Frederick Delius gehört zu den großen Unbekannten der Musik des vergangenen Jahrhunderts. Alle Jahre wieder wird er neu entdeckt – im Repertoire der Opernhäuser ist er mit seinen Werken aber längst noch nicht präsent.
Delius (1862-1934) sitzt als kosmopolitischer Komponist zwischen allen Stühlen: Sohn deutscher Eltern (auf seiner ersten gedruckten Komposition firmierte er noch als Fritz Delius), in England geboren, als junger Mann Orangenzüchter in Florida, Schüler am Leipziger Konservatorium, ansässig in Frankreich. Und dann heiratete er auch noch eine Skandinavierin.
Die Liste seiner Werke ist kaum zu überblicken: Opern, Lieder, Orchesterstücke, Kammermusik und große Oratorien. Sein Meisterwerk, „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ nach der Novelle von Gottfried Keller, wurde bei der Uraufführung 1907 in Berlin wohlwollend aufgenommen. Selbst der erfolgreiche Kollege Engelbert Humperdinck („Hänsel und Gretel“) zeigte sich begeistert. Dirigenten wie Thomas Beecham, John Barbirolli und Simon Rattle haben sich für den Komponisten stark gemacht. Dennoch sind Delius-Aufführungen nach wie vor selten.
Vielleicht wird sich dies nach der Karlsruher Premiere ändern. Musikalisch wurde sie zum Triumph für Delius und das Ensemble unter Generalmusikdirektor Justin Brown. Die Musik des Kosmopoliten ist spätromantisch grundiert, verleugnet weder den Einfluss Wagners noch die Klangfarbenmagie der französischen Impressionisten wie Debussy. Und immer wieder blitzen jazzige harmonische Effekte auf. Die Badische Staatskapelle unter Justin Brown musizierte das mit Klangschönheit, rhythmischer Präzision und Sinn für den typischen „Delius-Sound“.
Die Inszenierung von Arila Siegert ist ein kleiner Geniestreich. Frank Philipp Schlößmann (Bühnenbild) hat eine Reihe von riesigen Mauern und Wänden auf die Drehbühne gestellt: Die Hauptdarsteller werden ständig umkreist. Und immer wieder eröffnen sich neue Perspektiven auf die Plätze der Handlung. Siegert ist ausgebildete Tänzerin; das merkt man der Inszenierung an. Bei den grandiosen Orchesterstücken beginnt die Bühne zu tanzen. Chor und Solisten sind in ständiger, ausgeklügelter Bewegung. Hinzu kommen Marie-Luise Strandts farblich raffiniert stilisierte Kostüme.
Das tragische junge Liebespaar Sali (Tenor Carsten Süss) und Vrenchen (Sopranistin Stefania Dovhan) ist darstellerisch ein Glücksfall. Viel Beifall gab es auch für die Nachwuchssänger Tom Volz und Larissa Wäspy, die Sali und Vrenchen als Kinder verkörpern. Seung-Gi Jung und Jaco Venter (Bariton) sind nicht nur stimmlich die rabenschwarzen verfeindeten Väter des Paares. Und Armin Kolarczyk macht aus der Rolle des freundlich-teuflischen „schwarzen Geigers“ ein echtes Kabinettstück.
Lange, bevor Künstler sich von den politischen Diktaturen Europas zur Emigration gezwungen fühlten, war Frederick Delius schon so etwas wie ein heimatloser Weltbürger. Engländer deutscher Abstammung, erlebte er, vorübergehend Farmer in Amerika, als einer der ersten Weißen die Faszination der Spirituals und durchtränkte damit seine frühe, 1904 uraufgeführte Oper "Koanga". Auch die drei Jahre jüngere Gottfried-Keller-Vertonung "Romeo und Julia auf dem Dorfe" wurde zunächst auf Deutsch geschrieben und, wie viele Delius-Werke, in Deutschland aus der Taufe gehoben. Die meiste Zeit seiner späteren Jahre lebte Delius indes in Frankreich.
Die Sphäre der Keller-Novelle suggeriert Bodenständigkeit, doch ihre ingeniöse Musikalisierung ist von sehrender Unruhe, von heftig wechselnder und ebenso jäh aufflammender wie sanft glimmender Emotionalität erfüllt. Wenig tut Delius dazu, so etwas wie eine "Schweizer" Idiomatik zu fixieren. Sein Stück siedelt in einem eigenartigen Niemandsland zwischen Wagner-Nachfolge, Verismo und französischem Impressionismus. Aber auch die Affinität des Komponisten zur Vokalität der ehemaligen schwarzen Südstaaten-Sklaven ist ein wichtiger Schlüssel dazu und zur Grundhaltung der elegisch-nostalgischen Expressivität von Delius überhaupt. Versteht sich, dass dieser damit kein moderner Aufbruchsmusiker war, vielmehr ein in Wehmut, Sehnsucht und Verhaltenheit sich mitteilendes "romantisches" Naturell. Seine diskret-feinsinnige, der Trauer zugeneigte Kunst fiel denn auch durch die meisten Aufmerksamkeitsraster des letzten Jahrhunderts.
Wer etwa außer dem Badischen Staatstheater Karlsruhe gedenkt heuer des 150. Delius-Geburtstages 1862? "Romeo und Julia auf dem Dorfe", ein Meisterwerk und dennoch eine Rarität, wurde hier nun (auf Deutsch) in einer liebevollen und genauen Wiedergabe geradezu neuentdeckt - als Dokument einer anrührenden, sehr persönlichen Tonsprache und als mit beträchtlichem Kunstverstand bewerkstelligte Stoffvermittlung. Der rhapsodisch schweifenden, in vielen Farben und Zwischenfarben schimmernden Orchestersprache gab die Badische Staatskapelle unter der Leitung von Justin Brown vehemente Gestalt. Es ist unumgänglich, vor allem vom Orchester zu sprechen, weil dessen die sechs Bilder des "lyrischen Dramas" verbindende Zwischenspiele einen Großteil der Bühnenerzählung konstituieren.
Die "realistische" Komponente des durch den Streit und die Verarmung ihrer Familien entwurzelten und geächteten dörflichen Liebespaares ist eher Hintergrund als Essenz der Oper. Delius weitet einige Hinweise der Erzählung zu großen symbolistischen Tableaus aus - etwa den Hochzeitstraum, den Jahrmarkt oder den Doppelselbstmord im Wasser: ein in Schmerzlust sich verzehrender "Liebestod". Ein paar Mal öffnet sich das Kammerspiel also zur personenreichen Phantasmagorie. Auch einsame "Natur"-Stimmungen werden durch Hintergrundgesang und -getön bevölkert. Mit der Figur des "schwarzen Geigers" als eines Unglücks- oder Todesboten ist eine bedeutende "imaginäre" Handlungsschiene eingezogen.
Die vom Tanztheater herkommende Regisseurin Arila Siegert beschäftigte sich einfühlsam, respektvoll und sicher mit dem Werk, sehr bedacht darauf, seine "Aura" zu erhalten und weder ins veristisch Effektvolle noch allzu Ästhetisierende (wie Kurt Horres in Darmstadt) zu verfallen. Frank Philipp Schlössmanns eindrucksvolles Bühnenbild bestand im wesentlichen aus mächtigen Wänden, die mit Hilfe der Drehbühne zu kreisen vermochten in labyrinthischen Varianten. Ein gehöriges Maß von Kälte strahlte diese Mauer-Optik aus, was durch die Wärme und Innigkeit der Personenführung verständig kompensiert wurde. Freilich war das Titelpaar ebenso geprägt von traumwandlerischer Körperlichkeit, als werde es, wie die Akteure von "Pelleas und Melisande", an Fäden gezogen.
Die sorgfältig durchgearbeiteten Massenszenen schwankten zwischen Hektik (Schluss des Hochzeitszuges, zugleich ein Totentanz, im vierten Bild) und zeitlupenhafter Ruhe (beim wie alle anderen "bebilderten" Intermezzo zur Finalsequenz). Vokal eindringlich und mit jugendlich-lebhaftem Gefühlsambitus: der Tenor Carsten Süss (Sali) und die Sopranistin Stefania Dovhan (Vrenchen). Mit Geige und Geigenbogen, den Requisiten des "schwarzen Geigers" (Armin Kolarczyk mit Kantabile-Stimme, fast eine Chagall-Figur), wurde ebenso dramaturgisch sorgsam gearbeitet wie mit den niemals bloß dekorativen Kostümen (Marie-Luise Strandt).
KARLSRUHE, GERMANY — ...Delius devotees, a hearty bunch, travel far and wide to hear his music. Having experienced something of a Delius epiphany myself when the Florida Orchestra played two of his orchestral tone poems last month, I followed the crowd to this town north of the Black Forest in southwestern Germany, where Badisches Staatstheater is offering a new production of “A Village Romeo and Juliet” — Romeo und Julia auf dem Dorfe, as it is known here — part of its Masterworks of the 20th Century series. It is apparently one of only two Delius opera stagings scheduled for the year. The other, of the same opera, will take place in the autumn at the Wexford Festival in Ireland.
...Delius plays down the element of family opposition, so that the real obstacles to the happiness of Sali and his beloved Vreli, who were friends from childhood, stem from poverty and an inability to fit into society. In Arila Siegert’s affecting staging, this comes through poignantly during the opera’s lively fairgrounds scene, when Sali is found to lack money to buy Vreli the jewelry they admire.
Soon, villagers attending the fair begin to gossip about them, their hostility underscored by a shift in Stefan Woinke’s lighting from festive colors to ominous dark blue, as the villagers, frozen in place, are menacingly outlined in black. In a subsequent scene, vagabonds urge the lovers to join their carefree life, but the two regard themselves as too conventional for that and narrow their options to suicide by sinking a river boat.
Ms. Siegert embellishes the action with touching details, even a balcony scene when Sali visits Vreli at her family home. In a later scene with contemporary resonance, Vreli is about to be dispossessed of her home as men cart away its contents, including the wagon she and Sali played with as youngsters in the opening scene. Indeed, the lovers often show a childlike innocence that harkens back to that scene. At the end, after their boat is towed off, the stage turntable swirls to reveal a final image — their shoes parked neatly on shore...
With “A Village Romeo and Juliet” Karlsruhe does honor both to the Delius anniversary and to itself.
... Die changierende Farbigkeit dieses Orchestersatzes fächern Chefdirigent Justin Brown und die Badische Staatskapelle mit aller gebotenen Delikatesse auf. Zugleich werden die von Delius sparsam aber sehr bewusst gesetzten dramatischen Höhepunkte mit ihren Tutti-Ausbrüchen zu großer Wucht gesteigert.
Die Optik dazu ist zunächst von erkältender Nüchternheit. Frank Philipp Schlößmanns Bühnenbild zeigt raumfüllend zwei ineinander gestellte weiße Zylinder, bedeckt mit schwarzen Schraffuren unterschiedlicher Dichte. Sie zeigen jedoch, dank unterschiedlicher Wandhöhen, fehlender Segmente und beständiger Bewegung der Drehbühne immerzu neue Aspekte und Durchblicke, sind also der speziellen Musikdramaturgie des Stücks bestens angepasst. Und die zunächst befremdliche Atmosphäre – farblose, eng gekrümmte Gassen, wo doch die Musik weite sonnige Landschaft zu suggerieren scheint – erklärt sich auch bald. Es ist die Welt, gesehen durch die Augen der beiden Protagonisten: kalt und abweisend jenen, die in ihr keinen Ort finden.
Das Geschehen zwischen diesen beiden, Sali und Vrenchen, entwickelt die Regisseurin Arila Siegert mit großer Geduld, Genauigkeit und einem geradezu zärtlichen Blick auf ihre Figuren. Das kindlich Schutzlose, die hochgradige Verletzlichkeit dieser beiden deutet sie als Folge einer Traumatisierung durch den Hass der gewalttätigen Väter. Nachdem Sali, halb im Streit und halb in Notwehr, Vrenchens Vater erschlagen hat, wickelt sie sich in ihrer Hilflosigkeit in den zurückbleibenden übergroßen Mantel des Vaters.
...Dass die Regisseurin Arila Siegert gelernte Choreografin ist, spürt man durchaus. Und sie setzt stilisierte Bewegungsabläufe nicht nur in den Gruppenszenen wie dem Hochzeitstraum und dem Kirmes-Bild, sondern auch in den intimen Szenen wie gestische Leitmotive ein. Doch sind das niemals aufgesetzte „Choreografismen“. Sie gehen ganz in die Bühnen-Erzählung ein.
Wenn also Vrenchen am Anfang sich zu Sali hingezogen fühlt, das aber nicht zu dürfen glaubt, streckt sie ihre Hand ganz lang nach ihm aus, um sie dann, sich selbst zur Ordnung rufend, mit der anderen Hand zurück zu ziehen. Die Geste wiederholt sich im Kirmes-Bild. Da streckt sie die Hand nach einem Schmuck aus und zieht sie mit der anderen zurück. Das erzählt mehr als nur, dass sie ihn sich nicht leisten kann. Es ist eine Zurückweisung der Welt und ein Rückzug ins Innere.
Die Versuchung der Welt, der banalen, aufs Materielle fixierten Existenz, tritt an die beiden dreimal in Gestalt des schwarzen Geigers heran: Armin Kolarczyk als tänzelnder Verführer mit hellem Bariton gleichermaßen beweglich an Stimme wie Körper. Am Ende erscheint er mit einer bunten Musiker-Bohème, in deren Lebensentwurf samt freier Liebe und Partnertausch sich die beiden sittsamen Landkinder erst recht nicht wieder finden.
Das Schlussbild enthält in dieser Inszenierung die ganze Geschichte. Erst im Tod öffnet sich ihnen der Raum, die nunmehr in magischem Blau schimmernde Bühne, in deren Mitte ihr Kahn von zwei dunklen Gestalten gezogen wird. Dann schließt sich der Zylinder, und zurück bleiben ihre Schuhe, die sie vor dem gemeinsamen Freitod ordentlich, wie es sich für brave Kinder gehört, ausgezogen und nebeneinander aufgestellt haben. Die Wahrheit ist vermutlich, dass diesen beiden auf Erden nicht zu helfen war.
Ist es gesungener Tanz oder tanzender Gesang? „Kommst Du mit mir?“ will Sali von seinem Vrenchen wissen und hält sie fest an den Händen, während sie im weiten Bogen um ihn kreist. Ganz langsam. Sie denkt nach, sie braucht Zeit, die Musik auch. Regisseurin Arila Siegert gesteht ihnen diese Zeit zu.
Das Badische Staatstheater nimmt die Oper „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ von Frederick Delius, der gestern 150 Jahre alt geworden wäre, neu ins Repertoire. 1907 wurde es an der Komischen Oper Berlin in deutscher Sprache uraufgeführt. Es ist das wiederentdeckte Werk aus dem 20. Jahrhundert, das es in jeder Spielzeit unter Peter Spuhler geben soll. Und was macht die Regisseurin aus Dresden daraus? Sie stellt die Musik in den Mittelpunkt – eigentlich selbstverständlich, aber im Musiktheater von heute keineswegs immer beherzigt.
Das Spiel auf der Bühne dient Siegert dazu, Farben und Gefühle der stark impressionistischen Partitur von Frederick Delius zu entfalten. Somit stellt sich die Regie in den Dienst Justin Browns, der sich am Pult der Badischen Staatskapelle erneut als Meister spätromantischer, in die Zukunft gerichteter Tonsprache erweist und zum Helden des Abends wird. Die Kraft der Natur, aber auch der wechselnden Emotionen hat Delius in lautmalerische Klänge mit viel Blech- und Holzblasinstrumenten geleitet, was Brown mit viel Liebe zu einzelnen Motiven umsetzt.
Diese Musik bestimmt den Abend, denn Arila Siegert stülpt der von Delius für das Libretto stark reduzierten Novelle von Gottfried Keller nichts über. Vom dekonstruierenden Regietheater ist sie weit entfernt. Sie lässt die Handlung um die unmögliche Liebe zwischen Sali und Vreni auf einer Drehbühne ihren Lauf nehmen – zwischen gebogenen grauen Wänden mit sich überkreuzenden schwarzen Schraffuren. Davor lagern graue Steinbrocken, auf denen später im farblichen Kontrast roter Mohn steht. Was vor dieser Kulisse zählt, ist die Musik. Siegert lässt der feinsinnigen, höchst subtil instrumentierten Partitur genügend Raum zum Atmen.
Diese lyrische und dezente Musik verlangt Zeit, verlangt Ruhe. Und sie hat Mut zur Lücke. Worte und Gefühle werden bei Delius mit den Fäden der Musik weitergesponnen, mit oft minutenlangen Orchesterspielen. Niemals aber entstehen in Siegerts Regie Lücken. Siegert, ursprünglich im Tanztheater beheimatet, führt im Sinne einer äußerst dichten Personenführung den Tanz als weitere Ebene ein. Die Sänger, der Chor, die Ensembles, sogar die Bühne befinden sich Bewegungsfluss...
Ihren Höhepunkt findet die Choreografie in der Szene nach dem Jahrmarkt, dem neun Minuten umfassenden, rein orchestralen „Gang nach dem Paradiesgarten“. Gerade noch hat sich der (stimmlich exzellente, von Ulrich Wagner einstudierte) Chor heiter im Walzer gedreht. Plötzlich frieren die Bewegungen ein. Wie angewurzelt wanken die Sänger jetzt in Zeitlupe zur Musik, dazwischen kämpfen sich Vreni und Sali durch dieses Menschenlabyrint, finden keinen Anschluss, werden beäugt. Sie gehören nicht mehr dazu.
...Frank Philipp Schlößmann, der Bühnenbildner des Dorst-Rings in Bayreuth (2006) hat die zwar abstrakte, aber warme Kulisse für Siegerts Ideen geschaffen. Lichtgestalter Stefan Woinke lässt die Farben auf der Bühne mit denen der Partitur wandern und setzt Kontraste zu den Requisiten – am stärksten wohl in jenem Augenblick, da Sali seiner Vreni die roten Schuhe anzieht, vor einer Kulisse aus blauem Leuchten. Das alles zusammen ist keine Oper mehr. Es ist Tanz, es ist Kunst. Und es ist gebettet in ein warmes, samtenes Spiel aus Farben, Formen und Licht. Schön, fast zu schön, um traurig zu sein.
...Frank Philipp Schlößmann lässt in seinem Bühnenbild Wände umeinander kreisen, augenfälliges Symbol für die Ausweglosigkeit der Lage von Sali und Vrenchen. So heißen Romeo und Julia, die in einem Schweizer Dorf leben. Die ganzen Schwarz-, Weiß-, und Grautöne, auch in den Kostümen und in der Beleuchtung, könnten die Oper trist wirken lassen. Wäre da nicht Arila Siegerts traumtänzerisch leichte Inszenierung. Siegert war ursprünglich Tänzerin und Choreografin. Das merkt man ihrer Personenführung an. Besonders die Figur des Schwarzen Geigers, der immer dann auftaucht, wenn ein weiterer Schicksalsschlag auf Sali und Vrenchen wartet, balanciert an der Grenze zwischen Realität und Fantasie entlang.
Faszinierend arrangierte Arila Siegert die Chorszenen. Sali und Vrenchen träumen von ihrer Hochzeit. Siegert taucht diesen Traum in Schwarz, in strenger Formation erscheinen die Hochzeitsgäste. Das passt perfekt zur Musik, denn auch Delius lässt in dem strengen Rhythmus und den langsamen dunklen Glockenschlägen eher einen Trauerfall denn eine Hochzeit anklingen. Raffiniert hat die Regisseurin auch die Kirmes gestaltet. Es hat tatsächlich etwas Gruseliges, wie die schwarz gekleideten Kirmesbesucher sich gegen Sali und Vrenchen zusammenrotten. In Zeitlupe suchen die Verliebten einander zwischen den erstarrten Kirmesbesuchern. Dazu spielt das Orchester den "Gang zum Paradiesgarten", was in diesem Kontext wie bittere Ironie wirkt.
...„Romeo und Julia auf dem Dorfe“ ist ein musikalisch wunderschönes Stück, auch wenn es keine Melodie gibt, die im Ohr hängen bleibt. Und es ist in der Karlsruher Inszenierung eine ebenso spannende wie anrührende Mahnung, dass mancher Traum vom gemeinsamen Glück keine Zukunft findet.
...Arila Siegert inszenierte konsequent am Text entlang. Ihre Regie erzählte die Geschichte der Oper sehr verständlich: bei einem unbekannten Stück auf jeden Fall ein Vorteil. Zudem bildete Frank Philipp Schlößmanns Bühnenbild mit seinen verstellbaren hohen, überwiegend halbkreisförmigen Wänden, deren Bewegungen auf der Drehbühne die Szenerie ständig variierten, eine sehr praktikable Lösung für die vielen Szenenwechsel. Außerdem suggerierte dieses Arrangement mit seinen trostlosen Grautönen intensiv den Eindruck des Eingesperrtseins und des Unheimlichen. Insgesamt erwies sich Siegerts Personenführung als gewandt; mit theatralisch wirkungsvollen Einstellungen bei einigen Chortableaux...
...Arila Siegert beschränkt sich in ihrer Inszenierung auf übersichtliche Abläufe, stimmungsvolle Bilder und symbolische Gesten. Der Raum, den ihr Frank Philipp Schlößmann gebaut hat, nimmt sich mit seinen ineinander kreisenden, hohen Wänden wie ein Irrgarten aus. Die Liebe findet keine Ruhe. Anfangs nicht, weil die beiden sich gegenseitig ruinierenden Väter das nicht dulden; später nicht, weil die Gesellschaft die mittellosen Kinder verspottet. In der Traum-Sequenz, wo die jungen Leute ihre imaginäre Hochzeit erleben, und in der Kirmes-Episode zeigt sich die choreographische Handschrift der Regisseurin besonders vorteilhaft.
Wesentlich zum Gelingen der heftig gefeierten Premiere trägt die Badische Staatskapelle unter ihrem Chefdirigenten Justin Brown bei. Der Orchesterklang bleibt immer flexibel. Niemals werden die Sänger übertönt. Der Konzertmeister steuert betörende Geigen-Soli, der Staatsopernchor fein ausgehörte Choräle bei. Als Liebespaar profilieren sich Carsten Süss (Sali) und Stefania Dovhan (Vrenchen). Seung-Gi Jung (Manz) und Jaco Venter (Marti) liefern sich als hasserfüllte Väter lautstarke Duelle, während Armin Kolarczyk als Schwarzer Geiger eher differenzierte Töne bevorzugt.
...Frank Philipp Schlößmann entwarf die immerzu rotierende Drehbühne: ein schraffiertes Ensemble von Türmen, Wänden und im Zentrum ein gaskesselartiger Rundbau, das drinnen wie draußen, Gasse, Acker und Kirmesplatz bedeutet. Der Regisseurin Arila Siegert gelingt darin eine nur anfangs auf dem Feld klischeebelastete, in ihrer gelegentlich artifiziell stilisierenden Zeitlupenhaftigkeit zusehends profiliertere Szenenchoreographie, die deutlich auf ihre Herkunft aus dem Ausdruckstanz verweist und in der Traumhochzeit der jungen Leute einen spukhaft-magischen Höhepunkt erreicht.
...Von der Bewegung der Körper wird auch die ganze Inszenierung geprägt. Arila Siegert hat ihre Regie beeindruckend konsequent vom Tanz her gedacht. Sie entstammt dem Kreis um Gret Palucca und Walter Felsenstein, den großen Vertretern einer künstlerisch ausdrucksstarken Bühnensprache. Der Inszenierung dieser handlungsreduzierten Oper kommt ein derartiges Konzept hervorragend entgegen. In kleinen Gesten, die sparsam, aber umso prägnanter eingesetzt werden, wird die Innenwelt der Figuren deutlich und verständlich. Zugleich entsteht eine besondere, künstlich verdichtete Bühnenwirklichkeit, die der Oper ihren ganz besonderen Zauber verleiht.
Anrührend, wie Vreni und Sali bevor sie die Todesfähre besteigen, ihre roten Schuhe ordentlich am Ufer abstellen - eine Geste voller Symbolkraft, die alles sagt über die Figuren und ihre Gefühle. Zu Bildern phantastischer Traumwirklichkeit hat die Regisseurin die beiden pantomimischen Szenen geformt, in denen nur das Orchester erzählt: die so sehr ersehnte Hochzeit des Paares, die ihm in der Realität dieser kalten Gesellschaft verweigert wird und der Gang zum Paradiesgarten, einer Utopie des vollkommenen Glücks. Außergewöhnlich sanft und anrührend sind die Bewegungen choreografiert, was der Oper jeden falschen Naturalismus nimmt.
Geschickt hat Frank Philipp Schlößmann die Drehbühne für das abstakte, symbolisch verdichtete Bühnenbild genutzt. In immer wieder neuen Kreisbewegungen entstehen aus den zylindrischen, aufragenden Wänden enge Räume als Bilder der Ausweglosigkeit, bis sich erst im letzten Bild die Bühne ganz öffnet, hin zu einer Toteninsel, der das Paar auf seinem Kahn entgegentreibt.
FAZIT
Mit dieser außergewöhnlichen Produktion, die sowohl musikalisch wie
szenisch begeistert, hat das neue Leitungsteam die Oper am Badischen
Staatstheater wieder spannend gemacht...
...Freilich rückt Arila Siegerts Regie diese Figur mit verkrümmten Streicherbewegungen auch in solch possenhaftes Licht, dass man nicht recht weiß, ob die Inszenierung der dramaturgisch reichlich hilflosen Umsetzung von Kellers Novelle gar mit Ironie begegnen will... In den besten Momenten führt das zu sehr dichten, beklemmenden Bildern des unglücklichen Liebespaars; in den – leider häufigeren – schlechten zu einer reichlich naiven Bildsprache mit pseudo-esoterischem Touch...
...Arila Siegert, Palucca-Schülerin, Ruth-Berghaus-Mitarbeiterin und Mitglied der Akademien der Künste in Berlin und Dresden, verstand es vorbildlich, das „Psychogramm von Musik und Handlung“ in eine ganz eigene, eindrucksvolle, die Sänger nicht behindernde, sondern unterstützende Körpersprache zu übersetzen und die „zarte, verletzliche Liebe dieser beiden jungen Leute, die kein Fundament, kein Haus, keine Heimat – nichts“ haben, bemerkenswert einfühlsam, präzis, konzentriert und hochmusikalisch in schlichte und deshalb umso bewegendere, suggestive, dichte Bilder zu übertragen, an die „Zerbrechlichkeit, Besonderheit und Unvergleichlichkeit“ von menschlichen Bindungen zu erinnern und so ein Plädoyer dafür zu formulieren, jungen Menschen Möglichkeiten zu geben, den Schritt ins Leben zu schaffen – anders als den Titelfiguren, die Opfer einer bloß auf Materielles setzenden Umwelt werden und von denen am Ende nur noch zwei Paar Schuhe am Bühnenrand stehen bleiben.
Und sie brauchte dazu kein Studium der Psychologie, keine platte Aktualisierung, keine vordergründige Provokation...
...Frank Philipp Schlössmann entwarf die immerzu rotierende Drehbühne: ein schwer überschaubares schraffiertes Ensemble von Türmen, Mauern, Wänden und im Zentrum einem gaskesselartigen Rundbau, das Gasse, Acker und Kirmesplatz bedeutet und auch mal eine Art Shakespeare’scher Balkonszene gestattet. Und immer auch die Enge, die die Liebesleute einschließt, aus der sie nicht herausfinden. Arila Siegert gerät darin eine nur anfangs klischeebelastete, in ihrer gelegentlich artifiziell stilisierenden Zeitlupenhaftigkeit indes zusehends profiliertere Szenenchoreografie, die deutlich auf die Herkunft der Regisseurin aus dem Ausdruckstanz verweist. In der Traumhochzeit der jungen Leute erreicht sie einen spukhaft-magischen Höhepunkt. So elaboriert manche Bewegung wirkt – Arila Siegert erfindet auch Personenzuordnungen, die haften bleiben.
…So wie die Mitte des 19. Jahrhunderts verfasste Novelle eine Gegenwartsgeschichte ihrer Entstehungszeit behandelt, ließ auch Delius die wichtigsten Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seine Bühnenversion einfließen. Und die Karlsruher Inszenierung wiederum realisierte das eigenwillige Oeuvre mit einer auf die wichtigsten Elemente konzentrierten Zeitlosigkeit, die den wertvollen Grundgedanken einer Liebe, die wertvoller ist als jedes noch so kleine Vermögen, dauerhaft fürs Repertoire zurück gewinnen sollte. Dazu trägt sicher auch die Tatsache bei, dass Arila Siegert als renommierte Tänzerin und Choreographin aus der Dresdner Palucca Schule eine gelöst bewegliche Körpersprache mitbringt, die den Schwebezustand der Handlung zwischen äußerer Realität und innerem Befinden besonders auch in den orchestralen Zwischenspielen ohne Durchhänger auszufüllen vermag und zu Bildern von bezwingender Magie findet...
Diese ungetrübte Revitalisierung eines vor allem inhaltlich und instrumental, weniger sängerisch, einprägsamen Werkes wurde verdient uneingeschränkt aufgenommen und mit differenzierten Ovationen gewürdigt.
Die deutlichen Lücken im Auditorium zeigten, dass noch nicht zu jedem Opern-Interessierten durchgedrungen ist, welch glanzvolles Juwel sich seit neuestem im Repertoire des Badischen Staatstheaters befindet. Frederick Delius‘ Oper „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ fesselt mit einer ergreifenden Geschichte, die durch ihre konzentrierte, Debussy nahestehende Musik auf eine höhere Ebene geführt wird. Durch kurze Wagner-Zitate stellen sich zusätzliche Assoziationen her.
Die hervorragende Regie von Arila Siegert wurde bereits bei der Besprechung der A-Premiere ausgiebig gelobt, darum hier nur noch erwähnt: Auch die Zweitbesetzung konnte sich in der Inszenierung sicher aufgehoben fühlen. Eine Zweitbesetzung ist es aber wirklich nur der Zählung, nicht der Leistung nach...
…Arila Siegert schuf eine poetische Inszenierung, die dem Werk wunderbar gerecht wurde. Gut unterstützt wurde sie von Frank Philipp Schlößman, der ein Bühnenbild auf zwei Drehscheiben schuf, auf denen sich grobe Wände und Mauem im Kreise drehen… Exzellent die Personenführung, bei der man auch die tänzerische und choreographische Vergangenheit der Regisseurin spürt. Die zeitlosen Kostüme mit historischen Anklängen, von Marie-Luise Strandt entworfen, sind überwiegend in Schwarz gehalten, was der Symbolik der Opernhandlung voll entspricht. Für die trefflichen Lichteffekte sorgte Stefan Woinke.
Das begeisterte Publikum bejubelte am Schluss die exzellenten Leistungen des Ensembles mit vielen Bravorufen und mit nicht enden wollendem Applaus für den Dirigenten und das Orchester. Gratulation der Intendanz zu dieser verdienstvollen Ausgrabung eines musikalischen Meisterwerks des 20. Jahrhunderts...