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„Es wird immer toller werden“

Mozart / da Ponte / Beaumarchais:
„Die Hochzeit des Figaro“ –

ein Gespräch mit Arila Siegert zu ihrer Mainzer Inszenierung

Premiere:
Staatstheater Mainz, 12.Juni 2009
Musik.Leitung: Thomas Dorsch
Bühne: Hans Dieter Schaal
Kostüme: Susanne Maier-Staufen

 

Aufmarsch der Mädels für den Grafen

 

„Le nozze di Figaro“ ist ein vielschichtiges Werk. Dieser im Untertitel „Tolle Tag“ hat den psychologisch-menschlichen Aspekt von Liebe, Treue, Eifersucht; es ist ein Intrigen-Stück mit heftigen Turbulenzen. Und es ist ein historisch-politisches Stück am Vorabend der französischen Revolution. Welcher Aspekt war für dich der wichtigste, der interessanteste, der liebste?

Der wichtigste war mir schon die Verbindung der persönlichen Schicksale mit dem gesellschaftlichen Umfeld, der Kampf gegen die Willkür um das Menschenrecht der Freiheit und für eigene Entscheidungs-Möglichkeiten. Wir bewegen uns ja immer in verschiedenen Zeiten unter verschiedenen politischen Verhältnissen, und wir sind trotzdem wir Menschen mit unseren Empfindungen, Affekten, unseren Beziehungen. Insofern spiegelt das eine gewisse Realität. Diese Aspekte wirken ineinander. Figaro beginnt seine Ränke gegen den Grafen im Bewusstsein, dass er Verbündete hat, dass die Freunde um ihn herum ihm helfen werden. Er ist nicht allein; dieser solidarische Aspekt ist für Figaro wichtig. Dass die beiden Frauen, Susanna und Rosina, sich verbünden über die Eifersucht hinaus, ist eine menschliche Qualität, die die beiden Frauen auszeichnet und über die Männer und ihre Ränkespiele hinaushebt. Es hat fast schon utopischen Charakter. Die Beziehung dieser beiden Frauen ist eine, die über diesen Ebenen steht.

Figaro (Patrick Pobischin) erläutert Susanna (Tatjana Charalgina) seine Pläne Graf (Dietrich Greve) im Clinch mit der Gräfin (Susanne Geb)

Das Stück ist ja schon bei Beaumarchais so gebaut, dass immer alles auf der Kippe ist mit den eigentlich gleichwertigen Herrscher- und Dienerpaaren: Graf-Gräfin, Figaro-Susanna, dann noch die Intriganten Marcelline und Bartolo. Wie kriegt man die Balance von Leichtigkeit und dass es dennoch nicht oberflächlich wird?

Das ist die Kunst – ich habe versucht, dieses Zufällige zu nutzen, was ja auch eine Denkfigur bei Beaumarchais ist: dass wir eigentlich im Leben immer improvisieren und dass wir nicht wissen, was wirklich in der nächsten Stunde passiert. Die Leichtigkeit des Seins in diesem Stück zeigt diesen Mikrokosmos, in dem wir uns immer bewegen, hier konzentriert in dem gewaltigen Geschehen eines Tages dieser vorrevolutionären Zeit. Bestimmte Dinge, die wir vorhaben, evozieren bestimmte Reaktionen, und dadurch bestimmen wir unser Schicksal zu gewissen Teilen mit. Wenn Susanna und die Gräfin sich nicht absprächen, würde die Geschichte ganz anders laufen. Und dass dieses Adels- und das Diener-Paar eigentlich gleichwertig behandelt werden, ist in dieser Zeit wahrscheinlich sicher etwas Umstürzlerisches. Der Slogan von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ spielt da schon mit.

Gräfin-Figaro-Susanne (von links nach rechts: Susanne Geb, Patrick Pobeschin, Tatjana Charalgina) Spießrutenlaufen Richtung Armee für Cherubino (Patricia Roach)

Die eigentlich tragischen Figuren sind ja die Noch-Herrschenden: der Graf, der nochmal seinen aufgeklärten Verzicht auf das „jus primae noctis“ bei Susanna zurückdrehen will und dabei fast zum Gespött wird. Und auch die Gräfin. Sie stammt eigentlich von einfachen Leuten, wurde vom Grafen als Rosina im ersten Teil der Beaumarchais-Trilogie „Der Barbier von Sevilla oder Die nutzlose Vorsicht“ geraubt; Figaro hat dem Grafen dabei geholfen. Im dritten Teil der Beaumarchais-Trilogie „Der zweite Tartuffe oder Die Schuld der Mutter“ (er spielt um 1800) muss sie zugeben, dass sie doch was mit dem blutjungen Cherubino hatte und sogar mit Folgen. Sie wird sich also den bürgerlichen Moralvorstellungen doch nicht gewachsen fühlen. Hier aber pocht sie immer darauf, dass der Graf das auch einhält, was er ihr mal bei ihrer Heirat geschworen hat, nämlich auf seine Adels-Privilegien zu verzichten.

Das spricht natürlich für die Fehlbarkeit von uns Menschen und auch von der Perversion dieses feudalen Systems, wo jemand sich das Recht anmaßt, über Leib und Leben von anderen willkürlich zu bestimmen. Und das ist, glaube ich, die Message, die Hauptlinie in dem „Figaro“, dass genau diese Willkür infrage gestellt wird und mit Witz, Hingabe und existenziellem Einsatz aller Kräfte bekämpft wird.

Figaro findet seine Eltern Figaro mit dem Brautkleid für Susanna

Was für eine Figur ist für dich der Cherubino? Für viele war er ja immer die Verkörperung des jungen, ungestümen Mozart. Cherubinos wunderbare musikalischen Liebeserklärungen an quasi alle ihn umgebenden Frauen sprechen ja auch dafür. Aber Cherubino hat wohl auch was von dem rumorenden Geist jener Zeit…

…Ja, von dieser Art von Selbstbefreiung: dass jemand seine Empfindungen artikuliert. Insofern reicht diese Figur schon weiter hinein in die Romantik, hat aber auch barocke Züge als eine Art Amor. Cherubino ist auch eine Art Don Giovanni, ein junger Graf, eine sehr schillernde Persönlichkeit. Er ist jemand, der sich Rechte anmaßt, ziemlich ungestüm vorgeht und seine Emotionen höher schätzt als das Recht von jemand anderem, der bzw. die sagt, lass mich in Ruhe, ich will nicht, dass du mich jetzt küsst. Und er tut es doch.

Und wie ist es mit der Gräfin? Rosina blickt ja musikalisch auch schon voraus in die Romantik.

Das finde ich auch. Sie gibt eine ganz extra Linie im Stück. Mozart und Da Ponte führen die Linie der Gräfin fast neben dem Stück her. Sie ist außerhalb.

Der Graf probiert die Braut

Kann man der Versöhnung von Graf und Gräfin am Schluss trauen? Oder betreibt der Graf nach seiner Niederlage nur Krisenmanagement, will den Gesichts-Verlust so klein wie möglich halten? Der vierte Akt ist ja kaum glaubwürdig darzustellen mit dem Versteckspiel im Garten.

Das ist eine große Schwierigkeit. Ich glaube nicht, dass der Graf durch das Erlebnis dieses Tags von diesem „Recht“ auf die erste Nacht mit jeder Braut und seinen Gewohnheiten ablässt. Ich nehme an, und so haben wir das auch inszeniert, dass ein toller Tag den nächsten ablösen wird. Und es wird immer doller werden.

Es ist bei einem solchen Stück, zumal mit einem so realhistorischen Hintergrund, immer die Frage: wo siedelt man es an? Mehr im Historischen? Wie nah kann man ans Heute ran? Das Schauspiel damals in Paris war ja eine ganz heiße Sache. Und König Louis XVI hat nicht umsonst die Aufführung sehr lange verhindern wollen zum Unmut seiner Gattin Marie-Antoinette.

Zum einen leben wir nicht mehr in Zeiten der Aristokratie. Und der zweite Punkt ist, dass das Stück sehr von dem Intrigenspiel, diesem Lebens-Theater, dem Theater auf dem Theater lebt. Und um das verständlich zu machen, muss man meiner Meinung nach sehr an der Handlung dran bleiben. Man kann das ganz schwer verfremden. Aber Eifersucht und die ganzen Affekte und dass man sich gegen Willkür wehrt, das ist wohl ein ewiges Thema. Insofern versuchen wir die Zeiten zu verweben, sowohl die Entstehungszeit wie auch die heutige Zeit.

Cherubino schmachtet nach der vermeintlichen Susanna, in Wahrheit die Gräfin

Das Stück ist ja mit um die drei Stunden reiner Spielzeit doch recht lang. Dabei hat schon Mozarts Librettist Lorenzo da Ponte ganze Passagen, vor allem auch die in Österreich damals politisch heikle Generalanklage des Figaro gegen das feudale System weggelassen. Wie kriegt man diese Oper auf ein heute verträgliches „Maß“? Oft wird in den Rezitativen ja klein-klein gekürzt.

Ich habe das nicht gemacht. Ich habe die Rezitative eigentlich erhalten, weil ich glaube, dass das Stück, ein Lustspiel mit und in Musik zu gleichen Teilen Schauspiel und Oper ist. Und die Rezitative braucht man, um das wirklich zu verstehen, damit das nicht oberflächlich wird und nur von Arie zu Arie springt. Das wollten die Autoren auch nicht. Ich habe die Rokoko-Linie im Stück, das Schäferspiel, also die Beziehung Barbarina-Cherubino, etwas gekürzt und auch die Arien von Marcelline und Basilio. Vor allem im vierten Akt.

Im nächtlichen Garten der Lüste (Graf-Susanna-Cherubino)

Wie war die Arbeit im Ensemble mit diesem Riesen-Brocken, der dazu sehr kleingliedrig gebaut ist. Man muss das gleichsam in einem schnellen Parlando auch inszenieren.

Genau so, und das Ensemble hat sehr gut mitgearbeitet. Es war eine harmonische und wirklich gute Zusammenarbeit. Es ist bis auf die Endproben auch niemand krank geworden. Wir konnten so vorwärts gehen, dass wir das ganze Material dann doch in vier Wochen hatten.

gfk, 08.Juni 2009
Fotos: Martina Pipprich