Der Text von Kandinsky handelt vom Schaffensprozess. Er reflektiert über das Entstehen von Kunst im Spannungsfeld zwischen Akteur/Künstler und Rezipient/Zuschauer.
Die Fragen beim Zuschauen könnten sein: Wie rezipiere ich einen Kunstvorgang? Wie entschlüssle ich Abstraktion? Wie kann ich mich einstellen, dass ich neu und unvoreingenommen sehe und höre?
Die Fragen, die sich den Künstlern stellen, könnten sein: Wie und mit welchen Mitteln setze ich diese Idee um? Was geschieht, wenn ich in einem Szenischen Vorgang das Licht oder die Farbe, den Klang oder ändere? Welche Informationen bekommen die Zuschauer, wenn ich den Charakter einer Aussage ins Gegenteil verkehre? Wo liegt das „Gold“ begraben? Vielleicht hinter der Mauer?
Es ist die Sicht eines Malers die hier reflektiert wird. Er wollte die Zweidimensionalität des Bildes ins Dreidimensional-Räumliche des Theaters durchbrechen. Dies Theater bricht aus einem inneren Bild nach außen und etabliert sich im Raum als Vorgang.
Kandinky war Synästhetiker.
Der Klang der Farben und des Lichts wird als Farbklang, als Musik assoziiert und wirkt gleichberechtigt zusammen mit dem körperlich-seelischen Klang von Tanz/Bewegung/Szene und als musikalischer Ton und Bewegung in Musik/Klang/Wort wirken dabei. Ein vielschichtiges, theatralisches Geschehen entsteht.
Kandinsky möchte so Wort und Klang, Bewegung und Tanz, Licht und Farben – also Hören und Sprechen, Sehen und Fühlen sowie das transzendierende Element – gleichwertig als theatralische Kunstaktion erlebbar machen.
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Der Titel ist Programm. In „Über die Mauer“ überrascht Kandinsky, den meisten nur als Maler bekannt, mit einem Stück für die Bühne, das vom Schaffensprozess eines Werks erzählt.
In einem ebenso ernsthaften wie amüsanten fiktiven Dialog zwischen Akteur/Künstler und Rezipient/Zuschauer, gibt er Einblick in die Sicht des Malers, der aus der Zweidimensionalität des Bildes ausbricht und sie ins Dreidimensional-Räumliche des Theaters erweitert. Was zunächst nur inneres Bild ist, wird nach außen gekehrt und im Raum als Vorgang etabliert.
Dabei lässt der Synästhetiker Kandinsky, also einer, der Töne sehen und Farben hören konnte, den Klang der Farbe und des Lichts, der zu Musik wird gleichberechtigt neben den körperlich-seelischen Klang von Tanz/Bewegung/Szene treten. Auf diese Weise macht er Wort und Klang, Bewegung und Tanz, Licht und Farben – also Hören und Sprechen, Sehen und Fühlen sowie das transzendierende Element – gleichwertig als theatralische Kunstaktion erlebbar. Ein vielschichtiges, theatralisches Geschehen entsteht.
Kandinsky, der sich also von konventionellen Seh- und Hörgewohnheiten trennte, fordert in „Über die Mauer“ den Zuschauer auf, es ihm gleich zu tun, sich zu öffnen für Neues. Und er machte einen Vorschlag für das Erlebnis nicht nur dieses Stückes, sondern generell für die Aufnahme von Kunst: “Vergessen Sie Ihre Wertmaßstäbe. Öffnen Sie Ihre Ohren für die Musik, Ihre Augen für die Malerei, das Bühnenbild, die Kostüme.“
Arila Siegert, Regisseurin und Choreografin, realisiert diese Produktion für die Akademie der Künste Berlin gemeinsam mit dem Team, mit dem sie im September 2019 am Anhaltischen Theater Dessau, die international beachtete Aufführung von Kandinskys Klangoper Violett inszenierte. An deren Ende räsonierten zwei Graue Gestalten über die Zukunft und beschlossen den Abend mit der sicheren Erkenntnis: „...und so geht es immer weiter.“
Nun tauchen die beiden Grauen Gestalten wieder in Berlin auf, gespielt von Kerstin Schweers und Jörg Thieme, die Musik komponiert Ali N. Askin, das Bühnenbild und die Kostüme entwirft Marie-Luise Strandt, für das Lichtdesign sorgt Susanne Auffermann, und der Künstler Helge Leiberg begleitet die Szene mit Live Malerei.
Fotos: © gfk, j.schön
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