistisch als auch im Ensemble stimmschön zum Gelingen des Abends bei. In den tosenden Schlussapplaus hinein nehmen die Musiker noch einmal die Instrumente auf und alles tanzt. Ein barockes Fest geht zu Ende.
...Vor der Aufführung gilt es erst einmal, eine Fassung herzustellen. In Rheinsberg haben der Musikalische Leiter Raphael Alpermann und die Regisseurin Arila Siegert das übernommen und mutig den ganzen Prolog gestrichen, in dem sich sonst die Götter der Liebe, der Tugend und des Glück darüber streiten, wer am einflussreichsten ist. Und obwohl es eigentlich der Liebesgott ist, der persönlich die entscheidende Wende der Handlung herbeiführt, funktioniert diese Vereinfachung reibungslos.
Raphael Alpermann hat eine ausdrucksstarke und kreative musikalische Fassung erstellt, in der die radikalen Stimmungswechsel der Oper besonders deutlich werden. Er platziert seine Musiker in drei Gruppen auf der Bühne und manchmal zusätzlich auf den Galerien, so dass der Zuschauer sich mitten im Orchester wiederfindet. Das sorgt für einen immer wieder überraschenden Klangeindruck, der durch das putzmuntere Spiel des blutjungen Alte-Musik-Ensembles des "Concerto +14" noch weiter gesteigert wird.
Die Raumeffekte tragen jedoch auch szenisch etwas aus: Die Entfernung zwischen Sängern und begleitenden Instrumenten kann Gefühlsausbrüche verstärken oder Figuren einsamer erscheinen lassen. Regisseurin Arila Siegert nutzt diese Wirkung weiter aus, indem sie die Musiker auch ins Bühnengeschehen einbezieht: Ein Theorbist, der ganz nah an den sterbenden Seneca heranrückt, erzeugt ergreifende Intimität; während die frech hervortretende Blockflötistin die Dreistigkeit des Pagen verdoppelt...
Opernglas 10/2011, Autor: J. Müller
KAMMEROPER SCHLOSS RHEINSBERG:
L’incoronazione di Poppea,30. Juli 2011
Kann man im Alter von 32 Jahren einen verklärten, lebenssatten Philosophen spielen, der siebzigjährig seinen Freitod zu einem Fest der Pflicht stilisiert? Der junge Franzose Jérémie Brocard verleiht seinem Seneca strenge Züge, deren Würde und Bedrohlichkeit dessen spätpubertierenden Schüler Nero (Aurélie Franck) noch in den Albträumen verfolgt. Mit diesen beiden Sängern war das Sicherheitsnetz gut gespannt für den gewagten Drahtseilakt, den Monteverdis »Incoronazione« wegen seiner zahlreichen Vorentscheidungen für Fassung (Raphael Alpermann) und Regie (Arila Siegert) immer verlangt...
Aurélie Franck legte ihren sprunghaften Nerone rücksichtslos und dekadent an. Das anfänglich auf gestelzte Bewegungen fixierte Auftreten ging schließlich in kalte Gewissenlosigkeit über, während Anna Gütter der Poppea sowohl ein gehöriges Maß kontrollierter Berechnung wie auch gleich portionierter Frivolität zurechnete. Das Schlussduett „Pur tu miro“ geriet dem Ensemble dann zu einem wahrhaften Höhepunkt. Die zuvor stufenweise erstiegenen Thronhälften wurden langsam von den Höflingen auseinandergezogen, eine Metapher für den bevorstehenden tödlichen Ehekrieg. Aber noch umarmen sich die Hände und Stimmen zärtlich und durch ihre sehr jugendliche Frische mischen sie sich klanglich so wunderbar, wie es kaum von routinierten, individuell timbrierten Altstars auf manch gut ausgesteuerter CD zu hören ist. Ein klarer Vorteil junger Stimmen!
Die Regisseurin Arila Siegert hatte, da sie selbst vom Ausdruckstanz kommt, insgesamt vielleicht zu viele Bewegungsangebote gemacht, aber durch die märchenhaften Kostüme der Kammeroper Schloss Rheinsberg (Marie-Luise Strandt) fand das Auge des Betrachters stets lohnende Perspektiven.
Und ganz besonders kamen die Freunde der Musik der Monteverdi-Zeit auf ihre Kosten. Raphael Alpermann an Cembalo und Truhenorgel trug sein ganzes Temperament an die drei Continuogruppen heran, die das „Ensemble Concerto + 14“ stellte, ebenfalls sehr junge Musiker der Hanns-Eisler-Hochschule Berlin und der Schola Cantorum Basiliensis aus Basel. Historische Instrumente wie Regal, Zink und Theorbe fanden selbstverständlich ihren Einsatz, bisweilen auch szenisch, etwa bei dem anrührenden Schlafliedchen der Amme Arnalta (Sergei Tsipilev).
Ein musikalischer und szenischer Höhepunkt war kurz vor der Sterbeszene Senecas das mit den Sängern tanzende Orchester, das eine berauschende Lebensfreude aufkommen ließ. Die philosophische Formel, dass das Leben nur eine Vorbereitung auf den Tod und dieser folglich nichts Fürchterliches für einen Stoiker sei, konnte auf diese Weise ergreifend umgesetzt werden. Die ganze Freude an der wochenlangen Einstudierung an diesem besonderen Ort war in der musikalischen Wiederholung der erwähnten Seneca-Szene als krönende Abschlusszugabe spürbar, so unbändig, dass dem inmitten seines Ensembles tanzenden Raphael Alpermann sein in die Luft geworfenes Tamburin entflog.
Vorberichte:
...Die Solisten dieser Aufführungen der Kammeroper Schloss Rheinsberg kommen aus acht Ländern. Dirigent Raphael Alpermann musiziert mit dem Ensemble „Concerto plus14“ auf historischen Instrumenten. Dazu gehören neben Violinen, Cello und Bass auch Cembalo, Truhenorgel, Theorben und Zinken...
In unermüdlicher Probenarbeit spürte der musikalische Leiter Raphael Alpermann zusammen mit der Regisseurin Arila Siegert, den Sängern und den Musikern die vokale und instrumentale Gestalt der einzelnen Szenen auf. Ausstatterin Marie-Luise Strandt hat eine Spielfläche in der Mitte des Rheinsberger Schlosstheaters errichtet. Die handelnden Personen – Sänger und Musiker – spielen so mitten im Publikum...
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Ein Stück über Macht, Gier und Liebe
...Eine kleine Vorschau auf die Aufführung „Die Krönung der Poppea“ gab es am Mittwochabend im Rheinsberger Schlosstheater. Eindrucksvolle Bilder dominierten die Probe für das Stück, das ab Freitag dort zu sehen sein wird...