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"Madama Butterfly" - Tragik ohne Kitsch

Es ist die Geschichte einer einseitigen Liebe, die tragisch endet. Als Butterfly erkennen muss, dass es ihr Ehemann nie ernst mit ihr meinte, begeht sie Selbstmord. In Würzburg feierte Puccinis Oper nun in einer bildstarken Inszenierung Premiere.
Von: Peter Jungblut / BR-Klassik, 29.09.2014

Was könnte romantischer sein, als nachts am Strand in einem alten Boot zu übernachten, den geliebten Partner neben und die Sterne über sich? Und was ist gleichzeitig trauriger als ein alter, löchriger Kahn, der allmählich im Sand versinkt - wehmütiges Symbol gescheiterter Hoffnungen und Sehnsüchte? Insofern hatte die Regisseurin Arila Siegert am Sonntagabend am Mainfrankentheater Würzburg eine sehr einleuchtende Bildidee bei ihrer Inszenierung der "Madama Butterfly".

Ausweglose Liebe

Ein unscheinbarer Kahn zog alle Blicke auf sich: In ihm küsst die titelgebende Madama Butterfly erstmals ihren Geliebten, in ihm wartet sie vergeblich auf seine Rückkehr, und in diesem Boot hausen all die düsteren Figuren, vor denen sie sich fürchtet. Drumherum baute Ausstatter Hans Dieter Schaal einen kühlen japanischen Pavillon mit verschiebbaren Papierwänden. Nach der Pause reckte sich ein Wald aus weißen Stangen in die Höhe, der die Ausweglosigkeit dieser Liebe versinnbildlichte. In dieser eher sterilen, stark reduzierten Umgebung wirkten die traditionellen japanischen Kimonos und Seidengewänder samt roter Laternen und Sonnenschirmen eher surreal als exotisch, eher befremdlich als folkloristisch.

In Puccinis "Butterfly" geht es schließlich nicht um süßlichen Asienkitsch, sondern um ein multikulturelles Missverständnis. Der schneidige amerikanische Offizier Pinkerton kommt weder auf die Idee, dass der Kauf einer Frau in Japan irgendwie unmoralisch sein könnte, noch kann er sich vorstellen, dass diese Butterfly, der minderjährige "Schmetterling" ihn wirklich liebt. Sie wissen in Wahrheit nichts übereinander, das galt vor 150 Jahren im Kolonial-Zeitalter, und wer würde behaupten, dass es heute zwischen fernen Kulturen grundlegend anders wäre?

Inszenierung ohne Rührseligkeit

Regisseurin Arila Siegert kommt ursprünglich vom Tanz, ist auch Choreographin, und das ist dieser so aufwühlenden wie bildstarken Inszenierung deutlich anzumerken. Punktgenau werden die Personen geführt, auch der Chor. Alle sonst oft weichgespülten und arg überzuckerten Konflikte in dieser Oper werden sofort und drastisch augenfällig: Etwa, wenn sich Butterfly vom Glauben ihrer Ahnen lossagt, ihrem Mann zuliebe. Es stimmt schon, wer Puccini-Opern mag, macht sich leicht verdächtig.

Und wer dann auch noch die "Butterfly" gut findet, gilt unter seriösen Musikliebhabern schnell als hoffnungsloser Fall, der in die Kitschfalle getappt ist. Doch am Mainfrankentheater in Würzburg war am Sonntagabend zu erleben, dass dieses Werk ganz ohne Rührseligkeit auskommt und dann plötzlich tief tragisch ist. Übrigens wurde die Urfassung gegeben, die in den USA lange als antiamerikanisch galt, tatsächlich aber nur in aller Deutlichkeit vorführt, wie sich Eroberer verhalten.

Glaubwürdige Butterfly

Zum Erfolg der Produktion trug auch der italienische Generalmusikdirektor Enrico Calesso bei, dem die Freude und die Begeisterung für Puccini jederzeit anzumerken war. Fast ausgelassen ließ er seinen Gefühlen freien Lauf.

Überzeugend war Karen Leiber in der Titelrolle vor allem deshalb, weil sie den Wandel vom naiven japanischen Mädchen zur hoffnungsfrohen und dann verzweifelten Ehefrau stimmlich und schauspielerisch gleichermaßen glaubwürdig verkörperte. Der portugiesische Tenor Bruno Ribeiro brachte wirklich alles mit für die Rolle des Leutnants Pinkerton: Unbekümmerte Manieren, blendendes Aussehen und eine helle, strahlende Stimme. Tränen sind in Puccinis "Butterfly" natürlich erlaubt, auch sentimentale Anwandlungen, doch in Würzburg kam viel mehr dazu: Die Trauer um eine Frau, die konsequent ihrem Stern folgt und dabei bitter enttäuscht wird. Die Sterne lügen bekanntlich nie, aber helfen können sie leider auch nicht – nur leuchten.


'Madama Butterfly' in Würzburg

Das war Spitze!

Midou Grossmann, auf Klassik.com, 29.09.2014

'Madama Butterfly' wurde von Giacomo Puccini als seine empfindungsreichste Oper, die er je geschrieben habe, bezeichnet. Er sollte Recht behalten, wenngleich die Uraufführung im Jahr 1904 in der Mailänder Scala ein Fiasko war...

Eine Mischfassung, die funktioniert

Das Mainfrankentheater Würzburg setzte mit seinem italienischen GMD Enrico Calesso auf Puccinis 'Madama Butterfly' als Saisonauftakt, und was dort zu erleben war, straft alle Vorurteile Lügen. Ja, die Oper ist in der Tat Puccinis empfindsamstes Werk, doch sollte man vielmehr sagen: Es ist auch seine farbenreichste Partitur, wenn ein Puccini-Kenner wie Calesso am Pult steht. Von 'Tosca‘ kennt man die strengen dynamischen Artikulationsanweisungen, die akribischen Bindebögen und die Phrasierungsvorschriften, doch 'Madama Butterfly', zumeist nur als sentimentale Liebesgeschichte interpretiert, überraschte an diesem Abend mit einer gänzlich unbekannten Klangsprache, die unter die Haut geht. An diesem Abend waren sie zu hören, die spannungsreichen Nuancierungen mit einer großartigen Bogenarchitektur, und das zudem noch hochvirtuos musiziert. Drama pur aus dem Orchestergraben, das gleichzeitig auf der Bühne sein Echo fand.

Musiziert wurde eine Fassung, die auf der Uraufführung von 1904 basiert: die gesamte Szene der Verwandten im ersten Akt sowie das Trinklied des Onkels Yakusidé. Alle originalen Übergänge kamen zu Gehör, ebenso die Ansage über die katholische Mission von Butterfly, die Arie 'Che tua madre' im zweiten Akt, das Blumenduett Butterfly und Suzuki sowie eine größere Szene der Kate Pinkerton; auch das Finale basiert auf der Fassung von 1904.

Drama pur

Arila Siegert hat mit einer stringenten Personenregie den tragischen Kern dieser bittersüßen Liebesgeschichte konsequent herausgearbeitet. So ist eine feine, psychologisch sehr berührende Handlung entstanden, die außerhalb von Zeit und Raum angesiedelt ist...

Exzellente Sänger verliehen dieser Opernpremiere das Flair eines ganz großen Opernabends...

Standing Ovation mit langem Applaus belohnen das Team dieser Premiere für einen bemerkenswerten Opernabend, der an deutschen Bühnen so nicht wirklich Alltag ist.


 

Stimmig und emotional mitreißend

Puccinis Oper „Madama Butterfly“ feierte am Mainfranken Theater Würzburg zum Auftakt der Musiktheater-Spielzeit Premiere

Fränkische Nachrichten, 30.09.2014

Puccinis Oper "Madama Butterfly" feierte am Mainfranken Theater Würzburg zum Auftakt der Musiktheater-Spielzeit in einer stimmigen, emotional mitreißenden Inszenierung Premiere...

Bühnenbildner Hans Dieter Schaal hat ein lichtdurchflutetes, klar strukturiertes japanisches Teehaus mit zwei Schiebewänden, die mit durchschimmerndem Reispapier bespannt sind, niedrigen Sitzgruppen und einem Hausaltar nebst kleiner Buddhafigur bauen lassen. Im Hintergrund dient ein Holzkahn in leuchtendem Blau dem Paar als Liebesnest. Doch im zweiten und dritten Akt scheint für die alleingelassene Cio-Cio-San ihre kleine Welt aus den Fugen geraten zu sein...

Wie Dramaturg Christoph Blitt in seinem spannend zu lesenden Programmheft anschaulich schildert, hat die Würzburger Inszenierung die Chance genutzt, aus verschiedenen, inzwischen allesamt gedruckt vorliegenden Varianten des Werkes eine eigene Version zu entwickeln. Puccini selbst arbeitet seine Partitur mehrfach um, nachdem die Uraufführung am 17. Februar 1904 in der Mailänder Scala zu einem großen Fiasko wurde. In ihrer Würzburger Inszenierung orientiert sich Regisseurin Arila Siegert wieder stärker an die Urfassung und kann so viel stärker den Zusammenprall zweier so unterschiedlicher Kulturen thematisieren. Trotz aller Regieeinfälle und bildstarker Choreographien bleibt der zweite Akt nicht ohne Längen. Dennoch vermag Puccinis tiefgründiges und originelles Porträt einer Frau, die zwischen zwei unvereinbaren kulturellen Welten untergeht, dank des psychologischen und poetischen Potenzials nachhaltig zu beeindrucken.


Japanisch-italienischer Liebestod

Ganz ohne Kitsch:
Puccinis „Madama Butterfly“ in Würzburg

Monika Beer, in: Bayernkurier, 4.Okt. 2014

Es passiert täglich und überall, dass Frauen, die sich auf Besatzungssoldaten eingelassen haben, sitzen gelassen werden. Den authentischen Fall einer blutjungen Geisha des 19. Jahrhunderts hat Giacomo Puccini in seiner „Madama Butterfly“ vertont. Dass die Oper auch 110 Jahre nach der Uraufführung brandaktuell und exemplarisch sein kann, zeigt die Neuinszenierung am Mainfrankentheater: Das tragische Scheitern wird als Folge der Nichtachtung der fremden Kultur, des fremden Wertesystems dargestellt.

Die Choreographin und Regisseurin Arila Siegert ist nicht die erste, die in Puccinis japanischer Tragödie den „Clash of Cultures“ aufgespürt hat. Aber ihr und den Ausstattern ist überzeugend gelungen, alles Japanische ohne die sonst gern bemühte Bühnenexotik und -folklore aufzubereiten. Klar, es gibt Schiebewände und Schirme, Kimonos und Kirschblüten. Aber sie sind selbstverständliche Bestandteile einer intakten fremden Welt, die der ignorante US-Marineleutnant Pinkerton erst wahrzunehmen beginnt, als alles zu spät ist.

...Die stilisierten Bewegungsmuster der Figuren sorgen für Klarheit und emotionale Aufrichtigkeit: Im zweiten Teil des Abends vermeint man plötzlich zu sehen und zu hören, dass die „Butterfly“ so etwas ist wie Puccinis „Tristan“.

Das Publikum reagierte begeistert, mit Bravorrufen vor allem für die Titelprotagonistin. Karen Leiber, die in der letzten Saison schon beeindruckte, ist zweifellos am Zenit ihres Könnens. Und ein spontaner Szenenbeifall im richtigen Moment befeuerte die Sopranistin zu einer Sternstunde. Gasttenor Bruno Ribeiro als kraftvoller Pinkerton, Daniel Fiolka als mitfühlender Sharpless, Joshua Whitener als quirlig-gieriger Goro sowie die weiteren Solisten, Choristen und Instrumentalisten unter Generalmusikdirektor Enrico Calesso, ihnen allen gelang bei der Premiere am Sonntag genau das, was sich jeder Opernfreund wünscht: ein aufwühlender Abend.


Premierenpublikum bejubelt "Madama Butterfly"

Ralph Heringlehner, in: Main Post Würzburg, 30.09.2014

Wer aus „Madama Butterfly “ mehr machen möchte als eine tragische Liebesgeschichte, muss drastisch vorgehen: Das Sentimentale ist doch sehr dominant. Regisseurin Arila Siegert geht nicht drastisch vor. Und so bleibt die Inszenierung von Giacomo Puccinis Oper am Würzburger Mainfranken Theater im Rahmen – sehr zur Freude des Premierenpublikums im nahezu ausverkauften Großen Haus. Es jubelte, rief Bravo, applaudierte, in den Sitzreihen stehend, zehn Minuten lang.

...Weil er sehr differenziert arbeitet, Kontraste betont und die richtigen Akzente setzt, dämpft Dirigent Enrico Calesso die bisweilen überbordende Süßlichkeit von Puccinis Partitur. Süffig und im besten Sinne schön klingt das noch immer. Doch dem Generalmusikdirektor und den reaktionsschnellen und feinfühligen Würzburger Philharmonikern gelingt es, aussagekräftig das Geschehen zu untermalen, bisweilen sogar mit Biss zu kommentieren.


Rezension: "Madama Butterfly" im Mainfranken Theater

Stefanie Ebert und Carina Peter, in "max und julius",
Unabh. Studentdenzeitschrift der Uni Würzburg, 07.10.2014

Einen sehr bewegenden Abend bescherte uns am Sonntag mal wieder das Mainfrankentheater Würzburg. Mit Giacomo Puccinis Oper „Madama Butterfly“ gelang dem Ensemble eine Inszenierung der ganz besonderen Art: Die Darstellung des Aufeinandertreffens zweier grundverschiedener Kulturen mit großen Emotionen und dennoch starker, politischer Wirklichkeitsnähe.

...Nachdenklich und zufrieden sind wir an diesem Abend nach Hause gegangen und freuen uns auf weitere Vorstellungen in der vor uns liegenden Spielzeit unter dem Motto „Krieg und Frieden“.


Besinnung auf die Urfassung: MADAMA BUTTERFLY

Eindringliche Sozialstudie

Ludwig Steinbach, 29. 9. 2014, in: Der Opernfreund

...Um es vorwegzunehmen: Es war in jeder Beziehung eine vollauf gelungene Premiere, die wieder einmal beredtes Zeugnis von dem hohem Niveau des Theaters Würzburg ablegte.

Die Urfassung ist hinsichtlich der Charakterisierung der Handlungsträger erheblich ergiebiger als die späteren Bearbeitungen. Dies hat Arila Siegert dazu veranlasst, diese als Grundlage für ihre Würzburger Inszenierung zu wählen. Ihre diesbezügliche Entscheidung ist sehr zu begrüßen. Hatte man bei Produktionen anderer Opernhäuser durchaus schon einige Ausschnitte aus der ursprünglichen Form des Stückes gehört, war man an diesem Abend doch sehr überrascht, wie anders doch insbesondere der erste Akt in der in Würzburg gespielten Fassung von 1904 - seine Arie im dritten Akt hat die Regisseurin Pinkerton indes gelassen - anmutete. Staunen konnte man in erster Linie über die ungeheure Aufwertung, die die Figur des Onkels Yakusidè, sonst eine absolute und oft sogar ganz gestrichene Wurzenrolle, erfuhr. Und auch die Äußerung Butterflys, dass sie sich durchaus nicht sofort mit der ihr von Goro angetragenen Heirat mit Pinkerton einverstanden erklärt, sondern sich erst bei der ersten Begegnung mit dem von ihr sofort geliebten Marine-Leutnant dazu bereit gefunden habe, überrascht. Die Titelfigur erscheint sehr viel differenzierter, als es sonst der Fall ist. Das gilt auch für die Figur der Kate, die in dieser Version erheblich mehr zu singen hat. Es sind schon einige Aspekte, die in einem ganz anderen Licht als gewöhnlich erschienen, was die Sache dann auch ungemein interessant machte.

Diese neuen Elemente werden von Frau Siegert gekonnt herausgearbeitet. Eine eindringliche Beleuchtung erfährt bei ihr an erster Stelle die Familie Cio-Cio-Sans, die unter den geänderten Voraussetzungen eine völlig neue Funktion erhält. Während andere Regieteams die Verwandten-Szene im ersten Akt oftmals dazu nutzen, allerlei überflüssige exotische Zutaten ins Spiel zu bringen, und dabei manchmal ins Kitschige abgleiten, bekommt dieses Bild in der Würzburger Produktion die Funktion, das soziale Umfeld zu beleuchten, in dem sich die Protagonistin bewegt. In ihrem von Götz Lanzelot Fischer entworfenen langen weißen Kleid hebt sie sich deutlich von ihren bewusst dunkler, streng und etwas skurril gekleideten Verwandten ab. Sie ist bereits jetzt eine Außenseiterin, die durch ihr Bekenntnis zum Christentum nicht mehr in der Tradition ihrer Heimat steht. Anpassung spielt noch in einer weiteren universellen Hinsicht eine Rolle. Von der politischen Warte aus präsentiert die Regisseurin verschiedene Möglichkeiten der Japaner, mit der Öffnung ihres Landes nach Westen umzugehen. Dieses Thema handelt sie gekonnt an den beiden Onkels Cio-Cio-Sans ab. Yakusidé hat sich unter dem Einfluss des von ihm nicht tolerierten amerikanischen Wertesystems in den Alkohol geflüchtet und darob die Züge einer regelrechten Witzfigur angenommen. Bonze dagegen ist zu einem ausgemachten Fanatiker geworden, der keine andere Ansicht als die seine zulässt und während des ganzen Stücks immer wieder als Vorbote des Todes seiner ausgestoßenen Nichte durch das Geschehen geistert.

In dem Maße, wie die Figur des Priesters ins Surreale abgleitet, wandelt sich auch der von Hans Dieter Schaal kreierte Bühnenraum, der im ersten Akt trotz einer gewissen Nüchternheit noch relativ traditionell erscheint. Ab dem zweiten Akt verliert er zunehmend seine Konturen und erfährt eine Stilisierung. Realismus weicht Abstraktheit. Das entspricht ganz Butterflys Seelenleben, die sich schließlich resigniert eingestehen muss, dass die ganze Episode mit dem amerikanischen Geliebten nichts weiter als ein schöner Traum war. Pinkerton erfährt insgesamt nicht gerade eine positive Zeichnung, obwohl Frau Siegert ihm auch einige positive Seiten zubilligt. Er zeigt sich zu Beginn als großer Zyniker, der seine eigene Mentalität und die seiner amerikanischen Heimat über alles stellt und nicht bereit ist, andere Kulturen zu akzeptieren. Sein gefahrvolles Leben auf einem Kriegesschiff versucht er bei Landgängen durch immer neue sexuelle Abenteuer zu kompensieren. Mit welcher Frau er dies tut, ist ihm letztlich gleichgültig. Die Protagonistin ist zuerst nur eine unter vielen. Zudem frönt er voll und ganz dem schnöden Mammon und denkt, mit Geld lasse sich alles regeln. Das wird insbesondere im dritten Akt deutlich, wenn er Sharpless einige Geldscheine für Butterfly in die Hand drückt, die Begegnung mit ihr aber meidet. Indes kann er auch zärtlich und sensibel sein und seiner Geisha-Frau Aufmerksamkeit schenken. Es sind schon sehr deutliche gesellschafskritische Elemente, die die Regisseurin in der Person des ausgemachten Herrenmenschen Pinkerton ins Feld führt. Bei ihr verkommt Puccinis Oper nicht zum sentimentalen Rührstück, sondern zu einem Plädoyer für Toleranz zwischen allen Kulturen. Nicht den anderen lediglich benutzen und anschließend wegwerfen, lautet ihre Devise, sondern ihn und seine Gefühle zu achten. In dieser Beziehung kommt Frau Siegerts Regiearbeit zeitlose Gültigkeit zu. Hier haben wir es demgemäß mit einer handwerklich trefflich umgesetzten Sozialstudie zu tun, die eine logische, flüssige Personenführung aufwies und die ihre Wirkung nicht verfehlte.

Ein Ereignis war wieder einmal GMD Enrico Calesso am Pult, der sich längst für die größten Häuser qualifiziert hat. Er und das brillant aufspielende Philharmonische Orchester Würzburg hatten Puccinis herrliche Musik total verinnerlicht und mit prachtvoller Italianita sowie hoher Emotionalität umgesetzt, ohne dabei jemals ins Kitschige abzugleiten. Diesem von Dirigent und Musikern erzeugten differenzierten, farben- und nuancenreichen Klangzauber, der sich zudem durch große Spannung und weit gesponnene Bögen auszeichnete, konnte man sich wahrlich nicht entziehen. Wie gebannt lauschte man auf das, was da so phänomenal aus dem Graben erklang.

Durchweg phantastisch waren auch die Sänger. Einmal mehr war zu konstatieren, über was für ein hervorragendes Ensemble das Mainfrankentheater doch verfügt, das sich hinter dem größerer Häuser in keinster Weise verstecken muss. Zuvorderst vermochte Karen Leiber in der Titelpartie nachhaltig für sich einzunehmen. Ihre Butterfly zeichnete sich durch enorme darstellerische Kraft, zahlreiche gestalterische Nuancen und einen in allen Lagen bestens fokussierten, intensiven und zur Höhe hin expansionsfähigen jugendlich-dramatischen Sopran aus. Das „Un bel di“ war der Höhepunkt des Abends! Neben ihr überzeugte Bruno Ribeiro schauspielerisch sowohl in den unsympathischen als auch in den liebevollen Momenten des Pinkerton, dem er mit seinem bis zu den fulminanten Höhen sicher und markant geführten Tenor auch vokal bestens entsprach. Einen schön timbrierten, weichen und eine hervorragende italienische Schulung aufweisenden lyrischen Bariton brachte Daniel Fiolka für den Sharpless mit. Eine rührend um ihre Herrin besorgte Suzuki war die mit vollem, rundem Mezzosopran singende Sonja Koppelhuber. Und dass ein Tenor den hier als Karikatur vorgeführten Goro so gut im Körper singt wie Joshua Whitener hat man sonst nur im nahen Coburg erlebt. Sogar an großen Häusern hört man in dieser Charakterpartie fast durchweg nur dünne, flache Stimmen. Ein solide Kate Pinkerton war Barbara Schöller. Mit mächtig sonorem Bassmaterial trumpfte der Onkel Bonze von Heyong-Joon Ha auf. Von Spiel her ziemlich aufgedreht und sehr clownesk und gesanglich ordentlich gab Taiyu Uchiyama den noch recht jugendlich wirkenden Onkel Yakusidé. Deuk-Young Lees Fürst Yamadori wies ordentliches Tenormaterial auf, war aber leider nicht gut zu hören. Diese Rolle ist von ihrer tiefen Tessitura her bei einem Bariton besser aufgehoben. Als Standesbeamte bewährte sich Ivan Dantschev. Den kaiserlichen Kommissär gab Chul Hawn Yun. Als nachvollziehbar von Frau Siegert Dolore - das bedeutet Schmerz - genannter Sohn Cio-Cio-Sans und Pinkertons gefiel Mila Michel. Gundula-Horn-Bayn (Mutter), Hiroe Ito (Tante), Ikuko Miyamoto (Cousine) und Bastian Bank (Neffe) rundeten das hochkarätige Ensemble ab. Ebenfalls ansprechend war der von Michael Clark einstudierte Chor.

Fazit: Eine in jeder Hinsicht gelungene Aufführung, deren Besuch dringend empfohlen wird!


Eindrucksvolles Theatererlebnis

Würzburg, 28. September: Madama Butterfly

G.Schunk, in: Opernglas 11/2014

Als am Premierenabend von „Madama Butterfly“ der Vorhang fiel, brandete frenetischer Beifall auf. Wie heute meist in aller Welt wurde Puccinis Bühnenwerk begeistert bejubelt. Ganz anders war es dagegen am Tag der Uraufführung am 17. Februar 1904 in der Mailänder Scala gewesen...

Für die Aufführung am Mainfranken Theater war eine eigene Version aus den verschiedenen Fassungen entwickelt worden, wie Dramaturg Christoph Blitt im Programmheft erläutert: „…dass gerade die Urfassung von »Madama Butterfly« mit nachgerade sezierender Schärfe den Zusammenstoß zweier extrem unterschiedlicher Kulturen thematisiert. Und so wurden in die Würzburger Inszenierung genau jene Szenen aus den früheren Versionen des Werks aufgenommen, die die angesprochene politische Komponente dieses Stoffes unterstreichen.“

Die sensible Cio-Cio-San zerbricht an der überheblichen Art des amerikanischen Marineleutnants Benjamin Franklin Pinkerton. Karen Leiber verstand durch anrührendes Spiel und mit ausdrucksstarker Stimme zu überzeugen. In ihrer Arie „Un bel dì“ und dem tief berührenden Abschied von ihrem Sohn wie auch in den Duetten mit Pinkerton, Konsul Sharpless und Suzuki war jeder Ton perfekt ausgearbeitet.

...Zum eindrucksvollen Theatererlebnis trugen vor allem das stets sauber intonierende Philharmonische Orchester Würzburg unter der mitreißenden Leitung von Enrico Calesso bei. Der Dirigent verstand es, ergreifend Gefühle zu erwecken, ohne ins kitschig Schwülstige abzugleiten. Die dezente Regie von Arila Siegert wirkte ungezwungen natürlich, durch intensive Lichteffekte unterstrichen. Ein folkloristisches asiatische Flair wurde ebenso durch die in traditionelle Kimonos gekleideten Choristinnen, welche fröhliche rote Schirme schwenkten, suggeriert, wie auch durch ein typisch japanisches Häuschen mit den charakteristischen Schiebewänden. Den Mittelpunkt der Szene bildete ein offenes Boot als Symbol, damit der Enge Japans in die Freiheit nach Amerika entfliehen zu können.


Ernsthaft, kompromisslos, bezwingend

Madama Butterfly in Würzburg am 17.12.2014 (Repertoire-Vorstellung)

Werner Häußner, in Merker

 Dreiunddreißig Jahre war „Madama Butterfly“ am Mainfrankentheater Würzburg nicht zu sehen. Damals, 1980/81, hatte Regisseur Wolfram Dehmel die süßliche Tradition, das „kleine Fräulein Schmetterling“ als sentimentale Liebesschmonzette zu inszenieren, gründlich infrage gestellt und Puccinis Oper auf ihren Kern zurückgeführt...

Jetzt hat es Arila Siegert in Würzburg geschafft, der wegweisenden Regiearbeit von damals eine ebenso ernsthafte und kompromisslose, dabei sorgfältig am Text der Oper orientierte Deutung an die Seite zu stellen. Und wieder trägt mit Karen Leiber eine Darstellerin von Rang das Konzept entscheidend mit. Doch die neue Würzburger „Butterfly“ ist auch ein starkes Plädoyer für ein funktionierendes Ensembletheater: eine bedrohte Gattung...

Arila Siegert lässt uns die handelnden Personen auch durch die Augen Cio-Cio-Sans sehen, jener fünfzehnjährigen „Butterfly“, die pubertär radikal Pinkerton als die ganz große Alternative zu ihrem bisherigen Dasein verklärt. Für ihn setzt sie auf extremes Risiko: Sie schließt sich sogar seiner christlichen Religion an. Der Verachtung ihrer bisherigen Welt und ihrer Verwandten, die Pinkerton deutlich ausdrückt, setzt sie nichts entgegen – stellt sie sich doch innerlich im Grunde auf seine Seite. Siegert demonstriert das in der Führung der Personen. Und lässt folgerichtig die Japaner von Kostümbildner Götz Lanzelot Fischer in grelle Folklore kleiden, lässt sie nach schönster Klischeeart hereintrippeln, sich auf die Knie senken, sich püppchenhaft bewegen: eine Kultur aus der Sicht des Fremden und – im Falle Cio-Cio Sans – der fremd Gewordenen. Am Ende, nach der furchtbaren Enttäuschung, ist das traditionelle weiße Brautgewand, das Butterfly anlegt, ein Zeichen des Todes und eines der Rückkehr zu ihrer traditionellen Kultur.

In diesem Moment spielt eine andere szenische Chiffre eine bedeutende Rolle. Im Liebesduett am Ende des ersten Aktes entgrenzt sich die „japanische“ Welt: Die Wände heben sich und lassen ein Boot, getaucht in blaues Licht, erscheinen; eine Barke der Liebe, ein Zufluchtsort, enthoben der Realität. Das Boot markiert den innersten seelischen Bezirk, in dem Butterfly ganz ihr eigen ist. Suzuki und Cio-Cio-San schmücken es mit Blütenzweigen, als sie den zurückkehrenden Pinkerton erwarten. Aber zwischen den Planken nistet sich auch der Tod ein: Siegert lässt in dem Moment, in dem Sharpless erstmals andeutet, das es keine Rückkehr Pinkertons geben könnte, eine schwarze Gestalt im Hintergrund auftauchen, abgeleitet von dem düsteren Unheilspropheten des ersten Akts, dem Onkel Bonzo (Heyong-Joon Ha). Er wird der dunkle Begleiter Butterflys, zu ihm zieht sie sich zum Sterben in den Schatten des Bootskörpers zurück. Kein Harakiri also, sondern ein Verlöschen ihrer Existenz, für das Siegert ein bezwingendes Bild gefunden hat.

Karen Leiber kehrt in ihrer wunderbaren Verkörperung des japanischen Mädchens das Hoheitsvolle hervor, jenen jugendlichen Ernst, der sich zum Äußersten entschlossen an ein Ideal ausliefert. So zeigt sie, dass Butterflys tragischer Irrtum nicht aus den Grenzen kindliche Wahrnehmung entspringt, sondern aus der gesteigerten seelischen Sensibilität einer heranwachsenden, sich selbst überaus bewussten jungen Frau...

Mit dem Philharmonischen Orchester erstritt sich GMD Enrico Calesso einen weiteren Triumph in seiner Laufbahn am Mainfrankentheater. Auch er nimmt Abschied von den bittersüßen, melodisch überzuckerten Interpretationen vergangener Kapellmeister-Generationen. Sein entschlacktes Dirigat lässt hören, wie viel Hartes in Puccinis Partitur notiert ist, wie unversöhnlich sich Klänge reiben können...

Vor allem in den in Würzburg geöffneten Strichen, die auf die Mailänder Urfassung zurückgehen, wird das deutlich: Viel aufschlussreicher wirkt der familiäre Hintergrund der Japanerin; viel drastischer zeigen sich Arroganz und Ignoranz des Amerikaners.... Letztlich überzeugen Orchester und Dirigent durch den Ernst und das Engagement, mit dem sie sich Puccini widmen.

Der enthusiastische Beifall im – wie stets – gut gefüllten Haus beweist, dass die ausgezeichnete Ensemble-Leistung und die durchdachte Regie beim Publikum auf viel Gegenliebe stoßen.


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