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Einander vergeben, voneinander lernen

Arila Siegert über ihre Produktion von Mozarts „La clemenza di Tito“ an der Hamburger Musikhochschule

12.05.2024, HfMT Hamburg, Forum

„Titus“ ist Mozarts letzte Oper. Bestellt als Fest-Oper für den Österreichischen Kaiser Leopold II. für seine Krönung zum König von Böhmen1791, also kurz nach der französischen Revolution. „La clemenza di Tito“ heißt sie mit vollem Titel. Gezeigt wird ein Herrscher, der gegenüber seinen Verschwörer*innen, Feind*innen nicht Rache sondern im Sinne der Aufklärung Milde walten lässt. Es ist ein verschlungenes Ränkespiel um den römischen Kaisers Titus (79 vor Christus), wie er sich gegenüber einer auch ihm feindlichen Umgebung verhält oder verhalten soll im Sinne eines neuen Codex von Machtausübung.

Der Kampf der Menschen geht immer darum, dass die Ausübung der Macht geteilt wird im Sinne der Menschlichkeit. Mozart ist, glaube ich, eng an diesem Impuls der menschlichen Entwicklung dran, wenn wir denken an die frühere Zeit im Mittelalter und davor, welche Ungerechtigkeiten, welchen Standesdünkel, welche Brutalität die Herrschenden gegenüber dem Volk ausgeübt haben. Da zeichnet sich um 1790 ein Licht einer neuen und freieren Gesellschaft von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ab am Horizont. Und Mozart hat das wohl gemeint mit dieser Oper, wie ein Gemeinwesen besser funktionieren könnte: demokratisch, auf gegenseitiger Achtung und Beachtung von Gesetzen beruhend.

Es ist ein historischer Stoff. Es geht um absolutistische Macht und vor allem den Verzicht auf Macht, weswegen die Frau von Kaiser Leopold die Oper damals als „porcheria tedesca“, als deutsche Schweinerei bezeichnete. Im Zentrum eigentlich eine Figur, die gar nicht vorkommt im Stück, eine jüdische Prinzessin, Berenike. Der Kaiser liebt sie. Aber er muss auf sie verzichten – aus Gründen, die irgendwie zeitlos scheinen.

Ja, das ist auch ein Politikum heute, im Moment ganz extrem. Es ist auch ein Widerspruch im Stück, dass der Kaiser Titus den Tempel in Jerusalem – er war ja dort, er wollte die Zerstörung vielleicht verhindern, man weiß es nicht genau. Er hat die Truppen dort befehligt, und zur gleichen Zeit liebt er diese jüdische Prinzessin Berenike. Die Römer hatten sehr viel Respekt vor dem jüdischen Gott, weil sie die Art, wie die Juden die Welt sahen, diesem Gott zuschrieben. Die Juden haben sich nicht einfach den Römern untergeordnet, sondern Widerstand geleistet. Aber die Dinge nehmen ihren Lauf. Es steckt in dem Stück sehr viel Material und es kommt darauf an, wie man gewichtet. Mozart hat im Grunde ein Kammerstück geschrieben. Es geht um das Verhältnis der Figuren zueinander, den Kampf, die Liebe und eben die Clemenza, die Milde.

Das Libretto beruht auf einer Vorlage des barocken Opera-Seria-Seriendichters Metastasio. Etwas an die damals neuen Zeitströmungen umgearbeitet von Tommaso Mazzolà und gattungsmäßig neu formatiert als „Dramma seria“ (also: ernstes Drama) – in Anlehnung an den „Don Giovanni“ als Dramma giocoso. Die neben Titus weiteren männlichen Figuren sind in der für Mozart abgelegten Tradition der Opera Seria mit Frauenstimmen besetzt. Ideal eigentlich für eine Musikhochschule heute, wo es mehr Studentinnen als Studenten im Opernfach gibt. Bei der Besetzung dürfte es hier in Hamburg keine besonderen Schwierigkeiten gegeben haben. Aber bei den Sängerinnen in Hosenrollen? Wie kommen die damit zurecht?

Das ist überhaupt kein Problem. Es hat mit Formung der Figur, also mit Arbeit, zu tun. Aber das ist heutzutage ganz normal. Niemand findet das besonders sexy. Sich als Mann zu bewegen ist heute für eine Frau nichts Besonderes mehr, wo Männer sich ja heute teilweise bewegen wie Frauen. Dass die Geschlechter-Rollen sich heute angleichen in der Gesellschaft, finde ich einen Ausdruck von Freiheit des Individuums. Was nicht heißt, dass es keinen Unterschied gibt von Mann und Frau. Aber diese besondere Spannung wird in „Titus“ sehr interessant beleuchtet.

Mozart hat unter Zeitdruck arbeiten müssen und die Rezitative nicht selbst komponiert, sondern sie seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr überlassen. Etwas langatmig und nicht ganz von Mozartischem Genie durchleuchtet sind die. Man muss kürzen. Wieviel?

Nicht so viel, weil der musikalische Leiter Professor Willem Wenzel möchte, dass die Studierenden Rezitative singen und spielen lernen müssen. Er legt sehr viel Wert auf die Gestaltung der Rezitative, auf die Aussprache, auf die Spannung innerhalb. Und auch ich gebe mir große Mühe, die Rezitative differenziert und erzählerisch zu gestalten, sodass schon die Rezitative ein sehr wichtiger Bestandteil dieser Oper sind. Nicht nur die Innenansichten in den Arien sondern auch die direkte Auseinandersetzung mit Worten, die schauspielerisch-sängerische Rede sind eine Besonderheit dieser Oper.

Du hast den „La clemenza di Tito“ ganz zu Beginn deiner Karriere als Musiktheater-Regisseurin schon mal inszeniert. Damals in einer deutsch-italienischen Mischform. Jetzt werden auch die Rezitative ganz im italienischen Original gesungen. Aber vor allem hast du einen anderen Ansatz bei der Bühne gewählt.

Die Hochschule ist kein Theaterbetrieb. Man muss sich bei der Ausstattung einschränken. Die vier fahrbaren Treppen, die ich wollte, haben die Kolleg*innen im Forum Theater wunderbar hergestellt. Eine Beschränkung auf der einen erfordert auch immer eine Bereicherung auf einer anderen Seite. Und das ist auch gut so. Man kann nichts verdecken. Man ist ganz auf die Sänger-Darsteller*innen angewiesen. Und sie müssen lernen, dass das Theater nicht von Äußerlichkeiten abhängig ist, sondern von ihnen, von ihrem Spiel, von ihrer Fantasie, von ihrer Hingabe und ihrer Fähigkeit, mit anderen in eine Schwingung, in einen Kontext zu kommen.

Aber es gibt da noch was Anderes.

Die Überlegung war, einen Maler hinzuzuziehen, um zu zeigen, dass es dieses Immaterielle in uns gibt, das niemand sieht: diese inneren Welten, die Gedanken, die Gefühle, die uns zu handeln antreiben; dass also ein Maler in die Szene hineinmalt als Ausdruck dieser wechselnden und immer sich verändernden inneren Welten.

Das Arbeiten in einer Hochschule erfordert, wie schon erwähnt, eine gewisse Umstellung seitens der Regisseurin. Man muss sich um vieles kümmern, was in einem Theater diversifiziert ist; man muss mit den noch wenig erfahrenen Sängerinnen und Sängern anders umgehen, sie der praktischen Bühnenarbeit näherbringen – eine Herausforderung gerade heute mit einer Generation von angehenden Sänger-Darsteller*innen, die oft sehr selbstbewusst sind, anders denken und fühlen als das im tradierten Theaterbetrieb vielleicht üblich ist oder war.

Im Theaterbetrieb sind alle auf das Ergebnis orientiert. Alle, das ganze Haus, die Sänger*innen, die Musiker*innen, die Gewerke arbeiten zu der Produktion hin, zu der Premiere, zu den Vorstellungen. Hier ist es Teil des Ausbildungsprozesses. Es gibt nicht die Gewerke wie im Theater. Es gibt ein paar Menschen in der Technik, die einem helfen. Man muss die Arbeit ganz anders denken. Und die Sängerinnen und Sänger sind wie Studierende heute sind: sehr intelligent, aber noch unerfahren, aus aller Herren und Frauen Länder, teilweise der deutschen Sprache nicht so mächtig. Alle bemühen sich, und es ist interessant, mit den jungen Leuten zu arbeiten, weil sie einen anderen Ansatz haben, als ich das bisher erlebt habe. So eine große Hochschul-Produktion mache ich ja zum ersten Mal. Man muss sich einander angleichen mit seinen unterschiedlichen Erfahrungen und voneinander lernen.

Zum Schluss: Dies Stück, diese Figuren, diese Musik Mozarts – sie ist ja eine Art Vermächtnis. Wenn man absieht von den Umständen der damaligen Zeit, was kann diese Oper uns heute sagen, was ist sie für dich in ihrem innersten, menschlichen Kern, gerade heute, wo wir es zunehmend mit autoritären, ja diktatorischen Systemen, von Hass und Verachtung auf die Menschen geprägt, zu tun haben? Und als jemand in der ehemaligen DDR Aufgewachsene hast du ja auch besondere Erfahrungen.

Es ist eine Botschaft von Achtung und Liebe, und dass die Menschen Fehler machen und trotzdem zu achten und zu lieben sind. Da ist schon eine große Message von unserem christlichen Denken in dieser Oper, ein Plädoyer für die Menschlichkeit, gegen jegliche Dogmen und Dogmatismus. Aber es ist auch ein ganz modernes Denken drin: dieses Hauen und Stechen, dieses Auge um Auge, Zahn um Zahn hat uns nie weitergebracht. Es hat nur Zerstörung und schreckliches Leid bewirkt. Aber der Zusammenhalt der Gesellschaften, ob groß ob klein, ob Familie, Betrieb oder ein ganzes Land, das ist das Erstrebenswerte. Dass man miteinander auskommt, dass man einander vergibt.



Team

Musikalische Leitung: Willem Wentzel
Regie, Bühne, Licht-Design: Arila Siegert
Kostüme: Alba Reifenrath und Oliver Velthaus
Malerei, Video: Helge Leiberg
Orchester: Die Symphoniker Hamburg
Sängerinnen und Sänger: Die Opernklasse
Besetzung 1 / 2

Tito: Changwook Jang / Changwook Jang
Vitellia: Julia Siegwart / Taylor Haines
Servilia: Lisa Kereselidze / Vlada Koieva
Sesto: Mengying Jia / Kristïne Matvejeva
Annio: Esther Barski / Soo In Park
Publio: Volodymyr Milushkin / Zhiyi Yang

Interview: gfk, 01.05.2024
Fotos: © Joerg Modrow
...probenbesuch
Kritik: "Starke Premiere an der Musikhochschule... Die Studierenden der Opernklasse singen und spielen lebendig, die Regisseurin Arila Siegert erzeugt Poesie mit sparsamen Mitteln... [und] was Bühnenbild und Regie der beiden Hamburger Titusse angeht, hat der Igel von der Milchstraße die Nase vorn." Hamburger Abendblatt, 13./14.05.24
"Mit seiner 'La clemenza di Tito', macht die Hamburger Hochschule für Musik und Theater der Staatsoper Hamburg durchaus Konkurrenz." concerti, 13.05.24
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