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Im Drive der Musik

Die Düsseldorfer Rheinoper startet ihre Rameau-Serie mit «Les Paladins»

Regine Müller, in: Opernwelt, März 2010

Vom Barock-Boom an unseren Opernhäusern hat Jean-Philippe Rameau bislang wenig profitiert. Nach wie vor fremdelt man mit dem OEuvre des Hofcompositeurs Ludwig xv. Rameaus Kleinteilgkeit gilt als diffizil, zudem fordert er mehrere Sparten des Theaters. Trotzdem oder gerade deswegen will die Deutsche Oper am Rhein sich Rameau zuwenden und sogar einen Zyklus seiner Werke stemmen. 250 Jahre nach der Uraufführung machte die Comédie lyrique «Les Paladins» in Düsseldorf nun den Anfang und erlebte ihre szenische Erstaufführung in Deutschland.

Das Spätwerk gehört zur Gattung der Ballettkomödie. Der Tanz ist hier keine Nebensache, kein Atemholen zwischen Gesangsnummern, sondern integraler Bestandteil und Motor des Werks. Die Musik selbst ist durchweg gestisch und fußt ganz buchstäblich auf komplizierten, ständig zwischen höfischer Eleganz und rustikal stampfender Volksmusik wechselnden Rhythmen. Das ist der Schlüsselreiz für Regisseurin Arila Siegert, eine Schülerin der Tanzlegende Palucca. Für sie sind die Körperlichkeit der Musik und die daraus sehr direkt abgeleitete tänzerische Bewegung Schlüssel zur Darstellung und Deutung gleichermaßen.

Siegert bürstet Rameau in Düsseldorf ergo nicht gegen, sondern offensiv mit dem Strich. Jeder Schritt, jede Geste von Chor, Tänzern und Solisten ist gestaltete Musik. Es geht dabei nicht um eine streng abgezirkelte klassische Choreografie, sondern um überquellende Tableaux, in denen sich jede Figur nach eigenen Gesetzen zu bewegen scheint. Das Bewegungsrepertoire mischt unbekümmert Gavotte-Schritte und barocke Posen mit Breakdance und Moonwalk. Nichts für Puristen. Auch Grobmotoriker mögen das Ganze als hyperaktives Gezappel abtun. Den Drive der Rameau'schen Musik erschließt dieses verspielte Konzept jedoch vorzüglich.

Die märchenhafte Geschichte des jungen Atis, der seine Geliebte Argie aus den begehrlichen Fängen ihres Vormunds Anselme befreien will und sein Ziel mit Hilfe der (Tenor!-)Fee Manto schließlich erreicht, scheint kaum zu tief gründelnder Psychologisierung zu taugen und bietet auch wenig Angriffspunkte für eine analytische Regieaxt. Siegert setzt daher ganz auf die Theaterwirkung aus dem Geist üppig bewegter Bilder. Das Ergebnis ist leicht, musikalisch, komisch und dabei durchaus subtil.

Eine ironische Ebene kommt durch den Maler Helge Leiberg ins Spiel, der im Zuschauerraum sitzt und das Geschehen auf der von Frank Philipp Schlößmann mit verschiebbaren Wänden möblierten Bühne sozusagen übermalt: Via Overheadprojektor werden seine live entstehenden Kommentare in den Guckkasten projiziert.

Im Graben leitet Konrad Junghänel das Spezialisten-Ensemble «Neue Düsseldorfer Hofmusik». Anfangs hapert es noch an der Balance mit den Sängern, doch trifft Junghänel den feinen, rhythmisch agilen Esprit der Musik genau, und das Orchester klingt frisch, brillant und musikantisch federnd. Das Sängerensemble ist sehr jung. Entsprechend leicht die Stimmen, allen voran Anders J. Dahlins smarter, darstellerisch fablulös präsenter Atis, der seine schwierige Haute-Contre-Partie mit tänzelnder Nonchalance meistert, gefolgt von Anna Virovlanskys schmelzend reinem Sopran in der Rolle der Argie. Julia Elena Sardu (Nérine), Adrian Sâmpetrean (Anselme), Laimonas Pautienius (Orcan) und Thomas Michael Allen (Manto) überzeugen allesamt.


Mit leichter Hand

Arila Siegert inszeniert in Düsseldorf die Deutsche Erstaufführung von Jean Philippe Rameaus Oper „Les Paladins“

Joachim Lange, in Leipziger Volkszeitung, Ausgabe: Dresdner Neueste Nachrichten, 12.02.2010

In Dresden verkauft man schon Händels „Giulio Cesare“ als gewagte Spielplanergänzung. Und in Leipzig wird eine geplante Serie von Gluck-Opern gleich zu einem Ring-Ereignis hochstilisiert, weil man einen richtigen von Wagner nicht zustande bringt. Zur gleichen Zeit macht sich die Deutsche Oper am Rhein daran, wirklich überfällige Pionierarbeit in Sachen Barockoper zu leisten. Und zwar nicht mit dem, dank jahrzehntelanger Festspiel-Hartnäckigkeit in Halle und Göttingen oder dem Musikmarktinstinkt von Peter Jonas in München, längst wieder zur festen Repertoiregröße gewordenen caro sassone Händel, sondern mit dessen französischem Zeitgenossen Jean Philippe Rameau (1683-1764).

Vor 250 Jahren, genau am 12. Februar 1760, ging dessen Comédie lyrique „Les Paladins“ das erste Mal in Paris über die Bühne. Der frühere Leipziger Operndirektor Christoph Meyer, der gerade mit ziemlichem Aplomb am Rhein als Generalintendant Fuß fasst, hat seinem Zweistädtehaus in Düsseldorf und Duisburg jetzt das Verdienst der deutschen Erstaufführung dieser Rameau-Oper gesichert, in der sich die verschiedensten Stilelemente zu einer faszinierenden Melange fügen.

Und er hat mit der ehemaligen Palucca-Schülerin und Choreographin Arila Siegert, die seit langem als Regisseurin (in Sachen Oper u.a. in Chemnitz und in Sachen Operette auch in Dresden) arbeitet, genau die richtige Entscheidung für die szenische Umsetzung dieses gattungsbedingt extensiv mit Balletteinlagen durchsetzten Opernschmuckstücks getroffen. Genau diese stets schlüssige Symbiose ist ihr hier mit bewundernswert leichter Hand gelungen. Stilistisch hinreichend deutlich in der barocken Opulenz verwurzelt, schlägt sie mit ihrem jungen Ensemble gleichsam den Bogen bis zum Showeffekt eines gut gemachten Musicals. Jedenfalls hat sie keine Scheu, die entsprechenden Talente ihrer Darsteller voll auszunutzen.

Im Stück geht es trotz des Titels, der meist etwas in die Irre führend mit „Die Pilger“ übersetzt wird, nicht um eine religiös erbauliche Wallfahrt, sondern um eine Dreiecksgeschichte à la Rossinis Barbier, ergänzt durch ein gehöriges Quantum Zauberei. Die junge Argie (Anna Virovlansky) liebt Atis (mit dessen Haute-Contre-Partie Anders J. Dahlin stimmlich und physisch den Sympatikus gibt), auf die ihr alter Vormund Anselme (Adrian Sâmpetrean) selbst scharf ist. Atis kann aber mit Hilfe der Fee Monto (Thomas Michael Allen) seinen Konkurrenten Anselme durch ein verführerisch vorgegaukeltes Schloss nebst einer veritablen Orgie vor aller Augen so unmöglich machen, dass er Argie freigeben muss und so einem wunderbar übermütigem lieto fiene nichts mehr im Wege steht.

Das lässt sich alles ganz gut in Frank Philipp Schlössmanns Bühne unterbringen. Der leere Raum erinnert an eine Barockbühne. Die Rückwand verselbständigt sich je nach Bedarf zu Raumteilern oder Palastwänden. Der Clou aber ist eine weitere Dimension, die der 1984 in den Westen gegangene Dresdner Maler Helge Leiberg hinzufügt. Seine live verfertigten atmosphärischen, assoziativen und frech kommentierenden Aquarelle, machen nämlich via Overheadprojektor das Bühnenbild in jeder Vorstellung zu einem Originalkunstwerk. Zusammen mit den zusammengewürfelten, aber schlicht und einfach schönen Kostümen von Marie-Luise Strandt entsteht so eine faszinierend frische, neobarocke Opulenz.

Musikalisch sind Konrad Junghänel und das heimische Barockensemble Neue Düsseldorfer Hofmusik die Garanten für die heute übliche historische Musizierweise. Was er da auf gut verträgliche zweieinhalb Bruttostunden verkürzt hat, sprüht und funkelt vor allem, wenn das Orchester allein spielt und die Ballette begleitet, antreibt und zum Schweben bringt. Die zehn Tänzer lassen den Barock im besten Sinne rocken. Wie die Sänger, bei denen sich eine überbordende Spielfreude obendrein mit durchweg frischen unverbrauchten Stimmen verbindet. Jubel in Düsseldorf für eine Bereicherung (und hoffentlich Ergänzung) des Opernrepertoires!


Ein liebestoller Alter

Jean-Philippe Rameaus Oper „Les Paladins“ an der Rheinoper Düsseldorf

Christoph Schmitz, in: Deutschlandfunk, Kultur Heute, 29.01.2010

Eigentlich hätte es diese Musik gar nicht geben dürfen. Um 1750 hing der französische Adel nationaltreu an seiner Tragédie lyrique mit ihrer Opulenz, Mythenseligkeit, Zauberei und ihrem gemächlichen Erzählfluss ohne Arien-Feuerwerk und Rezitativgeplapper. Aber die aufgeklärte französische Intelligenz forderte mehr Nüchternheit, Realität und Witz und propagierte darum die italienische heitere Opera buffa und attackierte Rameau als Epigonen Lullys. Denn der hatte unter dem Sonnenkönig die französische Nationaloper geschaffen.

Rameau war irritiert, ließ die Finger von der Tragédie lyrique und ging erst wieder mit "Les Paladins" in die Offensive, 1760, setzte sich aber zwischen alle Stühle mit einem multiplen Zwitter aus italienischen und französischen Stilelementen, aus Arie, Lied, Chor, Ballett, aus Commedia del Arte, Pastorale, Buffooper und Volksstück, verschmolzen zu einer neuen, eigenwilligen, aber in sich stimmigen Form, der Comédie lyrique - und Rameau hatte Erfolg. Diese Comédie lyrique aber hat es, anders als das Musiktheater von Monteverdi, Händel und Gluck, bis heute nicht ins Repertoire der Bühnen geschafft, und auch so gut wie überhaupt nicht auf den CD- und DVD-Markt. Was sehr schade ist, weil solche Klänge etwa der verliebten Argie, wie sie jetzt in der Rheinoper zu hören sind, nicht ungehört bleiben sollten.

Anna Virovlansky singt in Düsseldorf die junge Argie mit kristallklarem Sopran, hoher Spannung, großer Biegsamkeit und nur zur Verzierung punktgenau eingesetztem leichtem Vibrato. Auch mit Iulia Elena Surdu ist die Rolle der kecken Magd und klugen Freundin glänzend besetzt. Und auch Anders Dahlin als verliebter Held Atis kann alles, schauspielern, tanzen, turnen, parodieren und singen, obwohl sein heller Tenor fast ohne Körperresonanz auskommen muss, was die Stimme etwas dünn macht und ihn fast zum Musicalkünstler prädestiniert. Aber seine Spielfreude und Spielkunst machen das Manko wett, jedenfalls zusammen mit den ebenso filigran wie historisch rustikal musizierenden Neuen Düsseldorfer Hofmusikern unter dem kenntnisreichen Dirigat von Konrad Junghänel.

Die Geschichte von Rameaus Oper ist vertrackt, aber im Kern einfach: Der alte liebestolle Anselme will die junge Argie gegen ihren Willen heiraten. Argie ist in Atis verliebt und Atis in sie, und am Ende finden die beiden mit Feen-, Zauber- und Menschenhilfe zusammen. Die Regisseurin Arila Siegert macht den Plot deutlich. Vor allem aber gelingt es ihr auf spielerisch leichte Weise, die heterogenen Akteure aus Solisten, Chor, Tänzern, Statisten und sogar Kulissenschiebern zu einem homogenen Spieltrupp zu integrieren, der eine Komödie aufführt. Das Spielerische unterstreicht Siegert, indem sie den Zeichner und Maler Helge Leiberg live mittels Overheadprojektion die Bühne aus riesigen Schiebemauern je nach Stimmung der Szene schwarz oder farbig übermalen und bekritzeln lässt.

Die Erkenntnis, die Arila Siegert aus Rameaus Oper zieht und die Botschaft, die sie vermittelt, werden unaufdringlich klar: Der liebestolle Alte Anselme steht für materielle Sicherheit und Unterwerfung, der verliebte Atis für materielle Unsicherheit und Freiheit. Um seine Argie zu retten und zusammen mit ihr ohne Wohlstand glücklich zu werden, nimmt Atis sein Schicksal selbst in die Hand und gestaltet sein Leben mit kreativem Elan. Mit der Leichtigkeit eines Aquarells kommt diese Deutung daher, was keine geringe Kunst ist. Aber (es mag eine Frage des Geschmacks sein) mir ist dieser Bilderreigen zu freundlich, zu nett, zu wenig dramatisch...


Oper darf auch Spaß machen!

Ulrike Lehmann, in: Die deutsche Bühne, Heft 3/2010
Es ist an der Zeit, das abgenudelte Opernrepertoire dauerhaft zu erweitern. Jüngst bewiesen Chemnitz, Bonn, Düsseldorf und Karlsruhe, dass es sich lohnt: Opernraritäten von Franz Schreker, Eugen d’Albert, Jean-Philippe Rameau und Giuseppe Verdi.

...Eine andere, ältere Tendenz ist der seit gut zwanzig Jahren anhaltende Boom der Barockoper. Die Gründe dafür auszubreiten, ist hier nicht der Ort; der Blick gen Rheinoper soll vor allem eines zeigen: welchen unglaublichen Spaß diese 250 Jahre alte Musik machen kann, wie modern ihre Rhythmen daherkommen können. Genau das hat Arila Siegert mit ihrer choreografischen Inszenierung von Jean-Philippe Rameaus „Les Paladins“ in Düsseldorf/Duisburg unter Beweis gestellt. Die Comédie lyrique erzählt die Liebesgeschichte des Paladins Atis, der mithilfe seiner Pilgerfreunde und der Fee Manto (anbetungswürdig als tuntiger Zauberer: Thomas Michael Allen) seine Geliebte Argie von deren Vormund Anselme befreit. Ein buntes Verwirrspiel, in dem Solisten, Tänzer und Chor gleichermaßen agil mitschwimmen.

Siegerts Bewegungsvokabular zitiert frei von höfischem Tanz bis Moonwalk und bezieht den Strom dafür direkt aus dem Graben: Barockspezialist Konrad Junghänel dirigiert die Neue Düsseldorfer Hofmusik lebhaft und mit fast rockigen Phrasierungen, leider (wegen der offenen Bühne) vor allem im zweiten Teil zu laut für das jung besetzte Ensemble. Der schwedische Tenor Anders J. Dahlin bringt trefflich silbern-strahlendes Material für den Paladin Atis mit; die Russin Anna Virovlansky überzeugt als Argie ebenso wie die mädchenhafte Iulia Elena Surdu als deren Vertraute Nérine. Das I-Tüpfelchen der gelungenen Gesamtkonzeption sind die Live-Malereien des Grafikers Helge Leiberg. Im Zuschauerraum entstehen dessen bunte Aquarell-Skizzen und werden via Overheadprojektor aufs Bühnenbild projiziert. Was als vermeintlich nervige Spielerei daherkommt, gerät mit inhaltlichen Doppeldeutigkeiten zum liebevollen Farbspiel, das, wohldosiert eingesetzt, phantastisch amüsiert. Solcherlei Oper kann süchtig machen, auch wenn es manchem zu viel Amüsement in die heilige Kunstform brachte...


Ballett-Musik und große Posen

An der Deutschen Oper am Rhein inszeniert Arila Siegert das barocke Opus "Les Paladins" von Jean-Philippe Rameau

Michael Georg Müller, in: NRZ (Essen), 30.Jan. 2010

Winde heulen, Begleiter der Herrschaft, auch Paladine genannt, tanzen Disko, zuckenden Rap oder verwandelnden sich in gülden glänzende Gespielen. So auch ein jugendliches Liebespaar, dargestellt von wiegenden Sängern, das sich nach drei Akten selig in die Armee fällt. Das alles zum zündenden Sound des einstigen Hofkompositeurs in Versailles. Die Comédie lyrique "Les Paladins" schrieb Jean-Philippe Rameau im Auftrag von Ludwig XV. vor 250 Jahren. So lange brauchte es, bis dieses sprudelnde Opus voller barocker Lust und Zauberspiele in Deutschland aufgeführt wird. Erstmals auf einer Bühne zu sehen ist sie in der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf, in der quicklebendigen Inszenierung der sächsischen Choreographin Arila Siegert. Ihre anpassungsfähigen singenden Multitalente und das Orchester "Neue Düsseldorfer Hofmusik" unter Barockspezialist Konrad Junghänel wurden gefeiert und liefern den Beweis: französische Barockoper wird unterschätzt.

Ein Kleinod brillanter Unterhaltungskunst ist das 1760 in der Académie Royale uraufgeführte Werk, das musikalisches Raffinement mit Komödiantentum und Tanz vereint. Denn nichts schätzten Frankreichs Höflinge damals mehr als Ballett-Musiken und große klassische Theaterpose. Diesen Geschmack bediente Rameau und verknüpfte geschickt Menuette, Sarabanden und Gigues mit heiterer Liebes-Verwirrung. Dabei verzichtete er, im Gegensatz zur italienischen Nummernoper, weitgehend auf den Wechsel von Arien und gesprochenen Rezitativen und schuf Musiktheater aus einem Guss. Anspruchsvolle Handlung mit leidenden Charakteren sind weniger gefragt als Typenkomödie, Scherz und Satire. All' das bietet die Düsseldorfer Inszenierung. Und, dank Junghänels zügigem Dirigat, auf musikalischem Spitzenniveau. Dem sausenden und fiebernden Rhythmus passt sich selbst der Künstler Helge Leiberg an, der live die ewig kreisenden Palastwände bemalt und, mit zartem Pinsel, die versteckte Erotik spitz kommentiert.

Worum geht es? Der junge Paladin Atis liebt das reiche Waisenkind Argie. Doch deren Vormund Anselme begehrt sie ebenso heiß und sperrt sie ein. Der reife Herr legt ihr zwar Gold und Glanz zu Füßen. Da ihr Herz aber nur für Atis schlägt, reagiert der verschmähte Anselme mit Mordgelüsten. Um ihn zur Räson zu bringen, fädeln sie und ihr burleskes Diener-Paar Orcan und Nérine ein Verwechslungsspiel ein, voller Zaubertricks und barocker Lustgesellen. Die biegsamen Tänzer umnebeln Anselmes Sinne so sehr, dass er sich erotisch verirrt und sich der männlichen Fee Manto hingibt. Klar, dass die Verwirrungskomödie, die im Laufe des kurzweiligen Abends an Tempo und Witz zunimmt, wie eine Seifenblase zerplatzt. Happy End im barocken Stil inklusive.

Nur in den ersten Minuten stockt das Tempo. Sobald die Verwicklungen und Verstrickungen aber in Gang kommen,. schnurren die Tableaus vorüber. Regisseurin Siegert vermeidet zwar Ausstattungs-Pomp, mischt aber mit lockerer Hand Hüte und Reifröcke, die an venezianischen Karneval und Commedia dell 'Arte erinnern, mit Jeans, T-Shirt und modischer Turnschuh-Kultur.

Der Abend wird, nicht nur für Barockkenner, zum Genuss. Dafür sorgen die quecksilbrigen Solisten. Anders J. Dahlin mit seinem reinen schwerelosen Tenor trumpft als Atis auf, schlägt Rad und singt perlende Koloraturen - locker, mit den Händen in den Taschen seiner Goldjeans. Neben dem coolen Supertalent aus Schweden hat es Anna Virovlansky (Argie) nicht leicht, ihr Sopran gewinnt aber an Sicherheit und Schönheit. Stilechte Burleske liefern Julia Elena Surdu und Laimonas Pautienius als Zofenpaar. Der Clou aber ist die hinreißende Travestie, die Thomas Michael Allen als kraftstrotzende Fee Manto hinlegt. Stimmlich sauber, aber ganz schön schräg.


Chihoko Nakata beschreibt im japanischen Musikmagazin Ongakugendai, Tokyo, die Inszenierung als "höchst gelungen", indem Arila Siegert "das Tänzerische der Musik choreografisch meisterlich" ausgearbeitet habe. Von dem jungen Ensemble, das "die Einfälle von Frau Siegert mit Elan sängerisch und szenisch" umgesetzt habe, gefiel ihr am besten Anders J. Dahlin. Die Neue Düsseldorfer Hofkapelle spielte unter Konrad Junghänel einen "frischen, rhythmisch präzisen Rameau. Die Live-Malerei und Video-Einrichtungen von Helge Leiberg machten die Aufführung auch zu einem optischen Vergnügen." >>>

Chihoko Nakata, in


Eine rundum gelungene moderne Adaption
der französischen Barockoper

Felicitas Zink, in: Operapoint

Aufführung

Vor der Ouvertüre ist die später mehrfach zu hörende Windmaschine aus dem Orchestergraben zu vernehmen: Die geflügelte Fee Manto (historisch korrekt mit einem Mann besetzt) tritt vor einem schwarzem Hintergrund auf. Nach und nach füllt sich die Szene. Mehrere helle Wandelemente werden zu einem Raum zusammengeschoben, welcher den Wächter Orcan, Argie und Nérine beherbergt. Argie betrauert ihr Schicksal als Gefangene. Detailverliebt hat die Choreographin Arila Siegert die Regiefäden gesponnen: Eine bunte Gauklergruppe belebt die Instrumentalsätze mit modernem Bewegungstanz. Die hellen Wandelemente werden per Overheadprojektor von dem Künstler Helge Leiberg bemalt, den jeweils besungenen Stimmungen entsprechend: Er zeichnet etwa ein schwarzes Gitternetz über die Fassade, wenn Argie ihr Gefängnis beklagt. Bunt wird es, als sie die Liebe zu Atis besingt. Der chinesische Palast entsteht aus den gleichen hellen Kulissenelementen, er wird ebenfalls kommentierend bemalt. Bei den Kostümen herrscht nun die Farbe Gold vor. In Gruppen wird mit Stäbchen gegessen, einige tragen chinesische Schirmchen.

Sänger und Orchester

Besonders hervorzuheben ist die Arbeit der Neuen Düsseldorfer Hofmusik unter Konrad Junghänel. Bruchlos gelingen die Wechsel von Tanzsätzen zu Arien und Zwischenmusiken. Kunstvolles, mitunter perkussiv wirkendes Ensemblespiel, sowie eingesetztes, historische Instrumente, wie die zwei Musetten (eine französische Variante des Dudelsack), tragen ihren Teil zur lebendigen Gestaltung der Musik bei. Die Solisten waren allesamt auch gute Schauspieler: Anna Virovlansky (Argie) und Anders J. Dahlin (als tänzerisch begabter Atis) fanden sich gut in die historische Aufführungspraxis ein, indem sie weitgehend auf das Vibrato verzichteten. Iulia Elena Surdu sang mühelos ihre Koloraturen, Adrian Sampetrean als Anselme und Laimonas Pautienius als Maulheld Orcan repräsentierten ihre Rollen angemessen. Thomas Michael Allen als Fee Manto nahm sowohl als Sänger, als auch exaltierte Verführerin von Anselme für sich ein. Die Tänzer sorgten für phantasievoll gestaltete Szenen, die jedoch kaum dem höfischen Tanz zu Zeiten Louis XV. verpflichtet waren. Der Chor überzeugte musikalisch und wurde oft, gemeinsam mit den Tänzern, als bunt gekleidete Menge zum Blickfang.

Fazit

Eine rundum gelungene, moderne Adaption der französischen Barockoper. Arila Siegert spürte den vielfältigen Elementen des zwischen Comédie lyrique und Comédie-ballet, stehenden Werkes nach. Ihr chinesischer Palast präsentierte wirkungsvoll eine verzauberte, fremde Welt. Gelungene optische Effekte prägten die Szenen. Die Live-Bemalung der Kulissen, die nicht zuletzt an eine hervorragende Lichtregie gekoppelt war, verlieh der vor 250 Jahren entstandenen Oper im wahrsten Sinne des Wortes neue Farbe. Die Tänze wurden mit Überlegung modernisiert. Man könnte einwenden, dass die Regisseurin, die auch Choreographin ist, nicht den historischen Tanzstil pflegte, stattdessen moderne Tanzbewegungen einsetzte, beispielsweise Breakdance-Elemente. Doch wirkte sich das auf den positiven Gesamteindruck nicht störend aus, weil diese Elemente organisch in die Inszenierung eingearbeitet worden sind.


Das Glück ist mit den Unerschrockenen

Jean-Philippe Rameaus Ballettoper Les Paladins in Düsseldorf

Bettina Trowborst,
in: Kieler Nachrichten, Segeberger Zeitung, 03.Febr. 2010

Ludwig XV. ist schuld. Weil der absolutistische Herrscher die Werke seines Hofkomponisten Jean-Philippe Rameau als Privatbesitz betrachtete, schafften diese es selten über französische Bühnen hinaus. Was der Opernwelt bislang entgangen ist, lässt sich erahnen, wenn man nach Düsseldorf blickt. Dort hat Arila Siegert Jean-Philippe Rameaus Barockwerk Les Paladins (Die Pilger) 250 Jahre nach der Uraufführung in deutscher szenischer Ersttaufführung eingerichtet.

Eine Ballettoper - für Arila Siegert als Tänzerin, Choreografin und Opernregisseurin die perfekte Aufgabe. Die Dresdnerin, deren Inszenierungen bekannt sind für ihre tänzerische Leichtigkeit und die in der kommenden Saison auch an der Oper Kiel inszenieren soll, hat Rameau ganz aus dem Geist der eleganten, delikaten Musik gestaltet. Dafür erhielt sie einhelligen Jubel.

Die Handlung ist leicht erzählt. Paladin Atis will seine Geliebte Argie aus der Obhut ihres liebestollen Vormunds befreien. Der alte Anselme, ein Richter, will die junge Schöne selbst heiraten. Fee Manto und Atis' Paladine vereiteln Anselmes Absichten. Arila Siegert liest aus dem höfischen Zauber- und Verwandlungsspiel eine Botschaft: Das Glück ist mit dem, der unerschrocken seinen eigenen Weg geht. Eine verständliche Deutung, denkt man an die Biographie der Dresdnerin. In der ehemaligen DDR war die Palucca als Einzelkämpferin und Vertreterin des expressionistischen Ausdruckstanzes zwar im Ausland prominent, in der Heimat hatte sie jedoch einen schweren Stand. Das Gefühl, bespitzelt zu werden, war ihr ständiger Begleiter.

Heute geht Arila Siegert, befreit von den Gespenstern der Vergangenheit, ganz in ihrer Kunst auf. "Les Paladins" ist ein so filigranes wie farbenfrohes Gesamtkunstwerk. Die herrliche Musik, das Spiel der jungen, herausragenden Gesangssolisten, von Chor und Tänzern, die Bühne aus mobilen, weißen Wanden, die eleganten Kostüme - alles fügt sich zu einem klingenden Kosmos der Harmonie. Heiter-ironische Farbtupfer pinselt und kritzelt der Künstler Helge Leiberg live vom Zuschauerraum aus via Overheadprojektor auf die Kulissen. So entstehen witzige Pointen, die das Geschehen buchstäblich unterstreichen oder übermalen.

Die Ballettdivertissements hat Siegert vollständig integriert. Tänzer und Chor geben erst Atis' Gefolge, später dann Dämonen und chinesische Figuren. Die Paladine sind angelegt zwischen mittelalterlichen Gauklern und Straßenkünstlern. Als Balletttänzer, Breakdancer, Maskierte wirbeln sie durch die Szenerie. Ausgestattet mit Luftballons und Sonnenschirmen, verleihen sie dem Abend eine bunte Poesie. Das gesamte Personal ist nonstop in Bewegung: Gavotte, Menuett, Hip-Hop, Moonwalk. Und nie sah man so spielfreudige, tänzerische Sänger: Les Paladins als federleichte, choreografierte Oper.

Dabei ist Rameaus Komposition mit ihren ständig wechselnden Rhythmen ein hochkompliziertes Werk. Da bedarf es schon eines so kenntnisreichen Barockexperten wie Konrad Junghänel, der mit der Neuen Düsseldorfer Hofmusik die comédie lyrique zum Schwingen brachte.


Luftleichte Erotik

Christoph Zimmermann, in: General Anzeiger, 09.Febr. 2010

Jean-Philippe Rameaus späte Oper "Les Paladins" verschwand nach 15 Uraufführungs-Vorstellungen (1760) in der Schublade. Nun initiiert die Deutsche Oper am Rhein nach einem hochgelobten Monteverdi-Zyklus auch einen in Sachen Rameau.

In "Les Paladins", einziger "comédie lyrique" neben der häufiger gespielten "Platée", zeigt sich Rameau für verwertbare italienische Einflüsse durchaus offen. Im 3.Akt gibt es sogar ein "Plapper"-Terzett, welches Rossini vorwegzunehmen scheint, aber auch eine fast romantisch sphärenhafte Arie der Sopran-Protagonistin Argie. Diese stellt die enormen kantablen Fähigkeiten von Anna Virovlansky (früher Bonn) ein weiteres Mal unter Beweis.

Bei Konrad Junghänel ist die faszinierende Musik in denkbar besten Händen. Er lässt im Orchester "Neue Düsseldorfer Hofmusik" die Farben nur so sprühen.

Die große Kunst der Vergegenwärtigung gelingt vor allem Arila Siegert. Mit allen Mitteln von Regie und Choreografie, weiterhin mit deftigem Jux hier, magischem, überhöhendem Kolorit dort, zaubert sie ein allegorisches Fantasiereich herbei, tanzbeflügelt, luft-leicht, erotisch. Zum Schluss ein schockartiger Akzent: Der Paladin Atis sucht vergeblich seine dem intriganten Anselme eben noch entrissene Argie, die Fee Manto entpuppt sich hier als Geist aus dunklen Reichen.

Bei den erstklassigen Sängern eine besondere Entdeckung: der Schwede Anders J. Dahlin, mit einer an Klaus Florian Vogt erinnernden Stimme und sportlicher Bühnenpräsenz. Über den Abend geriet das Düsseldorfer Publikum schier außer sich.


Wenn der Tenor in der Arie einen Salto macht

Pedro de Castro, in: BILD, 30.Jan. 2010

Die Oper "Les Paladins" ist zwar 250 Jahre alt, aber ihre Düsseldorfer Inszenierung ist die modernste in Deutschland.

Frankreich am Hofe Ludwigs XV. Es wimmelt von Helden, sanften Schönen, die alte Männer heiraten müssen und rettenden Feen. Regisseurin Arila Siegert, selbst Tänzerin, bettet die anspruchsvollen Gesangspassagen in Bewegungen ein. Höhepunkt: Ein Tenor, der mitten in der Arie ein Salto vorwärts macht!

Doch der größte Knaller ist das Bühnenbild. Zeichner Helge Leiberg zaubert per Projektor unterschiedliche Motive auf den weißen Bühnenvorhang. Die malt er auf Folien, diesen Vorgang sieht der Operngast auf der Bühne. Urkomisch wenn die Liebenden über ihre Sehnsucht singen und im Hintergrund eine Karikatur entsteht: Das Männchen mit erigiertem Penis und ein Weibchen in eindeutiger Pose.

Tolle Sänger wie Julia Elena Surdu runden die Überraschungs-Premiere ab. Knapp 13 Minuten tobender Beifall. Unbedingt hingehen!


Wo Jugend aus der Reihe tanzt

Deutsche Oper am Rhein bricht eine Lanze für Rameau und "Les Paladins"

Michael Beughold, in "Neue Westfälische", 04.Febr. 2010

Barockoper ist alllerorten angesagt wie nie, nur die französische steht hierzulande im Abseits. Als Gesamtkunstwerk aus dem Geist des Sprechdramas und des höfischen Balletts, feinsinnig "durchkomponiert", dafür ohne Bravourarien, war sie stets eine nationale Besonderheit für Kenner. An der Deutschen Oper am Rhein bricht man für diese Sonderform und ihren Vollender Jean-Philippe Rameau eine als Zyklus angelegte Lanze.

Den Auftakt machte das in deutscher Erstaufführung gezeigte Spätwerk "Les Paladins" (1760) des 77-jährigen Fortschrittsmusikers. Als "comédie lyrique" tanzt es eigensinnig aus der Reihe der entweder Tragödien oder Tanzfest-Pastoralen, greift italienische Opernelemente auf und lässt Pathos und Parodie, Ernst und Komik musikalisch-figürlich raffiniert verfließen. Für die Gralshüter Lullys seinerzeit ein ästhetisches Gräuel, für uns heute eine umso animierendere Mischung. Die ungewohnt übersichtliche Handlung selbst macht dabei nicht viel her: Ein herrischer Alter will sein natürlich anderweitig verliebtes Mündel heiraten, was eine hilfreiche Fee mit einem Bühnenzauber vereitelt. Titelhelden aber sind ja die Paladine, eine muntere Schar junger Leute im Gefolge des fahrenden Ritter-Galans. Sie sind als Pilger der Liebe unterwegs, stehen chorisch-tänzerisch für ein ungebunden selbstbestimmtes Lebensgefühl und den Ausbru8ch aus Konventionen.

Das nahtlos zusammenzuführen war die Regisseurin und Choreographin aus der Palucca/Berghaus-Schule Arila Siegert eine gute Wahl. Fantasie- und geschmackvoll gelang ihr mit Marie-Luise Strandt (Kostüme) und Frank Philipp Schlößmann (Bühne) eine spielerisch leichtfüßige Umsetzung. Dezent heutig, mit Luftballons, Masken und historischen Bildzeichen versehen, schneien die Paladine in den variablen Tapeten-Salon, den Live-Zeichentechnik als Kerker für die Angebetete (schön ernst: Anna Virovlansky) nebst Freundin (quecksilbirg: Julia Elena Surdu) veranschaulicht. Den Aufpasser (Laimonas Pautinius) suchen sie erst einzugemeinden, nach dem Mordauftrag dann als böser Gewissens-Spuk heim. Den Vormund (finster mit Stil: Adrian Sâmpetrean) umgarnen sie in güldener Hingucker-Pracht, bevor ihn die Zigeuner-Fee (tenoral pikant: Thomas Michael Allen) moralisch bloßstellt. Stilistisch überragender Glücksgriff vom Tenor-Feinsten ist Anders J. Dahlin. Die Partie des Liebhaber-Anführers hat er schon unter Barock-Koryphäe William Christie gesungen und macht hier auch tanzgestisch fabelhaft agile Singfigur.

Ein Drama der großen Gefühle und Affekte bieten "Les Paladins" nicht. Sie bezaubern als kunstreiche Unterhaltung, die voller Charme und Esprit in eine neue empfindsame Zeit weist. Konrad Junghänel und die "Neue Düsseldorfer Hofmusik" bringen den musikalischen Reichtum, vor allem den vitalen Drive der Tanzeinlagen barockerfahren zum Klingen. Das Fundament für einen Rameau-Zyklus am Rhein ist damit hörens- und sehenswert gelegt.


Mit leichter Hand

Rameaus Les Paladins in DUsseldorf

Joachim Lange, in: Bühne, Österreichs Theater- und Kulturmagazin, März 2010

Die deutsche Erstaufführung dieser Comédie Iyrique von Jean-Philippe Rameau kam spät aber nicht zu spät. Nach genau 250 Jahren war es die Deutsche Oper am Rhein, die "Les Paladins" jetzt in Düsseldorf auf die Bühne brachte.

Mit dem barockversierten Konrad Junghänel am Pult des dortigen Spezialensembles ,Neue Düsseldorfer Hofmusik' im Graben und einem spielfreudigen jungen Sänger- und Tänzer-Ensemble, das Marie-Luise Strandt in ausnehmend schöne Kostüme gesteckt hat, auf der Bühne. Dass Regisseurin Arila Siegert auch Tänzerin und Choreografin ist, kommt der Melange aus einer Liebesgeschichte mit Hindernissen, Zauberer-Hilfsaktionen und üppigen Balletteinlagen zugute, gelingt es ihr doch mit leichter Hand zusammenfügen, was einst ganz selbstverständlich zusammengehörte.

In einem Bogen von der barocken Opulenz bis zum Showeffekt eines gut gemachten Musicals. In Frank Philipp Schlößmanns an eine leergeräumte Barockbühne erinnerndem Raum sind bewegliche Wände sowohl Palastmauer als auch Projektionsfläche für das organisch hineingeblendete Live-Painting des Malers Helge Leiberg. Und so kommen die junge Argie (Anna Virovlansky) und ihr Atis (Haute-Contre: Anders J. Dahlin) trotz der Intrige von Vormund Anselme (Adrian Sâmpetrean) und mit Hilfe der Fee Manto (Thomas Michael Allen) am Ende zusammen. Nach dem lieto fine dann: Jubel für eine Entdeckung!


Instrumentaler Barock-Glanz

Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf, "Les Paladins"
Oper von Jean-Philippe Rameau, deutsche szenische Erstaufführung

Peter Ackermann, in: theater pur / Orpheus, März 2010

Intendant Christoph Meyer zeigt Mut und plant einen Rameau-Zyklus an der Deutschen Oper am Rhein. Jetzt startet er mit "Les Paladins" - eine barocke comédie lyrique, die 1760 im Paris Ludwig XV. entzückte. Barockopern wollen - inzwischen stark gekürzt - noch immer als zumeist unbekannte Welten erobert werden. Der Rheinoper gelingt eine erstaunlich frische, durch viel Tanz inspirierte Premiere, die durch szenische und musikalische Harmonie überzeugt.

Arila Siegert ist nach langer Karriere als Tänzerin und Choreografin der Fachwechsel zur Regie 1998 gelungen, und mit der unbekannten Rameau-Oper gelingt ihr eine vitale Deutung. Die fantasievollen Kostüme und Requisiten von Marie-Luise Strandt und die Livemalerei auf Folie von Helge Leiberg, aus dem Parkett via Projektion auf die kahlen Bühnenwände übertragen, inspirierte die Regie zu humorvollen Commedia-dell'arte-Szenen. Für Schwung zwischen den Rezitativen und Da-capo-Arien und in dem üblichen larmoyanten Libretto zwischen Liebe, Trauer und lntrige sorgten die grotesk-witzigen Choreografien, die Siegert für Chor, Tänzer und Solisten kreierte.

Sämtliche Rollen waren extrem jung besetzt. Atis, den jungen Ritter Paladin, sang der schwedische Tenor-Beau Anders J. Dahlin erstaunlich souverän, und überraschte mit akrobatischen Tanzeinlagen. Seine Geliebte Argie war mit der russischen Sopranistin Anna Virovlansky optisch und sängerisch ideal besetzt. Und in ihrer ersten Spielzeit an der Rheinoper überzeugte sie bereit in ersten Fachpartien (Rigoletto, Zauberflöte). Argies Freundin Nérine, die sie mit List vor dem rachsüchtigen Anselme (Adrian Sâmpetrean mit kraftvollem Bass-Bariton und gestalterischer Präsenz) schützt, war mit Julia Elena Surdu rollenideal besetzt. Die Rumänin debütiert mit dieser Rolle in Düsseldorf und überzeugte mit expressivem Sopran. Der litauische Bariton Laimonas Pautienius als Diener Orcan und der lyrische Tenor Thomas Michael Allen als mondäne Fee-Diva Manto lieferten zwei köstliche, komödiantische Portraits der Extraklasse!

Konrad Junghänel, gerühmter Lautenist und Kenner der Alten Musik, führte die Neue Düsseldorfer Hofmusik und die Sänger mit feinsten Nuancen durch die Rameau-Partitur. Das Ergebnis war erlesene Barock-Musik. Bravi für alle.


Musikantisch und federnd

Die Düsseldorfer Deutsche Oper am Rhein startet ihre Rameau-Serie mit einer überzeugenden Inszenierung von "Les Paladins" durch Arila Siegert - höfisch gespreizt und rustikal stampfend

Regine Müller, in: tageszeitung, 01.Febr. 2010
(leicht gekürzt unter dem Titel:
"Barocke Posen, HipHop inklusive"
auch in: Kölner Stadtanzeiger, 30.Jan. 2010)

Vom Barockboom an den Opernhäusern hat Jean-Philippe Rameau hierzulande bislang kaum profitiert. Während es in Frankreich längst eine Rameau-Renaissance gab, fremdeln die hiesigen Bühnen nach wie vor mit dem Oeuvre des Hofkompositeurs Ludwigs XV. Insbesondere Rameau gilt zudem als schwierig, da seine kleinteilige Musik extrem diffizil ist und selbst von Spezialisten nicht leicht zum Klingen zu bringen ist.

So scheint es riskant, dass die Deutsche Oper am Rhein sich unter ihrem neuen Intendanten Christoph Meyer in Sachen Barockmusik nun ausgerechnet Rameau zuwendet und einen ganzen Zyklus seiner Werke stemmen will. 250 Jahre nach der Uraufführung machte die Comédie lyrique "Les Paladins" in Düsseldorf nun den Anfang der Rameau-Erkundung und erlebte ihre deutsche szenische Erstaufführung. Der einhellige Jubel nach der Premiere lässt ahnen, dass Meyers Rechnung aufgehen dürfte.

An Rameaus Spätwerk ist besonders heikel, dass es zur seltenen Gattung der Ballettkomödie zählt. Der Tanz ist hier keine Nebensache, kein Atemholen zwischen virtuosen Gesangsnummern, wie die obligatorischen und heute meist gestrichenen Balletteinlagen anderer Barockopern, sondern integraler Bestandteil und Motor des Werks. Die Musik selbst ist durchweg enorm gestisch und fußt ganz buchstäblich auf komplizierten, ständig wechselnden Tanzrhythmen zwischen höfisch gespreizter Eleganz und rustikal stampfender Volksmusik.

Das ist eine Steilvorlage für Regisseurin Arila Siegert, die eine Schülerin der Tanzlegende Gret Palucca ist. Für Siegert sind die Körperlichkeit der Musik und die tänzerische Bewegung der Schlüssel zu Deutung und Darstellung. Siegert bürstet Rameau in Düsseldorf ergo nicht gegen, sondern offensiv mit dem Strich. Jeder Schritt, jede Geste von Chor, Tänzern und Solisten ist gestaltete Musik. Siegert hat jedoch keine streng abgezirkelte klassische Choreografie gebaut, sondern komponiert überquellende Tableaus, in denen sich jede Figur nach eigenen Gesetzen zu bewegen scheint. Das Bewegungsrepertoire mischt dabei wie selbstverständlich gezierte Gavotte-Schritte und barocke Posen mit zappelndem Breakdance und Moonwalk in Zeitlupe. Grobmotoriker mögen das reichlich hyperaktiv finden, den Drive der Rameau'schen Musik erschließt dieses verspielte Konzept vorzüglich.

Die märchenhafte Geschichte des jungen Paladins Atis, der seine Geliebte Argie aus den begehrlichen Fängen ihres Vormunds Anselme zu befreien trachtet und sein Ziel mit der Hilfe seiner freigeistigen Paladin-Gefährten und der (Tenor-)Fee Manto schließlich erreicht, taugt allerdings wenig zu tief gründelnder Psychologisierung und bietet auch kaum Angriffsfläche für eine dekonstruierende Regieaxt. Siegert setzt daher ganz auf die Theaterwirkung aus dem Geist üppig bewegter Bilder. Das Ergebnis ist leicht, musikalisch, komisch und dabei durchaus subtil. Eine ironische Ebene zieht der Maler Helge Leiberg ein, der im Zuschauerraum sitzt und das Geschehen auf der von Frank Philipp Schlößmann mit verschiebbaren Wänden sparsam möblierten Bühne sozusagen übermalt. Via Overheadprojektor werden seine live entstehenden Kommentare direkt auf die Bühne projiziert.

Im Graben leitet Konrad Junghänel das Spezialisten-Ensemble "Neue Düsseldorfer Hofmusik". Anfangs rumpelt und holpert es noch und an der Balance mit den Sängern hapert es bisweilen, doch trifft Junghänel den feinen, zart kolorierten, rhythmisch so agilen Esprit der Musik genau und das Orchester klingt mitreißend frisch, brillant, musikantisch und federnd. Das Sängerensemble ist sehr jung besetzt und entsprechend leicht timbriert, allen voran Anders J. Dahlins smarter, darstellerisch fabulös präsenter "Atis", der seine schwierige Haute-Contre-Partie mit tänzelnder Nonchalance meistert, gefolgt von Anna Virovlanskys schmelzend reinem "Argie"-Sopran. Iulia Elena Surdu (Nérine), Adrian Sâmpetrean (Anselme), Laimonas Pautienius (Orcan) und Thomas Michael Allen (Manto) überzeugen allesamt.


Ein Opernaquarell

Arila Siegert inszenierte in Düsseldorf
Jean-Philippe Rameaus Oper „Les Paladins“

Roberto Becker, in: ND (Berlin), 09.02.2010

In Düsseldorf sind die Sachsen zwar nicht unter sich... Aber der vom Leipziger Operndirektor zum Generalintendanten der Deutschen Oper am Rhein avancierte Christoph Meyer hat gerade eine ziemlich verdienstvolle, hoffentlich das Barockrepertoire erweiternde, deutsche Erstaufführung in aus Dresden stammende Hände gelegt. Sowohl die Choreografin und Regisseurin Arila Siegert, als auch der dem Genre der improvisierenden Livemalerei sehr zugetane Maler Helge Leiberg stammen aus der sächsischen Landeshauptstadt.

Leiberg steht bei Jean Philippe Rameaus „Les Paladins“ in der ersten Reihe des Zuschauerraums der Düsseldorfer Oper am Overhead-Projektor und vervollständigt Frank Philipp Schlößmanns Bühnenbild jeden Abend aufs Neue mit seinen Aquarell-Assoziationen. Mal werden die großen beweglichen Schiebewände im ansonsten fast leeren Bühnenraum fröhlich bunt überblendet, mal in düstere Farben getaucht, mal mit witzigen Figuren die Handlung kommentiert. Unaufdringlich, aber dazugehörig und integriert.

Die am 12.Februar auf den Tag genau 250 Jahre alte und bislang noch in Deutschland aufgeführte comédie lyrique des großen französischen Zeitgenossen Händels ist ohnehin eine Melange aus orchestraler Eigenständigkeit, ausschweifender Balletteinlage und arioser Beredsamkeit. Mag sein, dass diese ziemlich moderne Genrevielfalt den französischen Beitrag zum Barockboom der letzten Jahrzehnte (selbst in Frankreich) nicht über Pflichtübungen hinauswachsen ließ. Dabei ist Rameau keineswegs nur eine mehr oder weniger raffiniert opulente französische Variante von Händel (wie manche von dessen deutschen Zeitgenossen), sondern ein Erbe Lullys, der originär französisch und zugleich mit einigem Reformeifer ausgestattet war. Jean Philippe Rameaus Opern ließen sich heute also mit Gewinn neben den längst wieder etablierten Händel setzen.

Wenn man sie so auf die Bühne bringt wie jetzt in Düsseldorf, dann funktionieren sie auch als lebendige Bühnenereignisse. Hier nämlich kann die Palucca-Schülerin Siegert ihre Profession als Choreografin nicht nur als Zugabe, sondern strukturell einbringen. Und das macht sie höchst überzeugend und zur Freude des Publikums mit einem jungen, beweglichen Sängerensemble und einer Truppe von zehn Tänzern, die Marie-Luise Strandt in ausnehmend schöne Kostüme gesteckt hat. Die Regisseurin führt dabei den stets spürbaren Bewegungsimpuls von Rameaus delikater Musik bis in die Gegenwart. Wenn sie allesamt zu den barocken Tönen tanzen, dann wirkt das nie historisierend oder aufgesetzt modernisiert, sondern kommt durchweg als Bewegung gewordene Musik daher.

So erzählt Siegert mit leichter Hand eine Liebesgeschichte mit Hindernissen inklusive opulenter Zauber-Einlage. Der heftigen Zuneigung zwischen Argie (Anna Virovlansky) und ihrem Atis (Anders J. Dahlin) kommen die Ambitionen von Argies Vormund Anselme (Adrian Sâmpetrean) in die Quere. So ähnlich wie in Rossinis „Barbier“ will er das Mädchen selbst heiraten und so ähnlich wie dort scheitert er damit. Bei Rameau haben die Freunde der jungen Leute allerdings die Zauberfee Manto (Thomas Michael Allen) auf ihrer Seite. Die gaukelt dem Alten ein Schloss vor und verwickelt ihn in eine Orgie. Obwohl die hier allzu brav ausfällt, reicht sie immerhin, um ihn bloßzustellen und als Heiratskandidaten unmöglich zu machen.

Dass das in einen furiosen finalen Jubel mündet, daran hat auch das Barockensemble Neue Düsseldorfer Hofmusik unter Leitung von Konrad Junghänel entscheidenden Anteil. Junghänel ist derzeit auch in Berlin zu bewundern: Mit Glucks „Armida“ macht er hier Furore.


Französische Ballettoper in Düsseldorf

„Les Paladins“ von Rameau an der
Deutschen Oper am Rhein

Udo Pacolt, Wien/München, in: Der Neue Merker (Gesehene Vorstellung: 05.02.2010)

Arila Siegert gelang mit ihrer Inszenierung ein sinnliches Theater auf die Bühne – für sie zeichnet Frank Philipp Schlößmann verantwortlich – zu bannen, wobei sie geschickt die dreiaktige französische Comédie lyrique mit der italienischen Commedia dell’ arte verband. Auch schaffte sie es mit ihrer Choreographie, die Sängerinnen und Sänger teils tänzerisch, teils komödiantisch auftreten zu lassen und sorgte damit für eine flotte Aufführung ohne Brüche. Mit ihrer Idee, einen Maler live die Bühnenbilder zu übermalen, schuf sie ein neues kreatives Element. Helge Leiberg überzeugte dabei mit flottem Strich und sicher geführtem Pinsel, wobei er zum Teil sehr witzige und auch erotische Zeichnungen schuf, die vom Publikum sogar mit Szenenapplaus bedacht wurden. Die legeren bunten Kostüme und die gut zur Inszenierung passenden Requisiten stammten von Marie-Luise Strandt.

Aus dem durchwegs jungen internationalen Ensemble ragten der Bass Adrian Sâmpetrean als Anselme sowie die Sopranistin Iulia Elena Surdu als Nérine heraus, die beide mit prächtiger Stimme und herzerfrischender komödiantischer Leistung das Publikum begeisterten. Ihnen fast ebenbürtig – sowohl stimmlich wie auch darstellerisch – der Bariton Laimonas Pautienius als Diener Orcan und der Tenor Thomas Michael Allen als Fee Manto. Das junge Liebespaar Argie und Atis wurde von Anna Virovlansky und Anders J. Dahlin verkörpert, deren erfrischendes Spiel über kleine stimmliche Defizite hinwegschauen ließ. Ihr Sopran klang in der Höhe einige Male zu schrill, sein lyrischer Tenor war neben seinen stimmkräftigen Partnern zu wenig tragfähig.

Mitreißend die Tänzerinnen und Tänzer als Paladine sowie Mack Kubicki und Sören Swart als Hund und Vogel. Zu nennen ist auch der von Gerhard Michalski einstudierte Chor der Deutschen Oper am Rhein, der stimmlich und schauspielerisch quicklebendiges Musiktheater bot. Die Neue Düsseldorfer Hofmusik, die bereits durch eine eigene Konzertreihe („Raum & Klang“) und durch viele Gastauftritte bei Festivals für Alte Musik aufhorchen ließ, wurde von Konrad Junghänel mit sichtbar engagiertem Einsatz geleitet.

Tosender Beifall des begeisterten Publikums am Schluss der Vorstellung für das gesamte Ensemble, für Chor, Orchester und Dirigenten.


Im Funkenflug der Pointen

Horst Kögler, in: koeglerjournal, 29.01.10

...Alles in allem addierte sich die aufwendige Düsseldorfer Produktion zu einem Funkenflug der Pointen: atemberaubende Koloraturen, hochtrabende rhetorische Floskeln, flinke Märsche, donnerndes Getöse, hübsche Bläsereinwürfe (besonders für die Hörner und Oboen), abgrundtiefes Leid, zornige Eifersucht, finstere Morddrohungen, Keith-Haringsche Strichmännchen, süßes Geturtele - nur leider nicht das mindeste Fetzchen melodiöser Kantilene...

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Rettende Ritter

Jochen Schmidt, in: DIE WELT, 12. 02.10

...Rameaus Spätwerk besteht aus einer Mischung aus Arien und musikalischen Divertissements mit Tänzen. Vermutlich deshalb hat man sich der Dienste der gelernten Choreografin Arila Siegert verpflichtet, die die Handlung in einer ständigen tänzerischen Bewegung im Fluss hält.
Frank Philipp Schlößmann hat ihr eine Bühne gebaut, die bis weit in den Orchestergraben vorstößt und diesen verkleinert auf bewegliche Mauerelemente wie aus einem großen Baukasten. Darauf malt der knapp hinter dem Dirigenten platzierte Helge Leiberg mit Pinsel und Feder flüchtige Schraffuren und Figuren, die den ironischen Charakter der Aufführung noch unterstreichen.
„Les Paladins“ erzählt die Geschichte eines Liebespaares, das einige Hindernisse überwinden muss, ehe es mit Hilfe der Tempelritter, eben der Paladine, und der Fee glücklich vereint sein darf. In der Düsseldorfer Aufführung wird die Rettungsszene in der Phantasielandschaft zu einem genialen Theatercoup, wenn sich die anscheinend nur aufgemalten Bilder der zehn Paladine in der Rückwand konkretisieren, aus der Wand herabsteigen und ins Spiel eingreifen: die einzige Szene, in der es die tänzerische Aktion mit der musikalischen aufnehmen kann.

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Wolfram Goertz, in: Rheinische Post, Düsseldorf, 30.01.2010

…Eine Mobilitätsgarantie erwirbt der Fan der Rheinoper mit dem Billet für ihre neue Produktion, Rameaus Barockoper „Les Paladins“. Es handelt sich um eine Comédie lyrique, bei der traditionell ein Ballett mitwirkt, und die Inszenierung von Arila Siegert ist so eilig getaktet, dass die Leute auf der Bühne keine Sekunde still stehen... Da Elemente und Commedia dell’arte in den Abend drängen, ist alles immerzu im Fluss…

Ach, es gibt einige Bedenken, die man der Produktion antragen mag... Andererseits erleben wir in Siegerts Produktion viele kostbar gezauberte Details: die sich choreografisch verschiebenden Wände (Bühne: Frank Philipp Schlößmann), das putzige Duell zwischen Atis und dem vor Angst bibbernden Orcan, die schwüle Verführung des bösen Anselme durch die Fee Manto. In „Les Paladins“ geht es wie in Mozarts „Entführung“ um unsanft getrennte Liebende, die am Ende nach Prüfungen harmonisch vereint werden. Dieser absehbar im Hellen endende Weg wird von Siegert so sinnlich abgeschritten, dass man einige Unklarheiten nicht allzu streng verfechten sollte…

Dabei hilft uns die wunderschöne, fein gemaserte rhythmisch außerordentlich quicke und brillante Musik – und hilft Konrad Junghänel. Der Dirigent versteht viel von Phrasierung und melodischem Atem, davon profitiert die Neue Düsseldorfer Hofmusik vor allem im zweiten Teil des Abends… Überaus gewandt sangen Anna Virovlansky als Argie (ein toll geführter Sopran mit keusch angesetzten Liegetönen) und Julia Elena Sardu als ihre köstliche verspielte Zofe Nérine... Von starker Mobilität getrieben am Ende auch die Hände des Publikums.

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Lars Wallerang, in: Westdeutsche Zeitung, Ausgabe Düsseldorf vom 30.01.2010

...Arila Siegert bemühte sich mit ihrer Inszenierung sichtlich um eine Synthese aus Lustspiel und hintergründigem Liebesdrama. Doch dabei gerät manches vordergründig und zu dick aufgetragen, etwa die archaische Zeichnung eines Liebespaares mit betonten Geschlechtsmerkmalen. Indes blitzen auch Lichtblicke auf. Vor allem im zweiten Teil zünden die komödiantischen Einfälle. Köstlich ist die Szene bei der Fee Manto (witzige Travestie: Thomas Michael Allen), die das Haus des Richters Anselme in einen prachtvollen Palast verzaubert, um ihn auf diese Weise zu verführen und anschließend zu kompromittieren. Der alte Richter Anselme ist eigentlich hinter seinem jungen Mündel Argie (Anna Virovlansky) her, die ihrerseits den Paladin Atis (Anders J. Dahlin) liebt. Doch Anselme will den Nebenbuhler heimlich töten lassen...

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Bernd Aulich, in: Recklinghäuser Zeitung, 04.02.2010

...Leider setzt Siegert die scheinbar simple Geschichte der lebenslustigen Paladine im Pilgergewand, deren Anführer Atis als Herzensritter das Mündel Argie als seine Herzensdame aus der Gewalt des liebestollen alten Vormunds Anselme befreien will, nur als flotten Aufbruch einer gegen das Alter auftretenden Jugend im Liebesrausch in Szene...

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Pedro Obiera  vergleicht die Musik Rameaus mit der des hundertfünfzig Jahre früheren Monteverdi und kommt zu dem Schluss: (in: WAZ, 30.01. / Gießener Allgemeine Zeitung, 10.02.2010)

...Zugegeben: Jean-Philippe Rameaus späte Comédie Lyrique Les Paladins (1760) ist eine „komische Oper“, die bereits manch derbes Element der italienischen Buffa enthält... Dass die Ballett-erfahrene Regisseurin viel Bewegung ins Spiel bringt, ist legitim. Dass der Chor und die Ballett-Truppe jedoch mit stereotyp hampelnden Bewegungsfloskeln ständig die Bühne in Unruhe versetzen, zeugt von wenig Vertrauen in die Tragfähigkeit der Solo-Partien...

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Guido Fischer, in: Frankfurter Rundschau 11.02.2010

...Derweil verwandelte Regisseurin und Choreographin Arila Siegert das Geschehen um einen verschmähten Liebestollen in einen Käfig voller Gaukler und Dauerbewegungshungriger...

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Marieluise Jeitschko, in: Tanznetz

...Gerade die häufig gestrichenen Ballettmusiken, so schwärmt der Dirigent, seien in Rameaus Opern „Erinnerungsstücke“ für das Publikum. Siegert hebt sie bei dieser deutschen szenischen Erstaufführung der Oper von 1760 wenig prägnant gegen Arien, Duette und Chöre ab. Vielmehr setzt sie alle und alles ständig in Bewegung: da wandern und rotieren die weißen Wände ihrer Bühne auf der Bühne (Frank Ph. Schlößmann), werden via Projektionen bunt getüncht und vergrößert (Licht: Volker Weinhart) oder mit Live-Malerei (Helge Leiberg) floral bis frivol bekritzelt. Der junge Ritter Atis, der Argie liebt, die aber – wider Willen – ihren Ziehvater Anselme heiraten soll, führt eine Horde fröhlicher Gaukler im Gefolge - „Paladine“, wie er, die aus dem Raster gesellschaftlicher Konventionen tanzen; die sich die Freiheit nehmen, frei und glücklich in den Tag hinein zu leben...

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Armin Kaumanns, in: Aachener Zeitung, 07.02.2010

...Nach der Premiere darf man füglich zweifeln, ob der enorme Aufwand lohnte, wenngleich es viel Schönes zu hören und zu sehen gibt...

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Der Moonwalk zu Opernklängen, nec, in: Rhein-Bote, 03.02.2010

Es ist die flinke Hand von Helge Leiberg, die dem barocken Stück „Les Paladins“ von Jean-Philippe Rameau modernen Glanz verleiht... Der Künstler wirkt [mit seiner Live-Malerei] dabei wie ein "Big Brother" aus dem Off und nutzt das schlichte wie grandiose Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann via Projektor als seine Leinwand. ...Trotz der Aufführung auf französisch mit deutschen Übertiteln weiß die Inszenierung von Arila Siegert und Konrad Junghänel (musikalische Leitung) die Brücke zum modernen Publikum zu schlagen. Das Ensemble überzeugt durchweg. Besonderes Highlight am Ende: Michael Jacksons „Moonwalk“, ausgeführt von einem Tänzer und als Atis-Darsteller Dahlin - zu Opernklängen.

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weitere Online-Kritiken u.a.: musik-an-sich / kultur-extra

Über die Zweit-Premiere in Duisburg am 29.April 2010

Liebes-Pilger für alle Sinne

Ingo Hoddick, in: Rheinische Post Duisburg 04.05.2010
Die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg übernahm ihre erfolgreiche Produktion der Barockoper "Les Paladins" von Jean-Philippe Rameau in ihr Duisburger Haus. Anna Virovlansky glänzt in der Hauptrolle.

Wer jetzt noch glaubt, Barockoper sei langweilig, der laufe ins Duisburger Theater und lasse alle seine Sinne von "Les Paladins" (etwa "Die Liebes-Pilger") ansprechen, dem vor 250 Jahren in Paris uraufgeführten "comédie-ballet" von Jean-Philippe Rameau, das die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg jetzt in ihr Duisburger Haus übernahm.

Da ist ein Stück, dessen ebenso eigenwillige wie vitale Mischung aus Oper, Komödie, Tanz, populären Elementen, Illusion, Geistigkeit, Politik und Farce jeden ansprechen kann. Da ist eine Musik, die in ihrer menschenfreundlich witzigen und unglaublich souveränen Haltung einfach zeitlos wirkt.

Da ist eine Inszenierung von Arila Siegert, der nicht nur das Kunststück gelingt, die vielen reinen Instrumentalstücke bruchlos in die Handlung zu integrieren, sondern die uns als Zuschauer auch sanft auf eine Reise zu uns selbst schubst: "Die Botschaft des Stückes ist", erklärte die Regisseurin, "dass du das Leben, das Lebenswerte nicht in äußeren Bedingungen, sondern allein bei dir selbst suchen musst. Fantasie und Erfindungsreichtum bieten damals wie heute eine Brücke des Überlebens". Verschiedenste Bewegungsmuster von Menuett bis Moonwalk sind dabei eine große optische Hilfe.

Da ist auch die vermittels zweier Overhead-Projektoren in der zweiten Parkett-Reihe auf die Bühne gezauberte Live-Malerei von Helge Leiberg. Da sind sechs junge Sänger, deren Spielfreude und Stilwille schier keine Grenzen zu kennen scheint. Allen voran wieder einmal die Sopranistin Anna Virovlansky, die nun also auch im schlackenlosen Barock-Fach zur Weltklasse gehört. Das hört man gleich in ihrer ersten Arie "Triste séjour" (die Übertitel übersetzen "Dieses traurige Dasein"). Und wenn sie im zweiten Teil ihre große Arie "Je vole" (Ich fliege") mit Flöten hintupft, dann liegen ihr nicht nur buchstäblich die anderen Figuren auf der Bühne zu Füßen, sondern im übertragenen Sinne auch wir als Publikum.

Da ist mit dem Originalklang-Ensemble "Neue Düsseldorfer Hofmusik" ein Orchester am Werk, das den Farbenreichtum dieser Partitur wie selbstverständlich serviert. Das ist in jeder Sekunde spannend zu hören. Zumal der musikalische Leiter Konrad Junghänel nicht nachlässt in seiner ebenso akribischen wie lebhaften Werktreue.


Arila Siegert: «Les paladins», Duisburg

Bettina Trouwborst (Kultiversum Tanz),  April 2010

Der junge Pilger Atis will seine Geliebte Argie aus der Obhut ihres liebes­tollen Vormunds befreien, denn der alte Richter Anselme hält das Mädchen gefangen und will es heiraten. Seine Absichten vereiteln Atis’ Mitpilger und die Fee Manto, der es gelingt, ihn en travesti zu verführen. Mit derlei Geschichten vergnügte man sich vor 250 Jahren in Versailles. So lange ist es her, dass Jean-Philippe Rameau, Hofkomponist Ludwigs XV., die Ballettoper «Les paladins» schrieb. Und weil der absolutistische Herrscher die Werke Rameaus als Privatbesitz betrachtete, schafften sie es selten über die französischen Bühnen hinaus. Was der Opernwelt bislang entgangen ist, lässt sich erahnen, wenn man an der Deutschen Oper am Rhein die von ­Arila Siegert inszenierte deutsche ­Erstaufführung sieht.

Die Dresdner Tänzerin, Choreografin und Opernregisseurin liest aus dem höfischen Verwandlungsspiel auch eine Botschaft: Das Glück ist mit dem, der unerschrocken seinen eigenen Weg geht. Das gilt natürlich auch für die Palucca-Schülerin, Einzelkämpferin und Vertreterin des expressionistischen Tanzes, die in der Heimat einen schweren Stand hat.

Mit der Oper endlich geht Arila Siegert ganz in ihrer Kunst auf. «Les paladins» ist bei ihr ein filigranes, farbenfrohes Gesamtkunstwerk. Das Spiel der jungen, herausragenden ­Gesangssolisten, des Chors und der Tänzer, der Bühne aus mobilen, weißen Wänden, der eleganten Kostüme fügt sich zu einem klingenden Kosmos der Harmonie. Heiter-ironische Farbtupfer pinselt und kritzelt der Künstler Helge Leiberg live im Zuschauerraum via Overheadprojektor auf die Kulissen. So entstehen witzige Pointen, die das Geschehen durchaus buchstäblich unterstreichen oder übermalen.

Rameaus Komposition ist mit ihren ständig wechselnden Rhythmen ein kompliziertes Werk. Es bedarf schon eines kenntnisreichen Barock­Experten wie Konrad Junghänel, der mit dem auf historischen Instrumenten musizierenden Spezialistenorchester Neue Düsseldorfer Hofmusik das Werk zum Schwingen bringt.

Die Ballettdivertissements hat Siegert vollständig integriert. Tänzer und Chor geben erst Atis’ Gefolge, später dann die Dämonen, die mit ihren Hexensprüngen und schwarzen Gewändern an Mary Wigman denken lassen. «Les paladins» sind angelegt wie ein aktualisiertes Stück von Molière: zwischen mittelalterlichen Gauklern und heutigen Straßenkünstlern. Als Balletttänzer, Breakdancer, Maskierte wirbeln sie nonstop, ausgestattet mit Luftballons und Sonnenschirmen: Gavotte, Menuett, Hip-Hop. Selten sah man so spiel- und tanzfreudige Sänger in einer so federleicht choreografierten Oper, die sich mitunter nicht scheut, leicht, adrett, auch ein wenig klamaukig rüberzukommen.