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Penelope - Ikone des Wartens

Premiere am Chemnitzer Opernhaus

Marianne Schultz in Freie Presse Chemnitz, 29.04.2002

Penelope heißt "Pénélope und Odysseus" (Ulysse). Dem Liebespaar des klassischen Altertums hat der Franzose Gabriel Fauré seine Oper gewidmet, dem jahrzehntelangen Warten der Penelope auf die Rückkehr von Odysseus. Uraufführung war 1913. Das Werk wurde in Frankreich erfolgreich, in Deutschland überhaupt nicht bis auf eine Ausnahme (1991 in Ludwigshafen) gespielt. Arila Siegert hat es jetzt in Originalsprache für Chemnitz in Szene gesetzt und einen in jeder Hinsicht erstaunlichen Abend bereitet als Musik- und Tanztheater, ein Abend transparenter Ästhetik und feiner Noblesse fernab lauter Effekte.

Penelope steht im Mittelpunkt der Handlung, die Wartende, sich Sehnende, auch nach 20 Jahren noch auf die Heimkehr von Odysseus Vertrauende. Darum rankt sich das ganze Spiel, in dessen Verlauf Odysseus wohl zurückkehrt. Die Tragik, sie erkennt den teuren Vermissten nicht. Am Ende stehen sich beide gegenüber, berühren sich nicht, sehen aneinander vorbei. Er bleibt ihr ein Fremder, der Schluss verklingt im fragenden Pianissimo. Das Schicksalhafte beschwört die Regisseurin herauf, lotet menschliche wie philosophische Dimensionen aus.

Fauré hatte die göttliche Athene gar nicht vorgesehen, doch ihre lenkende Hand durchweg wird für die Aufführung Prinzip. Athene (Alexandra Lehmann) ist es, die Odysseus (Richard Berkeley-Steele), den tapferen, ermatteten Helden erweckt, ihn in einen alten Bettler verwandelt und als gebeugten Mann nach Hause schickt. Arila Siegert, einst Solotänzerin der Dresdner Staatsoper, vertraut der Bildsprache des Tanzes bis zum Schluss, durchwebt auf diese Weise leichtfüßig fließend die Szene.

Sopranistin Nancy Gibson gibt ihrer Heldin alles: klare stimmliche Schönheit, Wärme, Leidenschaft. Sie formt das Symbol ehelicher Treue, ist selbst eine Art Leuchtturm. Ihre Wahrnehmung, ihr Erleben führt den Zuschauer. Er wird Teil ihrer Angst, einen der lästigen Belagerer erhören zu müssen. Nur Euriclée (großartig: Monika Straube) bestärkt sie in ihrer Haltung. Die Freier, hochkarätig besetzt mit der ersten Solistenriege (u. a. Dietrich Greve, Matthias Winter, André Riemer) werben unverhohlen mit vulgärem Charme um die Gunst der schönen Penelope. Im Ernst des Erwachsenspiels, der großen Liebe, hatten sie von Beginn an keine Chance. Die tatenlosen Müßiggänger im grauen Flanell sterben am Ende von Odysseus Hand einen furchtbaren Tod.

Der ausgezeichnete Richard Berkeley-Steele zeigt einen wahren Heroen, alt und kaputt vielleicht, aber ungebrochen in seiner Tatkraft. Die Musik des seinerzeit äußerst einflussreichen Gabriel Fauré (1845 bis 1924) ist von feiner Melodik bestimmt. Einen Gegenentwurf zu Richard Wagners Musiktheater wollte er schaffen - neben, nicht innerhalb des Impressionismus. Dirigent Fabrice Bollon formt sicher dieses sensible, emotional ergreifende Werk, erschließt seine Schönheit im Reichtum der Figuren und Formen.

Dieser Differenziertheit entspricht das Bühnenbild von Hans Dieter Schaal. Geleitet von einer bestechenden Ästhetik, beschränkt er sich mit einem Turm als Sinnbild auf das Wesentliche, schafft einen irisierenden Bildreichtum in den Farben Lichtweiß, Grau, Blau - das sensible Gemälde einer poetischen Seelenlandschaft. Das Premierenpublikum feierte die wunderschöne Inszenierung mit vielen Bravos, in die sich allerdings auch zwei "Buhs" mischten.


Eine Frau wartet

Einzige Oper eines Kammermusikers: Gabriel Faurés Pénélope in Chemnitz
Hans-Klaus Jungheinrich in Frankfurter Rundschau, 3.Mai 2002
und etwa gleichlautend in der Neuen Musikzeitung Juni 2002

Gabriel Fauré (1845-1924) schrieb reizvoll-bedeutende Klavierwerke kleineren und mittleren Formats, vor allem aber hochkarätige Kammermusik. In dieser traditionell deutschen Domäne nimmt man in Deutschland einen Franzosen gewissermaßen nur widerstrebend zur Kenntnis; mit exquisiter Melodiegestaltung bei mild nazarenischer Farbabtönung unter Aussparung von Donnerworten entspricht Faurés Requiem schon eher dem, was man von einem Franzosen hierzulande zu hören gewohnt ist, und auch die Ballettsuite Masques et Bergamasques erfreut sich bei uns einiger Beliebtheit. Die dazu gehörige Tanzdichtung stammt von René Fauchois, einem tüchtigen Dramatiker mit Antikenfaible. Er konnte Fauré zu seiner einzigen Opernkomposition motivieren: Pénélope, 1907 begonnen, 1912 beendet und uraufgeführt; die lange Entstehungszeit deutet auf die Sorgfalt, mit der Fauré zu arbeiten pflegte.

Mit Beethoven und Smetana teilte Fauré das Los, in seinen späten Jahren zu ertauben; man könnte darüber spekulieren, ob diese biographische Bitternis auch seine musikstilistische Entwicklung entscheidend beeinflusste - den Weg vom überquellenden, farbsatten Romantizismus zu einer entchromatisierten "weißen" Neuklassizität (ohne solche Nöte stellt sich Ähnliches bei Zemlinsky dar). Die Oper bewegt sich gleichsam an der Nahtstelle der Umorientierung, changiert zwischen feinfühligem Impressionismus und schärferer klassizistischer Konturierung. Sie ist in ihrer unverwechselbaren Atmosphäre unbedingt als Unikat zu betrachten, eher vergleichbar Debussys Pelléas et Melisande und Dukas' Ariane et Barbe-bleue als dem üppigen, aber auch routinehaften Opernfächer von Jules Massenet. Dieser hantiert im Orchestersatz mit geläufigen Klischees, die er mit sängerisch pikanten und effektvollen Inspirationen nobilitiert. Im Vokalen bleibt Faurés Oper spröder, mehr dem (zuweilen hochexpressiv gesteigerten) "parler" Wagners, Debussys und Dukas' verpflichtet. Der subtile "Wagnerianismus" tritt aber viel mehr zurück als bei Chaussons Roi Arthus.

Der skrupulöse Kammermusiker Fauré ist auch in Pénélope sehr merklich; hier wird mit strenger motivisch-thematischer Fortspinnungs- und Verarbeitungskunst ein engmaschiges Beziehungsnetz gewoben, das vor allem im Orchestralen symphonische Qualitäten evoziert, die Formgestaltung der drei Akte damit sozusagen unwiderleglich befestigt. Heißblütiger dramatischer Atem fehlt keineswegs, doch die lyrische Grundhaltung bleibt bestimmend.

Die Handlung verläuft ähnlich wie in Monteverdis Il Ritorno d'Ulisse in patria, doch konzentriert sich das Personenspektrum im wesentlichen auf wenige Protagonisten, vor allem auf die Titelfigur: die unerschütterlich sehnsuchtsvoll auf den abwesenden Ehemann Wartende. In zwei Aspekten enthält das Sujet ein Skandalon: ein atavistisches und ein die moderne Psychologie herausforderndes. Von archaischer Grausamkeit das Blutbad an den (bizarren) Freiern, sozusagen ein vielfacher Ritualmord, durch den Wiedersehensfeier und Ehebestätigung erst die richtige Würze bekommen. Von bohrender Merkwürdigkeit aber auch die homerische Wendung, dass Penelope im Gegensatz zu anderen in ihrem Hausstand den als Bettler verkleideten Heimkehrer nicht erkennt. Dieser Umstand veranlasst Odysseus zu dem "patriarchalischen" Verhalten, seine Frau und ihre (Nicht-)Beziehung zu den Nebenbuhlern einer langen und genauen Observation unterziehen zu können.

An dem das Patriarchat und seine Werte bestätigenden Stoff zweifelt auch die Chemnitzer Regisseurin Arila Siegert nicht; sie hebt diese Komponente noch mittels einer zusätzlich als stumme Tanzfigur hinzugefügten Athene (Göttin der Männerkämpfe und Odysseus' Schutzgeist) hervor. Weniger dramatisch als musikalisch begründet ist der diskrete Einsatz einer Tanzgruppe, die kaum als separierte dekorative Einlage fungiert, mehr der "Auflichtung" der sonstigen Personage dient analog zum fluiden Habitus der Musik.

Gekonnte Choreographie und Personenführung. Das finale Massaker wird nicht theatralisch ausgeschlachtet, die Erledigten verschwinden als Ornamente in der Netzstruktur eines Zwischenvorhangs - auch hier Treue zur musikalischen Distinktion. Dass Fauré das abschließende Triumph-Tableau ins Piano hineinführt, nimmt die Regisseurin überzeugend zum Anlass, das glatte Happy-end einer prekären Ehegeschichte unaufdringlich zu unterlaufen.

Eine interpretativ anspruchsvolle, gelungene szenische Arbeit, die sich auf die attraktive Bühnenoptik von Hans Dieter Schaal (und zeitlose Kostüme von Marie-Luise Strandt) stützen konnte; auffälligstes Architekturzeichen hier ein halbhoher Turm, Symbolort des Wartens und der Introversion Penelopes. Mit zwei herausragenden Hauptsängern bekam die Aufführung einen hohen Rang. Richard Berkeley-Steele war ein lauernder, aber auch abrupt wendiger Ulysse, zunächst gebückt gnomenhaft wie der Glöckner von Notre Dame, schließlich zu viriler Majestät sich aufreckend - vom Stimmtypus her mit seinem gleißend-hellen Timbre alle Facetten eines lyrischen, eines Helden- und eines Charaktertenors integrierend.

Von ruhiger, überwiegend sanft blühender Färbung die Gesänge Nancy Gibsons in der alle Dimensionen des Kantablen umfassenden Titelrolle. Von großem Differenzierungsvermögen die musikalische Direktion mit dem Dirigenten Fabrice Bollon. Es wäre zu wünschen, dass die in allen Punkten liebevolle und enthusiasmierte Chemnitzer Wiedergabe diesem lohnenden Stück auch in Deutschland den Weg ebnet.


Die unmerkliche Entfremdung von Mann und Frau

Gelungene deutsche Erstaufführung von Gabriel Faurés Oper Pénélope in Arila Siegerts Regie

Irene Tüngler in Sächsische Zeitung, Dresden, 29.04.2002.

Das lichte Foyer des Chemnitzer Opernhauses aus Marmor und hellem Holz führt den Zuschauer in das nüchtern-klare Bühnenbild und das wiederum trifft mitten hinein in Gabriel Faures durchsichtige Musik. Marie-Luise Strandts durch zweitausend Jahre führende Kostüme und die deutliche Figurenzeichnung Arila Siegert vervollständigen die gelungene, geschlossene Ästhetik der neuesten Produktion der Chemnitzer Oper.

Nach der Premiere erscheint es jetzt fast ein wenig verwunderlich, dass Penelope nicht schon längst für das Opernrepertoire entdeckt wurde. Entfremdung, Sehnsucht, Realitäten und Illusionen einer gefährdeten Partnerschaft sind immer gültige Gegenstände des Weltdramas. Faurés Musik ist in ihrer Offenheit, Durchsichtigkeit, aber auch durch die hier zu Lande vertraute Leitmotiv-Technik unproblematisch aufnehmbar und die Titelrolle ist eine dankbare lyrisch-dramatische Partie, auch für eine Sängerin in etwas reiferen Jahren. Fabrice Bollon am Pult der Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie war ein kundiger Sachwalter der Partitur.

Er verwirklichte, was den französischen Begriff der Clarte ausmacht: einen schlanken Klang, keine schwelgerisch-romantischen Temposchwankungen, eine Zartheit ohne Sentimentalität, krasse Aufgipfelungen, die nie brutal geraten dürfen. Die ganze Oper ist kammermusikalisch gedacht.

Die Heimkehr des Odysseus spielt sich ab, wie man die Geschichte kennt, aber nichts ist im Libretto Rene Fauchois' wichtig außer dem Verhältnis zwischen Penelope und Ulysse. Ihre Unterschiedlichkeit hat Regisseurin Arila Siegert bis in die Körpersprache der beiden ausgelotet. Penelope auf ihrem – von Hans-Dieter Schaal genial erdachten – Haus-Turm-Ausguck spinnt Rachegedanken gegen die Freier und sehnt sich nach Ulysse mit der gleichen unerbittlichen Starrheit wie Elektra auf ihrem Dresdner „Sprungturm“. Nancy Gibson bewegt sich wie eingefangen in diesem Gedanken-Kokon, starr und gemessen. Stimmlich füllt sie die große Partie aus, beeindruckend ihre musikalisch-gestische Gestaltungsfähigkeit.

Ulysse ist in Arila Siegerts Deutung kaum der Listenreiche. Er ist der Körpermensch, der bewegliche, umtriebige, tanzende, katzenhaft schleichende, der seinem Schicksal sogar noch einen Funken Spaß entpresst. Das Paar wird nicht wieder vorbehaltlos zueinander finden, zu unterschiedlich ist, was sie voneinander erwarten.

Es gibt noch einen Aspekt im Werk, der seinen Schöpfern wichtig war: Erotik. Die Freier und Mägde erfüllen Penelops verwaistes Haus mit Jugend und Leidenschaft, sie selbst wird durch das Werben der jungen Männer an ihre versäumte Lust mit Ulysse erinnert. Gespielt wird das kaum.

Es ist wohl nicht Arila Siegerts Sache, die Hitze der Körper nach außen zu kehren. Viel eindrucksvoller das Bild, in dem die toten Mädchen und jungen Männer wie Spinnenbeute in einem Netz aus Balken und Wollfäden hängen. Penelope webt und trennt ein schicksalhaftes Leichenhemd, die Parzen weben indessen das unentrinnbare Schicksal der Freier. Noch eine Schicksalsgestalt befindet sich auf der Bühne.

Arila Siegert erfand die tanzende Figur der Pallas Athene, der Schutzgöttin des Ulysse zur Oper hinzu. Sie führt ihn, treibt ihn, sitzt ihm buchstäblich im Nacken. Fast immer, wenn sie auftritt, findet man Siegerts Idee gut – wie die ganze Produktion bis auf Einzelheiten sehr spannungsreich und sehr gelungen ist.


Sie erleiden ihren Sieg

Chemnitzer Oper erweckt mit Pénélope
wieder einmal überregionales Interesse

Joachim Lange in Dresdner Neueste Nachrichten, 29.04.02
und etwa gleichlautend in der "opernwelt" 06/2002

Am Ende ist der Triumph eine Katastrophe. Sie erleiden ihren Sieg. Penelope, die Frau, die die besten Jahre ihres Lebens damit zugebracht hatte, auf ihren geliebten Mann zu warten, während der in Troja mit der Herstellung von Weltgeschichte beschäftigt und auf dem Rückweg ziemlich vom Wege abgekommen war. Sie steht, in schwarze Trauergewänder gehüllt, mit dem Schrecken in den Augen, an der Wand jenes Turmes, der über die Jahre ihre Trutzburg war. Nun zur Seite abgekippt, hat er mit seinem Sinn auch seine Standfestigkeit verloren. Und Odysseus? Gerade hat er die unverschämten Schmarotzer, die Sprösslinge umliegender Reiche, die es auf die vermeintliche Erbin von Ithaka abgesehen und des Hofes Vorräte und des Landes Reichtümer schon mal probehalber verprasst hatten, zwar alle erledigt, aber die Frage, ob sich auf Leichenbergen nachholendes Glück errichten lässt, die steht ihm ins Gesicht geschrieben. Sein Weg ist noch lange nicht zu Ende. Er läuft und läuft, immer weiter und doch nur im Kreis. Keine Geste des Jubels vereint hier die beiden (zu) lange Getrennten.

Das ist klug und angemessen hinterfragt in Arila Siegerts Chemnitzer Inszenierung von Gabriel Faurés (1845-1924) einziger (dreiaktiger) Oper Pénélope. Es ist die Geschichte von der Heimkehr des Odysseus, seiner Rache und Wiedervereinigung mit seiner Frau Penelope, die René Fauchois aus den Gesängen 18 bis 24 der Odyssee Homers destilliert hat. Eine Geschichte, die immer wieder fesselt, ob nun als Vorlage für Monteverdis Meisterwerk oder als Schauspielfassung von Botho Strauss, die in den letzten Jahren als Ithaka auch in Dresden und in Gera/Altenburg gespielt wurde. In Faurés kurz vor dem Ersten Weltkrieg vollendeter Oper erklingt dazu eine durch und durch französisch gefärbte Musik, die ihre Faszination ebenso aus der inneren emotionalen Beziehung zu Debussy bezieht wie aus dem Spannungsverhältnis zu Wagners Leidensfähigkeit. Stimmungsvolles Klangwogen und dann - etwa im zweiten Akt, als die Freier Penelope ein Ultimatum setzen - eine Stimmung wie sie sich sonst nur um den siechenden Tristan herum entfaltet.

Die Robert-Schumann-Philharmonie unter Fabrice Ballon spielt das im Chemnitzer Opernhaus mit einer Klarheit und einem Einfühlungsvermögen, als täte sie sonst nichts anderes! Dabei hat es Pénélope in Deutschland bislang nur einmal - 1991 in Ludwigsburg - und da auch nur als Koproduktion mit einem französischen Opernhaus, auf die Bühne geschafft. Allein schon mit seiner Spielplanentscheidung für diese natürlich französisch gesungene (und deutsch übertitelte) Oper hat sich das Chemnitzer Haus genau genommen das Verdienst einer deutschen Erstaufführung erworben. Das kann man in Zeiten eines immer schmaler werdenden Repertoires gar nicht hoch genug schätzen - zumal auch das Publikum manchmal leider nach der Regel verfährt, nur das anzunehmen, was es schon kennt.

Erst recht verdienstvoll aber ist das musikalische und szenische Niveau der Ausführung. Mit unaufdringlichen Lichteffekten etwa entsprechen die Auftritte der Königin immer dem, was die Musik pointiert. Die machohafte Kraftmeierei der Freier in der Hosenträger-Hemdsärmlichkeit der vorsichtig über die Zeiten verallgemeinernden Kostüme von Marie-Luise Strandt formt sich in bedrängendes Schlangestehen oder in ein bedrohliches Tische-Ankippen. Und wenn die dann die Königin dabei erwischen, wie sie das Leichenhemd für den verstorbenen Vater des Odysseus immer wieder heimlich auftrennt, um den Zeitpunkt ihrer Entscheidung für einen von ihnen als Ehemann immer weiter hinauszuzögern, und einer der Freier mit einem Taschenmesser die Leine zerschneidet, an dem dieses Webstück hängt, dann schwingt in der kleinen Geste die große Bedeutung mit. So etwas gelingt Arila Siegert immer wieder in einer durchgängig musikalisch atmenden Diktion. Es ist ein feines Gewebe aus hochästhetisch stilisierter Personenführung und Hans Dieter Schaals auf den metaphorischen Nenner zielendem Bühnenbild. Mit dem wuchtigen zentralen Turm (als Schutzraum und Aussichtspunkt der Hoffnung) oder dem überdimensionierten Webrahmen, in dem schließlich am Ende die Toten hängen werden.

Sicher bleiben da auch kleine "Webfehler" nicht aus. Etwa, wenn Odysseus bei der Wieder-Erkennungs-Szene mit seiner alten Amme schelmisch ins Publikum zwinkert oder wenn die als Tänzerin zusätzlich eingeführte Athene zu oft das der kriegerischen Göttin zukommende Schwergewicht illustrierend vertändelt. Erstaunlicherweise wirken gerade die Balletteinlagen der ja vom Tanz kommenden Regisseurin konventionell, ja sogar verzichtbar. Aber das sind im Grunde kleine Einwände gegen eine in ihrer ästhetischen Schlüssigkeit aus der Musik erlauschten Inszenierung, die sich zudem nicht mit Oberflächenglanz begnügt, sondern das fragwürdige Blutbad, das Odysseus anrichtet, hinterfragt.

Bei den Sängern folgt die Chemnitzer Oper ihren eigenen wohltuend hohen Maßstäben. Nancy Gibson gibt der harrenden, stolzen Königin die Würde der Erscheinung und die gefühlvolle Strahlkraft der Stimme, die sie zum Zentrum macht und bei der man kleine Angestrengtheiten gerne überhört. Richard Berkeley-Steele ist ein Odysseus, der ebenso die Mühe glaubhaft macht, mit der er seine Wut zügelt oder seinen Kampfgeist auflodern lässt. Wie in Chemnitz üblich (und möglich!) sind auch die kleineren Rollen vorzüglich besetzt. Von Monika Straubes Amme über Yue Lius Eumaios bis hin zu jedem einzelnen der Bewerber, unter denen sich Kay Frenzel (Antinoos) und Dietrich Greve (Eurimachos) am nachhaltigsten profilierten. Am Ende viel Jubel, ein paar völlig deplazierte Buhs und als Fazit ein "Auf nach Chemnitz!"


Hero welcomed on a note of awful doubt

By Shirley Apthorp, Financial Times, London, May 03, 2002

Flags in Chemnitz fly at half-mast for the 16 victims of last week's massacre in Erfurt. This corner of former East Germany has been deeply shaken. In crisis meetings, politicians point fingers at one another for failing to ban violent video games and films. If only it were so easy.

The Chemnitz Opera's premiere of Fauré's Pénélope the day after the murders finds the house full, despite a subdued atmosphere. Homer's story, re-told in René Fauchois' libretto, ends in a blood-bath which reminds us that massacres have been around longer than video games. There is a reason why the Greek myths have been told and re-told for thousands of years. They deal with the fundamental questions of human existence, and the good and bad that people do to one another.

Did Odysseus really suppose that he was rewarding Penelope for all her years of waiting by killing most of the people in her house? Like Homer, Fauchois leaves the question open. But Fauré's score ends on a note of awful doubt, leaving us well aware of the gulf that remains between the reunited couple. And Arila Siegert's new Chemnitz production makes it quite clear that this isn't a story with a happy end.

Fauré's autumnal opera tells the story of an unhappy woman, a painful coming-together, an act of terrible violence, and an uncertain future. How could Penelope, who has done nothing but wait for Odysseus, fail to recognise him when he appears, even in disguise? Is she, perhaps, only pretending not to know him, testing his fidelity as he is testing hers? If Siegert's production doesn't quite operate on this level of subtlety, at least Fauré composed music that hinted at myriad possibilities.

While the Berlin opera houses are churning out yet more spurious Fidelios and Bohèmes, it falls to houses like Chemnitz to unearth neglected masterworks and remind us that there's more to life than Puccini. A company which knows how to play its cards right, Chemnitz has for years struck a perfect balance between keeping local audiences happy and attracting international notice with the occasional well-chosen rarity. Pénélope continues a new line in French repertoire, begun last season with Massenet's Cendrillon.

It's a perfect choice for chief conductor Fabrice Bollon and the excellent Robert Schumann Philharmonic. In Bollon's hands, the orchestra plays with astonishing polish and accuracy. Especially startling in such a small town is the warm, burnished string tone. The orchestral colours are half the joy of this opera, and Bollon makes the most of them. But for all the lush fullness and dark brutality of Fauré's music, there isn't a note too many in Penelope; the piece is as strong for what it doesn't say as for what it does.

Siegert comes from a background in ballet, and doesn't attempt to hide it. All her singers move with fluidity and grace, and characters are disposed around the stage with a constant eye to visual effect. Hans Dieter Schaal's sets lend a psychological touch, with a prominent white tower representing Penelope's inner world as well as her vantage-point. The setting is both then and now, a timeless simplicity which effortlessly highlights the tale's eternal actuality. The team's great achievement is the tricky second act, a long dialogue between the two protagonists which would have been static in lesser hands. Played with ambiguity and restraint, it prickles with latent excitement from start to finish.

Nancy Gibson rises to the challenge of the title role with aplomb, a poised Penelope who has no difficulty making us believe in her strength of character. Richard Berkeley-Steele, her Odysseus, is a man bruised by life yet capable of terrible violence. Both singers have the stamina for their roles and the artistry to portray their characters with fitting complexity. All of the minor parts are competently cast; on every level, the attention to detail and the thoroughness of preparation are a credit to the house.

As the curtain falls, Odysseus walks around a revolving stage, drawing no nearer to Penelope in her tower. A mound of tangled corpses lies between them. In Greek myths, violence begets violence, and every act of revenge carries terrible consequences. In Ithaca, as in Erfurt, the living carry the scars of the dead.


Du bist der Turm

Faurés Pénélope als dt.EA in Chemnitz

Eleonore Büning in FAZ, 02.05.2002

Sie wartet, er wandert. Eine alte Geschichte, die immer wieder von vorn anfangen kann. Weil nämlich Mann und Weib nur sporadisch, alle zwanzig Jahre vielleicht, glücklich zusammenfinden... In der Neuinszenierung am Chemnitzer Opernhaus ... endet die Story ... hoffnungslos. Ulysse, Sammler, Jäger Krieger, marschiert auf einem ins Blaue sich schwingenden Marmor-Mäuerchen wieder auf und davon. Pénélope, Herdhüterin und Salzsäule, wacht über die Trümmer ihres Hauses und die Leichen, die er hinterlässt. Dergestalt ergreift die Regisseurin Arila Siegert klar Partei. "Du bist der Turm", will sie während der Probenarbeit zu der Pénélope-Sängerin Nancy Gibson gesagt haben. Entsprechend baute Hans Dieter Schaal einen magisch angestrahlten, weißsteinernen Rapunzelturm in die Bühnenmitte, von dem die hohe Frau nun herunterjubelt zu den vergebens anstürmenden Freiern: Keusche Kommando-Brücke weiblicher Duldsamkeit, die ab und zu hysterisch rotiert... Bei Fauré ist Pénélope nicht nur dem Namen nach eine ausnahmsweise der weiblichen Schattenseite verpflichtete Lesart des Homerischen Gesangs. Er schrieb dazu eine der anspruchsvollsten dramatischen Sopran-Partien der Opernliteratur... Sowohl als Dokument der französischen Wagner-Rezeption wie auch als missing link in einer Serie von "Frauen"-Opern des fin de siècle (Debussys Pelléas et Mélisande, 1902, Dukas' Ariane et Barbe Bleu, 1907) ist die Wieder-Ausgrabung dieses versunkenen, symbolistisch-impressionistischen Opernschatzes von höchstem Interesse. Dazu kommt: Pénélope, dramaturgisch praktikabel und musikalisch stringent durchgeformt, ist ein Meisterwerk. Rasch entwickelt diese schwebende Traumwelt ihren eigenen Sog, im Handumdrehen zeigt sich das Publikum verzaubert...


Ein wunderbarer Solitär
aus dem Niemandsland

Peter Korfmacher in Leipziger Volkszeitung, 02.05.02

In Chemnitz ist man realistisch: Vier Schnittchen liegen zur Verpflegung der Besucher der zweiten Vorstellung von Gabriel Faurés Pénélope bereit. Und viel mehr braucht man auch nicht. Denn es bleibt erschütternd leer im Saal. Dabei lohnt sich die Reise durchaus. Schon wegen des Stückes: Faurés Oper um die verzweifelt auf die Rückkehr ihres Gatten Odysseus wartende Königin ist in der europäischen Operngeschichte ein Solitär. Irgendwo im Niemandsland zwischen Debussys kostbarer Deklamation und Wagners Leitmotivik fand Fauré, der oft unterschätzte Übervater der französischen Musik des 20. Jahrhunderts, seinen ganz eigenen Stil. Mit wunderbarer Instrumentation, aus dem Wort gezeugter Melodik, eleganter Selbstbescheidung - und leider ziemlich plumpem Schluss. Aber der ändert nichts daran, dass der Besuch für jeden halbwegs mobilen Opernfreund ins Pflichtprogramm gehört. Denn die Produktion ist eine rundum runde Sache. Nicht, dass es nichts zu mäkeln gäbe: Den Akteuren sind - vorsichtig formuliert - das französische Idiom und Faurés Legato nicht in die Wiege gelegt worden, und im Graben lassen die Bläser Parfüm und Zauber vermissen.

Aber aufs Ganze gesehen wird eben doch ein Schuh draus. Weil Nancy Gibson in der Titelpartie, Richard Berkeley-Steele als Odysseus und die vielen anderen Protagonisten mit bemerkenswerter Hingabe bei der Sache sind, kleine Unzulänglichkeiten mit Engagement überdecken. Weil die Robert-Schumann-Philharmonie unter dem etwas eckigen Fabrice Bollon eben doch viel vom pastellenen Glanz der Partitur rettet. Und weil Arila Siegert in den eindrucksvollen Bühnenbildern Hans Dieter Schaals eine sehr ansprechende Inszenierung geglückt ist. Die ist immer dann am stärksten, wenn sie sich aufs Zwischenmenschliche konzentrieren kann, und wird immer dann eine Spur zu geschäftig, wenn sie die Bühne voll stellt. Aber die Mischung aus Pose und Empfindung, aus Mythos und Privatheit gelingt der Regisseurin, die vom Tanz kommt und aus dem Tanz bisweilen erlesene Regie-Einfälle gebiert, sehr überzeugend. Diese Pénélope könnte eine echte Repertoire-Bereicherung werden. Wenn sie nur genug Zeugen fände. Also: Hinfahren!


Neugier im Graben

Die Chemnitzer Oper entdeckt, dass es eine Art hat:
Gabriel Faurés Pénélope

Sebastian Konrad in junge welt 14.05.02

Es ist unglaublich. Hochangesehene Opernhäuser des Dichter-und-Denker-Landes kratzen mit 744 Inszenierungen der immer gleichen "Publikumsmagneten" die Gewohnheit am Bauch, während man sich in Chemnitz unablässig an selten bis nie zu hörende Werke wagt, einen Schatz nach dem anderen ausgräbt oder zumindest in Erinnerung ruft. Das größte Risiko dabei sind natürlich die Bauern, die nur das hören wollen, was sie kennen. Während der Aufführung des jüngsten Projekts - Gabriel Faurés Antikendrama Pénélope - raunt ein notorischer Dauergänger seiner Nachbarin zu, hier sei "mal wieder Kultur vor die Säue geworfen worden". Vor welche? Der Saal ist furchtbar leer. Und zwar völlig zu Unrecht.

Fauré zeichnet in der Pénélope das Bild der unglücklichen Königin, die, von machtgeilen Freiern bedrängt, treu auf die Rückkehr ihres kriegsführenden Gemahls Ulysse wartet. Sein Tongeflecht changiert zwischen wagnernd-leitmotivischer Schwergewichtigkeit und zurückhaltendem Impressionismus á la Debussy. Arila Siegert bebildert es, indem sie die traditionell zu selten hinterfragten Ehrenkodizes eines patriarchalen Machtgefüges thematisiert. Mit einigem choreographischen Geschick beweist sie, dass Opernsänger entgegen aller Vorurteile spielen können. Sie können sogar ausdrucksvoll tanzen.

Die Figuren verfangen sich im metaphorischen Netz aus Konventionen und Rollenverhältnissen, das Hans Dieter Schaal zu einem grotesken Bühnenbild gewoben hat. Alles in allem wird mit wenig Aufwand viel Effekt erzielt. Einwände gegenüber der Musik verblassen. Nancy Gibson spielt die stolze Gekränkte in der Titelrolle als übermächtige Unterworfene, aber in ihrer metallenen Stimme ist nur die Größe, wenig Verletzlichkeit. Darüber hinaus kämpft sie mit Höhenproblemen und kann die logischen Phrasierungen des Fauré-Landsmanns Fabrice Bollon am Pult offensichtlich nicht recht nachvollziehen. Auch Richard Berkeley-Steele als Ulysse, der nicht gerade für die Höhe geboren wurde, muss die Brüche seiner Figur stimmlich überwinden und stößt mitunter an die Grenzen seiner musikalischen Gestaltungskraft. Vielleicht ist ihm der verletzliche Mann auch wichtiger als der kriegerische Held, der das Heimchen vor ihren zwölf (stimmlich übrigens sehr respektablen) Buhlen retten kommt.

Im Graben aber herrscht trotz lokaler Irritationen bei den Streichern schönes Wetter. Das stolzierende Blech wagnert fast fehlerfrei, dafür sehr engagiert, die Hölzer runden sich immer mehr ab, daß es eine Art hat. Bollon holt aus dem Klangbrei des Fin de Siècle gewaltige und fein ziselierte Strukturen, separiert, analysiert, gewichtet und fügt danach wieder zusammen. Seine Robert-Schumann-Philharmonie liegt ihm zu Füßen, denn sie wird neugierig, wenn ihr etwas unbekannt vorkommt, und das nutzt Bollon aus. Damit spinnt er einen interessanten Faden zur Bühne, auf der am Ende die Freier sterben, wo vormals die Dienerinnen Pénélopes (sehr munterer Chor) verfitzt waren.

Und doch endet Fauré wie auch Siegert nicht im Überschwang des Glückes, denn kaum ist Ulysse zurückgekehrt ins kaputte Schneckenhaus seiner Gattin, funktioniert die Liebe wieder - in all ihren alten Mustern. Ein denkwürdiges Wiedersehensfest ohne Zartheit, ohne Kitsch, über Leichen hinweg und zurück auf Anfang. Nein, das - also ja und unbedingt.


Szenen einer Ehe

Faurés Pénélope in Chemnitz

Friedbert Streller, in Crescendo Nr.3 / 2002

Arila Siegert gelang gemeinsam mit Ruth Berghaus’ einstigen Mitstreitern Hans Dieter Schaal (Bühne) und Marie-Luise Strandt (Kostüme) eine faszinierende Umsetzung der antiken Geschichte von Odysseus’ Heimkehr. Dass Siegert von Haus aus Tänzerin ist, merkt man nicht nur daran, dass die geisterhaft mythisch führende Götterbotin Athene als Tanzpartie (treffend: Alexandra Lehmann) angelegt ist, sondern auch an der Gestik der Sängerakteure. Ein anantike Bühnen erinnerndes Arena-Rund mit einem Turm in der Mitte – Ausguck für die sehnsüchtig auf Odysseus wartende Penelope – bildet den Hintergrund, vor dem sich das Geschehen vollzieht. Fabrice Bollon entfaltete mit der Robert-Schumann-Philharmonie überzeugend und faszinierend den Fauré’schen Klangzauber, der sich zwischen Wagners Tristan und Debussys Pelleas bewegt. Außer Richard Berkeley-Steele als Odysseus waren alle Partien hauseigen besetzt. In der Titelrolle wuchs Nancy Gibson über sich hinaus. Ideal verkörperte sie die Frau, die so sehnsüchtig wartet, von den drängenden Freiern befreit wird, aber Odysseus gegenüber dann doch fremd bleibt. Nicht jubelnde Zuwendung siegte, sondern verhaltene Entfremdung.


Im Opernglas 06/02 tut sich Tobias Kade zwar etwas schwer

mit der für die französische Oper ja konstitutiven Mischung von Oper und Tanz, zumindest wie sie hier integrativ vorgeschlagen ist, findet aber die "Herausforderung" dieser "ersten Eigenproduktion im deutschsprachigen Raum" von Pénélope "äußerst erfolgreich realisiert".

In einer Umfrage der Sächsischen Zeitung über die Highlights der Saison in Sachsen wurde diese Chemnitzer Produktion von drei von vier Kritikern hervorgehoben. Irene Tüngler nennt sie [vor Produktionen der Häuser in Dresden und Leipzig] an erster Stelle:

"Zweifellos gehört Gabriel Faurés Pénélope zu den bemerkenswertesten Produktionen der vergangenen Saison. Das Stück ist als Deutsche Erstaufführung eine Rarität, erwies sich jedoch als ausgesprochen repertoiretauglich. Außerdem erfand Choreografin-Regisseurin Arila Siegert eine spannende Möglichkeit, die Personen durch ihre Körpersprache zu charakterisieren...

In der Publikumsumfrage der Chemnitzer Zeitung "Freie Presse" wurde diese Aufführung  an erster Stelle genannt (30.Sept.2002)

 


Weitere Kritiken u.a. in BR 4, DeutschlandRadio Köln / Berlin, Radio 3 (NDR/ORB), SFB-Radio Kultur, WDR 3
Die Produktion wurde von MDR-Kultur am 11. Mai 2002 in der Reihe Logenplatz übertragen


Bewegend, dann überfrachtet

»Penelope«, »Freischütz« -
zwei Inszenierungen Arila Siegerts
im Opernhaus Chemnitz

Von Werner Wolf, in: Neues Deutschland 17.02.2003

Ein beziehungsreiches Geschehen erschließt Arila Siegert mit ihrer Inszenierung des lyrischen Poems Penelope von Gabriel Fauré im Opernhaus Chemnitz – der deutschen Erstaufführung dieses 1913 in Monte Carlo aus der Taufe gehobenen Meisterwerkes. Der Dramatiker und Schauspieler René Fauchois schuf zu dieser einzigen Oper Faurés frei nach dem 18. bis 24. Gesang aus Homers »Odyssee« ein Libretto, das weitgehend dem Naturell dieses Komponisten feinsinniger Instrumental- und Vokalmusik entspricht. Es gibt vor allem der musikalischen Gestaltung der Vorgänge im Inneren der Akteure viel Raum für die Sehnsüchte, Hoffnungen und mehr unterschwelligen Zweifel der noch immer auf die Heimkehr Odysseus wartenden Penelope, für die geduldige Abwehr heftig bedrängenden Freier, für die listigen Prüfungen des im Gewand eines Bettlers unerkannt zurückkommenden Odysseus. Dagegen erscheinen die sich lästig aufführenden Freier als zweitrangig und schaffen nur Atempausen für das psychologisch hintergründige Geschehen. Auch die von Homer übernommene Ermordung der Freier geschieht eher beiläufig. Für alles fand Fauré ein vielgliedriges Ausdrucks- und Beziehungsgeflecht in einer nach Wagner und neben Debussy eigenen wundersamen, klar konturierten Klangwelt.

Arila Siegert entwickelt ihre zu einem gut Teil pantomimisch geprägte Inszenierung ganz aus dem Geist dieser Musik. Die Bewegungen erwachsen aus dem musikalischen Gestus. Nancy Gibson als Penelope und Richard Berkeley-Steele als Odysseus wecken mit ihrem Gesang und ihrer Darstellung starke Eindrücke. Insgesamt überzeugen das feinfühlig geführte Chemnitzer Sängerensemble wie die fantasievoll eingesetzte Tanzgruppe. Die aus Homers Epos nicht ins Libretto übernommene Gestalt der Athene (Alexandra Lehmann) führt die Regisseurin als gestenreichen stummen Schutzgeist des Odysseus ein. Für dieses Geschehen entwarf Hans Dieter Schaal stimmungsstarke Bühnenbilder mit einem kleinen Turm als Mittel- und Aussichtspunkt. Der französische Dirigent Fabrice Bollon erschließt der Robert-Schumann-Philharmonie sonst kaum abgeforderte Potenzen und erreicht mit ihr farbenreiche und doch auch klare Klanggebung.

Während Arila Siegerts Inszenierung Penelope durch die Übereinstimmung von Szene und Musik nachhaltig beeindruckt, wirkt die von Carl Maria von Webers Freischütz durch die szenische Überfrachtung zwiespältig. Wieder ist Nancy Gibson zu rühmen, hier mit ihrer empfindungsstarken und nuancenreichen musikalischen Gestaltung der Agathe. Munter spielt und singt Jana Büchner (anfangs in hier albern wirkende Jeans gesteckt) an ihrer Seite. Als Jägerbursche Max hat Edward Randall lyrische Qualitäten einzusetzen, die dem weichen Naturell der Gestalt mehr entsprechen als metallische Heldentenöre. Jürgen Freier (ständiger Gast der Chemnitzer Oper) trumpft mit der Partie des von Regie und Dramaturgie überzeichneten Kasper gehörig auf. Auch hier verdient die Leistung des gesamten Ensembles Anerkennung. Das Orchester führt Niksa Bareza konzentriert und über weite Strecken auch differenziert, ohne aber alle Farben der Musik Webers zum Klingen zu bringen.

Die Probleme liegen in der Regie Arila Siegerts, der Bühnenbildgestaltung Hans Dieter Schaals und auch in den teils aufgemotzten Kostümen Marie-Luise Strandts. Schaal setzt jeweils von anderen Seiten gezeigte Holzstapel auf die Bühne, die unwillkürlich wie eine Demonstration des in diesem Stück nun gewiss noch nicht befürchteten Waldsterbens wirken, auch wenn er im Programmheft erklärt, sie seien »Teil eines dunklen Waldkörpers«. Kurios wird es, wenn im Schlussbild auf kahler Bühne nur noch neun Hochsitze zu sehen sind.

Die vom Bühnenbildner zudem genannten Gefahren und Ängste betont die Regisseurin. Da wird der auf seinen Rivalen Max eifersüchtige Jägerbursche Kasper im Programmheft als ein »Kriegs-Geschädigter« um sechs Ecken mit dem Golfkrieg, aber auch mit Wozzeck in Beziehung gebracht. Was als kaum veränderter Bezug zum Geschehen im »Freischütz« heute eher noch stärker wirkt, nämlich die Angst vor Prüfungen und Leistungsdruck, wird in den konzeptionellen Überlegungen kaum reflektiert. Diese Angst vor dem Versagen aber führt doch Max in die Finge Kaspars (und heute zu ganz anderen schrecklichen Taten).

Doch Arila Siegert führt ihre Fantasie vor, statt den Theaterbesuchern Fantasie zuzutrauen. In der Wolfsschlucht telefoniert Kaspar schnurlos mit Samiel, der in einem plötzlich aufgeblendeten modernen Büro sitzt. Ebenso plötzlich erscheinen in weiteren Räumen weiße Gestalten, die von vorher umher robbenden und kriechenden Gestalten niedergeschossen werden. Durchaus sinnreich werden auf den Bühnenseiten der Eremit (rechts) und Samiel (links) ins Spiel gebracht – doch wenn Samiel im Schlussbild plötzlich mit einem Fahrrad vorfährt, wird es völlig lächerlich...