Giacomo Puccinis Meisterwerk "La Bohème" ist zur Premiere am Samstag am Mittelsächsischen Theater frenetisch umjubelt worden. Das Publikum badete über zwei Stunden in Klang. Regisseurin Arila Siegert hat mit ihrer modernen Lesart ein Gesamtkunstwerk aus Bühne, Licht, Bewegung und Musik geschaffen und mit der berühmten Liebe im Künstlermilieu des alten Paris ganz und gar den Nerv des Publikums getroffen. Die herausragende Solistenriege wurde von Sopranistin Leonora del Rio als Mimi und Tenor Sebastian Fuchsberger als Rodolfo angeführt. Die Mittelsächsische Philharmonie unter Raoul Grüneis leistete Herausragendes, Opernchor und Freiberger Knabenchor waren vollendet in Szene gesetzt. Ausstatter Moritz Nitsche hat den Bühnenraum kunstvoll geweitet, um den großen Stimmen ein Podium zu bieten. (mes)
Der Opernkenner weiß es, der Neuling ahnt es: Die Liebesgeschichte zwischen Rodolfo und Mimi, Puccinis Oper „La Bohème“ geht nicht gut aus. In der gefeierten Premiere in Freiberg zeigt Regisseurin Arila Siegert den Tod als Person. Auf sein Zeichen hin beginnt die Oper, bedeutsam schreitet er durch die Handlung, zum Schluss greift er Mimis Hand – ihre Erinnerung „Wie eiskalt ist dies Händchen“ bekommt neue Bedeutung.
Tod ist Schicksal. Die Künstler der „Bohème“ sind arm und mittellos gegen Mimis Krankheit. Das ist die herkömmliche Lesart, die Arila Siegert in klarer Figurenführung erzählt. Moritz Nitsche hat ein schlichtes Bühnenbild entworfen, eine lichtdurchschienene Atelierwand, die abhebt und schwebt. Mit dem ersten großen Glück hebt sie jegliche Begrenzung auf, öffnet den Blick auf den Sternenhimmel. In den großen Chorakten schafft die Inszenierung die Bilder durch Menschen und Licht. Der Weihnachtsabend im Quartier Latin wird durch Tische und Stühle angedeutet, im dritten Bild ist lediglich die Zollschranke quer über die Bühne zu sehen, Projektionen simulieren anhaltenden Schneefall. Und zum Schluss wieder die Atelierwand, die sich brutal auf das Geschehen legt, Mimi vom Land der Lebenden abzuschneiden. Schlicht und ergreifend.
Die Mimi von Leonora del Rio ist kein unbedarft junges Mädchen, ihre Stimme hat lyrischen Klang und beherrschte am Anfang die Szene. Da zeigte Sebastian Fuchsberger als Rodolfo noch aufgeregte Unsicherheit. Doch je aussichtsloser es für die Figur wird, umso mehr entwickelte der Tenor Glanz und Stärke. Neben dem tragischen Paar gibt es die kokette Musetta und den aufbrausenden Marcello, von Lindsay Funchal und Seymur Karimov verkörpert. Musetta glänzt mit ihrem verführerischen Walzer und berührt, wenn sie Mimis letzten Wunsch erfüllt. Marcello ist Rodolfos bester Freund und Karimov der beste Sänger-Darsteller des Ensembles. Vom ersten Ton an strahlte sein Bariton, sein Spiel verband Gesang und Haltung, stellte eine liebenswerte und nachvollziehbare Figur vor.
Wenn sich die Protagonisten mit dem ambitioniert agierenden Chor und den überzeugenden Jungs vom Freiberger Knabenchor mischen und dazu die Mittelsächsische Philharmonie ihr Bestes gibt, ist das Theater voll aufbrausender, mitreißender Musik. Rauol Grüneis am Pult spielt diese Trümpfe aus, dosiert gefühlvoll leise Töne, scheut für den theatralischen Effekt auch nicht extreme Tempi, weiß Auseinanderfallendes schnell zu verbinden und Sängern Sicherheit zu geben. Jubel!
LA BOHEME
Premiere: 16.04.16
besuchte Vorstellung: 15.05.16
Jochen Rüth, in:
www.deropernfreund.de
17.05.2016
Eine ganz besonders düstere Interpretation von Gioacomo Puccinis wunderbarer „La Bohème“ ist derzeit am mittelsächsischen Theater zu sehen. Von Anfang an macht die Regisseurin Arila Siegert die Ausweglosigkeit der Situtation deutlich und lässt den personifizierten Tod den Abend eröffnen. Er ist in den verschiedenen Bildern immer wieder präsent und leitet die arme Mimì damit ihrem unausweichlichen Ende zu. Lediglich im allerletzten Bild, bei Mimìs Todesgang, ist er seltsamerweise nicht zu sehen - das ist aber auch der einzige Bruch in der ansonsten sehr durchdachten Inszenierung von Arila Siegert.
Dass die vom Tanztheater kommt, merkt man dem Abend an. Viele Szenen scheinen regelrecht durchchoreografiert. Durch die durchdachte Personenführung gelingt es Siegert, auf der kleinen Freiberger Bühnen selbst in den Massenszenen den Fokus auf der Künstlergruppe und dem Liebespaar Rodolfe/Mimì zu halten - da friert beispielsweise der Chor ein oder bewegt sich in Zeitlupe und ermöglicht fast etwas Kammerspielartiges bei den Hauptakteuren und damit eine Konzentration auf das Wesentliche. Das ist bei Siegert mehr als trostlos. Regelrecht düster ist die Produktion angelegt, einziges Requisit auf der Bühne ist eine Art spanische Wand, die mitunter als Mansardenwand den Raum begrenzt und so zusätzliche Intimität schafft oder zu einer Art Oberlicht wird. Projektionen von Sternenhimmel oder fallendem Schnee sorgen zwar für romantische Akzente, die Kostüme von Moritz Nitsche, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, zeigen aber lediglich sämtliche Schattierungen von schwarz zu grau. Einzelne Farbtupfer setzen nur Parpignol und Musetta in ihrer Auftrittsszene - sobald die sich aber Marcello zugewandt hat und mit dem Künstler lebt, tritt auch sie nur noch in Grau auf. So wird Henri Murgers „La vie de bohéme“ in Freiberg zur hoffnungslosen und tristen Milieustudie.
Bis auf das Liebepaar Rodolfo und Mimì ist die Produktion ausschließlich aus dem Ensemble besetzt. Als Mimì buchstäblich in letzter Minute für das erkrankte Ensemblemitglied Leonora del Rio eingesprungen ist Rebekah Rota, die sich als wahrer Glücksgriff erweist. Sie glänzt nicht nur durch berauschende Pianobögen, zu Herzen gehendes Messa di voce, berührendes Spiel und ausdrucksstarken Gesang, sondern fügt sich auch nahtlos ins Ensemble und die anspruchsvolle Choreografie ein. Der österreichische Tenor Sebastian Fuchsberger lässt da und dort den Mut zum Piano ein wenig vermissen, stattet den Rodolfo aber mit bombensicherer und eindrucksvoller Höhe aus, singt und spielt fokussiert. Lindsay Funchals Musetta ist unglaublich facettenreich. Die junge Sopranistin ist ein wahrer Blickmagnet, zeigt im zweiten Aufzug eine beeindruckende Höhe, große stimmliche Beweglichkeit und fesselnde Bühnenpräsenz, weiß sich aber im letzten Bild zurückzunehmen und gibt ebenso überzeugend die mitfühlende Freundin. Ihrem on/off-Freund Marcello verleiht Guido Kunze mit gepflegtem Bariton Kontur, überzeugt vor allem in der zweiten Hälfte des Abends und heimst zusammen mit Sebastian Fuchsberger für die Duettszene im letzten Akt verdientermaßen Szenenapplaus ein. Die Künstler-WG komplettieren Sergio Raonic Lukovic als hinreißend komischer Schaunard und Martin Gäbler, der als Colline beweist, daß man kein Bass sein muss, um mit der berühmten Mantelarie zu Tränen zu rühren. Jens Winkelmann gibt überzeugend den bedauernswerten Benoît, Derek Rues heller Tenor darf als Parpignol leider nur kurz strahlen. Nikolaus Nitsche, Dimitro John Walter Moses und Frieder Post komplettieren das überzeugend aufspielende Ensemble in den kleineren Rollen. Überzeugend ist auch der Opernchor, dessen Einstudierung Tobias Horschke übernommen hat und der durch den Freiberger Knabenchor vortrefflich ergänzt wird.
Generalmusikdirektor Raoul Grüneis
kitzelt im Graben reinsten Puccini aus der
Mittelsächsischen Philharmonie. Er zeigt die Partitur frisch und voller
Farben, schwelgerisch, gefühl- und auch kraftvoll, wo es angezeigt ist,
und so gelingt ihm eine starke Interpretation dieses Gassenhauers.
Das Publikum im ausverkauften Haus ist zu Recht
begeistert, applaudiert enthusiastisch und ausdauernd. Die sehenswerte
Produktion ist - zumindest in dieser Spielzeit - in Freiberg
nicht mehr zu sehen, wird aber ab dem 21. Mai beim Theaterehepartner
Döbeln gezeigt.
Vorberichte:
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