Man soll den Tag ja nicht vor dem Abend loben, doch die Chancen stehen gut: Mit "Le nozze di Figaro", der letzten Premiere der Spielzeit des Staatstheaters Mainz, hat das Publikum eine neue Lieblingsproduktion gefunden. Der Schlussapplaus war jedenfalls für alle Beteiligten einhellig warm, die Laune der Premierenzuhörer ausgezeichnet. Der Tänzerin und Choreografin Arila Siegert, die nach der Barockoper "La Giuditta" hier nun ihre zweite Opernregie vorstellte, war ein nicht so kleines Kunststück gelungen: Einen "Figaro" auf die Bühne zu bringen, der nicht polarisiert und dabei dennoch neue, reizvolle Bilder liefert...
Von Benedikt Stegemann, F.A.Z., 15.06.2009
Bei ihrer Neuinszenierung dieser "commedia per musica" am Staatstheater Mainz trägt Arila Siegert der Vielschichtigkeit Rechnung, indem sie Standesunterschiede zurücktreten und die Personen beinahe auf Augenhöhe agieren lässt: So können sich die Charaktere potentiell deutlicher entfalten...
Überzeugende Lösungen finden sich für die Durchdringung komischer und melancholischer Momente. An Einfällen zur Pointierung des Lustspielcharakters herrscht kein Mangel, und abgesehen von den enervierend omnipräsenten, in ihrem Symbolgehalt unmittelbar verständlichen Kakteen, verfehlen sie ihre originelle Wirkung nicht...
Das Unsichere der menschlichen Beziehungen fängt die Regie im Schlusstableau suggestiv ein: Figaro und Susanna bekommen ihre Hochzeitsnacht, und der Wunsch nach Versöhnung ist ernsthaft. Doch während er vorgetragen wird, huschen in buntem Spuk die Phantasien und Versuchungen vorbei, welche das eben hergestellte Gleichgewicht morgen schon wieder zerstören können. Der Erfolg der Inszenierung wird hingegen wohl über die begeistert aufgenommene Premiere hinaus andauern.
...Regie führte mit Arila Siegert eine Tänzerin und Choreografin aus der Dresdener Palucca Schule, die seit gut zehn Jahren Opern inszeniert und dabei demonstriert, wie eine am Tanz geschulte Regiehand Opernsängern ungeahntes Körpergefühl vermitteln kann.
In Mainz jedenfalls war Mozarts "Figaro"-Oper in einem perfekten physischen Fluss. Keine andere Mozart-Oper ist temporeicher, tänzerischer und spielfreudiger, und genau diese Qualitäten unterstützt Arila Siegert durch ihre Bewegungsregie. Die Laufwege in den Ensembles sind da so minutiös durchgestaltet, als wären es melodische Stimmführungen, alles bewegt sich im Puls der musikalischen Zeit.
...diese Leichtigkeit wird nie belanglos oder flüchtig. Dazu sind Präzision und Präsenz aller Beteiligten viel zu sehr auf dem Punkt.
Jörg Sander, Offenbach-Post, 17.06.09
...Arila Siegert ist Tänzerin und Choreografin, das kommt dem „Figaro“ sehr zu Gute. Niemand hält sich zufällig auf, wo er steht, das ist schon während der Ouvertüre so. Musikanten schwingen ihre Instrumente im Gleichklang mit dem Duktus des voranschreitenden bis getriebenen Vorspiels – ein treffendes Bild für Mozarts Theater aus der Musik, wie in den Finales des zweiten und vierten Akts musikalisch auf enorm hohen Niveau zu erleben ist.
Diese Ensembleszenen sind aufs Beste ausgefeilt und abgestimmt...
Vom etwas gestrigen Sujet um das gräfliche Recht der ersten Nacht kann die Regie ablenken: Ihre Sicht ist eine ständige Posse, zeigt ein permanentes Getriebensein der Figuren, mit denen sie liebevoll umgeht – selbst mit dem autoritätshörigen Richter Curzio (herrlich devot: Alexander Kröner), der unter seinem Talar auf Knien rutscht und die Akten hinter sich herzieht (Kostüme: Susanne Maier-Staufen). Solche Einfälle geben dem „Figaro“ Witz und Esprit. Die Synchronität der Ensembles lässt keine Wünsche offen.
Wer sich an der verwickelten Handlung reibt, kann die Inszenierung als musikalisch äußerst hochwertige Revue an sich vorbeiziehen lassen. So ist dieser „Figaro“ auf hohem Niveau zu genießen: Zahlreiche Vorhänge; auch das Regie-Team wird ausdrücklich bejubelt.
...Die Regisseurin Arila Siegert ... verlagert Mozart aus dem Rokoko in die Gegenwart. So gelingt ihr manch überraschende Aktualisierung und im weiteren Verlauf eine packende Inszenierung. Wenn Figaro (Patrick Pobeschin), durch sein rotes Halstuch als Revoluzzer ausgewiesen, seine aufmüpfige Arie gegen den Grafen anstimmt, eilen Gärtner und Küchenpersonal herbei und lauschen wie auf einer Betriebsversammlung. Pobeschin wird zum Motor des Abends. Zwischen Lausbubencharme und Rüpel findet er mit seinem flexibel eingesetzten volltönenden Bariton auch den Ton der Verzweiflung, wenn er wegen vermeintlicher Untreue seiner Susanna zusammenbricht.
Wenn die Figuren im Netz der Täuschungen nicht mehr weiter wissen, unterbricht die Regie die possierliche Spielmechanik und lässt sie wie in Trance schwanken. Diese Zäsuren beim Verlust des Gleichgewichts gehören zu den eindrucksvollsten Momenten...
...Arila Siegert ... ist es ... gelungen, eine absolut sehenswerte Arbeit abzuliefern. Denn hier stimmt von Regieseite her alles – was sich in begeistertem Applaus niederschlug. Die Handlung fließt leicht dahin, die Zeit wird mitunter angehalten, manchmal aber auch wie im Zeitraffer beschleunigt...
Man soll den Tag ja nicht vor dem Abend loben, doch die Chancen stehen gut: Mit "Le nozze di Figaro" am Staatstheater Mainz hat das Publikum eine neue Lieblingsproduktion gefunden. Der Schlussapplaus war jedenfalls für alle Beteiligten einhellig warm, die Laune der Premierenzuhörer ausgezeichnet...
Mächtig viel los auf der Bühne schon zur Ouvertüre. Volk wuselt geschäftig rum. Figaro schleppt eine Matratze in seine neue Behausung, der Graf schleppt gleich vier Gespielinnen ab. Arila Siegert inszeniert Mozarts „Hochzeit des Figaro“ in Mainz als ausgeklügeltes tänzerisches Stellungsspiel.. Einhelliger Jubel. Wertung: Sehr gut.
…Siegert verlässt sich ganz auf das Traumpaar der Oper, das Team Mozart-da Ponte. Sie versucht erst gar nicht, einen eigenen Zugang zur Handlung zu finden… Stattdessen darf man zumindest das choreographische Talent der einst von der berühmten Gret Palucca zur Tänzerin ausgebildeten Regisseurin bewundern. Dies zeigt sich ... in einem ebenso feinen wie dicht gewebten Netz an Gesten und Bewegungen, das über der ganzen Aufführung liegt. Die Personen wirken wie Marionetten – und die Schnüre hält Amor in der Hand. Sie wirken vom Sturm der Liebe und Leidenschaften durch diesen Tag getrieben, und wenn sie nicht aufpassen, dann pieksen sie sich an einer der vielen Kakteen, die überall und manchmal auch in deutlich erkennbarer Phallusform herumstehen. Der Stachel der Liebe treibt sie dann wieder ab – weiterzumachen, wieder einzutauchen in diesen „tollen Tag“.
... In der neuen Inszenierung des Mainzer Staatstheaters und letzten Opernpremiere der Saison geht die Regie weit und verwischt die Schranken errichtenden Standesunterschiede vollends, lässt die aus Schlossbewohnern und Domestiken, Bürgern und Bauern zusammengesetzte bunte Gesellschaft trotz Ungleichheit und heillosen Verstrickungen gleichgewichtig erscheinen und am Ende in Eintracht, Vergebung und Liebesglück neu zueinanderfinden.
An Einfällen, die Vielschichtigkeit dieser »Welt im Kleinen« wirkungsvoll auf die Bretter zu stellen, mangelt es der Aufführung nicht, in der alles in ständiger Bewegung ist. So etwas wie kurzen Stillstand gibt es nur an »Wendepunkten«, die unverhofft mit neuen Hürden, Intrigen, Aufdeckungen oder anderen Überraschungen konfrontieren und die Protagonisten für Momente innehalten lassen...
Thomas Dorsch hat Recht. Wenn man jemanden bitten würde, die Handlung von "Le nozze di Figaro" in zwei Sätzen zu erzählen, bekäme man wohl immer unterschiedliche Berichte. Denn "Figaros Hochzeit", so der deutsche Titel von Wolfgang Amadeus Mozarts Erfolgsoper nach einem Libretto von Lorenzo da Ponte, ist ungemein vielschichtig. Sowohl mit Blick auf die Geschichte, wie auch in musikalischer Hinsicht. Auf letzteren Aspekt muss Dorsch besonderes Augenmerk legen, denn er hat die musikalische Leitung der Neuinszenierung von Arila Siegert im Großen Haus des Staatstheaters übernommen. Die Regisseurin, die in Mainz bereits mit großem Erfolg Alessandro Scarlattis "La Giuditta" produziert hat, spricht gar von einer "durchgeistigten Musik" und dem "höchsten Anspruch, den es gibt".
Tod und Blut und Leiden sei deutlich einfacher zu erzählen als diese feinkonstruierte Handlung, in der Menschen mit List und Charme andere Menschen auf den vermeintlich rechten Weg bringen wollen. Das sei auch das Revolutionäre dieser Komödie, findet Arila Siegert, die bereits einige Erfahrungen mit Mozart-Opern gesammelt hat. An einem einzigen Tag werden in der Oper, die auf dem Schauspiel "Der tollste Tag oder Figaros Hochzeit" von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais basiert, enorm viele Handlungsstränge exerziert. "Das Komische und das Tragische aber bleiben gleich", spricht die Regisseurin das Bezeichnende des Stoffs an.
Hans Dieter Schaal hat für die Oper ein weißes Bühnenbild mit südlichem Flair entworfen. Eine Bühne, die ein realer Raum, aber dennoch irreal sei, wie Arila Siegert sagt. Die Besetzung kann fast komplett mit Bordmitteln bestritten werden. Patrick Pobeschin scheint Thomas Dorsch wie geschaffen für die Rolle des Figaro, seine Verlobte Susanna wird von Tatjana Charalgina gespielt. Den Grafen Almaviva gibt Dietrich Greve, seine Gattin Susanne Geb. Karten für die Premiere am 12. Juni sind noch erhältlich, besonders gute Plätze kann man insbesondere bei der zweiten Aufführung am 23. Juni ergattern, weil der Tag frei von Abonnements ist. Die Aufführungen beginnen jeweils um 19.30 Uhr.