Da steht also Eduard Strauß auf der Bühne der Dresdner Staatsoperette (nicht der der unglückselige Bruder von Johann Junior, der später alle Noten der Strauß-Kapelle verbrannte, sondern der Urgroßneffe) und freut sich auf eine Uraufführung: ein Frauenterzett in der Operette „Das Spitzentuch der Königin", das vor der Premiere 1880 gestrichen wurde. Ein junger, schon ehemüder König, dessen frustrierte Gattin und deren Hofdame, gleichzeitig Geliebte des Dichters Cervantes, die sich in gewagten Harmonie und ungewöhnlich verschlungener Melodik über eine wild erblühende Rose auslassen, das passte damals nicht so recht in die Genremuster. Richard Strauss freilich wusste, wie er, im seriösen Operngeschäft ähnlich mit dem in drei enggeführten Frauenstimmen gipfelnden „Rosenkavalier" abräumen konnte. Das titelgebende Tücherl (eine Anspielung auf das wichtigste „Othello"-Requisit) spielt, zum Fächer verwandelt, eine Requisitenrolle in der „Lustigen Witwe".
Als anstän'dge Frau erweist sich im „Spitzentuch" die Königin. Soviel Moral musste trotz aller Frivolität sein. Obwohl Johann Strauß' lange vernachlässigtes siebtes Bühnenwerk erstaunlich tagespolitisch knisterte. Bei der konzertanten Wiederentdeckung vor einem Jahr in Coburg wurde aufgezeigt, wie eng die Parallelen zwischen dem regierungsunwilligen, seiner Frau gegenüber kalten, von seinem Kabinett fast schon an die Spanier verratenen portugiesischen Regenten und dem realen, eben verheirateten Kronprinz Rudolf im von den Preußen begehrten Österreich waren. Die Regisseurin Arila Siegert hat sich dem angeschlossen und erzählt doch eine Fantasiegeschichte, angesiedelt in der nahen Vergangenheit auf einem Ozeanliner, der untergeht. Auch anschließend haben die Beteiligten im gebirgigen Land nicht unbedingt sicheren Boden unter den Operetten-Füßen...
Chihoko Zeisberg-Nakata ist in dem Bericht für ihre japanische Musikzeitschrift sehr angetan vom "Niveau der Aufführung", der "einfallsreichen Regie", den "exzellenten Sängern" und dem unter Ernst Theis "klangschön spielenden Orchester", wie sie dolmetschend schreibt.
Die Staatsoperette Dresden versucht, neben dem Wunsch nach bestmöglicher Unterhaltung, ihre Klassiker so werkgetreu wie möglich nach dem neuesten Erkenntnisstand der Musikforschung zu präsentieren. Bei Johann Strauß (Sohn) gibt es inzwischen das »Wiener Institut für Strauß-Forschung«. Auf der Grundlage historisch-kritischer Ausgaben hat man im Rahmen eines Europäischen Johann Strauß-Festivals vor, alle Bühnenwerke des Wiener Walzerkönigs in szenischen oder konzertanten Aufführungen endlich „originalgetreu" aufzuführen...
So ingeniös flüssig und rein sich Strauß in seinen Orchesterwerken betätigte, so behäbig und gebremst wirkt vieles in seinen Bühnenwerken (glorreiche Ausnahmen die »Fledermaus« und das posthume »Wiener Blut«). Fast alle litten (und leiden) unter ihren schwachen Libretti, die über die Ansprüche des Tages kaum hinausgehen. Die Ausnahme der leidvollen Regel bildete das von Heinrich Bohrmann und Richard Genée verfasste »Spitzentuch der Königin«, das auch „Die Intrigen des Cervantes" hätte heißen können, geht es doch um nichts Geringeres als um den Versuch vom Schöpfer des „Don Quijote", im Exilland Portugal wieder geordnete politische Verhältnisse herzustellen, einem jungen, ins Abseits gedrängten König klar zu machen, dass er sich gefälligst um seine Staatsgeschäfte und um die Liebe seiner Gattin (beides übrigens gleichrangig behandelt) zu kümmern habe, also verhindern soll, dass ein intriganter Premier sein Land an die Spanier verscherbelt...
Was davon kann zu uns herübergerettet werden? Arila Siegert verweist im Programmheftgespräch auf das Gebot der Selbstbestimmung, „das Ruder zu ergreifen, den eigenen Gedanken zu vertrauen."...
Die Partie des Cervantes war dafür verantwortlich, dass ein ursprünglich am Beginn des zweiten Aktes vorgesehenes Terzett der drei Frauen gestrichen worden war. Erst jetzt, 2007 in Dresden, kam es zur nachgereichten Uraufführung. Es darf in seiner formalen Gestalt, in der die Traumverlorenheit dreier junger Menschen zum Ausdruck kommt, die sich für einen seligen Augenblick aus dem Strudel der gesellschaftlichen Reglementierung befreien, von nun an als einer von Johann Strauß' kühnsten musikalischen Gedanken gelten. Eine großartige Wiedergutmachung!
...Zum Inhalt nur so viel: Warum auch immer ausgerechnet der spanische Nationaldichter Cervantes den antriebsarmen portugiesischen König dazu anstachelt, die Macht im Staat nicht allein dem intriganten Premierminister (genussvoll akrobatisch wie satirisch: Bernd Könnes) zu überlassen, sei dahingestellt. Belegt ist, dass Cervantes in Algerien weilte, in Schuldtürmen verbrachte und an Wassersucht starb, aber die Vertrauensstellung als Redenschreiber Ihrer Majestät ist neu. Vielleicht deshalb, weil die Texter von Operette Nr. 7 aus dem Straußschen Kompositionsatelier so gerne «Cervantes» auf «Interessantes» reimten. Jedenfalls fängt der Monarch nach allerlei Wirrungen wieder das an, was seines Amtes ist, nämlich das Regieren, und erhört zudem noch endlich die unachtsam beiseite gelegte Gattin.
Das alles verpacken die Akteure aus Dresden in hohen, pointenreichen Charme... Der Ausflug der Dresdner aus ihrem dringend sanierungsbedürftigem Stammquartier im Stadtteil Leuben kam beim Publikum gut an: Langanhaltender Beifall für eine geschlossene Ensembleleistung. Operette ohne zwanghaftes, regietheatrales Anti-Aging, und doch weder verstaubt noch schal: So geht’s.