...in Heidelberg gelingt Arila Siegert, die vom Tanz kommt, doch das Wichtigste: Sie bewegt Sänger, Objekte - und das Gemüt. Mit einem ästhetisch stark reduzierten Streifzug. Zeitlich zu verorten wäre der am ehesten im Heute, doch optische Reminiszenzen an Antike und Rokoko werden wie Blitzlichter eingestreut (Bühne Hans Dieter Schaal, Kostüme: Marie-Luise Strandt). Das ist ganz gewieft. Siegerts Absicht, das Drama aus der Musik zu entwickeln und deswegen auch den Orchestergraben mit einzubeziehen, ist interessant...
Für ein Happy End des Klangs sorgen in Heidelberg hingegen die Angestellten des Hauses. Mehr als durch Cornelius Meister an diesem Abend, ist aus dem Heidelberger Chor und Orchester kaum herauszuholen. So dezent, so zielgerichtet und sensibel würde man sich manches Mozartdirigat wünschen, und Meister beweist: Der Musizierstil ist nur das Schiff, mit dem man schippert. Entscheidend indes ist der Hafen, in den man will...
...Die Inszenierung ist sehenswert, denn sie zeigt in immer wieder berückenden Bildern ein Stück, das bis heute leider nicht zu den Publikumslieblingen zählt, obwohl es wie kein anderes aus Mozarts Feder das Seelenleben des Komponisten selbst offenbart. Kein anderes ist so sehr autobiographisch motiviert: Das Gefühl der Selbstverantwortung für den Tod der Mutter im fernen Paris und die dadurch sich noch verschärfende, lebenslange Auseinandersetzung mit dem Vater haben sich deutlich in die Partitur hineingeschrieben. Da das Stück selbst als Folge seiner Entstehung und vielfacher Umarbeitungen eher disparate Züge trägt, erstellte der Opernleiter des Heidelberger Theaters, Bernd Feuchtner, eigens eine leicht gekürzte, dramaturgisch stringente Fassung. Sie nimmt dem Werk kaum etwas, verschärft aber die in ihm thematisierten Seelenkonflikte...
Die musikalische Leitung lag in Händen von GMD Cornelius Meister, der das Orchester so reduzierte, dass es auf die Hebebühne des Orchestergrabens passt. Der Klang gewann dadurch vor allem in der oberen Position an Transparenz, schien aber im Bassfundament erheblich zu verlieren...
Ballettchoreografen werden für Operninszenierungen gerne verpflichtet. Um einer großen Opera seria wie Mozarts „Idomeneo“ aus szenischer Steifheit zu verhelfen, war es denn auch gut, dass man für die Inszenierung am Stadttheater Heidelberg die Choreografin Arila Siegert beauftragt hat. Getanzt wird zwar nicht, aber es kommt viel Bewegung in die Aufführung. Von starken inneren Gefühlen, aber auch von Göttern und Furien getrieben werden die Protagonisten, und solch Getriebenwerden ist hier sehr bewegt dargestellt. Starke Gefühle hat die gefangene Prinzessin Ilia zum feindlichen Herrschersohn Idamante von Anfang an – und weil diese Gefühle so schön musikalisiert sind, darf Ilia zu ihrer Auftrittsarie durch den hochgefahrenen Orchestergraben wandern und sich in der Verzweiflung einen Violinbogen an die Kehle setzen.
Eine Art Schiffsdeck hat Bühnenbildner Hans Dieter Schaal als Einheitsbühne eingerichtet, mit etlichen nach oben gespannten Seilen... Sehr viel Drive und Dynamik bringt Generalmusikdirektor Cornelius Meister mit den Heidelberger Philharmonikern in die Aufführung. Sängerisch herausragend ist die Ilia der mit schmiegsam leuchtender Farbe singenden Silke Schwarz sowie die mit virtuoser Bravour gestaltende Mezzosopranistin Jana Kurucová als Idamante.
...Regisseurin Arila Siegert hat diese Musik zum Ausgang ihrer Regie gemacht. Also sind die Charaktere zur Einsicht fähig, denken über ihr Handeln nach und vermeiden so die archaisch-biblische Katastrophe des Sohnesmordes. Wenn im Libretto die Problemlösung von außen durch einen Deus ex machina kommt, lässt die Regisseurin Idomeneo die Übergabe der Königswürde an den Sohn Idamantes und damit das Ende des Zorns der Götter selbst ankündigen. Diese Szene gehört zu den vielen starken Eindrücken...
Um einer großen Opera seria wie Mozarts „Idomeneo“ aus szenischer Steifheit zu verhelfen, war es gut, dass man für deren Neuinszenierung am Theater der Stadt Heidelberg die Choreographin Arila Siegert beauftragt hat. Getanzt wird zwar nicht, aber es kam viel Bewegung in die Aufführung. Von starken inneren Gefühlen, aber auch von Göttern und Furien getrieben werden die Protagonisten, und solch Getriebenwerden ist hier sehr bewegt dargestellt...
Eine Art Schiffsdeck hat Bühnenbildner Hans Dieter Schaal als Einheitsbühne eingerichtet, mit etlichen nach oben gespannten Seilen. Auf einer schwingenden Schiffsschaukel geht es gleichfalls durchs Meer, wozu der Chor mit bewegtem Armeschwingen das Toben der stürmenden See imaginiert... Mit ironischen Aperçus weiß die Regisseurin geschmackvoll umzugehen. Am Ende gab es begeisterten Beifall für alle Beteiligten.
Mozarts „Idomeneo" hat Konjunktur: Innerhalb von noch nicht einmal einer Woche zeigten die Theater in Heidelberg und Stuttgart neue Deutungen der Oper. Trotz ganz unterschiedlicher Voraussetzungen - hier das kleine Stadttheater, dort die große Staatsoper - kommen beide Produktionen zu ähnlichen szenischen Ergebnissen und bewegen sich auf einem vergleichbaren musikalischen wie stimmlichen Niveau.
An das Happyend, jenes „lieto fine", glaubt doch kein Mensch mehr. Nach all dem, was die Figuren dieses Stückes vorher durchmachen mussten, nach diesen emotionalen Stahlbädern, die sie durchlaufen haben. Vielleicht liegt es ja daran, dass in Heidelberg wie Stuttgart Frauen inszenieren - hier Arila Siegert, dort Waltraud Lehner. Der weibliche Blick auf Männer, die sich sinnlosem Kriegsgemetzel hingeben, war schon immer ein besonders erhellender und entlarvender. Den Titelhelden zeigen beide Produktionen als herunter gekommenen, fast schon abgewrackten Kriegsveteranen, der sein ganz persönliches Vietnam-Trauma in der Schlacht um Troja mitbekommen hat...
Arila Siegert ... in Heidelberg zeigt uns eher einen musikdramatischen Entwicklungsroman, an dessen Ende ein geläuterter, gereinigter Idomeneo steht: Idomeneo (in seiner Darstellung des gebrochenen Helden überzeugend, aber stimmlich überfordert: Winfried Mikus) selbst singt den Part der göttlichen Stimme. Und tritt ab - das Alter weicht für die Jugend, und entsprechend unbeschwert geht es denn auch im Finale zu...
...In Heidelberg unterstreicht schon der Beginn der Inszenierung, wo die Präferenzen der Produktion liegen: mehr bei der musikalischen und stimmlichen als bei der szenischen Umsetzung. Silke Schwarz als Ilia singt ihren ersten Auftritt mit sinnlicher, warmer Stimme im Graben, den Dirigenten und mit ihm das ganze Publikum umgarnend... Gerade der Vergleich mit dem viel größeren Haus in Stuttgart jedoch macht deutlich, auf welch hohem Niveau sich der Mozartzyklus von Cornelius Meister bewegt.
Ein paar schöne Aktualisierungsvorlagen für eine zeitgemäße Regie gibt es in Mozarts „Idomeneo“ ja doch. Und dass sie einem in den Sinn kommen, zeigt zumindest, dass die Inszenierung der Choreografin Arila Siegert die Einbildungskraft beflügelt, anstatt sie mit einer eins-zu-eins-Transposition einzuengen. Zum Beispiel Idomeneos Umgang mit seinem Versprechen bzw. Ehrenwort, Neptun zum Dank für seine Rettung den ersten Menschen zu opfern, der ihm begegnet. Der ist bekanntlich sein Sohn Idamante, und in der Heidelberger Fassung singt Idomeneo selbst die Worte des begnadigenden Deus ex machina und setzt sich an die Stelle der Gottheit bzw. des Rechts. Und wir denken an Helmut Kohl, Uwe Barschel oder Andrea Ypsilanti, denn schließlich ist Idomeneo König, also Politiker...
...Vor allem: Heidelberg hat mit Cornelius Meister einen GMD, der selber erst 28 Jahre alt ist, aber längst schon auf dem Weg zu einer ganz großen Karriere. Die Heidelberger wissen: es ist ein Glücksfall, dass Meister bei ihnen einen Fünfjahres-Vertrag unterschrieben hat. Natürlich hat das Heidelberger Orchester technische Grenzen, aber Cornelius Meisters emotionsgesättigter Zugriff auf die „Idomeneo“-Ouvertüre kann sich nun wirklich hören lassen. Dieser „Idomeneo“ ist Teil eines Mozart-Zyklus, der in Heidelberg gerade erarbeitet wird. Und diesmal war für die Inszenierung eine Choreografin verpflichtet worden, Arila Siegert, der man ihre Herkunft aus der Sparte Ballett durchaus anmerkte, vor allem an der Art und Weise, wie sie den viel beschäftigten Chor führte.
Da gab es zum Beispiel eine Szene, in der die Choristen Matrosen-Uniformen vor sich her trugen und mit diesen leeren Uniformen ein ausgesprochen hübsches Ballett aufführten. Im Übrigen legte es Arila Siegert zu Recht darauf an, der Musik möglichst große Freiräume zu verschaffen...
...Am Theater Heidelberg lässt die Regisseurin Arila Siegert den von widersprüchlichen Emotionen zerrissenen Heimkehrer während seiner großen Arie zur Schnapsflasche greifen, um sich Mut anzutrinken...
...Was auf der von Hans Dieter Schaal gestalteten Bühne und im hochgefahrenen Orchestergraben geschieht, ist ebenso eindringlich wie vom Konzept her ungewöhnlich und bedarf für Opernbesucher, die mit tänzerischem Vokabular und Bewegungschor nicht viel anzufangen wissen, durchaus gewisser Gewöhnung: Die Protagonisten lassen in der von Bernd Feuchtner gestrafften und auf den Kern zielenden Fassung auf Schritt und Tritt, in Köperhaltung und Gestik die eigenwillige Handschrift der vom Ausdruckstanz herkommenden Regisseurin erkennen. Sie arbeitet mit diesen Elementen heraus, was die Menschen antreibt und bewegt... Das alles ist schlüssig und konsequent durchgeführt...
Ich würde sagen, er ist bewegt. Spezifische Kunstbewegungen wird es aber nicht geben.
Nein, aber die Arbeit am Körper ist ein wesentliches Element. Gerade im „Idomeneo”, bei dem Mozart ein immenses Spektrum an seelischen Zuständen komponiert hat. Das muss von den Sängern körperlich ausgedrückt werden.
Die Beziehung zwischen Gott und Mensch ist ein zentraler Aspekt der Oper. Wir haben den sehr eigenwillig umgesetzt. Idomeneo selbst wird das "La voce" singen, also die Stimme Neptuns, die ihm befiehlt, seinen Sohn nicht zu opfern und als Herrscher abzutreten. Wir behaupten, dass die Möglichkeit zur Veränderung im Menschen selbst liegt.
Das ist sie ganz und gar. Idomeneo macht eine Entwicklung durch. Die Liebe der Ilia, die sich selbst anstelle des Königssohnes zum Opfer bietet, bewirkt eine Veränderung in ihm und verhindert, dass er seinen Sohn tötet.
Im Chor wird der gesellschaftliche Bezug der Oper deutlich. Uns interessiert, wie die Menschen reagieren, wenn Machthaber wie Idomeneo Fehler machen.
Nein, der Fehler liegt in dem Umgang mit dem Versprechen: Idomeneo glaubt, um sein Gesicht als Herrscher zu wahren, dürfe er nicht mehr abweichen von dem, was er Neptun versprochen hat. Er geht aus Angst vor Ehrverlust über sein eigenes Vatergefühl hinweg. Das ist aktuell.
Die Ilia ist als Gegenstück zu Idomeneo angelegt. Sie ist eine Figur der Gewaltlosigkeit, die keine Macht am Kretischen Hof hat. Doch am Ende ermöglicht ihr selbstloses Verhalten den befreienden Wortbruch. Insofern ist der Gedanke der Gewaltlosigkeit als größte Kraft, der gerade bei den Tibetern wieder eine so große Rolle spielt, unglaublich heutig.
Es wird keine platte Aktualisierung geben. Es geht um das Drama, entwickelt aus der Musik. Die Erzählweise ist dabei sehr reduziert.
Nein, das ist in diesem kleinen Theater nicht möglich. Hans Dieter Schaal hat einen Raum geschaffen, der quasi in der Luft hängt. Eine Art Schiff, das den schwankenden Grund darstellt, auf dem wir uns bewegen und der sich ständig verändert. In der szenischen Entwicklung werden sich die Antike, wie auch die Mozart-Zeit und das Heute widerspiegeln und verdeutlichen, dass in jedem Jahrhundert die Menschen mit den gleichen Fragen konfrontiert waren, nur eben in anderem Gewand.