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„La Clemenza di Tito“

Starke Premiere an der Musikhochschule

13.05.2024, 14:23 Uhr • Hamburger Abendblatt
Von Verena Fischer-Zernin

Hamburg. Die Studierenden der Opernklasse singen und spielen lebendig, die Regisseurin Arila Siegert erzeugt Poesie mit sparsamen Mitteln.

Mozarts Oper „La Clemenza di Tito“ steht gerade auf vielen Spielplänen. Auch in Hamburg: Vor gut zwei Wochen hatte das Drama um Intrigen, falsche Freundschaft und die Einsamkeit der Mächtigen Premiere an der Staatsoper, nun hat es die Hochschule für Musik und Theater herausgebracht. Bei der Stückauswahl ging es allerdings weniger darum, aus dem Stoff etwas Zeitgeistiges herauszulesen, sondern um die passenden Rollen, wie der Dirigent Willem Wentzel offenherzig bekennt. „Titus“ verlangt vier Soprane, aber nur einen Tenor und einen Bass, und das trifft offenbar den Bedarf. Besetzt wird die Sommeropern-Produktion nämlich mit Studierenden der Opernklasse.

Die Inszenierung hat man der Regisseurin Arila Siegert anvertraut, und im Graben sitzen die Symphoniker Hamburg. Allesamt, einschließlich des Dirigenten Wentzel, alte Häsinnen und Hasen des Geschäfts. Man mag es bedauern, dass die Hochschule die Mitwirkenden an der Produktion nicht komplett aus den Reihen ihrer Studierenden rekrutiert (was ja nicht verhindern würde, dass ein paar Profis coachend im Hintergrund dabei wären). Aber so ist das Format halt. Und das Ergebnis: überzeugt.

Vergleiche hinken immer und der Vergleich zwischen einem großen Haus wie der Staatsoper und einem Ausbildungsinstitut sowieso. Hase und Igel lassen grüßen. Aber was Bühnenbild und Regie der beiden Hamburger Titusse angeht, hat der Igel von der Milchstraße die Nase vorn. Mit wenig Materialaufwand, aber einer spürbaren Offenheit schafft Siegert ein modulables Interieur aus ein paar hellen Sesseln und vier weißen Holztreppen, die sich nach Bedarf gegeneinander verschieben lassen.

Auf das Ganze wird projiziert, was Helge Leiberg im Lauf der Aufführung lose assoziierend zeichnet und malt. Das wirkt poetisch, schafft Freiheit im Kopf, ganz anders als die Schlagwörter von „Delizia“ (Freude) über „Tradimento“ (Verrat) bis – Überraschung – „Clemenza“ (Milde), mit denen Ben Baur dem Publikum an der Dammtorstraße in Großbuchstaben vorschrieb, welchen Reim es sich gerade zu machen habe.

Es ist berührend, junge Sängerinnen und Sänger beim Hineinwachsen in die Oper zu erleben
Es ist die Lebendigkeit, die von Anfang an für das Unterfangen einnimmt. Siegert ist auch als Choreografin erfahren, und das tut der Personenregie gut. Die Gesten vermitteln Bedeutung, und wo die Bewegungen bewusst verlangsamt sind, fokussiert das die Aufmerksamkeit, statt abzulenken.

Die jungen Menschen auf der Bühne lassen sich ein auf ihre Rollen mit den dazugehörigen inneren Konflikten. Es ist immer wieder berührend zu erleben, wie sich bei angehenden Sängerinnen und Sängern das Darstellerische und das Stimmliche erst noch verbinden müssen. Zu erleben, dass diese Einheit alles andere als selbstverständlich ist.

 

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Hamburgs alternative Clemenza

(Hamburg, 12.5.2024)

An der Hochschule für Musik und Theater Hamburg bringen die Studierenden der Opernklasse Mozarts „La clemenza di Tito“ mit schlichter Sachlichkeit auf die Bühne des Forums. Als Chor zu einer verblüffenden Einheit findend, sind vor allem die solistischen Fähigkeiten der Protagonisten des Tito, Changwook Jang, und des Sesto, Mengying Jia, hervorragend.

Von Klaus Fuchs, concerti, 13. Mai 2024

Mit seiner „La clemenza di Tito“, macht die Hochschule für Musik und Theater der Staatsoper Hamburg durchaus Konkurrenz

Genau zwei Wochen nachdem die Staatsoper Hamburg eine musikalisch herausragende, doch wenig mitreißende Inszenierung des gleichen Stoffes vorgelegt hatte, feierte die Hochschule für Musik und Theater Hamburg am Sonntag die Premiere zu ihrer großen Sommerproduktion „La clemenza di Tito“, die im Forum an der Milchstraße noch bis zum 5. Juni zu erleben sein wird . Wo am Gänsemarkt zweifelhaftes Regietheater dazu führt, dass sich der großherzige Milde zeigende und dafür mit Verrat gestrafte Tito am Schluss der Oper am liebsten selbst eine Kugel ins Hirn pusten möchte, profitiert die Hochschule nicht zuletzt von der intimeren Atmosphäre des kaum mehr als dreihundert Sitzplätze fassenden Forums.

Unter dem Dirigat von Willem Wentzel, der als Professor für Musikalische Leitung am Haus wirkt, gelingt den Symphonikern Hamburg ein erfrischender und schnörkelloser Mozartklang, der vor allem als Brücke zwischen den Studierenden und dem Publikum fungiert. Schon die Ouvertüre gleicht bei all ihrem Paukenwirbel und Trompetenschall, dank akzentuierter, aber dennoch weich abgerundeter Phrasierung, einer herzlichen Einladung ins Stück. Allen voran ist es Fausto Nardi am Cembalo zu verdanken, der mit einem achtsamen Accompagnato auf die eigenwillige Rezitativtechnik der Studierenden Rücksicht nimmt, dass Musik und Gesang so vortrefflich zueinander finden.

Changwook Jang, der als einziger in dieser Hochschul-„Clemenza“ den Tito gibt (alle anderen Partien sind doppelt besetzt), schultert die Verantwortung seiner Unersetzbarkeit spielerisch und gekonnt. Die cremige Stimmfarbe des jungen Tenors schmiegt sich lückenlos in das Klangbild der Symphoniker ein, was bereits die galante Auftrittsarie „Del più sublime soglio“ unter Beweist stellt und in Fragen der Virtuosität in der Schlussarie „Se all’impero, amici Dei“ Ergänzung findet.
Mengyin Jia als Sesto stellt indes die Bedeutung Jangs als Primo Uomo in Frage. Die Mezzosopranistin fühlt sich in der Rolle des Freunds Titos und Intrigant gegen diesen gut ein. Ihre schauspielerische Unterwürfigkeit und Missgunst bei zeitgleicher Reue sind überzeugend. Gesanglich sitzen die Koloraturen dabei sehr gut, wie allein die Arie „Deh, per questo istante solo“ zeigt, in der Sesto um Gnade bittet. Jias starke Interpretation legt nahe, dass die Oper womöglich noch besser „Sesto“ heißen könnte.

Die wahre Stärke des Ensembles ist allerdings die Interaktion als Kollektiv. Mag jeder seine solistischen Vorzüge aufweisen, wie der mit kristallklarer Artikulation des Italienischen gesegnete Volodymyr Milushkin (Publio) oder Esther Barski, die in der Rolle von Sestos Freund Annio das Quartett der männlichen Rollen charakterstark komplettiert – als Chorsänger (auch die andere sängerische Besetzung wirkt chorsolistisch mit) harmonieren diese gut zusammen und füllen das Forum mit einem Volumen aus, dass einem größeren Chor in der Wirkung nur wenig nachsteht. Das verzeiht auch die ambitionierte Stimmgewalt von Julia Siegwart, die als Vitellia die eigentliche Strippenzieherin hinter den Umsturzplänen gegen Tito ist und den Rachegelüsten der Rolle mit stimmlichem, aber manchmal noch unpräzisem Übereifer begegnet.

Nur teilweise gelungen ist das Regiekonzept, für das Arila Siegert verantwortlich zeichnet. Grundlage des Bühnenbilds ist eine Bildprojektion, auf die wiederum (live von Helge Leiberg) gemalt wird. Mal werden Affekte und Gefühle bildlich dargestellt, mal wird eine schnell gemalte Zwecklandschaft mit dickem schwarzem Pinsel übermalt – die Wechsel der Ausdrucksformen sind dabei so vielfältig wie diese mehrdeutig sind. Mehr noch verdeutlicht dies die halbtänzerische Einlage einer Studentin, die anscheinend als Friedenstaube (oder vielleicht als etwas anderes Allegorisches) über die Bühne huscht. Weniger ist hier mehr, und die schlichte Weißkostümierung mit elegant wandelbaren Treppenaufgängen und Stühlen völlig ausreichend – die Requisiten schaffen es immerhin, Kolosseum, Therme und Palast zugleich zu sein.Vor allem gesanglich beweisen die Studentinnen und Studenten der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, dass man sich um den Nachwuchs kaum sorgen muss; mit etwas mehr schauspielerischer Expressivität ist dessen Erfolg allemal gesichert. Um nochmal auf die Staatsoper Hamburg zurückzukommen: An diesem Premierenabend brauchte sich nun wirklich keiner zu erschießen.

Willem Wentzel (Leitung), Arila Siegert (Regie/Bühne), Alba Carlota Reifenrath & Oliver Velthaus (Kostüme), Clara Brezinka, Stefan Czura, Pantelis Tiliakos & Charlotte Wulff (Dramaturgie), Changwook Jang, Julia Siegwart, Lisa Kereselidze, Mengying Jia, Esther Barski, Volodymyr Milushkin, Fausto Nardi (Cembalo), Studierende der Opernklasse, Symphoniker Hamburg