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Diana lebt hier nicht mehr

Arila Siegert inszeniert «Iphigenie auf Tauris» von Christoph Willibald Gluck am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Die Tänzerin, Choreografin und Regisseurin Arila Siegert erfindet in Glucks später Reformoper eine ganz eigene Ausdrucks- und Bildsprache, die dieses Opfer- und Flüchtlingsdrama zeitlos aktuell erscheinen lässt.

Kritik Iphigenie NZZLotte Thaler, in: Neue Zürcher Zeitung, 18.06.2015

...Die Regisseurin Arila Siegert verbindet in ihrer Inszenierung Archaik und Moderne mit ebenso behutsamer wie psychologisch fundierter Personenführung, wobei der Opernchor als Priesterinnen, Krieger und Eumeniden in seinen choreografierten Aktionen im Liegen, Stehen und Gehen besonders gefordert war. Arila Siegert hat sich ihre eigene, unverkennbare Theatersprache mit individuellen Chiffren für das Dargestellte erschaffen.

Diese erfrischende Unabhängigkeit von allen Theater-Moden lernte sie schon als Kind bei der Tänzerin Gret Palucca...

In Karlsruhe verzichtet Siegert auf alle naheliegende Blutrünstigkeit und verlegt den tragischen Ausdruck vor allem in die Protagonisten selbst und ihre unmittelbar sinnfällige Körpersprache: Wenn sich etwa Iphigenie in ihrem Traum an ihre Familie erinnert, geht sie in sich selbst versunken ein paar Schritte rückwärts, bis sie hart an eine Wand stösst und so wieder auf dem Boden der Realität landet...

Regine Herrmann (Hg.): Arila Siegert. Tänzerin Choreografin Regisseurin. Akademie der Künste, Berlin 2014. 240 S., Fr. 31.90.

Kritik Iphigenie" Bad.Neueste NachrichtenDas öffnet Herz und Augen

Alt und aktuell: Karlsruhe zeigt wunderschöne Reformoper von Gluck

Isabel Steppeler, in:
Badische Neueste Nachrichten, 15.06.2015

...Wie diese „Iphigenie auf Tauris" in der einfühlsamen Deutung von Arila Siegert und der knisternd feinfühligen musikalischen Leitung von Christoph Gedschold das Publikum rührt und zudem auch noch auf unaufdringliche Weise 19 Flüchtlinge und damit ein aktuell brisantes Thema im wahrsten Wortsinn an Bord nimmt: Kniefall. Der Jubel ist einhellig...
 
Arila Siegert, die schon mit „Romeo und Julia auf dem Dorfe" (2011/12) eine sehr bildhafte und überzeugende Inszenierung ans Staatstheater gebracht hatte, setzt auch diesmal wieder im ansprechenden Bühnenbild von Thilo Reuter auf wenige, ästhetisch schöne und wirkungsvolle Zeichen...
 
Eine besondere Rolle spielen in Siegerts Inszenierung 19 Flüchtlinge aus dem Karlsruher Umland, die dem Geschehen um Schiffbruch und der Sehnsucht nach Heimat als „Gestrandete" eine triftige Wirkung verleihen. Ihnen auf diesem Weg die Hand zu reichen, ist ein beachtliches politisches Ausrufezeichen... Und das ist absolut sehenswert.


Töten wie am Fließband

Arila Siegert inszeniert Gluck-Oper "Iphigenie en Tauride" als Flüchtlingsdrama in Karlsruhe mit streng-eleganten Aufmärschen

Nike Luber, in: Badisches Tagblatt 15.06.2015

...Man spürt in der Personenführung die Herkunft der Regisseurin aus dem Tanztheater. Iphigenie und ihre Priesterinnen werden von Arila Siegert in streng-eleganten Aufmärschen und klaren Linien arrangiert, was zu den Kulthandlungen in einem Tempel passt. Den Klagegestus von Text und Musik spiegelt Siegert in den erhobenen Händen der Chorsängerinnen und Statisten. Eindrucksvoll gelingt ihr die Szene, in der sich Orest von Rachegeistern verfolgt wähnt: in rötlich glühendem Licht greifen die Hände der Choristinnen nach ihm, gleich, wohin er sich wendet...


Christiane Peterlein

in SWR 2 Cluster, 15.06.2015, 15:05 h

Ist skeptisch gegenüber der Einbindung von Flüchtlingen als Gestrandete. Auf Die Frage des Moderators Moritz Chelius, ob die Aufführung denn gut angekommen sei, antwortet sie:

[Peterlein:] Absolut, und das zu Recht. Arila Siegert führt hier Regie, sie ist auch Choreografin. Sie setzt die Figuren, den Chor ganz großartig ein auf diesem eindrucksvollen Bühnenbild. Das sind wahnsinnig tolle Bilder. Die musikalische Leistung ist großartig.
Für mich war der der Schwerpunkt dieser Inszenierung diese Emanzipation der Menschen, deren Schicksal bis dahin noch von Göttern bestimmt ist. Sie emanzipieren sich hier. Und das ist zum Schluss so, dass Iphigenie die Arie auch der Göttin Diana singt und somit selber das glückliche Ende der Oper einleitet.

Das ist wirklich ganz ganz großartig visuell wie musikalisch geleistet. Und die Inszenierung ist so reich. Sie hätte es nicht gebraucht, diese emotionale durch die Partizipation der Flüchtlinge, die meines Erachtens nicht ganz durchdacht war.


Bühne als Neuland

Arila Siegert inszeniert „Iphigenie auf Tauris“ in Karlsruhe als Oper der Geflüchteten

kritik Iphigenie RheinpfalzRebekka Sambale, in: Rheinpfalz, 15. Juni 2015


...Sehr eindrücklich, poetisch gar, wirkt die Kombination aus Regie (Arila Siegert) und Bühnenbild (Thilo Reuther). Wie zu den ersten Klängen die Bühne in tiefes Blau taucht: Wasser, Meer, Angeschwemmte, Gestrandete, Suchende. Dann Menschen in wogender Bewegung hin und her schwappend, neue Ufer erreichend. Hier ist – im positiven Sinne – nicht zu übersehen, dass Siegert aus dem Tanztheater kommt. Auch sonst schafft das Bühnenbild eine bedrückende Atmosphäre...

 Das Premierenpublikum ist begeistert, möchte gar nicht mehr aufhören zu applaudieren. Besonders schön an diesem Abend aber: Neben den Neulingen auf der Bühne findet sich auch im Zuschauerraum der eine oder andere, der wohl zum ersten Mal eine Oper anschaut.



Iphigenie en tauriede in ONGAKUGENDAI

Im Rahmen einer Übersicht über Highlights in Deutschland berichtet Chihoko Nakatain in der japanischen Musikzeitschrift "Ongakugendai, Tokyo" ebenfalls über die Produktion. Die Rezensentin  beurteilt diese Aufführung als besonders eindrucksvoll im Bezug auf ihre aktuellen Aspekte und in der szenisch-choreographischen Gestaltung.




Strandgut und Hoffnung

Eckhard Britsch, in: Opernnetz.de [über die B-Premiere]

Wir reden so gerne von Strandgut, und unbedacht wird der Ausdruck auch auf Menschen angewandt. „Strandgut“: Menschen, die angespült werden, lebendig oder tot, die einer ungewissen Zukunft entgegenblicken und sich der Ungunst des Schicksals beugen müssen. Die Bilder sind aktuell und mächtig, bedrückend und beschämend.

Regisseurin Arila Siegert zeigt am Staatstheater Karlsruhe, dass die (Reform-)Oper Iphigenie auf Tauris von Christoph Willibald Gluck zwar einer uralten Mythologie entlehnt ist, dass jedoch deren Schemata von Bruder- oder Elternmord, von blutrünstigen Ritualen und seltsamen Verstrickungen ferne oder gar albern anmuten mögen, dennoch aktuelle Bezüge aufweisen. Frau Siegert holt aus dem nahen Flüchtlingsheim 19 Gestrandete auf die Bühne, die als Geworfene und Beteiligt-Unbeteiligte dem Geschehen um die meuchelnde Priesterin wider Willen, Iphigenie, die nachdenkliche Grundlage geben. Denn das Thema Nächstenliebe, in unserer materialistischen Welt ungeniert vernachlässigt, kristallisiert sich in dieser Opernsicht heraus...


Dramatischer Hochdruck

Karlsruher „Iphigenie“
als umbesetzte B-Première

rkr, in: BNN, 19.11.2015

...Helles Licht also und einige leichte Trübungen in einem Opernabend, dessen effektvolle Inszenierung (von Arila Siegert) namentlich in der Behandlung des Frauenchores und einer suggestiven Lichtregie ihre gewichtigen Pluspunkte hat...


aus dem GÄSTEBUCH-ARCHIV
des Staatstheaters Karlsruhe:

Wolfgang Weisbrod
schrieb am 15.07.2015:
Betreff: „Iphigénie en Tauride“

Was für ein beglückender Abend gestern Abend - es hat alles gestimmt, die zauberhafte Musik (Kompliment an den Dirigenten und den Chor!), die Solisten natürlich, allen voran Katharine Tier, Armin Kolarczyk und Steven Ebel, das archaisch einfache und großartige Bühnenbild, vor allem aber die ergreifende Inszenierung Arila Siegerts. Endlich einmal wieder eine Regie, die auf Mätzchen und Aktionismus und oft haarsträubenden Blödsinn (Hans Sachs als Mister-Minit-Schuster!!!) verzichtet, die das Stück ernst nimmt und den Sängern Raum und Zeit gibt, das zu tun, wofür sie eigentlich engagiert worden sind - in Ruhe zu singen.

Es ist auffallend, dass die stimmigsten Inszenierungen, die ich in den letzten Jahren gesehen habe - ob in Heidelberg Nanine Linning, in Darmstadt bis vor einem Jahr noch Mei Hong Lin oder eben in Karlsruhe Arila Siegert (deren "Romeo und Julia auf dem Dorfe" durch die Intensität und Schönheit mir bereits mehr als angenehm aufgefallen war) - inzwischen von Choreografinnen geleistet werden...

Ein großer Abend und für mich einer der Höhepunkte, wenn nicht der Höhepunkt der zu Ende gehenden Spielzeit (in der ich viel gesehen habe - manches auch, was ich lieber nicht gesehen hätte!). Vielen Dank allen, die diesen Abend ermöglicht und mitgewirkt haben.


Asylbewerber auf der Bühne

Das Badische Staatstheater Karlsruhe engagiert sich in der Flüchtlingsarbeit. Asylbewerber spielen dort "Gestrandete" - in einer Gluck-Oper.

EPD | 18.03.2016 (Evang.Presse-Dienst)
in: Südwestpresse Ulm, 18.03.2016

Die zentralen Themen Flucht und Vertreibung in Christoph Willibald Glucks Oper "Iphigenie auf Tauris" werden im Badischen Staatstheater Karlsruhe in dieser Spielzeit besonders eindrucksvoll in Szene gesetzt. Die Mitglieder des Ensembles werden bei der Inszenierung von Regisseurin Arila Siegert von rund einem Dutzend Komparsen aus einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber unterstützt.

Als "Die Gestrandeten" symbolisieren die Männer aus Schwarzafrika und Serbien in mehreren Szenen ihre innere Zerrissenheit und regen damit gleich im mehrfachen Wortsinn zum Nachdenken an. Seit der Premiere der Oper im Sommer 2015 sind die Laiendarsteller aus einer Asylbewerberunterkunft im Landkreis Karlsruhe das weithin sichtbare Symbol der Flüchtlingsarbeit im Staatstheater. Ein Video mit Szenen aus der Probenphase sowie mit Interviews läuft seither in den Pausen von anderen Vorführungen auf den Monitoren im Theaterfoyer...


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