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Zu Orfeo ed Euridice
von Christoph Willibald Gluck

Premiere
Volkstheater Rostock
5.Juni 2004

Musik.Leitung: Wolfgang Hauschild
Bühne: Hans Dieter Schaal
Kostüme: Marie-Luise Strandt

Orfeo holt Euridice (Gerlinde Saemann) zurueck

Wie Orpheus

Warum müssen wir uns entäußern? Was treibt uns? Entsteht der Drang zum Ausdruck aus dem Mysterium des Todes? Weil wir nicht verstehen, was der Tod macht mit denen, die am Leben bleiben. Wie soll man sich auch freuen, wenn man das Liebste verloren hat, wie den Verlust ertragen, wie weiter leben?

Orfeo (Martin Woelfel) Amor (A.Stadel) entwindet Orfeo (M.Woelfel) das Messer, als der sich zu toeten versucht

Etwas begehrt auf in uns. Welche Macht will uns bezwingen? Wieso erlaube ich diesen Untergang, will ihn sogar? Der Gedanke ist verführerisch. Sich abwenden, einfach abgehen von der Bühne. Ein inneres Bild, wie ein eingebranntes Zeichen, nicht mit dem Verstand zu heben, drängt sich auf, drückt, gibt keine Ruhe, als ob es ständig klopft und klingelt. Also, es beginnt zu läuten, und wir konzentrieren uns, sammeln die Kräfte. Alles wird in die Waagschale geworfen. Ein Glück, wer ein Instrument hat, wer Worte findet für das Unsagbare. Der Sog ist stark, er droht uns hinab zu ziehen. Aufstand gegen den Tod. Wir beginnen zu steigen. Wir nehmen den Kampf auf. Mühselig kehrt Leben, Kraft, Lust zurück. Wie es sagen, tanzen, singen? Wir machen einen Plan, finden eine Form. Wir tasten uns vor. Wort für Wort, Schritt für Schritt. Es geht nicht weiter. Wir überlegen Varianten. Es klappt nicht. Ein Umweg, ein Sprung? Abwarten. Zentimeter um Zentimeter versuchen wir uns durchzukämpfen in der Dunkelheit.

Verspielt - Euridice stirbt zum zweiten Mal Orfeo sucht Erbarmen bei den Geistern

Nichts wird einem geschenkt. Man muss früh aufstehen. Ohne Opfer kein Erfolg. Durststrecken. Jetzt nicht nachgeben! Weiter, egal ob es sinnlos ist. Angst! Plötzlich geht alles wie von selbst. Es fügt sich – Wort für Wort, Schritt für Schritt. Das Lied ist fertig, es besänftigt die „Tiere“. Ein Bild prägt sich ein, ein Ausdruck für den Schmerz, die Liebe. Jetzt ist das Unsichtbare, nicht Greifbare, zu fassen. Es ist eingeschrieben in die Welt. Unsterblich.

Arila Siegert

Zerrissen – eins

Es gibt nichts, was zufällig ist hier. Das Stück lebt vom Ton. Jedes Wort wird durch Töne ausgedrückt, gerade auch in den Rezitativen. So erläutert es GMD Wolf-Dieter Hauschild den Sängern am Beginn der Proben.  „Wenn es einfach ist, dann ist es das einzig Richtige“ – das war, abgeleitet vom antiken römischen Dichter Horaz, das Motto der Autoren. Eine „Musikalische Handlung“ nannten sie ihre Version des antiken Mythos von Orpheus und Eurydike. Sie wollten nicht wie die Fiorentiner Camerata mit Rinuccini-Peris Euridice (1600) die Oper neu erfinden, sie wollten ihr einen neun Schub an Ausdruckskraft verleihen. Nicht zufällig beziehen sie sich mit ihrem Werk auf den antiken Sänger und Spieler der Kithara oder Leier, Orpheus, der der Sage nach mit der Kraft seiner Musik Tiere bezaubern und Ungeheuer besänftigen konnte.

Amor (Andrea Stadel) versucht Orfeo zum Leben zu animieren

Treibende Kraft der Theater-Reform war der aus Genueser Finanzadel stammende Graf Durazzo (1717-94), später Förderer von Mozart und Wahrer des Nachlasses von Vivaldi. Seit 1754 war er Hoftheaterdirektor in Wien. Als Komponist und Kapellmeister holte er sich für seine zunächst an der französischen Opéra comique orientierten Reformideen den fast gleichaltrigen Christoph Willibald Gluck (1714-87). Der hatte nach langen Wanderjahren dort sich niedergelassen und eine Bankierstochter geheiratet. Als Tanzmeister engagierte Durazzo den Landsmann Gasparo Angiolini (1731-18303). Der Tanz nämlich sollte integrierender Bestandteil der neuen Oper sein. Auch im Tanz wollte man mit dem „Danza parlante“, dem sprechenden Tanz, zu neuer Ausdruckskraft finden, worauf die Erfinder des neuen Tanzes im 20.Jahrhundert – die Isadora Duncan, Laban, Mary Wigman, Martha Graham, die Ballets Russes – dann wieder sich besannen. Zuletzt stieß zu dieser Wiener „Viererbande“ der italienische Dichter und ebenfalls Finanzmann Raniero de’ Calzabigi (1714-1795). Als Herausgeber der gesammelten Werke des „Königs“ der barocken Oper, des Librettisten und Kaiserlichen Hofpoeten Pietro Metastasio, wusste er genauestens, wogegen er war. Leiten ließ er sich dabei von der Oper Rameaus. Wenn erst einmal, schrieb er 1755 in seinem Metastasio-Vorwort, „rein menschliche Handlungen“ mit einem „stark besetzten Chor, dem Tanz, der mit Dichtung und Musik meisterlich zusammengesetzten Szene“ Grundlage der Oper wären, dann würde ein „äußerst erfreuliches Ganzes entstehen“.

Persephone (A.Siegert) greift nach Euridice Euridice, umschlungen von Persephone

Den Mythos Orpheus gestaltet er als rein menschliches Drama, als inneren Kampf des Sängers mit den Furien des Todes und mit den Niederungen häuslicher Zweisamkeit in der Eifersuchtsszene des dritten Akts. Die Hochzeit des Künstlers mit Eurydike ist anders als bei Monteverdi und seinem Textdichter Striggio (oder gar bei Rinuccini-Peri) nur noch Erinnerung. Calzabigi lässt die Oper beginnen mit dem Tod Eurydikes à la Rameau. Gluck entwirft für den Gang des Orpheus in die „eigene Hölle“, wie es im Text heißt, weit gespannte Tableaus. Ariose und rezitativische Teile greifen dynamisch ineinander, Vorbild später für Wagners „durchkomponierte“ Musikdramen. Alle Rezitative werden vom Orchester begleitet, nicht nur von einem „trockenen“ Basso Continuo. Der Chor ist bei Gluck Partner und Gegenüber wie in der Antike. „Barocke“ Elemente wie etwa die Figur des Amor werden gleichwohl nicht ausgespart. Sie sind Zeitkolorit, zeigen wovon man sich absetzen will. Amor ist zu verstehen als eine Art „Liebespolizist“. Er vertritt die höfische Moral, nach der der Herrscher bestimmt, wie es zugeht in den Betten seiner Untertanen – siehe das in Mozarts Figaro angeprangerte „jus primae noctis“, jenes feudale Recht, das dem Souverän die Entjungferung der Braut vorbehielt. Er ist aber auch Animateur.

Die truegerische Hochzeit Orfeo darf Euridice aus dem Elysium holen

Orfeo ed Euridice ist kein Auftragswerk im eigentlichen Sinn. Schon vor der ersten öffentlichen Aufführung „testete“ Gluck einzelne Arien in privatem Kreise. Die Uraufführung am 5.Oktober 1762 fand freilich im offiziellen Rahmen statt: zum Namenstag des Kaisers Franz. Das forderte seinen Tribut. Sie wurde dennoch ein irritierender Erfolg. Die Kaiserin schenkte Gluck eine Tabaksdose mit Gold-Talern. Zum „Renner“ wird die Oper aber erst durch die späteren Umarbeitungen. 1769 transponiert Gluck für eine fürstliche Hochzeit in Parma den Orpheus vom Mezzo in die Sopranlage. So hatten auch die Kastraten-Stars der Zeit, die Sopranisten, neue Glanzstücke zum Brillieren. Der Orfeo in dieser Fassung wurde gegeben als vierter Teil eines Apollo-Fests. Das Werk (für uns heute: in idealer Filmlänge) schien für den damaligen Zeitgeschmack zu kurz. Oft wurde denn auch eine der italienischen Fassungen mit Einlagen anderer Komponisten „vermischt“ zu einem „Pasticcio“. Die gravierendste Umarbeitung besorgte Gluck 1774 selbst für die Pariser Oper. Nach seinem ersten Erfolg mit der Iphigenie in Aulis musste er schnell ein zweites Stück nachschieben. In der Pariser „Académie royale“ waren Kastraten unmodern. Aber seit Lully mussten die Opern ausgiebige Ballett-Einlagen haben. So mutierte der Orpheus in eine Tenor-Partie, die Handlung wurde ausgeschmückt mit zahlreichen Balletteinlagen. Aus dem lapidaren Fresko wurde Große Oper. Der Pariser Fassung verdanken wir indes einige Hinweise über den fast naturalistischen Ausdruck des Schmerzes, den Gluck sich wünschte, etwa wenn Orpheus ins Reich der Furien vordringt. 1859 bearbeitete Berlioz dann diesen „Orphée“ noch einmal für modernes Orchester. Die Titelfigur gestaltete er als Alt-Partie.

Auch die Amoretten werden zur Hilfe geholt

Wir wollen zurück zu der kantigen Frühform mit einer auch im Gesangsstil und im Orchesterklang der „historischen“ Aufführungspraxis angenäherten Musizierweise. Orfeo als Counter in Italienisch – eine versierte Männerstimme kann sich durch ihr Obertonspektrum besser durchsetzen gegenüber dem Orchester als ein Mezzo. Die dem Zeitgeschmack geschuldeten Triumph-Balli sind gestrichen. Sie waren den Autoren, zumal Calzabigi, ohnehin bloßer Tribut an den Hofgeschmack. Das ebenfalls der Konvention geschuldete Happyend des „lieto fine“ unterlaufen wir durch Anfügung eines Musikstücks, das auch Gluck adaptierte aus dem 1761 mit Angiolini als erstem Reform-Ballett entworfenen Don Juan. Etwas anders instrumentiert (mit Posaunen statt Flügelhörnern wie hier) kennt man es als „Danse des Furies“ (Furien-Tanz) aus der Pariser Fassung. Es ist Don Juans „Höllenfahrt“. Eingefügt haben wir auch die (getanzte) Figur der Persephone als verführerische Fürstin der Unterwelt. Dem Mythos zufolge wurde Orpheus von thrakischen Tempeldienerinnen eines matriarchalen Kults, den Korybantinnen, „zerrissen“, weil er nach Eurydikes zweitem Tod der Frauenliebe abschwor. Sein Haupt soll nach Lesbos geschwommen sein mitsamt der Leier. Ein Orakel wurde dort nach ihm benannt. Bei uns wird er sterben, innerlich zerrissen. Er verliert die Kraft über sein Instrument, seine künstlerische Kraft.

Orfeo wird von den Furien zerrissen

Orpheus, von dem es heißt, er habe am Zug der Argonauten teilgenommen zum Raub des Goldenen Vlies – einer wichtigen Schaltstelle beim Wechsel vom Matriarchat zum Patriarchat –, Orpheus galt vielen als vorchristlicher Religionsstifter. Sein Zeichen: das Ei. Immer wieder diente er als Prophet von Reinheits-, Askese- und Seelenwanderungs-Kulten bis in die nachchristliche Zeit. Auch die künstlerische Bewegung des Orphismus von Apollinaire (1912), die sich als eine Reinigung der Malerei von der Gegenständlichkeit zum koloristischen Kubismus verstand, lieh sich von ihm den Namen.

gfk, für Programmheft
Die Besetzung mit:
Martin Wölfel (Orfeo)
  Gerlinde Sämann (Euridice)
Andrea Stadel (Amor)
Arila Siegert (Tanz, Persephone)