...Der 1926 geborene Komponist, selbst aus den Südstaaten, hat einen Konflikt des Bürgerkriegs in Amerika zu einem eigenen Libretto verarbeitet. Wade, Colonel der Nordstaaten, will das Nachkriegsdesaster in South Carolina ordnen, gerät aber persönlich und politisch zwischen die Fronten. Die Stimmen des Radikalismus (Stichwort Rassendiskriminierung) übertönen immer stärker die Versuche, einsichtig und gemäßigt zu agieren – ein Konfliktfeld von leider immer aktueller Gültigkeit.
Floyd ergreift nicht einseitig Partei, sondern behandelt beide Seiten differenziert. Der liberale Südstaatenrichter kann ebenso nur bis zu einem gewissen Punkt über seinen Schatten springen wie der militant-patriotische Aufpasser aus dem Norden, der gewissermaßen Recht vor Gnade ergehen lässt. Eine „grenzüberschreitende“ Liebesgeschichte bringt den persönlichen Touch ein. Man mag das plakativ oder kitschig nennen (etwa die melodramatische Hochzeitsszene mit gesprochenen Gebeten zu einem Spiritual im Hintergrund), aber genau das ist der Urstoff, aus dem Opern zu allen Zeiten gemacht sind.
Wobei Carlisle Floyds Komposition deutlich in zwei Segmente zerfällt: eine eher weitschweifig erzählerische, spröde rezitativische Exposition und – im knapperen zweiten Teil – eine dramatisch packende, farbig effektsicher sich zuspitzende Situation bis zum Todesschuss auf Jonathan Wade. Da kommt durchaus Passion (im Sinne von Leidenschaft) auf und das Mozarteumorchester unter der kapellmeisterlich umsichtigen Führung von Adrian Kelly besser in Fahrt. Mehr Luft als im kleinen Landestheater brauchte die Musik aber doch zur vollen Entfaltung.
Ansonsten versteht auch das szenische Team (Regie: Arila Siegert, Bühne: Hans Dieter Schaal, Kostüme: Marie-Luise Strandt) „Passion“ eher im Sinne eines Oratoriums, das nach strenger Zeichenhaftigkeit, stilisierender Überzeitlichkeit verlangt...
Fazit: ein Opernabend auf beachtlichem Niveau.
Musik steht in der amerikanischen Oper meist erst an zweiter Stelle. Zentral ist das Thema, der behandelte Stoff. Nicht selten, dass ein Filmerfolg der Ausgangspunkt ist, und in der Regel sind es nationale Mythen, an denen sich die amerikanische Oper abarbeitet. Bei Carlisle Floyd, „The Passion of Jonathan Wade“, ist das Thema der amerikanische Bürgerkrieg. Abfall, Krieg und schließlich die Besetzung der Südstaaten, und damit verbunden das Ende der Sklaverei. 1962 wurde die Oper uraufgeführt, als die Bürgerrechtsbewegung in den Anfängen lag, 1991 von Floyd neu bearbeitet, doch 2010 ist sie nach wie vor aktuell. Mit der Wahl eines schwarzen Präsidenten schien das Thema der Rassendiskriminierung zwar erledigt, aber zeigt nicht die Bewegung der rassistisch angehauchten Tea Partys eine neue Gegenbewegung?
„The Passion of Jonathan Wade“ beginnt mit einem Chor, dem Chor der vernichtend besiegten, völlig verwüsteten Stadt Columbia in South Carolina. Verwundete Soldaten kehren zurück, die Stadt wird von den Yankees besetzt. Doch Oberst Jonathan Wade verspricht einen friedlichen Wiederaufbau, wenn die neuen Gesetze eingehalten werden. Carlisle Floyd stammt aus den Südstaaten und hat durchaus auch Verständnis mit der Wut auf die Besatzer aus Washington. Am Ende ist nicht klar, wer den zwischen den Parteien vermittelnden Oberst Wade erschossen hat. Der Ku-Klux-Klan oder die radikale Partei um den Politiker Pratt, der das Büro für Angelegenheiten der Freigelassenen leitet.
Regisseurin Arila Siegert, Palucca Schülerin zunächst, Tänzerin und Choreografin in der DDR, sieht durchaus eine Parallele zwischen den beiden amerikanischen, wieder durch Besatzung vereinigten Staaten und den beiden deutschen Staaten. Die Rolle des an der Sklaverei festhalten wollenden Südstaatlers Lucas wird so bei Siegert zum Gegenpart des Titelhelden.
SIEGERT: Das ist dieses Problem, dass wir sehr abhängig sind von Gewohnheiten, von gewohnten Sachen, Abläufen, von einem System, in das wir uns einfügen müssen, um zu überleben oder um gut zu leben. Und viele Leute sind in der DDR damals richtig kaputt gegangen, weil es sehr schwer ist. Ich habe versucht, das herauszuarbeiten in der Rolle des Lucas. Das ist ein junger Südstaaten-Aristokrat, der einer der Widersacher ist, Ku-Klux-Klan-Mitglied, die gegen Wade opponieren, aber der ihm trotzdem immer die Wahrheit sagt. Ich habe sie inszeniert wie zwei Brüder, Kain und Abel.
Die Sklavenfrage ist in Floyds Oper eine Debatte unter weißen Nord- und Südstaatlern. Vier schwarze Jungs singen im ersten Akt eine kurze Einlage, sie seien nun „frei wie Frösche“. Eine große schwarze Rolle allerdings hat auch musikalisch einen wichtigen Part, die Haushälterin Nicey Bridges. Dass sie die Nordstaatler mit Lesen und Schreiben beglücken wollen, findet sie anmaßend. Das könne sie doch schon längst. Nicey singt am Ende einen Gospel und begleitet die gesprochene heimliche Hochzeit des Liebespaars musikalisch.
„The Passion of Jonathan Wade“ ist vor allem Grand Opéra mit viel schnellen Wechseln. Das Liebespaar, der Yankee Jonathan Wade und Celia, die Tochter des Richters Townsend, und ihre Gefühle und ihre auf die Probe gestellten Loyalitäten stehen im Mittelpunkt.
SIEGERT: Es ist eine Mischung zwischen Psychologie, Farben, die das Lokalkolorit von Columbia beschreiben, es ist auch ein bisschen Film. Es hat was von „Vom Winde verweht“, aber es ist auch knallharte politische Auseinandersetzung zwischen den Figuren. Es ist auch eine Verbindung zur Passion Christi drin, deshalb heißt es „The Passion of Jonathan Wade“.
Arila Siegert hat der Titelfigur hin und wieder einen Tänzer beigesellt. Es ist die Erinnerung an Jonathans im Krieg gefallenen Bruder, der ihn wie ein Schatten begleitet. Die Bühne von Hans Dieter Schaal sind Verschläge mit großen Holzbrettern, die sich verschieben lassen, Gefängnisse.
Entdeckt wurde „The Passion of Jonathan Wade“ durch Operndirektor Bernd Feuchtner in den USA.
FEUCHTNER: Carlisle Floyd ist jemand, der ein sehr klares musikdramatisches Bewusstsein hat, der sich seine Libretti selber schreibt und dazu auch hervorragend in der Lage ist. Er beherrscht den Bau der Oper. Und er ist in der Lage, eine Musik zu schreiben, die dramatisch ist wie Verdi. Stilistisch könnte man sagen, diese Musik liegt irgendwo zwischen Schostakowitsch „Lady Macbeth von Mzensk“ und John Adams.
Amerikanische Opern werden in riesigen Häusern, fast alle mit mehr als 3000 Plätzen gespielt. An ein kleines intimes altes Haus wie das Salzburger Landestheater hat Floyd wohl nicht gedacht. Doch Adrian Kelly ist mit dem Mozarteum-Orchester die Balance gut geglückt, kraftvoll dramatisch zu agieren, gleichzeitig aber auch fast kammermusikalisch Stimmungen aufzubauen und zu kontrastieren. Hubert Wild und Juliane Borg sind ein eindringliches Opern-Liebespaar. Doch das herablassende Etikett „epigonal“ gegenüber der amerikanischen Oper trifft keineswegs zu. Im Gegenteil. In ihrer unbekümmerten Art, die großen nationalen Mythen und Themen wie die Wiedervereinigung aufzugreifen, wirkt die amerikanische Oper erfrischend jung und eigenständig.
Es gibt mehrere Gründe, zu dieser Werkwahl zu gratulieren. Erstens hat man ein respektables Werk vor den europäischen Vorhang gezerrt. Zweitens hat man sich mit einer amerikanischen Oper der Aufgabe gestellt, ein veritables Bildungsdefizit hierorts auszuarbeiten. Und drittens werden Inhalte lanciert, die nicht nur für die US-amerikanische Geschichte von Bedeutung sind. Die USA haben inzwischen ihren schwarzen Präsidenten, während wir vor ausufernder Xenophobie es nicht einmal schaffen, Menschen wenigstens als dringend gebrauchte Arbeitskräfte zu verstehen, sobald sie etwas dunkler, nicht frei von Akzent oder Muslim sind.
...1962 auf der New York City Opera uraufgeführt, trifft Floyds Oper nicht nur thematisch den Nerv ihrer Zeit, da die schwarze Bürgerrechtsbewegung so richtig im Anrollen war, sie steht auch musikalisch in einer Reihe mit den Zeitgenossen. Im Wechsel von rezitativischer Transparenz zu dramatischer Wucht des riesigen Orchesterapparats ist man durchaus an Tonsprache und Dramaturgie eines Benjamin Britten erinnert. Die homogene, bedrückende Grundstimmung wird fallweise genial konterkariert, beispielsweise im Quartett der schwarzen Boys zur Begegnung Wades mit einem verletzten Soldaten oder in der berührenden Eheschließungs-Szene, wenn das schwarze Hausmädchen Nicey einen Gospelhintergrund aufbaut, ein Höhepunkt für die Sängerin Jeniece Goldbourne.
Die Salzburger Aufführung darf für sich verbuchen, das Werk mit einer runden und in sich geschlossenen Ensemble-Leistung bewältigt zu haben...
Als letzte Opern-Produktion präsentiert das Landestheater Carlisle Floyds »The Passion of Jonathan Wade«, ein griffiges Südstaatendrama im großen Stil, voll brodelnder Gefühle, bigger than life! Der vom Krieg gezeichnete Jonathan Wade strebt nach Frieden. Das treibt den Mann, der als Zeuge des grausamen Todes seines Bruders traumatisiert ist, in den Abgrund. Der Süden akzeptiert nicht die Abschaffung der Sklaverei, der Norden agiert als Sieger grausam und diktatorisch. Richter Townsend, dessen Tochter Celia Jonathan liebt, befindet sich im anderen Lager. Der Südstaatler Lucas organisiert mit dem Ku-Klux-Klan einen Aufstand. Jonathan wird von den Feinden im eigenen Lager durch Intrigen in der Armee kalt gestellt. Flucht und Desertion als einziger Ausweg? Dann fällt ein Schuss….
Der episch erzählende Tonfall erinnert mit furioser Dramatik an Filmmusik: Lattenzäune auf der Bühne scheinen unüberwindlich und doch durchlässig: Der mögliche (Aus)Weg aus Bedrohung und Paranoia hin zu Freiheit. Das Prinzip Hoffnung? Die Choreographie kleiner Gesten und die kühl distanzierte, klare Inszenierung erinnert an ein Oratorium: Jeniece Golbourne überwältigt als schwarze Nicey stimmlich wie darstellerisch. Allgegenwärtig präsent ist Marco Stahel als Jonathans Bruder mit nacktem Oberkörper im Hintergrund. Mit transparentem Sprechgesang voll dramatischer Wucht trifft Floyds Oper auch den Nerv unserer Zeit und erreicht die Intensität der besten Opern von Benjamin Britten. Großer Beifall.
Facts:
The Passion of Jonathan Wade, Oper
von Carlisle Floyd
Dirigent: Adrian Kelly / Inszenierung:
Arila Siegert
Mit Jeniece Goldbourne, Eric Fennell, Julianne Borg, Marco Stahel,
Hubert Wild, John Zuckerman, Hubert Wild, Marcell Bakonyi
„Berechtigte Begeisterung für diese Opern-Wiederentdeckung in Salzburg“
„Die Passion des Jonathan Wade“. Ein gelungener Schritt nach vorn – von dramatischer Aktualität in der Zeit des ersten schwarzen US-Präsidenten.“
„Mit der europäischen Erstaufführung von ‚Die Passion des Jonathan Wade‘ des US-Komponisten Carlisle Floyd gelang ein neuer, diesmal zeitgenössischer Coup.“
„Die riesigen verschiebbaren Lattenzäune machen Eiundruck: Sie symbolisieren Ausgrenzung mit nur einem kleinen Spalt für die Freiheit. Und genau darum geht es…“
Die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts in den Südstaaten, eine Gesellschaft, die eben einen Krieg verloren hat. Hier lässt Carlisle Floyd seine Oper beginnen.
Jonathan Wade ist Offizier der Nordstaatenarmee, er übernimmt in Columbia die Besatzung, es gilt, die Bevölkerung mit den neuen Rechten und Pflichten vertraut zu machen, Farbige sollen vor allem nicht länger als Sklaven gesehen werden. Zunächst wird Wade akzeptiert, die Tochter des örtlichen Richters verliebt sich sogar in ihn. Doch als Mann des Ausgleichs gerät Wade zwischen die Fronten. Wie geht eine Gesellschaft um mit der Herausforderung, sich neu orientieren zu müssen? Für die Regisseurin Arila Siegert eine Frage, der auch heute Relevantes abgewonnen werden kann.
Siegert: Es hat auch Parallelen für uns aus dem Osten. Ich komme aus Ost-Deutschland. Diese Umbruchzeiten, diese Wendezeiten – das ist ja noch eine ganz andere Dimension in Amerika – aber es geht ja bis heute, der Kampf um die Gleichheit der Schwarzen und der Weißen. Was fangen wir mit der Freiheit an, was bedeutet so eine Entwicklung von der Sklaverei bis Obama, was heißt das, was geht da in den Menschen vor?
Carlisle Floyd ist 1926 geboren, in unseren Breiten ist am ehesten noch seine Oper "Susannah" bekannt. Für die "Passion von Jonathan Wade" hat er musikalisch etwas mehr gewagt, meint Dirigent Adrian Kelly.
Kelly: Bei diesem Stück merkt man, dass er versucht auch mit Atonalität, auch mit anderen Sachen umzugehen. Es ist dadurch eine ganz interessante Mischung und sehr lebendig, was da Bühne und Graben verbindet.
Am Landestheater dirigiert Kelly das Mozarteum-Orchester, es singt vorwiegend das Ensemble des Hauses, der junge Bariton Hubert Wild ist in der Titelpartie zu hören. In den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts ist die Oper entstanden, in einer Epoche, als die USA rund um Kennedy und Martin Luther King nach neuen Formen des Zusammenlebens zwischen Schwarz und Weiß suchte.
Mit einer Ausnahme hat Floyd nur Weiße auf die Bühne gestellt, die Salzburger Inszenierung integriert auch eine Gruppe Farbiger: Farbige sollen nicht nur das Thema sein, sondern auch in der Aufführung sichtbar und hörbar. Ihre Musik, den Jazz, hat der Komponist selbst bereits als wesentliches Element seiner "Passion des Jonathan Wade" verwendet.