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Flotter Vergnügungsdampfer

„Das Spitzentuch der Königin“ in Dresden

Manuel Brug, in: „Die Welt", 08.Mai 2007

Da steht also Eduard Strauß auf der Bühne der Dresdner Staatsoperette (nicht der der unglückselige Bruder von Johann Junior, der später alle Noten der Strauß-Kapelle verbrannte, sondern der Urgroßneffe) und freut sich auf eine Uraufführung: ein Frauenterzett in der Operette „Das Spitzentuch der Königin", das vor der Premiere 1880 gestrichen wurde. Ein junger, schon ehemüder König, dessen frustrierte Gattin und deren Hofdame, gleichzeitig Geliebte des Dichters Cervantes, die sich in gewagten Harmonie und ungewöhnlich verschlungener Melodik über eine wild erblühende Rose auslassen, das passte damals nicht so recht in die Genremuster. Richard Strauss freilich wusste, wie er, im seriösen Operngeschäft ähnlich mit dem in drei enggeführten Frauenstimmen gipfelnden „Rosenkavalier" abräumen konnte. Das titelgebende Tücherl (eine Anspielung auf das wichtigste „Othello"-Requisit) spielt, zum Fächer verwandelt, eine Requisitenrolle in der „Lustigen Witwe".

Als anstän'dge Frau erweist sich im „Spitzentuch" die Königin. Soviel Moral musste trotz aller Frivolität sein. Obwohl Johann Strauß' lange vernachlässigtes siebtes Bühnenwerk erstaunlich tagespolitisch knisterte. Bei der konzertanten Wiederentdeckung vor einem Jahr in Coburg wurde aufgezeigt, wie eng die Parallelen zwischen dem regierungsunwilligen, seiner Frau gegenüber kalten, von seinem Kabinett fast schon an die Spanier verratenen portugiesischen Regenten und dem realen, eben verheirateten Kronprinz Rudolf im von den Preußen begehrten Österreich waren. Die Regisseurin Arila Siegert hat sich dem angeschlossen und erzählt doch eine Fantasiegeschichte, angesiedelt in der nahen Vergangenheit auf einem Ozeanliner, der untergeht. Auch anschließend haben die Beteiligten im gebirgigen Land nicht unbedingt sicheren Boden unter den Operetten-Füßen.

Die Strauß-Bühnenstücke kranken - Ausnahme „Fledermaus" - an schlechten Libretti, er war ein Melodiker, kein Dramatiker. So das gängige Vorurteil. Das sich mehr entkräftet, je mehr Stücke in den letzten Jahren wieder auf die Bühnen kamen. Ob „Simplicius", „Der lustige Krieg" oder „Carneval in Rom", jedes dieser Stücke, heute oft nur noch bekannt durch die daraus erstellten Walzerfolgen, offenbarte erstaunliche Stärken. Die im „Spitzentuch der Königin" am Hellsten funkeln. Auch dieses Werk überlebte vornehmlich als Potpourri-Walzer „Rosen aus dem Süden". Und erweist sich, richtig behandelt, als erstaunlich moussierende, satirisch zupackende, und von Ernst Theis mit sämiger Walzerseligkeit dirigentisch ausbalancierte Offenbachiade von deftig zupackendem Witz. Arila Siegert hat das gern aufgegriffen, hält Sänger und Chor in steter Bewegung zwischen Swimmingpool und Kajütenbeobachterauge. Hans Dieter Schaal hat ein auf wenige Attribute beschränktes, variables Kreuzfahrtschiff-Ambiente entworfen, Marie-Luise Strandts Kostüme wirbeln elegant, scheuen, zum folkloristischen Ende hin, die Musikantenstadl-Parodie nicht. Hier wird nicht vordergründig aktualisiert, nur situationsgemäß zugespitzt.

Mit zwei intriganten, aber stets vom wieselflinken, historisch nicht eben korrekt behandelten Cervantes (Marc Horus) ausgetricksten Hofschranzen schuf Strauß herrliche Komikerrollen: Bernd Könnes als hagestolzer Premierminister und Markus Liske als vertrottelter Erzieher servieren pointengenau. Der König, eine Hosenrolle, bekommt bei Nadja Stefanoff braunen Teint und effeminierten Johnny-Depp-Piratentouch. Jessica Glatte trällert sich vehement aus der Königinnen-Bravheit, die Hofdamen sind schusselig gewitzt. So tuckert die Dresdner Staatsoperette mit diesem mühelos auf Traumschifftouren kommenden Strauß-Vergnügungsdampfer durch seichte Gewässer. Am Ende wird der Taschentuch-Spruch „Eine Königin liebt dich, doch du bist kein König", auch im royalen Operetten-Ehebett widerlegt.


Chihoko Zeisberg-Nakata ist in dem Bericht für ihre japanische Musikzeitschrift sehr angetan vom "Niveau der Aufführung", der "einfallsreichen Regie", den "exzellenten Sängern" und dem unter Ernst Theis "klangschön spielenden Orchester", wie sie dolmetschend schreibt.


Großartige Wiedergutmachung

„Das Spitzentuch der Königin“ in Dresden

K.C.v. Karais, in: Opernglas, Heft 7/8 (2007), besuchte Vorstellung: 23. Mai 2007

Die Staatsoperette Dresden versucht, neben dem Wunsch nach bestmöglicher Unterhaltung, ihre Klassiker so werkgetreu wie möglich nach dem neuesten Erkenntnisstand der Musikforschung zu präsentieren. Bei Johann Strauß (Sohn) gibt es inzwischen das »Wiener Institut für Strauß-Forschung«. Auf der Grundlage historisch-kritischer Ausgaben hat man im Rahmen eines Europäischen Johann Strauß-Festivals vor, alle Bühnenwerke des Wiener Walzerkönigs in szenischen oder konzertanten Aufführungen endlich „originalgetreu" aufzuführen...

So ingeniös flüssig und rein sich Strauß in seinen Orchesterwerken betätigte, so behäbig und gebremst wirkt vieles in seinen Bühnenwerken (glorreiche Ausnahmen die »Fledermaus« und das posthume »Wiener Blut«). Fast alle litten (und leiden) unter ihren schwachen Libretti, die über die Ansprüche des Tages kaum hinausgehen. Die Ausnahme der leidvollen Regel bildete das von Heinrich Bohrmann und Richard Genée verfasste »Spitzentuch der Königin«, das auch „Die Intrigen des Cervantes" hätte heißen können, geht es doch um nichts Geringeres als um den Versuch vom Schöpfer des „Don Quijote", im Exilland Portugal wieder geordnete politische Verhältnisse herzustellen, einem jungen, ins Abseits gedrängten König klar zu machen, dass er sich gefälligst um seine Staatsgeschäfte und um die Liebe seiner Gattin (beides übrigens gleichrangig behandelt) zu kümmern habe, also verhindern soll, dass ein intriganter Premier sein Land an die Spanier verscherbelt...

Was davon kann zu uns herübergerettet werden? Arila Siegert verweist im Programmheftgespräch auf das Gebot der Selbstbestimmung, „das Ruder zu ergreifen, den eigenen Gedanken zu vertrauen." Das versteht sich und bleibt doch sehr allgemein. Gerade das »Spitzentuch« ist eben keine pseudo-romantische, spielopernhafte Operette, sondern ihre Soli, Duette und Terzette sind couplethaft, anzüglich, anspielungsreich. Das Problem dabei, der Anspielungsreichtum ist ein entliehener, sozusagen der (literarische) Schmäh von gestern (Othello-Desdemona; Kaiserin Sissis Neigung, verweinte Taschentücher fallen zu lassen; der König auf halbem Weg zur Don Giovanni-Figur; Sancho als sein erbsenzählender Leporello). Die Regisseurin und ihr Dramaturg Andre Meyer hätten mutiger in den Text eingreifen, ihn vergegenwärtigen und schärfen müssen. So blieben die beiden Komiker-Paraderollen für Christian Theodoridis (Don Sancho, Erzieher des Königs, gesanglich flackernd und unsauber) und Hardy Brachmann (Premier der Regentschaft, mit klar disponiertem Bariton) unausgefüllt.

Immerhin war letztlich alles eingehüllt vom unverwechselbaren Strauß'schen Orchesterklang, der gelöst und unverschwiemelt aus dem Graben tönte, der es den Protagonisten dank der mehr als nur korrekten Stabführung durch Christian Garbosnik ermöglichte, wenigstens auf diesem Sektor der Operette die erforderliche Überlebensluft einzuhauchen.

„Originalgetreuer Johann Strauß" bedeutete in diesem Fall die Besetzung des Königs mit einem Mezzosopran, sodass wir einen höchst aparten Vorgriff auf den »Rosenkavalier« eines späteren Strauss erleben durften. Der König, von Stephanie Atanasow in schmiegsamer, beinah samtener Manier dargeboten; die Königin mit dem leisen Anklang einer jungen Marschallin, von der Diva der Staatsoperette, Jessica Glatte, in duftige Klangwolken gehüllt, in feinsten Kostproben (wie im Loblied auf die Trüffel) mit leichter Tendenz zur Höhenschärfe. Elke Kottmair als Irene, Vertraute der Königin, setzte in der Damenrunde den resoluten Gegenton. Eher beiläufig agierte Ralf Simon als Spieltreiber Cervantes, zwar in der handelsüblich schlanken Behändigkeit des Verführers, aber doch mit zu wenig Ausstrahlungstiefe.

Die Partie des Cervantes war dafür verantwortlich, dass ein ursprünglich am Beginn des zweiten Aktes vorgesehenes Terzett der drei Frauen gestrichen worden war. Erst jetzt, 2007 in Dresden, kam es zur nachgereichten Uraufführung. Es darf in seiner formalen Gestalt, in der die Traumverlorenheit dreier junger Menschen zum Ausdruck kommt, die sich für einen seligen Augenblick aus dem Strudel der gesellschaftlichen Reglementierung befreien, von nun an als einer von Johann Strauß' kühnsten musikalischen Gedanken gelten. Eine großartige Wiedergutmachung!


Charme-Offensive

Vom Gastspiel im Stadttheater Fürth (3.-6.Juli 2008)

j.v. in: Fürther Nachrichten, 05.07.08

Operette und Logik sind nicht unbedingt als Zwillingspärchen auf die Welt gekommen. Aber wer braucht auch schon logische Handlungsfolgen, wenn ein Johann Strauß jr. walzer- und couplet-seelig die Sinne verdreht? Dass sich «Das Spitzentuch der Königin» nicht neben «Fledermaus» und «Zigeunerbaron» behaupten konnte, mag an dem merkwürdigen Sujet liegen. Mit Sicherheit nicht an der wirkungsmächtigen Musik, die mit Tanzszenen ebenso wenig geizt wie sie die klangliche Grundlage für Parlamentsreden, Kabinettsitzungen, Volksfeste, Stierkämpfe und die Morgentoilette bei Hofe liefert.

Zum Inhalt nur so viel: Warum auch immer ausgerechnet der spanische Nationaldichter Cervantes den antriebsarmen portugiesischen König dazu anstachelt, die Macht im Staat nicht allein dem intriganten Premierminister (genussvoll akrobatisch wie satirisch: Bernd Könnes) zu überlassen, sei dahingestellt. Belegt ist, dass Cervantes in Algerien weilte, in Schuldtürmen verbrachte und an Wassersucht starb, aber die Vertrauensstellung als Redenschreiber Ihrer Majestät ist neu. Vielleicht deshalb, weil die Texter von Operette Nr. 7 aus dem Straußschen Kompositionsatelier so gerne «Cervantes» auf «Interessantes» reimten. Jedenfalls fängt der Monarch nach allerlei Wirrungen wieder das an, was seines Amtes ist, nämlich das Regieren, und erhört zudem noch endlich die unachtsam beiseite gelegte Gattin.

Das alles verpacken die Akteure aus Dresden in hohen, pointenreichen Charme. Ob der kleine, sehr präsente Chor, ob das ansehnliche Orchester unter der animierenden Leitung von Ernst Theis oder schöne Solistenleistungen von Elke Kottmair (Donna Irene), Ralf Simon (Cervantes) oder Markus Liske (Don Sancho): Die Regie (Arila Siegert) achtet auf nett kostümierte, gut choreografierte Unterhaltungsware, die zwar nicht auf leichte Übertreibungen verzichten mag, aber doch das Beste aus der Vorlage herauszuholen versteht.

Nun also weiß man, was fehlt, wenn die galant walzenden «Rosen aus dem Süden» wortlos im Konzert oder im CD-Player dreivierteln: Die begleitende Rede kündet von Schmack- und Nahrhaftem wie Pastete, Trüffeln und Fasanen. Der Ausflug der Dresdner aus ihrem dringend sanierungsbedürftigem Stammquartier im Stadtteil Leuben kam beim Publikum gut an: Langanhaltender Beifall für eine geschlossene Ensembleleistung. Operette ohne zwanghaftes, regietheatrales Anti-Aging, und doch weder verstaubt noch schal: So geht’s.