Vom Barock-Boom an unseren Opernhäusern hat Jean-Philippe Rameau bislang wenig profitiert. Nach wie vor fremdelt man mit dem OEuvre des Hofcompositeurs Ludwig xv. Rameaus Kleinteilgkeit gilt als diffizil, zudem fordert er mehrere Sparten des Theaters. Trotzdem oder gerade deswegen will die Deutsche Oper am Rhein sich Rameau zuwenden und sogar einen Zyklus seiner Werke stemmen. 250 Jahre nach der Uraufführung machte die Comédie lyrique «Les Paladins» in Düsseldorf nun den Anfang und erlebte ihre szenische Erstaufführung in Deutschland.
Das Spätwerk gehört zur Gattung der Ballettkomödie. Der Tanz ist hier keine Nebensache, kein Atemholen zwischen Gesangsnummern, sondern integraler Bestandteil und Motor des Werks. Die Musik selbst ist durchweg gestisch und fußt ganz buchstäblich auf komplizierten, ständig zwischen höfischer Eleganz und rustikal stampfender Volksmusik wechselnden Rhythmen. Das ist der Schlüsselreiz für Regisseurin Arila Siegert, eine Schülerin der Tanzlegende Palucca. Für sie sind die Körperlichkeit der Musik und die daraus sehr direkt abgeleitete tänzerische Bewegung Schlüssel zur Darstellung und Deutung gleichermaßen.
Siegert bürstet Rameau in Düsseldorf ergo nicht gegen, sondern offensiv mit dem Strich. Jeder Schritt, jede Geste von Chor, Tänzern und Solisten ist gestaltete Musik. Es geht dabei nicht um eine streng abgezirkelte klassische Choreografie, sondern um überquellende Tableaux, in denen sich jede Figur nach eigenen Gesetzen zu bewegen scheint. Das Bewegungsrepertoire mischt unbekümmert Gavotte-Schritte und barocke Posen mit Breakdance und Moonwalk. Nichts für Puristen. Auch Grobmotoriker mögen das Ganze als hyperaktives Gezappel abtun. Den Drive der Rameau'schen Musik erschließt dieses verspielte Konzept jedoch vorzüglich.
Die märchenhafte Geschichte des jungen Atis, der seine Geliebte Argie aus den begehrlichen Fängen ihres Vormunds Anselme befreien will und sein Ziel mit Hilfe der (Tenor!-)Fee Manto schließlich erreicht, scheint kaum zu tief gründelnder Psychologisierung zu taugen und bietet auch wenig Angriffspunkte für eine analytische Regieaxt. Siegert setzt daher ganz auf die Theaterwirkung aus dem Geist üppig bewegter Bilder. Das Ergebnis ist leicht, musikalisch, komisch und dabei durchaus subtil.
Eine ironische Ebene kommt durch den Maler Helge Leiberg ins Spiel, der im Zuschauerraum sitzt und das Geschehen auf der von Frank Philipp Schlößmann mit verschiebbaren Wänden möblierten Bühne sozusagen übermalt: Via Overheadprojektor werden seine live entstehenden Kommentare in den Guckkasten projiziert.
Im Graben leitet Konrad Junghänel das Spezialisten-Ensemble «Neue Düsseldorfer Hofmusik». Anfangs hapert es noch an der Balance mit den Sängern, doch trifft Junghänel den feinen, rhythmisch agilen Esprit der Musik genau, und das Orchester klingt frisch, brillant und musikantisch federnd. Das Sängerensemble ist sehr jung. Entsprechend leicht die Stimmen, allen voran Anders J. Dahlins smarter, darstellerisch fablulös präsenter Atis, der seine schwierige Haute-Contre-Partie mit tänzelnder Nonchalance meistert, gefolgt von Anna Virovlanskys schmelzend reinem Sopran in der Rolle der Argie. Julia Elena Sardu (Nérine), Adrian Sâmpetrean (Anselme), Laimonas Pautienius (Orcan) und Thomas Michael Allen (Manto) überzeugen allesamt.
In Dresden verkauft man schon Händels „Giulio Cesare“ als gewagte Spielplanergänzung. Und in Leipzig wird eine geplante Serie von Gluck-Opern gleich zu einem Ring-Ereignis hochstilisiert, weil man einen richtigen von Wagner nicht zustande bringt. Zur gleichen Zeit macht sich die Deutsche Oper am Rhein daran, wirklich überfällige Pionierarbeit in Sachen Barockoper zu leisten. Und zwar nicht mit dem, dank jahrzehntelanger Festspiel-Hartnäckigkeit in Halle und Göttingen oder dem Musikmarktinstinkt von Peter Jonas in München, längst wieder zur festen Repertoiregröße gewordenen caro sassone Händel, sondern mit dessen französischem Zeitgenossen Jean Philippe Rameau (1683-1764).
...[Generalintendant Christoph Meyer] hat mit der ehemaligen Palucca-Schülerin und Choreographin Arila Siegert, die seit langem als Regisseurin (in Sachen Oper u.a. in Chemnitz und in Sachen Operette auch in Dresden) arbeitet, genau die richtige Entscheidung für die szenische Umsetzung dieses gattungsbedingt extensiv mit Balletteinlagen durchsetzten Opernschmuckstücks getroffen. Genau diese stets schlüssige Symbiose ist ihr hier mit bewundernswert leichter Hand gelungen. Stilistisch hinreichend deutlich in der barocken Opulenz verwurzelt, schlägt sie mit ihrem jungen Ensemble gleichsam den Bogen bis zum Showeffekt eines gut gemachten Musicals. Jedenfalls hat sie keine Scheu, die entsprechenden Talente ihrer Darsteller voll auszunutzen...
Das lässt sich alles ganz gut in Frank Philipp Schlössmanns Bühne unterbringen. Der leere Raum erinnert an eine Barockbühne. Die Rückwand verselbständigt sich je nach Bedarf zu Raumteilern oder Palastwänden. Der Clou aber ist eine weitere Dimension, die der 1984 in den Westen gegangene Dresdner Maler Helge Leiberg hinzufügt. Seine live verfertigten atmosphärischen, assoziativen und frech kommentierenden Aquarelle, machen nämlich via Overheadprojektor das Bühnenbild in jeder Vorstellung zu einem Originalkunstwerk. Zusammen mit den zusammengewürfelten, aber schlicht und einfach schönen Kostümen von Marie-Luise Strandt entsteht so eine faszinierend frische, neobarocke Opulenz.
Musikalisch sind Konrad Junghänel und das heimische Barockensemble Neue Düsseldorfer Hofmusik die Garanten für die heute übliche historische Musizierweise. Was er da auf gut verträgliche zweieinhalb Bruttostunden verkürzt hat, sprüht und funkelt vor allem, wenn das Orchester allein spielt und die Ballette begleitet, antreibt und zum Schweben bringt. Die zehn Tänzer lassen den Barock im besten Sinne rocken. Wie die Sänger, bei denen sich eine überbordende Spielfreude obendrein mit durchweg frischen unverbrauchten Stimmen verbindet. Jubel in Düsseldorf für eine Bereicherung (und hoffentlich Ergänzung) des Opernrepertoires!
Anna Virovlansky singt in Düsseldorf die junge Argie mit kristallklarem Sopran, hoher Spannung, großer Biegsamkeit und nur zur Verzierung punktgenau eingesetztem leichtem Vibrato. Auch mit Iulia Elena Surdu ist die Rolle der kecken Magd und klugen Freundin glänzend besetzt. Und auch Anders Dahlin als verliebter Held Atis kann alles, schauspielern, tanzen, turnen, parodieren und singen, obwohl sein heller Tenor fast ohne Körperresonanz auskommen muss, was die Stimme etwas dünn macht und ihn fast zum Musicalkünstler prädestiniert. Aber seine Spielfreude und Spielkunst machen das Manko wett, jedenfalls zusammen mit den ebenso filigran wie historisch rustikal musizierenden Neuen Düsseldorfer Hofmusikern unter dem kenntnisreichen Dirigat von Konrad Junghänel.
...Die
Regisseurin Arila Siegert macht den Plot deutlich.
Vor allem aber gelingt es ihr auf spielerisch
leichte Weise, die heterogenen Akteure aus Solisten, Chor, Tänzern,
Statisten und sogar Kulissenschiebern zu einem homogenen Spieltrupp zu
integrieren, der eine Komödie aufführt. Das Spielerische unterstreicht
Siegert, indem sie den Zeichner und Maler Helge Leiberg live mittels
Overheadprojektion die Bühne aus riesigen Schiebemauern je nach Stimmung
der Szene schwarz oder farbig übermalen und bekritzeln lässt... Mit der Leichtigkeit eines
Aquarells kommt diese Deutung daher, was keine geringe Kunst ist...
...Eine andere, ältere Tendenz ist der seit gut zwanzig Jahren anhaltende Boom der Barockoper. Die Gründe dafür auszubreiten, ist hier nicht der Ort; der Blick gen Rheinoper soll vor allem eines zeigen: welchen unglaublichen Spaß diese 250 Jahre alte Musik machen kann, wie modern ihre Rhythmen daherkommen können. Genau das hat Arila Siegert mit ihrer choreografischen Inszenierung von Jean-Philippe Rameaus „Les Paladins“ in Düsseldorf/Duisburg unter Beweis gestellt. Die Comédie lyrique erzählt die Liebesgeschichte des Paladins Atis, der mithilfe seiner Pilgerfreunde und der Fee Manto (anbetungswürdig als tuntiger Zauberer: Thomas Michael Allen) seine Geliebte Argie von deren Vormund Anselme befreit. Ein buntes Verwirrspiel, in dem Solisten, Tänzer und Chor gleichermaßen agil mitschwimmen.
Siegerts Bewegungsvokabular zitiert frei von höfischem Tanz bis Moonwalk und bezieht den Strom dafür direkt aus dem Graben: Barockspezialist Konrad Junghänel dirigiert die Neue Düsseldorfer Hofmusik lebhaft und mit fast rockigen Phrasierungen... Das I-Tüpfelchen der gelungenen Gesamtkonzeption sind die Live-Malereien des Grafikers Helge Leiberg. Im Zuschauerraum entstehen dessen bunte Aquarell-Skizzen und werden via Overheadprojektor aufs Bühnenbild projiziert. Was als vermeintlich nervige Spielerei daherkommt, gerät mit inhaltlichen Doppeldeutigkeiten zum liebevollen Farbspiel, das, wohldosiert eingesetzt, phantastisch amüsiert. Solcherlei Oper kann süchtig machen, auch wenn es manchem zu viel Amüsement in die heilige Kunstform brachte...
...So lange brauchte es, bis dieses sprudelnde Opus voller barocker Lust und Zauberspiele in Deutschland aufgeführt wird. Erstmals auf einer Bühne zu sehen ist sie in der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf, in der quicklebendigen Inszenierung der sächsischen Choreographin Arila Siegert. Ihre anpassungsfähigen singenden Multitalente und das Orchester "Neue Düsseldorfer Hofmusik" unter Barockspezialist Konrad Junghänel wurden gefeiert und liefern den Beweis: französische Barockoper wird unterschätzt.
Ein Kleinod brillanter Unterhaltungskunst ist das 1760 in der Académie Royale uraufgeführte Werk, das musikalisches Raffinement mit Komödiantentum und Tanz vereint...
Chihoko Nakata
beschreibt im japanischen Musikmagazin
Ongakugendai, Tokyo, die Inszenierung als "höchst
gelungen", indem Arila Siegert "das Tänzerische
der Musik choreografisch meisterlich" ausgearbeitet habe. Von dem jungen
Ensemble, das "die Einfälle von Frau Siegert mit Elan sängerisch und
szenisch" umgesetzt habe, gefiel ihr am besten Anders J.
Dahlin. Die Neue Düsseldorfer Hofkapelle spielte unter
Konrad Junghänel einen "frischen, rhythmisch
präzisen Rameau. Die Live-Malerei und Video-Einrichtungen von
Helge Leiberg machten die Aufführung auch zu einem
optischen Vergnügen."
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Aufführung
...Detailverliebt hat die Choreographin Arila
Siegert die Regiefäden gesponnen: Eine bunte
Gauklergruppe belebt die Instrumentalsätze mit modernem Bewegungstanz.
Die hellen Wandelemente werden per Overheadprojektor von dem Künstler
Helge Leiberg bemalt, den jeweils besungenen Stimmungen
entsprechend: Er zeichnet etwa ein schwarzes Gitternetz über die
Fassade, wenn Argie ihr Gefängnis beklagt. Bunt wird es, als sie die
Liebe zu Atis besingt. Der chinesische Palast entsteht aus den gleichen
hellen Kulissenelementen, er wird ebenfalls kommentierend bemalt. Bei
den Kostümen herrscht nun die Farbe Gold vor. In Gruppen wird mit
Stäbchen gegessen, einige tragen chinesische Schirmchen....
Besonders hervorzuheben ist die Arbeit der Neuen Düsseldorfer Hofmusik unter Konrad Junghänel. Bruchlos gelingen die Wechsel von Tanzsätzen zu Arien und Zwischenmusiken. Kunstvolles, mitunter perkussiv wirkendes Ensemblespiel, sowie eingesetztes, historische Instrumente, wie die zwei Musetten (eine französische Variante des Dudelsack), tragen ihren Teil zur lebendigen Gestaltung der Musik bei...
Eine rundum gelungene, moderne Adaption der französischen Barockoper. Arila Siegert spürte den vielfältigen Elementen des zwischen Comédie lyrique und Comédie-ballet, stehenden Werkes nach. Ihr chinesischer Palast präsentierte wirkungsvoll eine verzauberte, fremde Welt. Gelungene optische Effekte prägten die Szenen. Die Live-Bemalung der Kulissen, die nicht zuletzt an eine hervorragende Lichtregie gekoppelt war, verlieh der vor 250 Jahren entstandenen Oper im wahrsten Sinne des Wortes neue Farbe. Die Tänze wurden mit Überlegung modernisiert...
...Eine Ballettoper - für Arila Siegert als Tänzerin, Choreografin und Opernregisseurin die perfekte Aufgabe. Die Dresdnerin, deren Inszenierungen bekannt sind für ihre tänzerische Leichtigkeit und die in der kommenden Saison auch an der Oper Kiel inszenieren soll, hat Rameau ganz aus dem Geist der eleganten, delikaten Musik gestaltet. Dafür erhielt sie einhelligen Jubel.
Die Handlung ist leicht erzählt. Paladin Atis will seine Geliebte Argie aus der Obhut ihres liebestollen Vormunds befreien. Der alte Anselme, ein Richter, will die junge Schöne selbst heiraten. Fee Manto und Atis' Paladine vereiteln Anselmes Absichten. Arila Siegert liest aus dem höfischen Zauber- und Verwandlungsspiel eine Botschaft: Das Glück ist mit dem, der unerschrocken seinen eigenen Weg geht... "Les Paladins" ist ein so filigranes wie farbenfrohes Gesamtkunstwerk. Die herrliche Musik, das Spiel der jungen, herausragenden Gesangssolisten, von Chor und Tänzern, die Bühne aus mobilen, weißen Wanden, die eleganten Kostüme - alles fügt sich zu einem klingenden Kosmos der Harmonie. Heiter-ironische Farbtupfer pinselt und kritzelt der Künstler Helge Leiberg live vom Zuschauerraum aus via Overheadprojektor auf die Kulissen. So entstehen witzige Pointen, die das Geschehen buchstäblich unterstreichen oder übermalen...
...Die große Kunst der Vergegenwärtigung gelingt vor allem Arila Siegert. Mit allen Mitteln von Regie und Choreografie, weiterhin mit deftigem Jux hier, magischem, überhöhendem Kolorit dort, zaubert sie ein allegorisches Fantasiereich herbei, tanzbeflügelt, luft-leicht, erotisch...
Bei den erstklassigen Sängern eine besondere Entdeckung: der Schwede Anders J. Dahlin, mit einer an Klaus Florian Vogt erinnernden Stimme und sportlicher Bühnenpräsenz. Über den Abend geriet das Düsseldorfer Publikum schier außer sich.
Die Oper "Les Paladins" ist zwar 250 Jahre alt, aber ihre Düsseldorfer Inszenierung ist die modernste in Deutschland... Regisseurin Arila Siegert, selbst Tänzerin, bettet die anspruchsvollen Gesangspassagen in Bewegungen ein. Höhepunkt: Ein Tenor, der mitten in der Arie ein Salto vorwärts macht!
Doch der größte Knaller ist das Bühnenbild. Zeichner Helge Leiberg zaubert per Projektor unterschiedliche Motive auf den weißen Bühnenvorhang. Die malt er auf Folien, diesen Vorgang sieht der Operngast auf der Bühne. Urkomisch wenn die Liebenden über ihre Sehnsucht singen und im Hintergrund eine Karikatur entsteht: Das Männchen mit erigiertem Penis und ein Weibchen in eindeutiger Pose.
Tolle Sänger wie Julia Elena Surdu runden die Überraschungs-Premiere ab. Knapp 13 Minuten tobender Beifall. Unbedingt hingehen!
...Das nahtlos zusammenzuführen war die Regisseurin und Choreographin aus der Palucca/Berghaus-Schule Arila Siegert eine gute Wahl. Fantasie- und geschmackvoll gelang ihr mit Marie-Luise Strandt (Kostüme) und Frank Philipp Schlößmann (Bühne) eine spielerisch leichtfüßige Umsetzung...
Ein Drama der großen Gefühle und Affekte bieten "Les Paladins" nicht. Sie bezaubern als kunstreiche Unterhaltung, die voller Charme und Esprit in eine neue empfindsame Zeit weist. Konrad Junghänel und die "Neue Düsseldorfer Hofmusik" bringen den musikalischen Reichtum, vor allem den vitalen Drive der Tanzeinlagen barockerfahren zum Klingen. Das Fundament für einen Rameau-Zyklus am Rhein ist damit hörens- und sehenswert gelegt.
Die deutsche Erstaufführung dieser Comédie Iyrique von Jean-Philippe Rameau kam spät aber nicht zu spät. Nach genau 250 Jahren war es die Deutsche Oper am Rhein, die "Les Paladins" jetzt in Düsseldorf auf die Bühne brachte.
Mit dem barockversierten Konrad Junghänel am Pult des dortigen Spezialensembles ,Neue Düsseldorfer Hofmusik' im Graben und einem spielfreudigen jungen Sänger- und Tänzer-Ensemble, das Marie-Luise Strandt in ausnehmend schöne Kostüme gesteckt hat, auf der Bühne. Dass Regisseurin Arila Siegert auch Tänzerin und Choreografin ist, kommt der Melange aus einer Liebesgeschichte mit Hindernissen, Zauberer-Hilfsaktionen und üppigen Balletteinlagen zugute, gelingt es ihr doch mit leichter Hand zusammenfügen, was einst ganz selbstverständlich zusammengehörte... Jubel für eine Entdeckung!
...Arila Siegert ist nach langer Karriere als Tänzerin und Choreografin der Fachwechsel zur Regie 1998 gelungen, und mit der unbekannten Rameau-Oper gelingt ihr eine vitale Deutung. Die fantasievollen Kostüme und Requisiten von Marie-Luise Strandt und die Livemalerei auf Folie von Helge Leiberg, aus dem Parkett via Projektion auf die kahlen Bühnenwände übertragen, inspirierte die Regie zu humorvollen Commedia-dell'arte-Szenen. Für Schwung zwischen den Rezitativen und Da-capo-Arien und in dem üblichen larmoyanten Libretto zwischen Liebe, Trauer und lntrige sorgten die grotesk-witzigen Choreografien, die Siegert für Chor, Tänzer und Solisten kreierte...
Konrad Junghänel, gerühmter Lautenist und Kenner der Alten Musik, führte die Neue Düsseldorfer Hofmusik und die Sänger mit feinsten Nuancen durch die Rameau-Partitur. Das Ergebnis war erlesene Barock-Musik. Bravi für alle.
...250 Jahre nach der Uraufführung machte die Comédie lyrique "Les Paladins" in Düsseldorf nun den Anfang der Rameau-Erkundung und erlebte ihre deutsche szenische Erstaufführung. Der einhellige Jubel nach der Premiere lässt ahnen, dass Meyers Rechnung aufgehen dürfte.
An Rameaus Spätwerk ist besonders heikel, dass es zur seltenen Gattung der Ballettkomödie zählt. Der Tanz ist hier keine Nebensache, kein Atemholen zwischen virtuosen Gesangsnummern, wie die obligatorischen und heute meist gestrichenen Balletteinlagen anderer Barockopern, sondern integraler Bestandteil und Motor des Werks. Die Musik selbst ist durchweg enorm gestisch und fußt ganz buchstäblich auf komplizierten, ständig wechselnden Tanzrhythmen zwischen höfisch gespreizter Eleganz und rustikal stampfender Volksmusik.
Das ist eine Steilvorlage für Regisseurin Arila Siegert, die eine Schülerin der Tanzlegende Gret Palucca ist. Für Siegert sind die Körperlichkeit der Musik und die tänzerische Bewegung der Schlüssel zu Deutung und Darstellung. Siegert bürstet Rameau in Düsseldorf ergo nicht gegen, sondern offensiv mit dem Strich. Jeder Schritt, jede Geste von Chor, Tänzern und Solisten ist gestaltete Musik. Siegert hat jedoch keine streng abgezirkelte klassische Choreografie gebaut, sondern komponiert überquellende Tableaus, in denen sich jede Figur nach eigenen Gesetzen zu bewegen scheint. Das Bewegungsrepertoire mischt dabei wie selbstverständlich gezierte Gavotte-Schritte und barocke Posen mit zappelndem Breakdance und Moonwalk in Zeitlupe. Grobmotoriker mögen das reichlich hyperaktiv finden, den Drive der Rameau'schen Musik erschließt dieses verspielte Konzept vorzüglich...
...Jean Philippe Rameaus Opern ließen sich heute also mit Gewinn neben den längst wieder etablierten Händel setzen... Wenn man sie so auf die Bühne bringt wie jetzt in Düsseldorf, dann funktionieren sie auch als lebendige Bühnenereignisse. Hier nämlich kann die Palucca-Schülerin Siegert ihre Profession als Choreografin nicht nur als Zugabe, sondern strukturell einbringen. Und das macht sie höchst überzeugend und zur Freude des Publikums mit einem jungen, beweglichen Sängerensemble und einer Truppe von zehn Tänzern, die Marie-Luise Strandt in ausnehmend schöne Kostüme gesteckt hat. Die Regisseurin führt dabei den stets spürbaren Bewegungsimpuls von Rameaus delikater Musik bis in die Gegenwart. Wenn sie allesamt zu den barocken Tönen tanzen, dann wirkt das nie historisierend oder aufgesetzt modernisiert, sondern kommt durchweg als Bewegung gewordene Musik daher...
Dass das in einen furiosen finalen Jubel mündet, daran hat auch das Barockensemble Neue Düsseldorfer Hofmusik unter Leitung von Konrad Junghänel entscheidenden Anteil...
Arila Siegert gelang mit ihrer Inszenierung ein sinnliches Theater auf die Bühne – für sie zeichnet Frank Philipp Schlößmann verantwortlich – zu bannen, wobei sie geschickt die dreiaktige französische Comédie lyrique mit der italienischen Commedia dell’ arte verband. Auch schaffte sie es mit ihrer Choreographie, die Sängerinnen und Sänger teils tänzerisch, teils komödiantisch auftreten zu lassen und sorgte damit für eine flotte Aufführung ohne Brüche. Mit ihrer Idee, einen Maler live die Bühnenbilder zu übermalen, schuf sie ein neues kreatives Element. Helge Leiberg überzeugte dabei mit flottem Strich und sicher geführtem Pinsel, wobei er zum Teil sehr witzige und auch erotische Zeichnungen schuf, die vom Publikum sogar mit Szenenapplaus bedacht wurden. Die legeren bunten Kostüme und die gut zur Inszenierung passenden Requisiten stammten von Marie-Luise Strandt.
...Tosender Beifall des begeisterten Publikums am Schluss der Vorstellung für das gesamte Ensemble, für Chor, Orchester und Dirigenten.
...Alles in allem addierte sich die aufwendige Düsseldorfer Produktion zu einem Funkenflug der Pointen: atemberaubende Koloraturen, hochtrabende rhetorische Floskeln, flinke Märsche, donnerndes Getöse, hübsche Bläsereinwürfe (besonders für die Hörner und Oboen), abgrundtiefes Leid, zornige Eifersucht, finstere Morddrohungen, Keith-Haringsche Strichmännchen, süßes Geturtele - nur leider nicht das mindeste Fetzchen melodiöser Kantilene...
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...Rameaus Spätwerk besteht aus einer Mischung aus Arien und
musikalischen Divertissements mit Tänzen. Vermutlich deshalb hat man
sich der Dienste der gelernten Choreografin Arila Siegert
verpflichtet, die die Handlung in einer ständigen
tänzerischen Bewegung im Fluss hält.
Frank Philipp Schlößmann hat ihr eine Bühne gebaut, die
bis weit in den Orchestergraben vorstößt und diesen verkleinert auf
bewegliche Mauerelemente wie aus einem großen Baukasten. Darauf malt der
knapp hinter dem Dirigenten platzierte Helge Leiberg
mit Pinsel und Feder flüchtige Schraffuren und Figuren, die den
ironischen Charakter der Aufführung noch unterstreichen.
„Les Paladins“ erzählt die Geschichte eines Liebespaares, das einige
Hindernisse überwinden muss, ehe es mit Hilfe der Tempelritter, eben der
Paladine, und der Fee glücklich vereint sein darf.
In der Düsseldorfer Aufführung wird die Rettungsszene in der
Phantasielandschaft zu einem genialen Theatercoup, wenn sich die
anscheinend nur aufgemalten Bilder der zehn Paladine in der Rückwand
konkretisieren, aus der Wand herabsteigen und ins Spiel eingreifen:
die einzige Szene, in der es die tänzerische Aktion mit der
musikalischen aufnehmen kann.
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…Eine Mobilitätsgarantie erwirbt der Fan der Rheinoper mit dem Billet für ihre neue Produktion, Rameaus Barockoper „Les Paladins“. Es handelt sich um eine Comédie lyrique, bei der traditionell ein Ballett mitwirkt, und die Inszenierung von Arila Siegert ist so eilig getaktet, dass die Leute auf der Bühne keine Sekunde still stehen... Da Elemente und Commedia dell’arte in den Abend drängen, ist alles immerzu im Fluss... Von starker Mobilität getrieben am Ende auch die Hände des Publikums.
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...Arila Siegert bemühte sich mit ihrer Inszenierung sichtlich um eine Synthese aus Lustspiel und hintergründigem Liebesdrama. Doch dabei gerät manches vordergründig und zu dick aufgetragen, etwa die archaische Zeichnung eines Liebespaares mit betonten Geschlechtsmerkmalen. Indes blitzen auch Lichtblicke auf. Vor allem im zweiten Teil zünden die komödiantischen Einfälle. Köstlich ist die Szene bei der Fee Manto (witzige Travestie: Thomas Michael Allen), die das Haus des Richters Anselme in einen prachtvollen Palast verzaubert, um ihn auf diese Weise zu verführen und anschließend zu kompromittieren. Der alte Richter Anselme ist eigentlich hinter seinem jungen Mündel Argie (Anna Virovlansky) her, die ihrerseits den Paladin Atis (Anders J. Dahlin) liebt. Doch Anselme will den Nebenbuhler heimlich töten lassen...
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...Leider setzt Siegert die scheinbar simple Geschichte der lebenslustigen Paladine im Pilgergewand, deren Anführer Atis als Herzensritter das Mündel Argie als seine Herzensdame aus der Gewalt des liebestollen alten Vormunds Anselme befreien will, nur als flotten Aufbruch einer gegen das Alter auftretenden Jugend im Liebesrausch in Szene...
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...Zugegeben: Jean-Philippe Rameaus späte Comédie Lyrique Les Paladins (1760) ist eine „komische Oper“, die bereits manch derbes Element der italienischen Buffa enthält... Dass die Ballett-erfahrene Regisseurin viel Bewegung ins Spiel bringt, ist legitim. Dass der Chor und die Ballett-Truppe jedoch mit stereotyp hampelnden Bewegungsfloskeln ständig die Bühne in Unruhe versetzen, zeugt von wenig Vertrauen in die Tragfähigkeit der Solo-Partien...
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...Derweil verwandelte Regisseurin und Choreographin Arila Siegert das Geschehen um einen verschmähten Liebestollen in einen Käfig voller Gaukler und Dauerbewegungshungriger...
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...Gerade die häufig gestrichenen Ballettmusiken, so schwärmt der Dirigent, seien in Rameaus Opern „Erinnerungsstücke“ für das Publikum. Siegert hebt sie bei dieser deutschen szenischen Erstaufführung der Oper von 1760 wenig prägnant gegen Arien, Duette und Chöre ab. Vielmehr setzt sie alle und alles ständig in Bewegung: da wandern und rotieren die weißen Wände ihrer Bühne auf der Bühne (Frank Ph. Schlößmann), werden via Projektionen bunt getüncht und vergrößert (Licht: Volker Weinhart) oder mit Live-Malerei (Helge Leiberg) floral bis frivol bekritzelt. Der junge Ritter Atis, der Argie liebt, die aber – wider Willen – ihren Ziehvater Anselme heiraten soll, führt eine Horde fröhlicher Gaukler im Gefolge - „Paladine“, wie er, die aus dem Raster gesellschaftlicher Konventionen tanzen; die sich die Freiheit nehmen, frei und glücklich in den Tag hinein zu leben...
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...Nach der Premiere darf man füglich zweifeln, ob der enorme Aufwand lohnte, wenngleich es viel Schönes zu hören und zu sehen gibt...
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Es ist die flinke Hand von Helge Leiberg, die dem barocken Stück „Les Paladins“ von Jean-Philippe Rameau modernen Glanz verleiht... Der Künstler wirkt [mit seiner Live-Malerei] dabei wie ein "Big Brother" aus dem Off und nutzt das schlichte wie grandiose Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann via Projektor als seine Leinwand. ...Trotz der Aufführung auf französisch mit deutschen Übertiteln weiß die Inszenierung von Arila Siegert und Konrad Junghänel (musikalische Leitung) die Brücke zum modernen Publikum zu schlagen. Das Ensemble überzeugt durchweg. Besonderes Highlight am Ende: Michael Jacksons „Moonwalk“, ausgeführt von einem Tänzer und als Atis-Darsteller Dahlin - zu Opernklängen.
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Wer jetzt noch glaubt, Barockoper sei langweilig, der laufe ins Duisburger Theater und lasse alle seine Sinne von "Les Paladins" (etwa "Die Liebes-Pilger") ansprechen, dem vor 250 Jahren in Paris uraufgeführten "comédie-ballet" von Jean-Philippe Rameau, das die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg jetzt in ihr Duisburger Haus übernahm.
Da ist ein Stück, dessen ebenso eigenwillige wie vitale Mischung aus Oper, Komödie, Tanz, populären Elementen, Illusion, Geistigkeit, Politik und Farce jeden ansprechen kann. Da ist eine Musik, die in ihrer menschenfreundlich witzigen und unglaublich souveränen Haltung einfach zeitlos wirkt.
Da ist eine Inszenierung von Arila Siegert, der nicht nur das Kunststück gelingt, die vielen reinen Instrumentalstücke bruchlos in die Handlung zu integrieren, sondern die uns als Zuschauer auch sanft auf eine Reise zu uns selbst schubst...
...Die Dresdner Tänzerin, Choreografin und Opernregisseurin liest aus dem höfischen Verwandlungsspiel auch eine Botschaft: Das Glück ist mit dem, der unerschrocken seinen eigenen Weg geht. Das gilt natürlich auch für die Palucca-Schülerin, Einzelkämpferin und Vertreterin des expressionistischen Tanzes, die in der Heimat einen schweren Stand hat.
Mit der Oper endlich geht Arila Siegert ganz in ihrer Kunst auf. «Les paladins» ist bei ihr ein filigranes, farbenfrohes Gesamtkunstwerk. Das Spiel der jungen, herausragenden Gesangssolisten, des Chors und der Tänzer, der Bühne aus mobilen, weißen Wänden, der eleganten Kostüme fügt sich zu einem klingenden Kosmos der Harmonie. Heiter-ironische Farbtupfer pinselt und kritzelt der Künstler Helge Leiberg live im Zuschauerraum via Overheadprojektor auf die Kulissen. So entstehen witzige Pointen, die das Geschehen durchaus buchstäblich unterstreichen oder übermalen...