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Hass und Liebe

Arila Siegert gastiert nach längerer Zeit mit einem Soloabend wieder in Dresden
Von Gabriele Gorgas

Ihre Auftritte in Dresden sind äußerst rar geworden. Ihr Name, ihre Kunst aber besitzen in der Stadt noch immer eine Anziehungskraft, der man ohne Wenn und Aber vertrauen kann. Als Arila Siegert 1991 mit "Fluchtlinien" ihren vierten, letzten Abend in Dresden herausbringt sowie im Jahr darauf ihr Tanztheater am Staatsschauspiel aus Finanzgründen geschlossen wird, ist das wie für andere bedeutende Tänzerinnen zuvor auch ein Abschied ohne Dank.
Fortan lebt sie in Berlin, und an ihren Arbeiten Interessierte reisen seither nach Leipzig, Berlin, Dessau, in jüngerer Zeit ebenso nach Ulm, Rheinsberg, Mannheim, Rostock, Aachen, Chemnitz. Es ist so selbstverständlich also nicht, dass nun beim Tanzherbst 2001 die Tänzerin, Choreografin und Regisseurin mit einem Soloabend auch wieder in Dresden gastiert. In der einstigen Wigman-Schule, die Tanz in allen Räumen atmet, der heutigen Kleinen Szene der Sächsischen Staatsoper Dresden.

Mit dem Gastspiel am 26. Oktober beginnen die Veranstalter des vor vier Jahren gestarteten Tanzherbstes zudem ein Versprechen einzulösen, das zunächst wie eine Selbstbehauptung für Sponsoren klang. Das Festival fühle sich besonders den Dresdner Tanztraditionen verpflichtet, darunter markante Frauen wie Mary Wigman, Palucca, Dore Hoyer.
Arila Siegert gastiert mit "Afectos humanos", von ihr vor über einem Jahrzehnt nach dem 1962 entstandenen Tanzzyklus von Dore Hoyer rekonstruiert. Die wunderbaren Bewegungsstudien zu Eitelkeit, Begierde, Hass, Angst, Liebe waren bislang in Dresden höchst selten zu sehen. Zuletzt 1993 zu den Wigman-Tagen. Übrigens hatte auch Dore Hoyer für einige Jahre nach deren Weggang das Dresdner Studio der Wigman genutzt.
Als zweites Solo stellt Arila Siegert "Ursonate" nach dem Lautgedicht von Kurt Schwitters vor. Eine Arbeit, von ihr 1997/98 geschaffen, als sie als "Berufene Expertin" für die Bühne am Bauhaus Dessau wirkte. Überhaupt gehört zu ihren Besonderheiten, dass sie sich inspirieren lässt von Orten, an denen sie arbeitet, Biografien nachgeht, Zusammenhänge sucht, sich mit anderen Künstlern in fast schon beispielloser Treue verbündet.
Eine Ganzheitlichkeit künstlerischer Sichten, wie sie eher selten geworden ist. Und deren Ursprünge sie selbst mit der Ausbildung bei Palucca oder der Zusammenarbeit mit Ruth Berghaus benennt. Da habe sie schon frühzeitig gelernt, sich selbst zu glauben, diszipliniert und frei zu arbeiten, darauf zu achten, wie alles ineinander greift.

1998 inszeniert Arila Siegert in Ulm ihre erste Oper, erhält von der Kritik reichlich Anerkennung und die bemerkenswerte Charakterisierung, dass sie als Regisseurin choreografisch denke. Vielseitig und herausfordernd sind ihre nächsten Projekte, darunter als deutsche Erstaufführung in Chemnitz die selten gespielte Oper "Pénélope" von Fauré aus dem Jahre 1913, in Rostock "Aida" und in Ulm die Uraufführung der Kammeroper "Il prete rosso" von Mathias Husmann. Letztere befasst sich mit Vivaldi, seiner Flucht von Venedig nach Wien, wo er schließlich im Elend gestorben ist.
An Arbeit mangelt es Arila Siegert also kaum. Es wäre dennoch wünschenswert, wenn sich auch Dresden darauf besinnen könnte, sie beispielsweise mit ihren jüngeren, 2001 in Aachen entstandenen Produktionen "Die menschliche Figur" (Solo) und "Die menschliche Stimme" zum Gastspiel einzuladen - oder auch zu einer neuen Inszenierung. Vielleicht ans Staatsschauspiel, wo sie Maßstäbe für künstlerische Entwicklungen setzte, es mit Gewissheit auch heute ein Publikum für ihre Theater- und Tanzsprache gibt. Über den Aachener Abend schreibt der Tanzkritiker Jochen Schmidt: "Mit diesem starken Stück kehrt sie in die erste Reihe der Tanztheater-Choreografen zurück."