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„Jenůfa“ neu im Kieler Opernhaus

Seelennöte unter der Lupe

Von Christian Strehk | Kieler Nachrichten 30.09.2013

Mit einer starken Ensembleleistung startet die Kieler Oper nach dem Troubadour-Triumph nun auch überdacht in die Saison. In der Regie von Arila Siegert und unter der musikalischen Leitung von Leo Siberski begeistert Leoš Janáčeks Oper Jenufa als psychologisches Meisterwerk am Rande der Moderne das Premierenpublikum...

Der Regisseurin Arila Siegert – unterstützt vom renommierten Ruth-Berghaus-Team Hans Dieter Schaal (Bühne) und Marie-Luise Strandt (Kostüme) – ist reiner Naturalismus mit guten Gründen zu wenig, um überdeutlich zu machen, was der Seelen-Seismograph Leos Janácek da zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus Gabriela Preissovás Theaterstück herausdestilliert hat. Vergrößert in expressionistischen Gesten, bedeutungsvoll bewegt in choreographierten Gängen und manchmal sogar demonstrativ „ausgestellt“ mit Mitteln des epischen Theaters Brechts unterstreicht die kontrastreich ausgeleuchtete Szene hellhörig die raschen Stimmungsschwankungen der Musik. Das mag hier und da arg gekünstelt wirken, hebt aber Handlung und Figuren wie unter der Lupe hervor.,,

 Leo Siberski ... dirigiert die ungekürzte und trotzdem kompakte Brünner Fassung von 1908, die Janáčeks fiebrig psychologisierende Intentionen noch völlig ungeschönt transportiert. Die Kieler Philharmoniker, allenfalls im ersten Akt noch etwas nervös und laut angesichts der immensen Herausforderungen in der rhythmisch und harmonisch extrem vielschichtigen Partitur, begeistern zunehmend mit Schattierungen: berührend innige Soli wechseln mit eiskalten Blech- und Paukengewittern, warmherziges Pulsieren mit irrlichternder Dramatik. Ein eindrucksvolles Wechselbad der Gefühle.


Wolfgang Butzlaff, in:
Schleswig-Holsteinische Zeitung

Kritik Jenufa SHZ 


Gleich drei begeisterte Jenufa-Kritiken führen letztendlich unumgänglich zur Verleihung des raren OPERNFREUND-STERNs für diese tolle Produktion
JENUFA
Premiere am 28.9.13
1.Kritik

Das reine Opernglück!

...„Jenufa“ am Opernhaus Kiel, das ist, schlicht und einfach, eine gelungene Produktion, ein Abend, der unter die Haut geht und der zeigt, wozu Oper fähig ist. Das liegt auch an der interessanten und packenden Inszenierung von Arila Siegert, die die Geschichte sauber und schlüssig erzählt, ohne konventionell zu wirken... Alles folkloristische Beiwerk ist aus der Inszenierung verbannt, ohne die Geschichte zu beschädigen, im Gegenteil, geradezu schmerzlich wird das Leid der Akteure, die Enge der dörflichen Gemeinschaft brennpunktartig auf die Bühne gebracht...

Welche Raffinesse in der Partitur steckt, wurde einem durch das Dirigat von Leo Siberski, erstem Kapellmeister am Opernhaus Kiel, bewusst. Geradezu traumwandlerisch sicher das Spiel der Kieler Symphoniker, ein Genuss die Soloparts, hier hervorzuheben die Violine. Alles passte zusammen, alles wie aus einem Guss und man kann dem Opernhaus Kiel nur danken für einen Opernabend, der Suchtpotential hat!

Claus Brandt

*
JENUFA
Premiere am 28.09.13
2.Kritik

Emotion pur in einer grandiosen Vorstellung!

Vor einigen Jahren habe ich in Prag erstmalig Leo Janaceks „Jenufa“ gesehen. Wie in Prag so üblich, bestach das Bühnenbild durch seinen ausgeprägten Naturalismus, um es einigermaßen positiv auszudrücken. Deutsches Regietheater ist von solch durchaus gelungenen Interpretationen etwa so weit entfernt wie Anna Netrebko von ihrer ehemaligen Figur.

Nun also zweites Kennenlernen, an der Förde, im Opernhaus Kiel und welch ein grandioser Unterschied. Alle Beliebigkeit, alles künstliche Drumherum mit folkloristischen Tanzeinlagen, bunten Kostümen und großen Birken, hinweggefegt von einer packenden Inszenierung, für die Arila Siegert verantwortlich zeichnet. Mit dem Bühnenbildner Hans Dieter Schaal und den Kostümen von Marie-Luise Strandt erlebt man die tragische Geschichte einer verzweifelten jungen Frau hautnah, ja, man leidet mit. Da ist nichts überzeichnet, die Tragik der handelnden Personen erschließt sich durch sparsame Gesten, Blicke. Eine herausragende Inszenierung, die sich mit jedem großen Opernhaus messen kann! Die Leistung der Regie besteht in der stringenten Erzählweise ohne Mätzchen. Da reichen ein Tisch, Stühle, eine in dunkles Blau ausgeleuchtete Bühne, um die Emotionen der handelnden Personen transparent erscheinen zu lassen. Ganz hervorragend die Lichtregie.

Ein Abend, den man nicht vergisst, der einem zeigt, warum man Opernfan ist. Alle Janacek-Fans und die, die es werden wollen: Auf nach Kiel!

Maximilian von Grünfeldt

 *

JENUFA
Premiere 28.09.13
3.Kritik

Spannender Opernkrimi

Der tschechische Komponist Leos Janacek (1854–1928) hat ein umfangreiches musikalisches Werk hinterlassen, wovon sich auf unseren Bühnen und Konzertpodien neben dem reizvollen Tiermärchen „Das schlaue Füchslein“ vor allem die anspruchsvolle Oper „Jenufa“ erhalten hat. Auch die wird selten gespielt – in Kiel zuletzt vor 40 Jahren. An diesem Sonnabend hatte im Opernhaus am Kleinen Kiel eine Neueinstudierung von Arila Siegert in der Urfassung von 1908 ihre gefeierte Premiere...

Der Schlussbeifall ist lang und stürmisch.

Horst Schinzel


Vorberichte:

Vor der Premiere in der Oper Kiel

Arila Siegert inszeniert „Jenůfa“

Von Ruth Bender | Kieler Nachrichten 26.09.2013

Arila Siegerts kühl geometrische Inszenierung der Händel-Oper „Agrippina“ gehörte in der vergangenen Saison zu den Highlights am Kieler Opernhaus. Jetzt bringt die Tänzerin, Choreografin und vielgefragte Opernregisseurin dort Leoš Janáčeks Literaturoper „Jenůfa“ auf die Bühne. Premiere ist am 28. September.

Arila Siegert und Leo Siberski

Der Dirigent Leo Siberski und die Regisseurin Arila Siegert. © Ehrhardt

Kiel. „Ich bin ein bisschen aufgeregt“, sagt Arila Siegert, „ob alles funktioniert.“ Am Abend geht es am Kieler Opernhaus nach drei Tagen Pause in die Endproben. „Da werden noch viele Feinschrauben gestellt“, stimmt der Erste Kapellmeister Leo Siberski zu. „Es ist eine interessante Phase, wenn Musik, Licht und Bühne endlich zusammenkommen“, sagt die Regisseurin, scheint im Kopf schon ihren Bildern zu folgen und glüht ganz offensichtlich für ihre Arbeit. „Noch haben sich die Dinge nicht gesetzt, ist alles im Fluss.“ An Jenůfa hat sie gereizt, wie Komponist Leos Janacek (1854-1928) von der Sprache ausgehend Musik macht. „Das schafft eine besondere Expressivität, schnelle Stimmungswechsel und überhaupt ein enormes Tempo.“ Ohne Leerräume oder Ziselierungen treibt die Musik die Geschichte voran. „Die inneren Vorgänge der Figuren werden im Orchester beinahe stärker abgebildet als auf der Bühne“, ergänzt der Dirigent. „Janáček hat ja nur nachts komponiert. Das merkt man der Musik an. Dem wahnwitzigen Tempo und wie es quer durch die Tonarten geht. Wie in einem Delirium.“

Soviel Emotionalität entspricht der wilden Geschichte der tschechischen Schriftstellerin Gabriele Preissová, deren Drama (Ihre Ziehtochter) Janáček übernahm, für sein Libretto aber stark straffte. Es geht um Jenůfa, die von dem jungen Laca verehrt wird und von dessen Bruder Steva ein Kind erwartet. Um eine Mutter, die von dieser Schwangerschaft nichts weiß und die Heirat verhindert, weil sie der Tochter die Ehe mit einem Saufbold ersparen will. Und die später das Kind ermordet. „Das ist schon ein sehr extremer Plot“, sagt Arila Siegert und findet die Geschichte aus dem mährischen Bauernmilieu zum Ende des 19. Jahrhunderts dennoch bis heute nachvollziehbar: „Das alte traurige System, dass die Frau schuldig ist, weil sie schwanger wird, das gilt immer noch in vielen Teilen der Welt.“

Das folkloristische Moment, das im Milieu der Geschichte begründet liegt und das Janacek in seine Musik aufnahm, will auch Siegert nicht verleugnen. Marie-Luise Strandt hat sich für ihre Kostüme an den Trachten der Gegend orientiert, Bühnenbildner Hans Dieter Schaal ein Gehäuse aus Holzbalken auf die Bühne gebaut. „Darin stecken die Figuren alle fest, verklebt wie Pech und Schwefel“, sagt Siegert, „denn Fehler haben sie alle gemacht.“ Ihr ist vor allem die metaphysische Dimension der Geschichte wichtig: „Wir zeigen das Rad der Existenz, in dem wir gefangen sind und das Janacek am Ende durch das Verzeihen öffnet“. Und wenn sie dazu die Bewegung als Motor beschwört, die Bedeutung der Positionen im Raum, dann wird auch die Berghaus-Schule des szenischen Teams spürbar.

Fast zwanzig Jahre lang, mit langen Pausen hat Janacek an Jenufa gearbeitet, bevor die Oper 1904 in Brünn Uraufführung feierte – nur um danach zunächst vom Komponisten selbst, später am Prager Nationaltheater von Karl Kovarovic nochmals bearbeitet zu werden. Ein bisschen „glatt gebügelt“, wie Siberski sagt. Entsprechend hat man sich in Kiel für Janaceks Brünner Fassung entschieden und außerdem für die tschechische Originalsprache, für deren Einstudierung mit Józef Katrak eigens ein Muttersprachler engagiert wurde. „Hochtschechisch, mährischer Dialekt – das war Fitzelarbeit“, sagt Siberski und begeistert sich zugleich für das ausgesprochen Moderne in der Musik: „Was Janáček da macht, das wurde im Grunde viel später, in den Sechzigern, zum Prinzip der Minimal Music: Da werden aus kleinen, sich fortlaufend wiederholenden Motiven Klangflächen. Nur, dass sie hier tiefe Einblicke in die Seele geben.“

www.theater-kiel.de

 


„Jenufa“ feiert heute Abend Premiere

Aus der Redaktion des Flensburger Tageblatts vom 28. September 2013

Kieler Oper eröffnet mit dem Werk des tschechischen Komponisten Leos Janacek die Spielzeit 2013/14

Im Kieler Opernhaus am Rathausplatz wird heute Abend um 19.30 Uhr wieder einmal eine Premiere gefeiert. Die Oper „Jenufa“ des tschechischen Komponisten Leos Janacek wird dann erstmals sein über 40 Jahren wieder in Kiel gespielt. Die Regie hat Arila Siegert, die musikalische Leitung Leo Siberski. Damit eröffnet die Oper Kiel ihre Spielzeit 2013/2014.

Zur Handlung: Jenufa soll es einmal besser ergehen als ihr, das hat sich die Küsterin geschworen. Sie hatte einen Spieler und Trinker geheiratet, der jung starb und sie mit ihrer Stieftochter Jenufa allein ließ, nachdem er den Besitz verprasst hatte. Den richtigen Mann für Jenufa hat die Küsterin schon im Auge: Laca Klemen, fleißig und verlässlich, und darüber hinaus auch noch in Jenufa verliebt. Doch Jenufa liebt nicht Laca, sondern dessen Halbbruder Stewa, der die Küsterin fatal an ihren verstorbenen Mann erinnert. Als Stewa tatsächlich die schwangere Jenufa im Stich lässt und der rasend eifersüchtige Laca ihr auch noch das Gesicht zerschneidet, sieht die Küsterin nur noch einen Weg: Jenufas Baby muss verschwinden.

In dieser Familie wäre eine Familienaufstellung aufschlussreich, denn ihre Mitglieder wiederholen wie ferngesteuert die Konflikte der vorherigen Generation. Die Küsterin will den Mechanismus zwar unbedingt unterbrechen, setzt ihn gerade dadurch jedoch wieder in Gang.


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