Glaube, Liebe, Hoffnung ist eine Formel, die besonders in den christlichen Kirchen ihren Ausdruck gewinnt...
Des Glaubens hat sich die Ägypterin Karima Mansour auf sparsame Weise angenommen. Aus der Stille führt sie die fünf jungen Dresdner Tänzerinnen in einen Seelenmarsch, in dem sie sich aber nicht halten. Sie laufen, stürzen, stoppen. Kein Laternenlied hilft gegen den Verlust von Körperteilen; als Sternbilder werden sie wieder ganz. Dasselbe Ensemble flüstert sich für die Hoffnung in der Choreografie der Iris Sputh aus einem „Vielleicht“ in die Freiheit. Am Schluss sammeln die Tänzerinnen Kleider für Schwangere – man sagt: Guter Hoffnung sein. Auch bei Sputh ist das Atmen schon Musik. Tempo wird in beiden Choreografien ausdrücklich. Frauen haben Körper, das steht in der Kirchenformel nicht.
Dazwischen das Solo Arila Siegerts nach Ravels Bolero. Sie erinnert an einen Drehtanz der Dore Hoyer. Siegert beginnt ihre Hommage mit dem vorsichtigen Setzen der Füße, aber sie drückt ihre Vorstellung von Liebe mit den Händen aus, wie sie sich verschränken und lösen. Die verdiente Choreografin, nicht mehr jung und schneidig, sie bleibt bei sich, stolz und ernst. Die Liebe, die sie zeigt, ist erfahren, eine Erfahrung der Veränderung.
...Das Hohe Lied der Liebe hat Arila Siegert mit ihrem Solo zu Ravels
"Bolero" einem höchst aufreizenden musikalischen Werk zugeordnet, und
dennoch liegt man falsch im Gedanken, die erfahrene Tänzerin und
Choreographin werde sich nun, zumal vor einer intensiv leuchtendroten Wand,
hinein steigern in einen gelösten sinnlichen Rausch. Sinnlich auf ihre Weise
schon, aber weniger gelöst und auch nicht rauschhaft. Im begrenzten Radius
des Lichtkreises, der alles Umliegende fast ausblendet, bewegt sie sich
permanent um die eigene Achse. Tritt mit fast zögernden Schritten auf der
Stelle, zeichnet in der Drehung mit Armen, Händen, dem ganzen Körper Bilder
in den Raum. Unschwer zu erkennen, die Liebe aus Affectos Humanos von Dore
Hoyer, doch sie verwandelt den Schwanenkopf in eine Schlange, die sich um
ihren Nacken windet und nahe dem Ohr unhörbar zu zischeln beginnt.
Überhaupt erinnert das Solo auf besonders an die Gläserne Frau im
Hygienemuseum, nur im Gegensatz zu der starren, entblößten Figur gibt Arila
Siegert nicht ihr funktionales Innenleben preis, sondern assoziiert
anfechtbar all das Widersprüchliche, das einem Menschen auf seiner
Lebensspirale widerfährt. Zur Liebe gehören bei ihr ebenso Erhabenheit,
Schmerz, Straucheln, das Wiederaufrichten und Sichbehaupten, und sie zitiert
aus dem eigenen und rekonstruierten Bewegungsreservoir der anderen. Ihr
gutes Recht, zumal im Kleinen Haus, wo sie einst als Ein-Frau-Tanztheater
zum Staatsschauspiel gehörte und mit Abschied und Dank von Mary Wigman wie
diese Dresden mit zwiespältigen Gefühlen verließ. Ihr Solo ist kein
Wonnespiel, sondern etwas, was einem den Hals zuschnürt, man spürt genau,
dass diese Frau Persönlichkeit kraft ihrer Überwindung ist, auf sich selbst
gerichtet wie auf andere...
...Eine höchst eigene, berührend eindringliche Sicht auf die Liebe mit allem, was an Höhen und Tiefen dazu gehört, den Menschen schicksalhaft beglückend widerfahren kann oder unendlich schmerzhaft zu Boden drückt, zeigt Arila Siegert (Dresden/Berlin) mit ihrem Solo zu Ravels „Bolero“. Schutzlos, dem Publikum, der Musik ausgesetzt und dennoch ganz bei sich selbst, dreht sie sich im langsamen Schwingen des Körpers vor leuchtendrotem Hintergrund um die eigene Achse, ist Hohepriesterin ebenso wie gramgebeugte Frau, eine Künstlerin auf der unausweichlichen, unerbittlichen Drehbühne des Lebens...