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Liebessehnsucht in erstarrter Gesellschaft

Peter Tschaikowskis Eugen Onegin
hatte am Chemnitzer Opernhaus Premiere -
Bravorufe für die Hauptakteure

Christoph Sramek in Freie Presse Chemnitz, 02.12.2003

Faszinierende Bilder bestimmen die neue Inszenierung von Peter Tschaikowskis Eugen Onegin am Chemnitzer Opernhaus. Noch ehe das Orchester jenen Gesang über die unstillbare Liebessehnsucht einer in Kälte erstarrten Gesellschaft beginnt, eröffnet die Bühne einen Blick auf in sich befangene Menschen, die ins Freie streben, ihre Wünsche in die Weite träumen. Stets bleibt dabei nach den fantastisch gegenwartsnahen Entwürfen von Hans Dieter Schaal (Szene) und Marie-Luise Strandt (Kostüme) ein Schein von Himmelsblau und Licht. Als die Hoffnungen jedoch in innere und äußere Katastrophen münden, stellt sich über erschütternde Verfärbungen und Verfinsterungen des Raumes die berührende Frage um das Danach, wie es weiter gehen soll.

Regisseurin und Choreografin Arila Siegert verstärkt diese optischen Wirkungen der Aufführung durch eine bis zur Perfektion getriebene Personenführung von Solisten und Chor. Nicht intime Briefszene und monologische Lenski-Arie treten in den Vordergrund, sondern die großen Ensembles, auch wenn Dirigent Niksa Bareza manchmal Mühe hat, Bühnengeschehen und Orchester zusammen zu halten. Wie mehrfacher Zwischenapplaus und zahlreiche Bravorufe zum Schluss der Premierenveranstaltung am Sonntag zeigten, gehörte der Abend aber zugleich den beiden Hauptakteuren Nicola Beller Carbone in der Rolle der Tatjana sowie Matthias Winter in der Titelpartie.

Die Sopranistin gestaltet am Anfang eine junge Frau, die im wahrsten Sinne des Wortes auf ihren Büchern steht und ihre daran sich entzündenden Visionen ebenso vertrauensselig wie zielbewusst umzusetzen gedenkt. Als ihr Herz durch die Zurückweisung Onegins zu Eis erstarrt, gerät sie zu einer traumatisch verfolgten Figur, die in einer Vernunftsehe mit Fürst Gremin (scharf gezeichnet von Thomas Mäthger) schließlich zu überragender Seelenstärke und Leidensbereitschaft fähig wird. Dabei entfaltet die Sängerin ihre stimmlichen Möglichkeiten mehr und mehr und begeistert dabei durch Ausdruckskraft und Differenzierungsvermögen...


Kammerspiel der Sehnsucht

Joachim Lange in Opernwelt 2/2004 **)

Unendlich weit scheint der Horizont für Tatjanas Sehnsucht. Doch weil die weißen Fensterläden und die wehenden Vorhänge vor ihrem an der Rampe angedeuteten Zimmer das ganze Bühnenportal füllen, wirkt sie klein und verloren. Dass Regisseurin Arila Siegert die Wandlung des jungen Mädchens zu einer Frau, deren Verletzlichkeit auch noch in der noblen Geste der Fürstin durchscheint, so überzeugend zeigen kann, liegt nicht nur an den weiten Räumen und sparsam eindrucksvollen Bildern. Es liegt vor allem an der stimmlichen und darstellerischen Präsenz von Nicola Beller Carbone als Tatjana. Für sie ist der Horizont bald verstellt mit zwei mächtigen Quadern – ein aufrecht stehender und einer, der sich diesem symbolträchtig zuneigt: Tatjana hat sich in ihre Leben gefügt, wenngleich sie noch einmal in einem stummen Aufschrei erstarrt, als sie ihren Traum von der Liebe zu Onegin endgültig aufgibt.

Siegert erzählt in ihrer dritten Inszenierung am Chemnitzer Opernhaus vor allem diese Geschichte Tatjanas, und sie erzählt sie vorrangig aus deren Perspektive. In ihren Augen haben die dankbaren Bauern noch etwas wohlgeordnet „Schönes“. Für sie wird dann aber auch nach Onegins dezent nachdrücklicher Zurückweisung die ganze Welt plötzlich eiskalt und ist nur noch durch eine zugefrorene Glasscheibe wahrzunehmen. So wie Tatjana sich aber mit ihrem Schicksal auseinandersetzt und ihre Orientierung an der Seite des Fürsten Gremin findet, so verliert der anfangs gar nicht unsympathische, vom Landleben gelangweilte Städter Onegin zunehmend den Boden unter den Füßen...

So wie Niksa Bareza mit der Robert Schumann Philharmonie stets die Balance zwischen lyrischer Feinzeichnung, bühnenorientiertem Erzählton und dem großen Gefühlsaufrauschen findet, so erzählt Arila Siegert diese tragisch-lyrische Geschichte als ein Kammerspiel mit großen ästhetischen Bildern. Sie hat ihren Sinn für Bewegung, vor allem bei Tatjana und dem bestens disponierten, russisch singenden Chor organisch einfließen lassen und nicht etwa hinzugefügt. Dabei ist ihr ein Abstand zum Klischee gelungen, der das konkret Atmosphärische dennoch nicht beschädigt...


Menschlein klein und ein übergroßer Liebesbrief

Christiane Hamann-Pönisch, in Morgenpost Chemnitz, 02.12.2003

Es dürfte der längste und stolzeste Zeigefinger der Chemnitzer Operngeschichte sein, wenn Tatjana den um Liebe bettelnden Eugen mit großer Geste zurückweist. Dramatisches Finale Peter Tschaikowskys Eugen Onegin in einer wundervollen Inszenierung von Arila Siegert in der Chemnitzer Oper am Sonntagabend. Diesen „Zeigefinger“ sieht man übrigens zweimal. Zuvor hat in diesen „Lyrischen Szenen“ Schwerenöter Onegin Tatjanas Liebe schnöde verschmäht, mit Frauen rumgemacht, seinen Freund im Duell getötet, um aber spätestens dann endlich zu merken: Man trampelt nicht auf den Gefühlen anderer herum.

Bei Arila Siegert wird daraus mit raffinierter Bühnen- und beeindruckender Lichtgestaltung (Hans Dieter Schaal, Holger Reinke) ein Menschheitsproblem... Nicola Beller Carbone als Tatjana - eine Traumbesetzung: Überzeugend die Entwicklung vom Jungmädchen-Verliebtsein mit weißen Söckchen (Kostüme: Marie-Luise Strandt) zur Frau mit Charakter und Brillis, stimmlich ebenso beeindruckend wie mit ihren Gesten, Bewegungen und tänzerischen Posen... Großartiger Chor mit diversen Zusatzaufgaben. Schwermut und Dramatik aus dem Orchestergraben mit Niksa Bareza als Dirigent.

Dazu viele schöne Details, ein übergroßer Liebesbrief, ein Eisbär, Schnee, Regen, Sternkinder, russische Lieder (in Originalsprache) und leider auch eine unbegreifliche Perücke (Lenski). „Der Liebe kann man sich nicht entziehen“ wird gesungen - Arila Siegerts glanzvoller Inszenierung auch nicht. Langer Beifall.


Erfrorene Sehnsucht

Arila Siegert und Niksa Bareza machen Eugen Onegin zu einem überzeugenden Kammerspiel

Joachim Lange in Dresdner Neueste Nachrichten, 03.12.2003 **)

...Im Ganzen ist es ein Wurf. Mit großer unaufdringlicher Souveränität spürt man bei den Massenszenen und in der Personenführung die Choreografin und ihr Verständnis für die Musik. Was macht es da schon, wenn man den Lenski für eine Spur zu klein gedacht und die mit ihrem Wasserkrug wohl an das Verrinnen der Zeit gemahnende Njanja und den Koffer, der auf Onegins schließlich in verzweifelter Ausweglosigkeit endende Unbehaustheit deutet, für entbehrlich hält. Weil auch jede kleine Rolle mit der in Chemnitz üblichen Sorgfalt besetzt ist, der Chor zu Hochform aufläuft und vor allem Niksa Bareza die Stimmungsbilder und die emotionalen Eruptionen differenziert beherrscht und ausbreitet, ist ein rundherum gelungener Onegin aus Chemnitz zu vermelden.

Der Chemnitzer Intendant war gut beraten, nicht unbedingt nach den berühmten Namen von außerhalb zu schielen, sondern an den Opernerfolgen der renommierten Choreografin am eigenen Hause anzuknüpfen und Chemnitz damit zugleich die notwendigen, innovativen Regieimpulse zu sichern...


Poesie ohne Mätzchen

Tschaikowskys Eugen Onegin in Chemnitz

Christian Schmidt, in: Junge Welt, 13.12.2003

...Regisseurin Arila Siegert hat die intime Szenerie des wohl besten Tschaikowsky-Werks weitab vom Pomp der großen Oper mit wundersam poetischen Bildern in Chemnitz inszeniert. Auf Schritt und Tritt merkt man ihr die Choreographin an. Die Psychologie der Figuren erschließt sich vornehmlich in Gesten oder Positionen. So repräsentiert der Adel des im 19. Jahrhundert äußerst rückschrittlichen Russlands – ohne modernistische Mätzchen – das zeitlose Verheerende von Konventionen und Genusssucht.,,


Matthias Winter ist Eugen Onegin

Christoph Suhre, in: "Kulturspiegel Thüringen", 01.01.2004

Die Regiearbeiten Arila Siegerts begeisterten, ja faszinierten. Als jüngste Inszenierung brachte sie Ende November Eugen Onegin (Peter Tschaikowsky) am Opernhaus Chemnitz auf die Bühne. Auch diesmal versteht sie es, mit relativ sparsamen Mitteln (Bühnenbild: Hans Dieter Schaal / Kostüme: Marie-Luise Strandt) Vorgänge transparent zu machen. Ihr gelingen Bilder von unglaublicher Dichte, anrührender Poesie und ästhetischer Schönheit. Die Regisseurin versteht es, Personen zu führen und sie miteinander in Beziehung treten zu lassen...

Nicola Beller Carbone nimmt man sowohl die naive, träumerische als auch die in der Gesellschaft gereifte, Onegin immer noch liebende Tatjana ab. Die Sängerin lässt bei ihrer Gestaltung keine Wünsche (abgesehen von ihrer Textverständlichkeit) offen. Mit viel Liebe zum Detail hauchen aber auch die anderen Solisten ihren Figuren Leben ein. In Arila Siegerts Inszenierungen werden selbst die Damen und Herren des Chores sehr individuell geführt. GMD Niksa Bareza stand am Pult der Robert-Schumann-Philharmonie. Mit seinen Musikern betont er das Kammermusikalische der Partitur.


Hier ist alles Sehnsucht

Peter Tschaikowskys „Eugen Onegin“ an der Oper Chemnitz

Von Tatjana Böhme-Mehner, in: „Das Orchester“, März 2004

Es ist jene Weite, aus der die Sehnsüchte der Weltliteratur gemacht scheinen. Man könnte hier Lorca spielen oder Tschechow; oder aber Puschkin und Tschaikowsky; zugleich gleißendes Licht, Morgen- und Abenddämmerung. Diese Weite kann unendlich wirken, aber auch unendlich beengend sein. Schwüle und Kühle scheinen diesen Raum gleichermaßen zu prägen. Hier ist alles Sehnsucht – Sehnsucht nach Spaß, Sehnsucht nach Ferne, nach dem Anderen oder Sehnsucht an sich.

... Siegerts Onegin lebt vom Bild- oder gar Symbolhaften, ohne jemals plakativ zu sein. So bringt sich Tatjana vor dem projizierten Brief an Onegin mit diesem Brief selbst – quasi als Opfergabe – dar, ein Bild, das Hoffnung und Sinnlosigkeit in sich birgt; so werden die Kreise der vier Protagonisten und damit die Verstrickung immer enger, entfernt sich alles immer weiter von ihnen, werden sie und die unterschiedlichen Möglichkeiten der Verhältnisse auf engem Raum fokussiert.

Sie lebt von Personenführung, diese Inszenierung, vom vollständigen Erfassen des Emotionalen durch den Körper. Siegert holt die Sänger genau bei diesem Erfassen von Körperlichkeit ab und gestaltet bewegtes und bewegendes Theater. Und dafür steht ihr ein hervorragendes Ensemble zur Verfügung. Nicola Beller Carbone als Tatjana verinnerlicht dieses Konzept und fasziniert nicht nur mit aufrüttelnden dramatischen Tönen und großartigen lyrischen Momenten, sondern vor allem mit einer ungeheuren Präsenz der Darstellung. Auch wenn man ihm ein gutes Stück seiner Szene im letzten Akt gestrichen hat, ist Matthias Winter ein stimmschöner Onegin. Sein tragender, angenehm timbrierter Bariton lässt Onegin in keinem Moment dämonisch erscheinen, er ist saturierter Lebemann, bewegt sich souverän zwischen Tragik und Komik der Figur, im ersten wie im zweiten Teil. Es ist ein wesentliches Moment dieser Inszenierung, dass Tatjana eine entscheidende Entwicklung durchläuft und Onegin eigentlich derselbe bleibt...

Neben einem insgesamt sehr gut disponierten Solistenensemble sind es vor allem die Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie unter Niksa Bareza mit transparent, filigranem Spiel und ein gewaltiger und homogener Klang von Chor und Extrachor des Opernhauses, die von dieser spannenden Aufführung in Erinnerung bleiben werden. Ein Abend, der gewiss mehr als eine lange überfällige weibliche Regiesicht auf den Stoff liefert, angenehm spannungsgeladen.


Überflüssig

"frs" in opernnetz.de

Überflüssig war sie, die aristokratische Elite des Zarenreichs - gesellschaftlich, intellektuell, emotional. Und so wird sie von Arila Siegert auf die Bühne gestellt: hysterisch, affektiert, Stilisierung ihrer selbst, mit dem hoffnungslosen Ende des Dandys Onegin. ...

Hans-Dieter Schaal installiert dekadent-zweckfreies Groß-Design, eine unbehauste Scheinwelt mit Personen, die in konventionellen Kostümen (Marie-Luise Strandt) um sich selbst kreisen. Dazu erweckt die Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie unter Niksa Bareza überraschenderweise einen außergewöhnlich facettenreichen Tschaikowsky, so als ob es sich um ein perfektes Konzert handelt. ... Mit Nicola Beller Carbone ist eine aparte Tatjana zu bestaunen, durchaus der einzige Charakter im Panoptikum der morbiden Schickeria, stimmlich etwas zu dramatisch, mit (noch) zu wenig Wärme im wunderbar strömenden Sopran...


**) Im Saison-Rückblick von Joachim Lange in den Dresdner Neuesten Nachrichten vom 3.Aug.2004 heißt es:

...Die in Chemnitz dominierende Handschrift von Michael Heinicke mag Geschmacksache sein. Doch ... mit dem wiederholten Engagement der offensichtlich bei der Opernregie "angekommenen" (und gut aufgehobenen!) Choreografin Arila Siegert, die in dieser Spielzeit Eugen Onegin und Hoffmanns Erzählungen beisteuerte, werden auch Regiehandschriften entwickelt und zugelassen, die dazu in einem interessanten Spannungsverhältnis stehen...


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