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Ende einer Irrfahrt

Jochen Schmidt in: FAZ, 20.April 1998

...Schaals Bühne - schiefe Wände, stürzende Linien, in der Mitte ein über Eck gestelltes, leicht nach vorn gekipptes Zimmer mit einem Fenster als Ausstieg und Lichteinlass - ist zwar eher Expressionismus..., doch ist sie Gold im Vergleich mit Schaals ... Texten über die Stadt als Ballung von Räumen...

Arila Siegert tut das einzige Richtige: Sie ... versucht gar nicht erst, seine Räume zum Tanzen zu bringen. Statt dessen entfaltet sie zwischen den Wänden und Versatzstücken sehr vorsichtig tänzerische Bilder einer Dreierbeziehung: ein Mann (Thomas Hartmann) ist konfrontiert mit zwei Frauen. Bei einer der Frauen (die schöne, starke Carola Tautz) scheint es sich um eine reale Partnerin zu handeln, bei der anderen, von der Choreografin selbst getanzt, um eine Erinnerung, die sich immer wieder zwischen das reale Paar drängt. Zu einer eigens für diesen Anlass komponierten Musik von Lutz Glandien ... entwickelt sich die Choreografie aus schläfriger Ruhe zu einer Kette von Bewegungen und erstarrt schließlich wieder in der Bewegungslosigkeit... Anfangs liegt Hartmann zusammengekrümmt in der Zimmerecke; nur schwer scheint er, sich am Boden windend, aus Schlaf und Traum ins Leben hineinzufinden. Dass von Beginn an auch die beiden Frauen auf der Bühne sind, bemerkt der Zuschauer erst nach einiger Zeit: Tautz lehnt im Dunkel regungslos an einem Geländer, Siegert hat sich unter der angehobenen rechten Ecke der Zimmerbodens verkrochen. "Einsamkeiten+Dinge" ist dieser erste Teil des Stücks überschrieben, in dem Siegert wie ein Geist bei Hartmann hereinschaut und wieder verschwindet.

Teil zwei bringt die Begegnung zwischen Hartmann und Tautz, wenn man will: eine Liebesszene. Der Mann hat vorher das Zimmer ein wenig wohnlicher eingerichtet und einen Tisch und einen Stuhl angeschleppt, auf denen die - durchaus erotische - Annäherung des Paars sich vollzieht. Doch scheint die Beziehung nicht zu funktionieren! Die Szene endet mit der Trennung des Paares. Im folgenden Teil sucht die Schattenfrau den Mann heim als eine Art Sukkubus: bedrängt ihn, hockt auf seinen Schultern. Der Wiederbegegnung von Tautz und Hartmann - "Stadtnacht, nächtliche Panik" - gehen lange, rastlos suchende Gänge voraus; doch auch die Wiederbegegnung im Zimmer scheitert, weil sich die Dritte immer wieder zwischen die zwei schiebt; die Positionswechsel des Trios von einer Ecke des Raumes zur anderen gehören zu den bewegtesten Teilen der ungefähr einstündigen Aufführung, mit der Arila Siegert, zu DDR-Zeiten das wohl größte Talent der ostdeutschen Tanzszene, zu alten Stärken zurückzufinden scheint...*) Wie ihre frühen Arbeiten - Die Maske, Kassandra - die eigentümlich klaustrophobe Atmosphäre der DDR-Gesellschaft reflektierten, spiegelt Stadträume die Verlorenheit der Menschen in der neuen bundesdeutschen Gesellschaft wieder...

*) vgl. auch Schmidts Kritik von gesichte.ac