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Rudern ins Elysium

Arila Siegert zu ihrer [Erst-]Inszenierung der Zauberflöte
(The Magic Flute / La flûte enchantée)

Premiere:
Osnabrück, 26.März 2005
Musik.Leitung: Marius Stieghorst
Bühne: Hans Dieter Schaal
Kostüme: Marie-Luise Strandt
Dramaturgie: Anna Melcher / G.F.Kühn

Den Weg finden

Bei deinen Inszenierungskonzepten gehst du sehr von der Musik aus. Jede Aufführung bekommt dadurch einen eigenen Duktus, einen eigenen Rhythmus, ein eigenes Parfum. Wie ist das bei der Zauberflöte?

Sehr überraschend für mich. Ich habe zwar mein Konzept entwickelt aus dem Stück, aus den Texten, aus dem ganzen Umfeld. Aber innerhalb der Probenarbeit hat sich mehr als sonst eine eigene Dimension eröffnet durch das Zusammentreffen mit den Sängern, mit dem Dirigenten. Es ist so viel in dem Stück. Wenn man daran rührt, fängt es an zu keimen, zu wachsen.

Die Zauberflöte ist ein Ideendrama und ein Märchen. Wie wird man zum einen dem Aufklärungston der Sarastro-Welt zum anderen der Zerstörungswut der Königin-Welt gerecht?

Für mich ist die Geschichte ein Welttheater. Es ist ein Querschnitt durch alle Schichten von der philosophischen Beschäftigung mit der Welt bis zu dem ganz naiven Ton, den wir brauchen um zu überleben. Es sind die politischen und menschlichen Konflikte drin, die uns heute und immer beschäftigen. Mir ist es wichtig, mich auf alles, was dort behandelt wird, einzulassen und nicht die Brüche zu glätten sondern im Gegenteil. Man muss die Welt, wie sie dort umrissen wird, zeigen. In den Märchen und Mythen schichtet sich ja auch sehr viel an Psychologie, Mystik, Philosophie und ganz naivem Geschichtenerzählen. Auch was uns immer wieder fesselt am Theater: wie handeln Personen, was entsteht daraus – dies Prinzip von Ursache und Wirkung, was wir nicht müde werden zu verfolgen, weil es unser eigenes Leben betrifft.

Die drei Knaben

Sarastro ist so eine Art Geheimbundchef. Zugleich hat er eine Herrenmensch-Attitüde und auch was Väterliches. Wie findet man den Weg, diese Figur zu zeigen: kritisch, aber ohne Denunziation?

Sarastro hat in den verschiedenen Szenen ganz verschiedene Gesichter. Für mich ist es sehr wichtig, dass Sarastro durch das Zusammentreffen mit Pamina und durch die Art, wie Pamina sich zwar diesem System dort fügt, andererseits dieses System auch von innen heraus verändert. Sarastro verändert sich durch Pamina.

Die Weisen zirkeln

Auf der anderen Seite steht die Mutter Paminas. Die Königin will zum einen gluckenhaft ihre Tochter retten, zugleich ist sie machtgierig, will ihren früheren Mann für seinen Machtverlust rächen und dem Sarastro an den Kragen. Sie benutzt die Pamina.

Die Mutter geht den umgekehrten Weg. Aus der Liebe zu ihrer Tochter und aus dem zerstörten Machtgefüge ihrer früheren Machtbereiche geht sie ins Terroristische. Das ist der Gegenentwurf: dieses Kriegmachen und Zerstören auf Teufel komm raus und die eigenen Kinder opfern. Insofern kriegt das Stück über die Königin der Nacht noch mal wieder aktuelle Bezüge. Es sind diese zwei Prinzipien in dem Stück: Konfrontation im Gegensatz zu Toleranz und Kooperation.

Mama Nachtkoenigin

Die jungen Leute sind Spielball zwischen den beiden Mächten: Sarastro und Königin. Tamino ist eher brav mit fast vorauseilendem Gehorsam. An Pamina zerren alle: die Mutter, Sarastro, Tamino und der Mohr Monostatos.

Die Männer haben’s schwerer als die Frauen. Die Männer müssen Helden spielen, müssen siegen, erobern. Insofern hat Tamino als jemand, der reinpurzelt in die Welt der nächtlichen Königin und dort zum Werkzeug erst der Königin, dann von Sarastro gemacht wird, weniger Chancen sich zu behaupten als Pamina. Er ist der kindlich-junge Mann, der glaubt, dass er jetzt seinen Mann stehen muss. Es geht um Pubertätsprobleme junger Männer - auch ein Topp-Thema. Dieses Klammern an das jeweilige Idol: ob es das Bildnis von diesem Mädchen ist, was er nun plötzlich retten oder befreien soll; ob es die Mutter ist, die ihn vereinnahmt; ob es Sarastro ist, der ihn in seine Welt einführt und auch konfrontiert. Das Interessante ist, dass neben dem gesellschaftlich höher stehenden Tamino der Papageno, der die Welt ganz anders erfährt, mitläuft durch diese Prüfung. Der Weg dieser beiden: der eine, der ganz naiv durchstolpert, der andere, der versucht zu funktionieren – das ist eine so lebendige Mischung, zu beobachten, wie sie sich auseinander setzen mit Situationen, in die auch wir hinein geraten können und wo wir sehen müssen, wie wir damit umgehen, wie wir unbeschadet da heraus kommen oder durch Schaden klug werden oder wie schlimm es uns ergehen muss, bis wir die einfachsten Dinge verstehen. Bei Monostatos ist es ähnlich wie bei der Königin: er wählt für seine Ziele die falschen Mittel. Selbst beleidigt, verachtet er auch und will Rache. Deswegen geht er unter mit der Königin und ihrer Welt.

Naechtliche Begegnung Die Koenigin und die Tochter

Die Autoren, Mozart und Schikaneder, haben in Papageno ja auch ein „Modell“ vorgeschlagen, wie man die Probleme des Lebens löst und ins „Elysium“  der Liebe kommt ohne viel Nachdenken und ohne großes Plänemachen. Wie ist das mit dem Verhältnis des „niederen“ Paars Papageno-Papagena und Tamino-Pamina?

Ich habe keine Lust das zu werten, es gibt ja so viele Lebensentwürfe. Was ich schön finde, dass er sagt: wenn ich ein Weibchen hätte, dann könnt’ ich mit Fürsten mich messen, dann könnt’ ich im Elysium sein und es wäre das Paradies auf Erden. Das heißt, dass die Liebe und die Art wie wir mit der Liebe umgehen, mit dem was wir an Verantwortung füreinander empfinden, dass das das Paradies ist. Das Paradies liegt zwischen Mann und Weib, in der Welt, die sich da eröffnet zwischen den beiden Geschlechtern. Papageno ist das Haupt-Korrektiv.

Wer mit wem?

Zur Männer- und zur Frauen-Welt: es gibt ja zum einen den Männerbund der Sarastro-Leute. Frauen singen zwar, aber haben dort eigentlich keine Funktion. An Frauen gibt es dieses Quintett im 2.Akt. Die sind die Gesandten der Königin und sie haben ihr Pendant in den drei Knaben, den „Genien“, wie es im Libretto heißt. Man hört an Mozarts Musik, dass er die Frauen sehr viel lieber mochte. Im Stück kommen die Frauen als Gruppe aber so richtig nicht vor.

Was den Chor betrifft - die Frauen sind unterbelichtet. Aber die drei Damen sind im ersten Akt sehr stark: im Quintett mit Papageno und Tamino und im Terzett mit Tamino allein. Sie lösen ja als verlängerter Arm der Königin der Nacht diese Wanderung der beiden jungen Männer aus. Die Königin und die drei Damen beherrschen den ganzen ersten Akt. Im zweiten Akt bestimmt vor allem Sarastro die Spielachse. Aber dadurch dass Pamina so stark ist, kippt das in ein ganz anderes Verhältnis. Plötzlich sind Pamina und Sarastro die beiden Antipoden. Sarastro ringt um Pamina. Pamina geht mit dem konfliktreichen Gefühl, was er für sie hegt, in einer ganz positiv-menschlichen Weise um. Es wird immer von Frauen gesprochen – ob schlecht oder gut. Es geht die ganze Zeit um Frauen. Ich habe in zwei Aspekten versucht, die Frauen im zweiten Teil zusätzlich zu beleuchten. Wenn die Männer sich mit ihren wissenschaftlichen Sachen beschäftigen (Priestermarsch, Versammlung), werden einige Frauen die Stiefel der Männer putzen müssen als Gegenbild zu diesem abgeschotteten Männerbund. Und bei Papagenos „Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich“ denkt Papageno sich seine eigene Welt aus. Und das sind Frauen, die aus allen Ritzen kommen und ihm gedanklich das Nest bauen, das er sich wünscht. Also ich will dieses lebenserhaltende Prinzip betonen von: sich was wünschen, sich was erträumen.

Feuer und Wasser Papageno selig - und die Weibchen

Das Stück teilt sich nicht nur in zwei Akte. Es zerfällt wie in zwei Teile – die entstehungsgeschichtlichen Gründe lassen wir hier mal beiseite. Der erste Teil zeigt eher komödiantisch-leicht die Wanderung im Wald. Der zweite Teil zeigt die Sarastro-Baumeister-Freimaurer-Welt, wo alles seine gezirkelte Ordnung hat. Am Ende sitzen sie alle wie in einem Boot. Wohin rudern sie?

Ich sehe das Ganze als Entwicklung. Es ist eine Art Schule. Du machst dich auf, gehst in eine Schule, irgendwann hast du deine Prüfung. Und dann sitzt du auf der Straße und wartest, was das Leben dir nun bringt. Dieses offene Ende, das ist mir wichtig. Für mich ist das nicht abgeschlossen, in dem sie zum Schluss jubeln. Es ist wieder ein Anfang. Jedes Ende ist auch ein neuer Anfang.

Endlich: Papageno hat seine Papagena im Nest


 

Sidi & Lulu
und die Kraft der Natur

Anmerkungen zur „Zauberflöte“

Was ihn am meisten freue, sagte Mozart anlässlich einer späteren Aufführung, sei der „stille Beifall“. Ein Renner war die Zauberflöte anfangs nicht. Die Uraufführung am 30.September 1791 stieß auf ein zumal im ersten Akt verhaltenes Echo. Mozart, der selber dirigierte, wirkte darob blass und bestürzt, bekundeten Augenzeugen. War er vom Tode schon gezeichnet? Erst im zweiten Akt hellte sich die Stimmung des Publikums in Emanuel Schikaneders „Theater auf der Wiedn“ und beim Komponisten selbst auf. Und der Erfolg wuchs. Schon ein gutes Jahr später, am 23.November 1792, ging die hundertste Vorstellung über die Bühne.

Unklar ist die Entstehungsgeschichte des Librettos. Die Spuren führen zu Christoph Martin Wieland und dem Märchen Lulu oder die Zauberflöte. Da hat ein böser Zauberer Dilsenghuin der strahlenden Fee Perifirme den Feuerstrahl geraubt. Dessen Funken machen seinen Besitzer zum Herrscher über das Geisterreich. Der noch unschuldige Prinz Lulu soll den Talisman zurückbringen. Als Lohn ist ihm die vom Zauberer ebenfalls geraubte Tochter Sidi versprochen. Als Schutzschild bekommt er eine Flöte, deren Klang die Herzen verzaubert, und einen Ring. Der verleiht ihm jede gewünschte Gestalt. In Greisengestalt entert Lulu die Zauberburg, bezwingt mit der Flöte die wilden Tiere und gewinnt Sidis Liebe. Beim Gastmahl schläfert er den Zauberer ein und entreißt ihm den Feuerstrahl. In Gestalt eines Uhu kann er fliehen. Die Zauberburg wird zerstört, der Bund der Liebenden im Feenschloss gesegnet. Soweit der ursprüngliche Plot.

Schon bald aber kehrt sich die Figuren-Konstellation um: aus der strahlenden Fee wird die nächtlich sternflammende Königin. Die sitzt verschleiert auf ihrem Thorn, umgeben von fackeltragenden Damen. Der Zauberer wird zum lüsternen Mohren und Sklavenhalter. Der Held wird gelockt mit dem Bildnis des Mädchens, drei weise Knaben sollen ihn geleiten. Als „japonischer“ Prinz Tamino erscheint er nun, der von der wilden Schlange befreit werden muss durch die drei Damen. Ein Vogelmensch namens Papageno stellt sich ihm als Retter vor und soll Tamino im Auftrag der Königin zum Palast begleiten usw. Die Königin, die drei Damen und die drei Knaben („Genien“) verkörpern noch das gute Prinzip, Sarastro und Monostatos sind die Bösen. Doch plötzlich ändert sich die Figuren-Konstellation erneut: Nun wird Sarastro die Lichtgestalt. Der residiert in einem Tempel der Weisheit und weiht das liebende Paar in seine Mysterien ein. Die Königin und die drei Damen werden zu Bösen.

Was war der Grund des Sinneswandels? Verherrlichung der Freimaurer, Verachtung der Frauen? Frauen hatten in diesem Männerbund von Baumeistern, Architekten und Handwerkern keinen Platz. Oder wollte Mozart ein vielleicht auch politisches Zeichen setzen? „Bezahlten“ die Freimaurer gar für die Gratiswerbung? Der neue Kaiser Leopold II hatte dem Bund von Freigeistern, die mit der Revolution von 1789 liebäugelten, die Gunst entzogen. Sein Vorgänger Joseph II gehörte ihnen selbst wohl noch an. Der Geist der Menschheitsverbrüderung war modern. Ein neues Publikum wartete darauf, in die Tempel der Kunst eingelassen zu werden. Den Titus, seine vorletzte Oper, schrieb Mozart im kaiserlichen Auftrag; diese Krönungsoper drängte ihn zurück ins längst verlassene Bett der „opera seria“. Andererseits drohte der Abstieg ins sonst eher hanswurstige Wiener Singspiel. Mit dem Humanitätsgedanken war gleichsam eine Adelung der populären Gattung möglich. Der Ort war nicht mehr das kaiserliche Hoftheater sondern ein Bürgertheater auf der Wiener Vorstadt.

Die Zeit muss jedenfalls gedrängt haben. Ouvertüre und Priestermarsch entstanden zwei Tage vor der Premiere. Der zweite Akt wirkt dramaturgisch etwas gedehnt, weniger plausibel. Man musste über Umstellungen, Straffungen nachdenken, das etwas aufgeblasen wirkende Deutsch behutsam entschlacken und modernisieren. Mozarts unmittelbare Nachwelt rühmte an der Zauberflöte im Geiste der Aufklärung vor allem den Kampf zwischen Licht und Finsternis. Beethoven in seinem Fidelio, Weber in seinem Freischütz haben den Faden weiter gesponnen. Liebe verschwistert sich beim hohen Paar mit Weisheit und Tugend. Papageno und Papagena singen eine stammelnde Ode an die Kraft der Natur. Ein Kosmos öffnet sich. Beobachtern in jüngerer Zeit erschien dies Werk indes als ein „Machwerk“. Mozart selbst nennt dies Werk, obwohl aus der Singspiel-Tradition erwachsen, eine „Große Oper“. Merkwürdig heterogen ist es. Darin liegt auch sein Reiz.

Interview: für das Programmheft
März 2005
>>Historie >>Mozart >>Freimaurermuseum >>Libretto
Spätere Fassungen:
Tartu / Estland (Okt. 2005)
Tampa / FLorida (2014)